Unsere Autorin ist Jüdin, ihr Mann westfälischer Katholik. In diesem Jahr kommt es zur Kollision der Feste. Wie soll man da den Familienfrieden wahren?
Dass ich Jüdin bin, hat sich, denke ich mal, bei dem einen oder anderen in der Republik herumgesprochen, und als solche habe ich eigentlich keinen Anspruch auf Weihnachten. Eigentlich.
Als Kind hat mich das nicht davon abgehalten, Weihnachten voller Inbrunst zu erwarten. War auch nicht weiter schwierig. Ich war in einem Waldorf-Internat, Anfang November begann der Ausnahmezustand:
Mehrere Zentner Tannenzweige wurden aus dem Wald geholt, damit Kränze für den Basar geflochten werden konnten. Überdimensionale Reifen wurden mit dem frischen Grün bespannt, gewaltige rote und weiße Kerzen schmückten das Ungeheuer, das unter großen Ahs und Ohs hochgezogen wurde. Vielleicht waren sie auch gar nicht so groß, nur ich, ich war noch so klein…? Winzige Kerzenständer wurden aus glänzendem Goldpapier gebastelt, für jedes Kind, für jede Woche gehörte sich ein anderer Adventskerzenständer.
Mit jeder Woche wurde es spannender. Erst kam Knecht Ruprecht und mischte mit seiner Rute mächtig auf, dann stand ein Knusperhäuschen im Flur, beklebt mit kilogrammweise Mentos, Spekulatius und Zuckerguss. Dann wurden die Lieder immer inniger, die Erzählung um die arme schwangere Maria immer herzerweichender.
Und dann war Ferienbeginn und nur wenige Tage fehlten, bis Maria dramatisch niederkommen sollte, unsere Lehrer hatten uns jedes Detail im Weihnachtsspiel vorgeführt. Ich fuhr nach Hause, meine Eltern machten ein Foto mit mir und einem winzigen Plastiktannenbaum, den sie verschämt ins Bild hielten (ohne selbst mit auf dem Foto zu sein), schenkten mir Briefmarken (das ist praktisch) und ein Zugticket für den 24. Dezember. Wir würden – im Schlafwagen – wieder losfahren. Wie jedes Jahr. Paris, Milano, Brüssel, Hauptsache fort von Weihnachten. Wir seien Juden, dieser Messias sei nicht der unsrige. Eine Erklärung, die mir so gar nicht darüber hinweghalf, dass ich keine Bescherung, keine Mitternachtsmette erleben, keine Krippe aufbauen durfte mit Ochs und Esel, dem rotwangigen Jesuskind. Im Schlafwagen weinte ich bitterlich, beneidete meine Freunde um das schöne Weihnachtsfest. So auf der Flucht würde uns der Stern von Bethlehem nie finden.
Als ich später in Berlin studierte, wurde es besser. Um die Weihnachtszeit wurde „wie Bolle jefeiert“, wahrscheinlich aus der vorauseilenden Sorge, was einen an den Feiertagen zu Hause bei der Familie alles erwarten würde. Ich begriff, dass Weihnachten ein durchaus ambivalentes Vergnügen sein kann, vor allem in der Familie.
Und dann kam der eigentliche Einschnitt:
Ich bekam Kinder. Das ist kein typisch jüdisches Verhalten, dass mit der Geburt der eigenen Nachkommen althergebrachte Rituale plötzlich wieder an Bedeutung gewinnen. Singen nicht die härtesten Hippies irgendwann beseelt im Kirchenchor?
Kurzum, die Kinder bekamen eine jüdische Grundausbildung und Chanukka trat an die Stelle von Weihnachten. Hauptsache Rituale, sagt schon Rudolf Steiner. Wir entzündeten acht Tage lang Kerzen (jeden Tag eine mehr), sangen aus voller Brust für die heldenhaften Makkabäer, aßen viel und fettig. Vorzugsweise Ölspeisen, um an das kostbare Öl zu erinnern, das – anstatt auszugehen – wundersamerweise acht Tage gehalten hatte. Und die Kinder bekamen einen Haufen Geschenke.
Nach diesen acht Tagen des Feierns, Singens, fetten Essens ist man so ziemlich erledigt und würde sich gern erholen oder zumindest eine Diät beginnen.
Fatalerweise ist mein Mann aus Westfalen und Katholik. Zwar ist er als guter Linker schon vor ewigen Zeiten aus der Kirche ausgetreten, aber bei Weihnachten kennt er keinen Spaß. Er möchte fett Essen, viel singen und die Bescherung, natürlich.
Es trug sich also zu, dass in einem schönen Skiurlaub nach dem letzten Chanukka-Tag justement das Weihnachtsfest begann.
Mein Mann kochte den ganzen Tag vor sich hin, ein heiliges Lied auf den Lippen. Als er aufgetischt hatte, rief er uns zu Tisch, erschöpft erhoben wir uns vom Sofa, so schön die Ente in ihrem Fett glänzte, sie konnte uns nicht mehr in feierliche Stimmung bringen, das Chanukka-Fest hatte jede Feierlaune aus uns hinausgepresst. Enttäuscht knabberte mein Gatte an den Knochen des Vogels, die Kinder hatten kaum gegessen, aber das Papier von den Geschenken gerissen, die der nichtjüdische Familienteil liebevoll für sie verpackt hatte.
Sehr schmal waren die Augen meines Mannes geworden, als er seine Stimme erhob zum Protest. Das sei unfair und lieblos, wir hätten ihn hochmütig allein gelassen, es sei zwar erst 19 Uhr, aber für ihn sei der Abend nun zu Ende. Damit löschte er das Licht, im Dunklen hörte ich ihn weiter grummeln und wehklagen.
Das war sie also, die berühmte Weihnachtsdepression, von der ich soviel gehört hatte. Der Zustand, in dem sich Familien alles, was sie schon immer mal sagen wollten, an den Kopf werfen, sich für immer entzweien und nie wieder ein Wort miteinander wechseln.
Ich war schockiert. Eine Weile saßen wir still im Dunklen, dann versuchten die Kinder im Finstern den Weg zu ihren Betten zu finden.
Hier gab es Handlungsbedarf …
Ich riss die Tür auf und schrie:
„Halt! Stopp! Alle raus! Wir gehen wandern, die Luft wird uns gut tun!“
Draußen war niemand, durch die Fenster konnte man vereinzelt in die Wohnstuben blicken, wo gerade die Bescherung vonstatten ging, es stürmte, und wir waren alle sehr still. Über eine Stunde waren wir durch den Schnee gestapft, als wir bei einem Hotel hielten, um kurz einzukehren, uns aufzuwärmen.
In einer Nische vor dem Eingang verkleidete sich der Koch gerade als Weihnachtsmann. Die Bescherung für die Gäste sollte jeden Moment losgehen, eine Familie auf Wanderschaft hatte man jetzt nicht erwartet. Wegschicken ging auch nicht, jeder kennt die Mär, wie es sich mit Maria und Josef an diesem Abend zugetragen hatte.
Also bat man uns hinein, irritiert, was für eine Familie das wohl sei, die abends spazieren ging, anstatt das Heilige Fest zu begehen.
Die Jungs zogen ihre Skianzüge aus, in Strumpfhosen verfolgten sie die Ansprache des Weihnachtsmanns, alias Koch, lauschten den Gedichten der Geschäftsführerin, hörten den Portier singen. Die Geschenkpäckchen der Gäste waren sehr klein, Juwelen brauchen nicht viel Platz (es war ein 5 Sterne Hotel). Man brachte für die Kinder Kekse und Kakao zu unserem Tischchen, aus echtem Mitgefühl, oder hielten sie uns für eine Testfamilie der Aktion Mensch, hatten Angst vor der versteckten Kamera?
Wir tranken Glühwein genossen die feierliche Atmosphäre und wenn die Drei Heiligen Könige gleich vorbei spaziert wären, es hätte mich nicht gewundert. Der Streit hatte sich über Sternanis und Zimt aufgelöst.
Dieses Jahr wird Chanukka vom 17. bis 24. Dezember begangen. Es kommt also zur Kollision der Feste, das könnte ein Problem werden. Aber so weit werde ich es nicht kommen lassen. Ich werde am 24. Dezember mein Bestes und mehr geben.
Um 17.00 Uhr die Chanukka-Lichter zünden, um 17.15 Uhr den Plastikweihnachtsbaum meiner Eltern aus dem Keller holen, 17.30 Uhr mit selbstgebastelten Strohsternen behängen und ab 18.00 Uhr Ihr Kinderlein kommet oh du Fröhliche einsam wacht vom Himmel hoch ich steh an deiner Krippen hier von Jesse war die Art singen. Ich werde jubilieren, dass sich die Balken biegen, denn ich kann noch alle Strophen aller Weihnachtslieder auswendig.
Ich werde zwei Gänse braten, mit Nelken gespickte Äpfel in den Ofen schieben und Monopoly spielen. Wenn’s sein muss, auch Blockflöte. Deeskalation heißt die Devise.
Ich werde alles tun für eine friedliche Weihnacht, denn noch ein religiöses Krisengebiet können wir uns alle nicht leisten.