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Können Skater schreiben?

 

Hemingway boxte, Camus war Torwart, Murakami läuft. Schriftsteller verwandeln Sport in Mythos. Aber wie verändert sich Schreiben durch die Sportart, die ein Autor wählt?

© Matteo Paganelli/unsplash.com (https://unsplash.com/@matteopaga)

Leibesertüchtigungsroutinen scheinen bedeutsamer, wenn sie von AutorInnen ausgeübt werden. Haben diese einen Sport mit Leidenschaft betrieben, dann wissen wir davon: Thom Jones, Lord Byron und Hemingway boxten. John Irving und Ken Kesey rangen. Joyce Carol Oates, Stephen King, Haruki Murakami und Don DeLillo sind oder waren Läufer. Camus und Nabokov waren Torhüter. Giorgio Bassani, David Foster Wallace und Martin Amis spiel(t)en Tennis – Nabokov übrigens auch, er trainierte sogar andere darin, außerdem boxte er aktiv, das heißt als Wettkämpfer.

Und Ernst Jünger? Er hat bis kurz vor seinem Tod jeden Tag mit Seilspringen begonnen.

Im Kontrast scheinen Sportbiografien von Politikern weniger bedeutsam: Dass Obama ziemlich gut Basketball spielen kann, interessierte erst, als es zum Wahlkampfmittel wurde; und Joschka Fischer hat zwar ein Buch über das Laufen geschrieben, aber dieses glich im besten Sinne einem der Gespräche, die man mit Sportsfreunden führt – Analyse des Trainingsplans, Beschreibung der Routen, Darlegung der Ursachen für die Gewichtszunahme. In Joschkas Fall waren das sehr viele (!) Kalorien und starker Wandel des Lebensstils ­– seine „linksradikalen siebziger Jahre in der Frankfurter Sponti Szene und im Häuserkampf verlangten ein hohes Maß an körperlicher Fitness“ von ihm, dann wurde er jedoch ein richtiger Politiker und musste weniger herumrennen; auch da er einen Fahrer hatte, nehme ich an.

Ein Grund, wieso Schriftstellersport interessanter ist als Politikersport, ist an das Entschlüsseln der Autorenpersönlichkeiten geknüpft – wer sind sie, wie sind sie? Politiker sind in ihrer Rolle gezwungen, diese Fragen andauernd selbst zu stellen und zu beantworten, Schriftsteller dürfen rätselhaft erscheinen. Aus diesem Grunde gibt es in der einleitenden Liste nur eine Schriftstellerin, und aus diesem Grunde habe ich in diesem Absatz das Binnen-I aufgegeben: Schriftstellersport scheint nur interessant zu sein, solange er von Männern ausgeübt wird. Das Interesse an der Person hinter der Autorenmaske ist stets an Rollenerwartungen geknüpft und Schriftsteller sind altmodischen Vorstellungen viriler Männlichkeit keineswegs entwachsen – sonst gäbe es nicht immer noch so viel Aufheben um kampfsportelnde Autoren, sonst würde niemand Sloterdijk nach der Zeit fragen, die er brauchte, um auf dem Rennrad den Mont Ventoux zu erklimmen. Ein echter Mann muss körperliche Leistungen liefern können, selbst wenn seine hauptsächliche Beschäftigung im Sitzen stattfindet. Der Körper ist immer noch ein Panzer.

Und Schriftstellerinnen? Joan Didion schrieb, dass Frauen, die Romane schrieben, lange als invalide wahrgenommen wurden, etwa wie Carson McCullers, die Rheumatikerin war und halbseitig gelähmt. Der Rest der Rolle blieb ungeklärt, doch selbst ohne Gebrechen beinhaltete sie jedenfalls keinen Sport.

Die Wahrnehmung, dass Schriftstellerinnen falsch (nämlich zu verzärtelt und gebrechlich) auf die Welt gekommen sind, wurzelt übrigens im Viktorianismus, der Epoche, in welcher Männer den Sport als erlaubten Schutz vor Übergewicht und Langeweile entdeckten: Während man sich an Jane Austen oder die Brontë-Schwestern als im Siechtum Schreibende erinnert (und sie an Universitäten immer noch gerne als solche unterrichtet), ist Lord Byron trotz Klumpfuß der boxende Poet, der außerdem die Dardanellen durchschwommen hat.

Ist das inzwischen anders? Hanya Yanagihara hat im Februar 2016 einen langen Text über das Schwimmen geschrieben. Darin behauptet sie, es gebe keine Sportart, die besser zu SchriftstellerInnen passe – doch leider nicht aus theweleitschen Gründen (da man sich ins Wasser nur ohne Panzer begeben kann), sondern weil man beim Schwimmen wie beim Schreiben einen „intensiven Zustand sozial annehmbarer Einsamkeit“ annehme. Haruki Murakami hingegen behauptet, dass er erst zum wahren Schriftsteller wurde, als er das sportliche Laufen aufnahm, da es ihm die Kraft verlieh, den Belastungen zu widerstehen, denen man durch das Schreiben eines Romans ausgesetzt wird.

Man sieht: Nicht einmal der Sport ist sicher vor der Mystifizierung des literarischen Schreibens. Der SchriftstellerInnenkörper mag nur gewöhnliche Bedürfnisse äußern – nach Schwimmen, nach Laufen, nach Kraftsport, nach Rangeln –, aber offenbar muss das Schreiben als ein Zustand derartiger Entrückung gelten, dass dem Gewöhnlichen kein Raum mehr bleibt. Und das führt zur Frage: Wenn das Schreiben dieser Zustand völliger introspektiver Einsamkeit oder fortgesetzten heiligen Leidens ist, darf man sich als SkateboarderIn an einen Roman wagen? Lässt sich mit diesem Sport eine ausreichende Abgrenzung zu gewöhnlichen Menschen schaffen?

Vielleicht könnte man behaupten, dass SkaterInnen durch die häufigen Stürze auf den Asphalt auf alle schmerzhaften Erfahrungen vorbereitet sind, die das SchriftstellerInnenleben bereithält (zum Beispiel Ablehnungen durch Verlage und Agenturen, schlechte Rezensionen, die Brutalität des Feinlektorats). Sie stürzen, aber sie stehen immer wieder auf und probieren den Casper Flip nochmals und nochmals und nochmals und nochmals, bis sie ihn stehen – es ist wie die Arbeit an einer fies deskriptiven Manuskriptstelle. Vielleicht ließe sich auch die Diffizilität des Skateboardens heranziehen: Mikrobewegungen, die zu irrwitzigen Gesamtergebnissen führen – wie Literatur! Gut schreiben ist gut shredden und vice versa, kein Handlauf Faubourg Saint-Germains war sicher vor Proust; künftige Schriftsteller, ihr dürft Skateboard fahren.

Aber was machen wir bloß mit Boule- oder Squash-Enthusiasten?

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