Die eine Kundin möchte die Nägel pink, wie immer, bitte. Die andere badet ihre Hände in Aceton. Beobachtungen aus einem Nagelstudio in Iowa und aus dem Innern der USA.
„Du hast starke Nägel“, sagt die ältere Dame zu mir, die mir die künstlich verlängerten Gel-Nägel, bemalt mit Acryllack und beklebt mit Glitzersteinen, nun abschleift, bis die blassen Originale aus Horn endlich wieder zum Vorschein kommen. Sie spricht dabei ein Englisch, das nach einer Mischung aus Midwestern American und Vietnamesisch klingt, und in dieser bunten Sprache fragt sie mich auch, wo ich mir meine Nägel denn hätte machen lassen. Ich möchte Leipzig, Hauptbahnhof, antworten, aber ich sage: „Europe.“ Es riecht ziemlich toxisch hier bei Fashion Nails in der West Street, Ecke 6th Avenue.
Die beiden vietnamesischen Kosmetikerinnen und ihr junger Kollege bei Fashion Nails in Grinnell, einer kleinen Campusstadt im Bundesstaat Iowa, wo ich mich für ein knappes Semester im Frühjahr 2017 aufhalte, sitzen in ihrem winzigen Nagelstudio, und sie husten vor sich hin. Später werde ich deshalb noch sagen: „You should turn on some air circulation. It’s not because of me, you are the ones who work here every day.“ Zwei bis vier Kundinnen werden hier jeweils gleichzeitig bearbeitet: Alte Schellack-Nägel werden abgeschliffen, neue Nagel-Extensions angeklebt und mit Airbrush-Pistolen farbig besprüht. Diesmal sollen es bei meiner Sitznachbarin offenbar weiße Nagelspitzen in Dreiecksform werden, eine dritte Kundin will ihre Nägel pink, so wie immer, heißt es, „I sometimes think of leaving my comfort zone, but then again“: Es bleibt bei Pink. Man hört ihnen zu, man hält einander an den Händen. Ich tauche meine Fingerspitzen in zwei Schüsselchen, gefüllt mit Aceton, und schrecke, da es brennt auf der Haut, kurz zurück. Werden mir hier meine Finger abfallen? Meine zehn weißen, zarten, privilegierten Schreibfinger? Bin ich Julia Roberts als Erin Brockovich? Soll ich es noch einmal sagen: Ladies, ihr erstickt hier noch in diesem Dunst aus Aceton, Lack, Alkohol, Schleifstaub und Nagelbett?
Ich habe mir ein einziges Mal in meinem Leben meine Nägel verlängern und sie dann mit UV-Gel aufbauen und neon-orange streichen lassen, darüber wurde teilweise goldener Flitter gestreut. Den Mittelfinger schwarz lackiert, statt „Fuck you!“ zu lettern, wurde darauf mit Acrylfarbe und einem feinen Pinselchen eine Blüte gemalt, am Ende wurde just ins Blüteninnere noch ein Glitzersteinchen geklebt. Das ist vor genau einem Monat gewesen. Ich war auf der Buchmesse in Leipzig, denn ich hatte eine Erzählung für den Rundfunk geschrieben, in der es darum ging, dass sich eine eher lustlose Schriftstellerin von ihrer Friseurin Mandy nur Haare und Nägel machen lassen will, während Mandy lieber durch proaktive Einmischung beim Schreiben des Textes hilft. Mandy weiß selbstverständlich alles besser als die unverbesserliche Schriftstellerin, die weder Ahnung hat von Texten, die die Menschen wirklich lesen oder hören wollen, noch von der richtigen Nagelpflege, zumindest laut Mandy & Literaturkritik. Das Bühnen-Outfit für die Lesung dieser Erzählung in der „Kleinen Träumerei“ vor Live-Publikum mussten demnach die Gel-Nägel sein, die im Text erwähnt werden. Die schrillsten, die sie zu bieten hatten am Leipziger Hauptbahnhof, wo man sich für die gesamte Prozedur eine Stunde Zeit nehmen und in etwa 50 Euro berappen muss.
Nagelpflegerin Rubi, damals vor vier Wochen, kommt ursprünglich auch aus Vietnam, ist aber in Tschechien aufgewachsen. Wenn ich noch fünf Mal zu ihr ins Nagelstudio L.A. Nails ® kommen würde, bekäme ich beim sechsten Mal fünf Euro Rabatt. Das steht so auf der pinkfarbenen Visitenkarte, die sie mir mitgegeben hat, obwohl ich ihr gesagt habe, dass ich vorhätte, diese experience nur einmal im Leben gemacht zu haben. Rubi hat das nicht glauben können. Und ich habe es dann später auch nicht mehr glauben können, denn irgendwie habe ich während der Wochen Gefallen gefunden an der schreienden Künstlichkeit meiner Fingerspitzen, die den Texten, die ich lettere, gar nicht so schlecht stehen. Und erst einmal angekommen in Amerika hat mir Brenda aus dem Office of International Student Affairs gleich ein zweifelhaftes Kompliment gemacht: „I love your nail polish!“ Da ist es natürlich längst zu spät gewesen, um anzufangen, über Ironie zu sprechen.
Rubis pinkfarbene Karte steckt noch in meiner Geldbörse, in der sich nun Euros mit Dollars mischen, und die hellblaue Karte von Fashion Nails aus Grinnell, IA 50112, ist nun hinzugekommen. Ich lege sie in der Bibliothek auf den beigefarben beschichteten Schreibtisch vor mir und vergleiche ihre Gestaltung: Auf beiden Kärtchen abgebildet, und das vereint jetzt die Kontinente, ist eine Hand, man reicht einander die Hände zwischen dem Leipziger Hauptbahnhof und der West Street in Grinnell, gleich gegenüber von Subway und dem Supermarkt McNally’s. Und auch hier eine weiße, zarte, privilegierte Hand mit gepflegten French Nails, und auch dort: pinkfarbene Blüten, die von jener schönen Hand gehalten werden. Die Burling Library in Grinnell bietet zur weiterführenden Lektüre beispielsweise folgende Studie: The Managed Hand. Race, Gender, and the Body in Beauty Service Work (2010) von Miliann Kang. Sie berichtet darüber, wie intime Tätigkeiten des privaten Raumes immer mehr zu öffentlichen Dienstleistungen werden und wie gerade die Arbeit im Beauty- und Pflegebereich vielfach weibliche Arbeit ist, die allerdings den Migrantinnen aus bestimmten Herkunftsländern – in den US-amerikanischen Nagelstudios sind es die Vietnamesinnen und Koreanerinnen – auch ermöglicht, innerhalb eines sehr engen Segments ihr eigenes Business zu führen.
Das Abschleifen der vier Wochen alten und herausgewachsenen deutsch-vietnamesischen Handarbeit kostet nun 15 Dollar in Grinnell, die bar zu zahlen sind. Rubi aus Leipzig hat mir damals übrigens mit ihrem kleinen summenden Schleifgerät das Nagelbett an einer Stelle blutig gerissen. Sie hat sich daraufhin mehr Mühe gegeben, angeblich sei meine Haut empfindlich. Pah! Dafür ja die Nägel stark! „You feel light again?“, fragt mich die amerikanische Vietnamesin noch beim Hinausgehen mit Blick auf meine farblosen abgeschliffenen Fingernägel. „Ich weiß nicht“, sage ich und stapfe hinaus in einen kalten Frühlingstag Ende April, schon 100 Tage ist der neue Präsident im Amt.
Teresa Präauer verbringt ein knappes Semester als Visiting Professor und Writer in Residence in den USA. In vier Episoden schreibt sie hier über Beobachtungen aus dem Inneren des Landes: aus dem Bundesstaat Iowa im tiefsten Midwest, wo kleine Campusstädte gedeihen inmitten von Rinderzucht und Maisfeldern.
________________
Sie möchten keinen Freitext verpassen? Es gibt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.