Das große Kind kotzt schon im Auto zum Flughafen. Das Baby wacht morgens um fünf Uhr auf. Und dann auch noch die Schwiegereltern! Über die Tücken des Familienurlaubs
Das Wichtigste am Familienurlaub mit kleinen Kindern ist, nicht mit der Erwartung zu fahren, sich zu erholen, dann kann man auch nicht enttäuscht sein, und es gibt hinterher keine Vorwürfe. Im Urlaub fehlt die Entlastung durch den Kindergarten, aber vor allem hat man nicht die Ausrede, arbeiten zu müssen, dadurch ziehen sich die Tage in die Länge wie Kaugummi, was im Urlaub ja eigentlich von Vorteil wäre, wenn man irgendetwas davon hätte. Schon im Taxi zum Flughafen muss der Kleine „spucken“, und wir haben für die kurze Strecke nicht an eine Tüte gedacht. Ein bisschen rührt es mich ja, weil mir als Kind im Auto auch immer schlecht wurde, das verbindet. (Ich hatte allerdings immer meine rote „Kotzschüssel“ dabei.) Der Flughafenwechsel mit dem Shuttlebus durch den Pariser Peripherie-Stau erhöht die Vorfreude auf Südfrankreich, wo sich die Großeltern seit vielen Jahren in einer Ferienkolonie einmieten und uns diesmal eingeladen haben. Auf so eine Weise Urlaub zu machen, hätte ich mir nie träumen lassen, für mich war es immer Ehrensache, mich abenteuerlich zu erholen, möglichst ohne Geld dabei auszugeben, alle Entscheidungen selbst zu treffen und mich unterwegs nur an Orten aufzuhalten, an denen man keinen Touristen begegnete.
Das ist natürlich mit Kindern nicht mehr durchzuhalten. Also ging es nach Frankreich, in einen Ort, der erst in den späten 1960ern erbaut worden ist (vorher musste man die ganze Region zunächst aufwendig von Mücken befreien). Die lebensfroh-schwebende, geometrisch-minimalistische Betonarchitektur, die dabei zur Anwendung gekommen ist, gefiel mir ungeheuer (vor allem, wenn man sie mit den bedrückend-hässlichen Feriengebäuden verglich, mit denen seit der Wende die ostdeutsche Ostseeküste ausgestattet worden ist).
Im Flugzeug nach Paris verlor ich leider mein Notizbuch, was mir erst ein, zwei Mal im Leben passiert ist, es ist immer ein großer Kummer, der mir fast die Lust nimmt, weiterzuschreiben. Ich kaufte mir am Kiosk ein französisches Notizbuch, es gab nur linierte, was ich überhaupt nicht mag. Beim ersten Baden im Mittelmeer bekam ich Wasser ins Ohr, und da ich nachts wegen der Kinder Ohrstöpsel benutze, war mein Ohr bereits so verschmutzt, dass das Wasser nicht mehr herauskam, ich war also auf einem Ohr taub. Das war eigentlich nur gerecht, da die meisten anderen Gäste der Ferienanlage auch schwerhörig waren, aber ich ließ mich trotzdem in die nächste Ortschaft zu einem Ohrenarzt fahren, der mir meine Ohren reinigte. Am nächsten Tag hatte ich Bauchschmerzen, konnte aber nicht im Bett bleiben, weil unser Baby uns jeden Morgen gegen 5 Uhr weckte und unser Sohn davon auch aufwachte. Die Croissant-Ausgabe der Anlage öffnete erst um 8 Uhr, deshalb streunte ich morgens mit Babytrage und Kinderwagen durch die menschenleere Ortschaft und suchte nach einem Bäcker. Dabei fand ich wieder ein Paradies für meine Sammlung.
Und einen Gegenstand, der sich selbst enthielt.
Der Ort ist vom französischen Architekten Jean Balladur, einem Cousin des ehemaligen Ministerpräsidenten Édouard Balladur, entworfen worden, und als Fan modernistischer Betonarchitektur war ich entzückt von der formalen Strenge und Kühnheit der Hotelfassaden. Die Gebäude sollten teilweise an Inka-Paläste erinnern, die Balkons hatten als Sonnenschutz geometrisch geformte Vorhang-Fassaden aus Beton und manchmal reizvolle Wendeltreppen.
Das Ortszentrum und Gründungsgebäude des Ortes war ein Funktionsgebäude (früher mal die Mairie) in Form eines Fischs, mit einer gefalteten Rückwand aus Beton.
Sogar die Klohäuschen am Strand sahen spektakulär elegant aus.
Und es gab im Parkgelände eine Reihe begehbarer, verwirrender Betonskulpturen.
In der Ferienanlage hielt sich eine größere Gruppe Franzosen auf, die hier seit vielen Jahren herkommt, um den ganzen Tag Boules zu spielen. Viele benutzten inzwischen Magnete an Schnüren, um damit die Kugeln aufzuheben, weil das Bücken im Alter Mühe machte. Zum Werfen traten sie in einen Plastikring, der, wenn die Seite gewechselt wurde, an einem Stock über den Sand geschleift wurde, weil man sich auch nach dem Ring nicht mehr bücken wollte. Ich habe die Franzosen um diesen Sport, den man praktisch bis zum Tag seiner Beerdigung betreiben kann, immer beneidet.
Auf dem ungewohnten Elektroherd in unserer Küchenecke brannte mir beim ersten Haferflockenkochen der Topf so schlimm an, dass er sich tagelang nicht mehr reinigen ließ. Die französische Cousine, die irgendwann eintraf, besorgte eine boule inox, einen Metallschwamm, damit bekam ich den Topf wieder sauber. Beim Frühstück freute ich mich, dass auf der Verpackung der französischen Butter eine Skala aufgedruckt war, an der man sich orientieren konnte, wenn man ein Butterstück mit einem bestimmten Gewicht abschneiden wollte, das war praktisch gedacht!
Wir hatten meinem Sohn gegen die südliche Sonne ein Schwimmshirt gekauft, das er nicht anziehen wollte, aber er wollte auch nicht, dass die neue Badehose nass wurde. So saß er am Beckenrand des Pools auf der obersten Stufe der Treppe, die ins Wasser führte, und sah den anderen Kindern zu, während ich im Liegestuhl Oblomow las, ihn mit einem Auge beobachtete und mit der Hand die Buchseiten gegen Spritzwasser abschirmte. Für den Rest meines Lebens wird meine Schwiegerfamilie, die uns vom Balkon aus zugesehen hatte, behaupten, ich hätte den Kleinen unbeaufsichtigt am Rand des tiefen Beckens sitzen lassen, so dass er fast ertrunken wäre. Am nächsten Tag hatte er morgens über 40 Grad Fieber, der Wind, die kalten Fliesen, das Planschen. Am Abend verweigerte er das Fieberzäpfchen, eine Stunde mussten wir dem schreienden Kleinen zureden, dass es überhaupt nicht wehtun würde. Zum Trost bekam er einen „Spinner“ geschenkt, einen dieser Kreisel, die gerade weltweit in Mode sind, er ging aber gleich kaputt und ich musste einen neuen kaufen, dessen Farbe ihm nicht lange gefiel. Zum Glück war das Fieber schon am nächsten Tag fast weg und er machte weiter damit, im Zimmer auf den Fliesenboden zu pinkeln, weil er seit Neuestem keine Windeln mehr trägt und er die neu gewonnene Freiheit genießt. Ich wischte das dann immer mit Küchenrolle auf. Das musste ich auch tun, als sich während meines Mittagsschlafs ein Spatz im Zimmer entleert hatte. Und an einem der ersten Morgen war die Überraschung groß, als der Inhalt unseres Müllbeutels über die Wiese der Anlage ausgebreitet war, die Möwen hatten sich nachts darüber hergemacht. Erst jetzt las ich die Hinweisschilder auf allen Etagen, die davor warnten, seine Müllbeutel draußen stehen zu lassen. Ich tröstete mich damit, dass ich im Text einen Rechtschreibfehler entdeckte, das Studium war also nicht umsonst gewesen.
Es ging meinem Sohn wieder gut, dafür fiel meine Tochter, die noch kein Jahr alt ist, beim Hochziehen, das sie gerade begeistert, mit dem Hinterkopf auf die Fliesen, kurz darauf schlief sie für eine Minute ein. Wir wussten nicht, ob es eine Ohnmacht war, und machten uns große Sorgen. Zum Glück war ihr aber nichts passiert. Wenn ich mich mit ihr auf der Wiese in den Schatten setzte, krabbelte sie immer sofort an den Rand der Decke und steckte sich Gras und Gänseblümchen in den Mund. Wenn ich sie daran hindern wollte, schrie sie nach ihrer Mutter. Die Franzosen freuten sich, wenn sie sie sahen, aber sie hielten sie meistens für einen Jungen, weil sie keine rosa Sachen trägt. Die französische Cousine tröstete mich, ihr Sohn habe sich einen ausgespuckten Kaugummi vom Fußboden in den Mund gesteckt. Meine Mutter legte noch einen drauf, sie habe als Kind im Hof ihres Hauses Gänsekacke gegessen, das habe ihr auch nicht geschadet.
Jedes Mal, wenn ich am Strand bei starkem Wind nach zehn Minuten Kampf mit den Glasfaserstangen die Strandmuschel aufgebaut hatte, war die Familie schon wieder im Aufbruch, weil die Sonne zu stark sei für die Kinder, und in der Strandmuschel die Luft so heiß. Außerdem steckte sich meine Tochter immer Sand in den Mund, und mein Sohn wollte nicht ins Meer gehen, weil er Angst vor Haien hatte. Ich baute die Strandmuschel wieder ab, folgte den anderen in die Anlage und nahm mir vor, irgendwann einmal alleine ans Meer zu fahren.
Am Abend des Champions-League-Finales stellten wir fest, dass wir nicht in den mit einem Fernseher ausgestatteten Gemeinschaftsraum durften, weil dieser für eine große Gruppe französischer Spezialpolizisten reserviert war, die hier wohl aus Sicherheitsgründen stationiert waren. Weil mein Schwiegervater und ich ganz gut Französisch sprechen, konnten wir sie überzeugen, uns in den Saal zu lassen, aber das nützte nichts, denn, wie sich herausstellte, wurde das Finale in Frankreich auf einem Sender namens C8 übertragen, der nicht frei zu empfangen war. Wir mussten also schnell in den Ort fahren, um uns eine Bar mit Public Viewing zu suchen, zunächst allerdings erst einmal einen Parkplatz, wodurch wir die ersten zehn Minuten des Spiels verpassten, in denen Juve noch mithalten konnte. Ich fand eine Bar mit Leinwand, allerdings war das Bild stark gestaucht und in der Pause schaltete der patron den Projektor aus. Erst nach starken Protesten der Zuschauer bemühte er sich nach ca. 20 Minuten wieder herbei, um den Projektor wieder anzuschalten. Und dann war das Spiel auch noch viel zu früh entschieden.
Es hört sich vielleicht unglaubwürdig an, aber einen Moment der Euphorie erlebte ich, als ich mir die Verpackung des Toilettenpapiers durchlas, das ich bei Intermarché gekauft hatte. Darauf stand, dass bei diesem Produkt die Pappröhre, die ich immer entsorge, indem ich sie zum Basteln in den Kindergarten mitgebe (als Kind habe ich daraus eine Laterna Magica gebaut), sich im Wasser auflöse, man sie also mit in die Kloschüssel werfen könne. Wieder eine dieser Lösungen für ein Haushaltsproblem, das mir nie aufgefallen war! Warum war ich nie darauf gekommen, wie lästig es war, dass man die Papprolle nicht runterspülen konnte? Ich bewundere die Produktmanager der großen Firmen, die unsere Bequemlichkeit immer noch zu steigern wissen.
Einer der deprimierendsten Momente war dagegen, als meine Freundin mir Fotos von mir am Strand zeigte, ein käseweißer, fleischiger Mann mit schütterem Haar in einer sehr altmodischen Badehose (ich schaffe mir ungern Sachen zweimal an).
Auf der Rückreise saß ich auf dem Flughafen Charles de Gaulles, auf dem jeder Ansage ein äußerst nervtötender Signalton vorausgeht, am Gate direkt vor einem Fernseher und freute mich, weil das French-Open-Halbfinale zwischen Wawrinka und Murray gezeigt wurde. Ich hatte bisher noch nichts vom diesjährigen Turnier gesehen, der Fernseher in der Anlage war ja von den Spezialpolizisten blockiert gewesen und ich hätte auch gar keine Zeit gehabt, weil ich Urin von meinem Sohn aufwischen und meiner Tochter Sachen, die sie in den Mund stecken wollte, aus der Hand reißen musste. Obwohl der Transferbus von Orly hierher wieder über eine Stunde gebraucht hatte, da er im Stau nur im Schritttempo gefahren war, hatten wir zum Glück noch eine Stunde Wartezeit, die mir nun plötzlich wie ein Geschenk vorkam.
Es war ein packendes Match, das möglicherweise über fünf Sätze gehen würde. Ich hatte mich aber zu früh gefreut, da ein deutscher Geschäftsmann sich telefonierend genau vor den Bildschirm stellte. Da ich der einzige Reisende war, der das Spiel verfolgte, traute ich mich nicht, ihn zu bitten, ein paar Schritte zur Seite zu gehen, und er bemerkte meine traurigen Blicke nicht und sagte nur immer wieder zu verschiedenen Gesprächspartnern: „Can You please take care of sätt?“ Es blieb die Hoffnung, dass das Match so lange dauern würde, dass ich zu Hause noch den letzten Satz sehen könnte. Aber der ging leider mit 6:1 glatt an Wawrinka, der nach über vier Stunden Murrays Widerstand gebrochen hatte. Das Schlimmste daran für Murray war wahrscheinlich, dass er jetzt schon zwei Tage früher Urlaub mit der Familie machen musste.
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