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Und es hat Zoom gemacht

 

Der Elektronikmarkt ist ein Ort der kindischen Sehnsüchte. Aber Erwachsene brauchen doch eigentlich nichts. Außer dem neuen Smartphone mit 100 Zoll Bildschirmdiagonale natürlich!

© Reuters/Hannibal Hanschke
© Reuters/Hannibal Hanschke

Einen der wesentlichen Vorteile am Erwachsensein vergesse ich regelmäßig, nämlich dass ich mir meine Wünsche jetzt selbst erfüllen kann. Ich gehe nur leider so ungern in Geschäfte. Meistens komme ich gar nicht auf die Idee, mein Leben spielt sich zwischen Postfiliale, Sparkassenfiliale, Netto, Mülltonne und Mister Minit ab, wo ich mir in der Euphorie über eine gelungene Schuhreparatur manchmal bunte Plastikringe leiste, die man auf seine Schlüssel steckt, um sie am Schlüsselbund besser unterscheiden zu können.

Nur wenn ich auf Reisen bin, bekomme ich manchmal Lust, ein anderes Geschäft zu betreten, vor allem, wenn es ein Fachgeschäft ist, das speziellere Wünsche befriedigt, für die im Alltag keine Zeit bleibt. In Bonn stieß ich neulich beim Spazieren an einer stark befahrenen Ausfallstraße, wie ich sie gern als Spazierweg wähle, weil mich das Rauschen der Autos beruhigt, und weil ich dort sicher sein kann, nicht von allzu hübschen Stadtdetails abgelenkt zu werden, auf einen Konsumbunker, der Heim für ganz unterschiedliche Fachgeschäfte war, im zweiten Stock lockte Conrad Electronic.

In Berlin gibt es diesen Fachmarkt auch, vermutlich sogar mehrmals. Solche Geschäfte neigen ja zur Kettenbildung, aber wann kommt man zu Hause schon mal dazu, sich auf den Weg in ein Fachgeschäft zu machen? Man könnte mal hin, aber man erinnert sich ja gar nicht, was man braucht, und der Zettel, auf dem man im Geist seine Wünsche notiert, geht ständig verloren. Spontan weiche ich in Bonn von der Route meines Spaziergangs ab und steige die Treppen zu Conrad hoch, man kann schließlich überall spazieren, auch in Gebäuden.

Wenn ich als Kind eine Tarnkappe besessen hätte, um in den Westen zu reisen und Conrad Electronic zu betreten, wäre ich vor Gier ohnmächtig geworden. Inzwischen weiß ich, dass man Dinge, die man besitzt, bei Umzügen viele Treppen hochschleppen, oder, was noch mehr Kraft kostet, aussortieren und wegwerfen muss. Deshalb vermeide ich Neuanschaffungen. Aber ich überfliege immer noch gewissenhaft die Werbebroschüren der Elektronikfachmärkte, die der Zeitung regelmäßig beigelegt werden, sofern man nicht schon davon sprechen kann, dass die Zeitung den Werbebroschüren beigelegt wird, einfach um mich zu zwingen, wenigstens die groben Linien der Technologie-Entwicklung mitzuverfolgen. Das ist zwar anstrengend, und man muss sich viele Zahlen und neue Begriffe merken (so irritierende wie „DDR-RAM“), aber man gehört ja nicht gern zum alten Eisen.

Rundfunkgebühr müsste von der Bildschirmgröße abhängen

Obwohl gerade alte Männer sich hier besonders gut auszukennen pflegen. Sehr alte und sehr junge Männer, die dazwischen sind von anderen Dingen abgelenkt. Eine Kamera mit 30-fachem optischen Zoom? Das ist nur so lange beglückend, wie es keinen 32-fachen optischen Zoom gibt. Wenn man davon erfährt, nagt das sofort an einem und der Besitzerstolz kehrt sich um in Kaufreue. Aber muss man denn überall so nah ranzoomen? Man kann sich doch auch ein paar Schritte hinbequemen. Zoomen, seltsames Wort, ich kenne es aus dem Lied 1000 und 1 Nacht dieses Sängers, der aussieht wie ein unrasierter Taxifahrer, wo es heißt „und es hat Zoom gemacht“, was ich aber erst Jahre später verstand (und noch viel später erlebte.)

Besonders schnell ändern sich die Verhältnisse bei den Speichersticks. Was kosten denn diese Gigabytes auf den Sticks jetzt im Durchschnitt? Und misst man noch in Gigabyte, oder gibt es schon eine neue, noch schillerndere Vorsilbe? Ich meine, ich hätte schon einmal von Terabytes gehört. Alle paar Jahre ein neues Wort, und man kann sich nichts darunter vorstellen. Realer sind die Fernseher, da versteht jeder, was Größe bedeutet, auch wenn sie noch in Zoll rechnen. Gut, dass ich mir nie zu einer dieser Fußball-WMs einen gigantischen Röhrenfernseher gekauft habe, mit dem ich vor jedem Turnier liebäugelte. Deshalb betrachte ich die jetzigen flachen Modelle auch mit Misstrauen. In ein paar Jahren werde ich mich bei ihnen genauso freuen, dass ich mich jetzt nicht dazu hinreißen lassen habe, sie zu kaufen. Eigentlich müssten die Besitzer solcher Bildschirme ja nach Fläche Rundfunkgebühr bezahlen (und wenn man auf Schwarz-Weiß dreht, müsste es billiger sein).

Das Interessanteste an Conrad sind die Dinge, die es nicht überall gibt. Ein Gang mit 30 verschiedenen Türgongs. Ich bezweifle aber, dass ein Türgong darunter ist, der mir gefällt, der müsste schon von Bach oder Tschaikowsky komponiert sein. Das ist auch das Problem mit den Klingeltönen (obwohl der von Nokia immerhin vom spanischen Komponisten Francisco Tárrega stammt, der sicher gern für etwas anderes unsterblich geworden wäre). Es gibt eine ganze Abteilung für ferngesteuerte Flugobjekte: Hubschrauber, Schiffe und Autos, leider keine Würmer, die sich in die Erde bohren.

Irgendwie asozial, nichts zu brauchen

In dieser Abteilung sieht man viele vom Schicksal gebeutelte Männer, ihr Leben ist ihnen entglitten. Mit einer Fernsteuerung hoffen sie, ein bisschen Kontrolle zurückzugewinnen. Je besser sich jemand im Modellbau auskennt, umso einsamer wirkt er auf mich, aber irgendwie auch zufrieden und vielleicht sogar glücklich, oder zumindest beschäftigt. Die Behutsamkeit, die das Austauschen eines Rotorblatts erfordert, erinnert ja schon fast an Zärtlichkeit.

Soll ich einfach eine robuste Kneifzange kaufen? So etwas gibt es hier nämlich auch. Ich benutze immer noch die aus meinem Kinderwerkzeugkasten. Aber ich kann mich nicht entschließen, warum sollte ich sie ausgerechnet jetzt kaufen? Was macht diesen Moment so besonders? Andererseits will ich nicht kontrolliert werden am Ausgang und nichts vorzuweisen haben, das ist ihnen sicherlich verdächtig. Ich weiß gar nicht, ob es erlaubt ist, so einen Markt zu verlassen, ohne etwas zu kaufen. Vielleicht gibt es hier eine Gesetzeslücke, weil das noch nie vorgekommen ist? Irgendwie asozial von mir, so ein Verhalten, 700.000 Artikel, und ich bilde mir ein, keinen davon zu brauchen? Das ist es ja gar nicht, ich brauche sie eigentlich alle, das macht es so mühsam und ein bisschen sinnlos, mir einen herauszupicken.

Blinkende LED-Leisten? Ein Roboter zum Selberbasteln? Eine Stabtaschenlampe? Sofort guckt man, welche die größte ist, sie hat 320 Meter Reichweite und würde kaum in meinen Rucksack passen. Dafür hätte ich leider keine Verwendung. So etwas braucht man nur, wenn man ins Ferienlager fährt und untereinander seine Stabtaschenlampen vergleicht. Überhaupt könnte ich mir bei Conrad lauter Wünsche erfüllen, die ich als Kind oder als Jugendlicher hatte. Damals wollte ich immer ein Strommessgerät, aber soll ich mir das jetzt mit 30 Jahren Verspätung kaufen? Wer weiß, wie lange es noch Strom gibt? Ein Lötkolbenständer, darüber hätte ich mich früher wahnsinnig gefreut, wir benutzten die Gabel eines alten Telefons. Aber ich löte doch gar nicht mehr, ich wechsle maximal noch Batterien aus.

Die Puppe hat ihre Stimme verloren

Ein 3-D-Drucker, wird es mir damit wie mit dem Smartphone gehen, das ich erst jahrelang missbilligte und jetzt nicht mehr missen möchte? In ein paar Jahren wird jeder einen 3-D-Drucker zu Hause haben, aber was soll ich denn damit drucken? Es ist mir auch nicht geheuer, ich kenne das Prinzip längst aus Tim und der Haifischsee und weiß daher um die Gefahren solch einer Technologie, wenn sie in die Hände eines gefährlichen Schurken wie Rastapopoulos gerät. Ich denke, ich schlage zu, wenn 3-D-Drucker nur noch fünf Euro kosten, wie die einst unbezahlbaren Speichersticks heute. (Erinnert sich noch jemand an Zip-Laufwerke? Auf eine Diskette gingen bis zu 750 Megabyte. Einer der größten Fehlkäufe meines Lebens, direkt nach dem MD-Player, den ich mir zum Joggen angeschafft habe.)

Es gibt doch bestimmt irgendetwas, was ich schon immer brauchte, aber nirgends gefunden habe. Eine Videokamera? Aber eigentlich kann ich ja mit dem Fotoapparat Videos drehen. Und mit dem Handy kann ich machen, was ich mit dem Fotoapparat mache. Im Grunde kann man mit dem Handy sogar fernsehen, nur dass der Bildschirm so klein ist. In zehn Jahren wird es sicher Handys mit 100-Zoll-Bildschirmdiagonale geben.

Was könnte ich bloß kaufen? So bald komme ich doch nicht mehr nach Bonn. Jetzt fällt es mir ein! Die Stimme der russischen Tscheburaschka-Puppe meiner Tochter ist kaputt, ich habe der Puppe den Kopf abgetrennt und die kleine Plastikbox mit Batterie und Lautsprecher herausgenommen. Leider war nichts zu machen, das schöne Lied, das die Puppe sang, wenn man ihren Brustkorb drückte wie bei der Wiederbelebung, war nicht mehr zu hören. Der Text passte eigentlich gut zum Thema, die erste Strophe begann mit den Worten: „Einst war ich ein seltsames, namenloses Spielzeug, für das sich im Geschäft niemand interessierte …“

Aber Tscheburaschka-Stimmen suche ich bei Conrad vergeblich, wenn man wirklich etwas braucht, gibt es das natürlich doch wieder nicht. Als ich schon aufgeben will, geschieht doch noch ein Wunder, an der Kasse reichen Wühlkörbe Konsumversagern wie mir ihre rettende Hand, und hier werde ich endlich fündig, denn ich bin sofort fasziniert von einem daumennagelgroßen durchsichtigen Acrylwürfel für das Schlüsselbund, in dem in einer bläulichen Flüssigkeit eine kleine gelbe Ente schwimmt. Wie die da wohl reingekommen ist? Schlüsselanhänger sind zwar sinnloser Ballast, aber diesen hier hätte ich mir schon immer gewünscht, wenn ich gewusst hätte, dass es ihn gibt. Und noch dazu ist er spottbillig.