Der bastelnde Mann ist der wahre Philosoph unserer Zeit. Wenn nur die lästigen Kinder nicht ständig mithelfen wollen würden!
Ich habe eine unerwartete Leidenschaft fürs Basteln entdeckt, die mich von allem anderen abhält. Wie sinnlos scheinen sinnvolle Tätigkeiten, wenn man stattdessen basteln kann! Es hat mit einem Fach in meinem Manuskriptschrank begonnen, das ich für meine Tochter als Puppenstube freigeräumt habe, dann kam ein Fach für ein Wohnzimmer dazu, eins fürs Badezimmer, und inzwischen sind es mit Dachgarten, Garage und Küche acht Fächer. Und das, wo ich so ungern an meiner richtigen Wohnung bastele, weil ich den Aufwand scheue, die Bohrmaschine vom Zwischenboden zu holen oder die Malerrolle auszuwaschen.
So etwas hat aber auch weniger Poesie, weil es nützlich ist, während man beim Basteln tief in Spiel und Meditation versinkt. Leider ist meine Puppenstube jetzt so schön, dass ich meine Tochter ungern damit spielen lasse. Die Möbel sind zu zerbrechlich für Kinderhände, und ich will auch nicht, dass sie die Tapetenfarbe bestimmt. Außerdem interessiert sie sich sowieso viel mehr für die KiKANiNCHEN-Seite im Internet und will fünf Mal am Tag gucken, ob das Bild, das sie hingeschickt hat, endlich in der Galerie von der Mitmachmühle auftaucht. Aber da werden nur Bilder hochgeladen, die in Wirklichkeit von den Eltern gemalt worden sind, um das zu sehen, braucht man nicht Kunstgeschichte studiert zu haben.
Eine besondere Herausforderung ist es, meine eigenen Möbelstücke nachzubasteln, mein Meisterstück ist eine Miniaturversion meines Fernsehsessels, eines der wenigen Erbstücke, die ihren Weg zu mir gefunden haben. Er stammt wohl von 1900 aus einem Dorf bei Coburg. Meine Vorfahren durften ihn von einer Familie übernehmen, die nach dem Krieg aus Thüringen in den Westen ging. (Mir fällt gerade auf, dass er damals noch kein Fernsehsessel gewesen sein kann. Wozu hat man ihn dann benutzt?) Er ist eher unbequem, aber mein Vater hat darin ein Leben lang jedes Fernsehprogramm durchgehalten, da werde ich das doch wohl auch schaffen.
Fünfarmiger Deckenleuchter
Als ich den fertigen, kleinen Sessel sah, geschreinert aus mit dem Teppichmesser zurechtgeschnittenen und anschließend lasierten Eisstielen, mit richtigen, ordentlich vertackerten Polstern und verstellbarer Rückenlehne, war ich auf eine mir bisher ganz unbekannte Art stolz. Ein Fernsehsessel ist ja nur das Abbild der Idee des Fernsehsessels, die wir nach Platon in unserer Seele tragen, und mein Fernsehsessel ist zwar ein Abbild des Abbilds der Idee, aber dadurch paradoxerweise viel näher an der eigentlichen Idee, wenn man versteht, was ich meine. Man denkt: Oh, der sieht ja aus wie in echt! Aber zum echten Sessel würde niemand sagen: Oh, der ist ja echt! Echt sein ist keine Kunst.
Ich werde leider immer anspruchsvoller, meine ersten Bastelarbeiten genügen nicht mehr meinen jetzigen Ansprüchen, ich musste schon ein Zimmer neu tapezieren, das ursprünglich die gute Stube gewesen war. Wie wenn man sich eine neue Hose kauft und die alten sofort nicht mehr anziehen will, lässt jedes neue Zimmer die anderen schäbiger aussehen. Parkettfolie zum Aufkleben ist natürlich viel schlechter als echtes Parkett. Überraschungseihülsen und zerschnittene Tischtennisbälle als Lampenschirme reichen nicht mehr, es muss ein Nachbau meines fünfarmigen Deckenleuchters sein. Der Strom kommt aus drei Handyladegeräten, die ich an die Puppenhausanlage angeschlossen habe. Wenn ich es mir nicht schwer mache, ist das Resultat nicht befriedigend.
Pläne für neue Anbauten
Man weiß vorher nie, was rauskommt, aber man findet unterwegs immer eine Lösung, einfach durch Suchen in der Wohnung. Als Spülbecken eignen sich die Blechhüllen von Teelichtern. Als Gerüst für den Lampenschirm kann man ein paar Millimeter von einer leeren Klopapierrolle abschneiden, die man dann mit buntem Pergamentpapier beklebt. Als Bilderrahmen eignen sich Streichhölzer. Ein altes Hemd liefert den Bezug für die Sesselpolster. Aus Knete forme ich mir Haustiere, einen Papagei mit echtem Federschwanz in einem Bauer aus Golddraht und eine Maus, die hinter dem Weihnachtsbaum sitzt. Geheizt wird mit einem Kachelofen aus Glasmosaiksteinen (die sich auch für den Couchtisch eignen).
Der Stuhl hat ein Bein aus Kupferrohr und lässt sich drehen. Und an die Wand kann ich mir endlich einen Paul Klee hängen. Abends setze ich mich in meinen Fernsehsessel, den ich umgedreht habe, und gucke in meine Puppenstube, wo mein Miniaturfernsehsessel steht, genieße mein Werk und schmiede Pläne für neue Anbauten. Es wäre schön, wenn ich in meinem nachgebauten Schlafzimmer mit winzigen Schallplatten wirklich genau meine Musik hören könnte, in Puppenlautstärke. Wenn auf einem der Zettel, die ich auf den kleinen Schreibtisch aus Balsaholz im Arbeitszimmer lege, dieser Text stände. Und wenn mir das nicht mehr reicht, werde ich alles noch einmal bauen, aber diesmal so klein, dass es in ein ausgehöhltes Reiskorn passt.
Einmal habe ich Trixi doch alleine mit der Puppenstube spielen lassen. Als sie schlief, sah ich dann, dass sie eine Holzente in den Küchenherd geschoben und den Playmobil-Cowboy aufs Klo gesetzt hatte. Es ist immer so rührend, Spuren ihrer Tätigkeiten vorzufinden, bei denen ich nicht anwesend war, jahrelang habe ich sie ja rund um die Uhr beobachtet und kaum eine Regung verpasst, aber das ändert sich, es geschehen inzwischen manchmal Dinge in ihrem Leben, von denen ich nichts weiß. Wenn sie mit etwas alleine gespielt hat und ich mir das Ergebnis angucke, das ist wie ein Blick in ein Leben ohne mich, das sie eines Tages führen wird. Die Holzente im Ofen und der Cowboy auf dem Klo erinnern mich daran, dass sie irgendwann erwachsen sein wird.
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