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Mischt euch ein!

 

Die Oscarnacht kann eine Bühne für politische Statements werden. Das sollte sie auch. Künstler tragen die Verantwortung, der Gesellschaft Impulse zu geben.

Erst die Dankesrede, dann ein politisches Statement
Meryl Streep bei der Verleihung der Golden Globes © Paul Drinkwater/NBC Universal/Getty Images

Bei der diesjährigen Oscarverleihung geht es nicht nur um die Vergabe der Preise. Mit Spannung erwartet wird auch der Moment, wenn die Prämierten ans Mikrofon treten. Geben sie, neben den Dankesworten, auch ein politisches Statement ab? Sollten sie das überhaupt? Die Frage, ob Künstler sich ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten, wird seit jeher diskutiert. Tragen sie gar die Verantwortung dafür? Wir haben diese Frage dem Schriftsteller Norbert Niemann und der Schriftstellerin Lucy Fricke gestellt, die sie in einem Pro und Kontra diskutieren.

 

Öffentliche politische Stellungnahmen in der Form, wie sie nicht erst heute, sondern seit Jahrzehnten immer mehr gängige Praxis geworden sind, bereiten mir schon lange Unbehagen. Vor bald zwanzig Jahren fing ich an, diese Praxis – gleichfalls öffentlich – zu kritisieren. Es ging mir dabei allerdings nie darum, die Rolle der Schriftsteller und Künstler als öffentliche Intellektuelle grundsätzlich infrage zu stellen. Im Gegenteil wollte ich stets ihre nach meiner Überzeugung essenzielle Bedeutung für jede offene Gesellschaft verteidigen. Denn meine Kritik zielte gerade auf jene Mechanismen und Automatismen der politischen Meinungsbildung und des Verhaltens, die das öffentliche Argumentieren, nicht zuletzt auch das selbstkritische Nachdenken, zugunsten einer Anstiftung zur rein emotionalen Solidarisierung mit bestimmten Positionen – und seien sie noch so richtig und begrüßenswert – an den Rand drängten.

Die Verbreitung öffentlicher Stellungnahmen ist an sich noch kein Ausweis für die demokratische Partizipation an politischen Prozessen. Das lässt sich derzeit besonders gut beobachten an den kollektiv getragenen digitalen Botschaften des Hasses, der Wut und der Verachtung in den sogenannten sozialen Medien. In einer zunehmend medialisierten Gesellschaft erfüllen die Schaffung und Ausweitung von Erregungsherden die immer maßgeblichere Funktion, Stimmungen zu erzeugen und damit die allgemeine Aufmerksamkeit in die eine oder andere Richtung zu lenken. Von der Politik als Propagandainstrument missbraucht, von den Bürgern als zentrale Ausdrucksform „politischer Haltung“ verinnerlicht, vertieft der wechselseitige Schlagabtausch von Reizwörtern, demagogischen Verzerrungen und denunziatorischen Zuschreibungen die Gräben zwischen den Menschen immer weiter. Hetze ging immer schon den unterschiedlichen Formen von Gewaltentladung voraus.

Spirale der Verachtung

Meine Kritik galt also immer schon den unterkomplexen Reiz-Reaktion-Schemata, die auf Schockstrategien um des Schocks willen mit Empörungs- und Verunglimpfungsstrategien um der Empörung und Verunglimpfung willen reagiert. Sie führen zu nichts als Abgrenzung, Selbstüberhebung, Zementierung von Vorurteilen und Denkverboten. Wie nicht nur hierzulande, sondern in vielen Teilen der Welt prominente Meinungshuber oder Stand-up-Comedians über Donald Trump herziehen und sich so ihres beifälligen beziehungsweise schenkelklopfenden Publikums sicher sein können, dürften vermutlich auch für die anstehende Oscarverleihung genau die Sorte Kampfaufrufe gegen ihn zu erwarten sein, die den zweifellos überaus fragwürdigen neuen US-Präsidenten mit Schmähungen überschütten und ihn dem Gelächter preisgeben werden. Dies wiederum wird Trumps Anhängern neues Futter für ihr Eliten-, Intelligenz- und Establishment-Bashing geben. Die Spirale der Verachtung aber wird sich eine Umdrehung weiter schrauben.

Genau deswegen jedoch ist es falsch, sich als Intellektueller, also als im Erfassen komplexer Zusammenhänge erfahrener und im kritischen Denken geübter Geist, aus einer Öffentlichkeit zurückzuziehen, die im Selbstlauf ihrer Eigendynamik eine Unkultur des Politischen produziert hat und immer weiter produziert und am Ende nur unversöhnliche Feindschaft hervorbringen kann. Auch das Phänomen Trump ist ein Produkt dieser Dynamik, wie alle anderen Erfolge von Populisten auch. Es ist daher dringend geboten, den entfesselten Rumor totaler Erregung keinesfalls sich selbst zu überlassen, sondern eine Öffentlichkeit zu stärken, die eine kritische, vor allem auch selbstkritische Analyse dessen leistet, was gesellschaftspolitisch gerade geschieht und wie es geschieht.

Ein allgemeines Bedürfnis nach Klärung, ja, Aufklärung lässt sich in der Presselandschaft daran erkennen, dass vermehrt Experten zu Rate gezogen werden, um die gegenwärtige Weltlage zu verstehen. Allenthalben erörtern Politologen, Soziologen, Psychologen und so weiter, wie es zu Trump oder Erdoğan oder dem Brexit und so weiter kommen konnte. Das ist wichtig, kann aber die Perspektive intellektueller Künstler nicht ersetzen. Ihr Augenmerk gilt den Lebenswirklichkeiten und ihren soziokulturellen Bedingungen, also den Voraussetzungen kultureller Verständigung, deren Ausdrucksformen sie unter die Lupe nehmen und, wo sie verstaubt und verhärtet sind, neu zu gestalten versuchen.

Kritischen Geist erwecken

Demokratie ist prozesshaft. Sie bewegt sich stets nur auf ihren utopischen Horizont zu. Es ist diese Bewegung, die sie konstituiert, ihren Mängeln zum Trotz. Ohne sie richtet auch die beste Verfassung nichts aus gegen die Zumutungen und Übergriffe von Profiteuren der Macht und des Geldes. Die Arbeit der Kulturschaffenden vollzieht sich an der Schnittstelle zwischen Politik und Lebenswirklichkeit. Ihre Sensibilität ist geschult an den Kommunikations- beziehungsweise Nichtkommunikationsformen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ohne ihre Erfahrung, ohne ihre Sprache kann den Verkrustungen erstarrter Systeme nicht begegnet werden. Nur aus dem kulturellen Raum kann der Impuls zur offenen Gesellschaft immer wieder neu kommen.

Dies wusste auch Willy Brandt, als er 1976 in einer bemerkenswerten Rede vor der Unesco die kritische Intelligenz der Welt aufforderte, in die Offensive zu gehen, um den Folgen der sich ankündigenden ökonomischen Globalisierung die Stirn zu bieten. „Kulturelle und geistige Uniformität kann nicht das Ziel sein, dem wir uns verschreiben“, sagte Brandt. Und: „Der Geist wird nicht die Macht übernehmen, vermute ich, aber die Macht wird sich ohne den Geist gegenstandslos machen.“ Dass die später tatsächlich eingeschlagene und immer noch gültige kulturpolitische Richtung Brandts Überlegungen genau entgegensetzt war, muss nicht eigens betont werden. Umso deutlicher erweist sich heute, wie notwendig, ja überlebensnotwendig es geworden ist, den kritischen Geist endlich aus seinem vierzigjährigen Dornröschenschlaf zu erwecken.

Am Montag, 27. Februar, ab 0.00 Uhr begleitet Dirk Gieselmann die Leser in seinem Liveblog auf ZEIT ONLINE durch die Oscarnacht. Natürlich wird er dann auch kommentieren, wie Maren Ade den Oscar gestemmt hat oder ob sie ihn doch an Asghar Farhadi abtreten musste. Und ob sich in diesem Jahr endlich mal einer aufrafft, um etwas Festhaltenswertes über den Zustand der Filmbranche und der USA zu sagen.

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