Bei der Oscarverleihung wird man sie sicher wieder hören: politische Statements der Künstler. Das sollten sie sich lieber sparen. Was zählt, sind allein die Filme.
Bei der diesjährigen Oscarverleihung geht es nicht nur um die Vergabe der Preise. Mit Spannung erwartet wird auch der Moment, wenn die Prämierten ans Mikrofon treten. Geben sie, neben den Dankesworten, auch ein politisches Statement ab? Sollten sie das überhaupt? Die Frage, ob Künstler sich ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten, wird seit jeher diskutiert. Tragen sie gar die Verantwortung dafür? Wir haben diese Frage dem Schriftsteller Norbert Niemann und der Schriftstellerin Lucy Fricke gestellt, die sie in einem Pro und Kontra diskutieren.
Auf der diesjährigen Berlinale fiel eines auf: Je missratener der Film, desto politischer die Pressekonferenz, und umgekehrt. Zwei Beispiele: Richard Gere spielt eine blasse Nebenrolle in dem Wettbewerbsbeitrag The Dinner. Ein Film, der sich fast schon beeindruckend verrenkt in dem, was er alles erzählen will, und an jedem losen Ende zerfasert.
Nach der Vorführung will Gere über den Film auch lieber nicht reden, stattdessen trägt er ein Statement vor, wie es sich für einen wie ihn, das Musterbeispiel eines politisch engagierten Schauspielers, gehört. Er warnt vor Donald Trump, der Flüchtlinge mit Terroristen verwechsle, ein Klima der Angst schüre, und er plädiert für Respekt, Zusammenhalt und Menschlichkeit. Für diese Schlagworte, die man derzeit überall hört, gibt es freundlichen, journalistischen Applaus.
Einige Tage später präsentiert Aki Kaurismäki den passenden Film dazu, wie üblich mit Charakteren, die kein Wort zu viel sagen, nirgends wird so lässig und großherzig geschwiegen wie bei ihm. Das andere Ende der Hoffnung erzählt die Geschichte eines syrischen Flüchtlings in Helsinki. Eine schräge, märchenhaft anmutende Vision von, genau, Menschlichkeit, Respekt und Zusammenhalt.
Das Werk ist schlauer als der Künstler
Als er in der Pressekonferenz gefragt wird, was er über die Islamisierung Europas denke, erscheint ihm die Frage derart dämlich, dass er sie mit einem gewitzten Missverständnis beantwortet: Obwohl die Isländer bei der EM sehr guten Fußball spielten, sehe er keine Gefahr für eine Islandisierung Europas. Schließlich bittet er seinen Hauptdarsteller Sakari Kuosmanen, einen finnischen Tango zu singen. Ende der Fragestunde.
Kaurismäki gewann für seine Regie den Silbernen Bären. Er ließ sich die Trophäe an den Platz bringen und sagte außer „Thank you“ gar nichts. Zum Sprechen und Gehen zu besoffen gewesen, hieß es nachher. Macht nichts, der Mann muss nicht mehr sprechen. Über das, was er zu sagen hat, hat er einen Film gedreht, und zwar einen guten!
Künstler müssen keine großen Reden halten, keine Statements raushauen. In ihrer Arbeit zeigen sie ihre Haltung, in der Wahl ihrer Themen, ihrem Blick auf die Welt. Nicht immer ist ein Künstler schlauer, erst recht nicht jeder, er hat auch nicht mehr Informationen, er weiß nichts, was andere nicht auch wissen könnten. Meistens allerdings hat er eine eindeutigere Haltung, das ist eine Berufskrankheit: beobachten, bewerten, die eigene Position bestimmen. Daraus macht er Kunst, keine Reden.
Er schafft ein Werk, das drängende Fragen stellt, Aussagen, die für sich stehen. Es ist auch keine Seltenheit, dass ein Werk schlauer ist als sein Künstler. Was zählt, ist die Arbeit, die muss man sehen, lesen, hören, verstehen.
Verlogener ginge es kaum
Dennoch wäre ein derartig schweigender Auftritt undenkbar bei der anstehenden Oscarverleihung. Nicht nur, weil allen inzwischen klar ist, dass Trump kein Witz ist, sondern eine Gefahr. Vielmehr geht es um Hollywood selbst. Die Traumfabrik will und muss von der Welt geliebt werden, sie ist abhängig von weltumspannender Zuneigung, und gerade herrscht da eine gewisse Irritation. Hier muss gesprochen werden, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Sich politisch zu äußern, ist auch Werbung in eigener Sache. Gegen Trump zu sein, ist keine Leistung, das ist nicht mutig oder revolutionär, es gehört jetzt zum guten Ton, und der ist bitter nötig. Kein Schauspieler ist so irre, sich öffentlich zu Trump zu bekennen, außer Sylvester Stallone, nicht eben der hellste Kopf unter der Sonne Kaliforniens.
Man stelle sich das vor, da würden alle Künstler in ihren Dankesreden Donald Trump feiern. Hollywood wäre erledigt. Der europäische Autorenfilm käme zurück auf unsere Leinwände.
Doch das wird nicht passieren, stattdessen wird es Statements geben, Warnungen, Ansprachen, alles unter Gleichgesinnten. Und in Hollywood wischt man sich noch dazu eine Träne aus dem Gesicht, weil alles so ergreifend ist. Man bejubelt sich gegenseitig, der Applaus im Echoraum ist tosend, und dort verhallt er.
Es werden vor allem die Schauspieler sein, die ihre Bühne nutzen, aus einem einfachen Grund: Sie können es sonst nicht. In ihrer Arbeit ist es ihnen nicht möglich, sich politisch zu äußern. Sie arbeiten weisungsgebunden, wie es offiziell heißt, sie verkörpern Rollen. Sie sind innerhalb ihrer Kunst zum Schweigen verbannt und außerhalb davon umso lauter. Auch das ist eine Berufskrankheit.
Doch was sieht und hört man von den Werken? Der von jeglicher Politik weggeträllerte Film La La Land ist in diesem Jahr haushoher Favorit, nominiert in vierzehn Kategorien! Ein strahlender, getänzelter Eskapismus. Würde dieses Musical abräumen, es wäre mehr als ein Zeichen, es wäre eine Kapitulation. Umrankt von Statements zur politischen Lage. Verlogener ginge es kaum.
Am Montag, 27. Februar, ab 0.00 Uhr begleitet Dirk Gieselmann die Leser in seinem Liveblog auf ZEIT ONLINE durch die Oscarnacht. Natürlich wird er dann auch kommentieren, wie Maren Ade den Oscar gestemmt hat oder ob sie ihn doch an Asghar Farhadi abtreten musste. Und ob sich in diesem Jahr endlich mal einer aufrafft, um etwas Festhaltenswertes über den Zustand der Filmbranche und der USA zu sagen.
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