Schweiß, Softeis und auch noch was zum Lesen: Hurra, es ist wieder Buchmesse! Überlebenstipps für fünf Tage zwischen Bücher- und Menschenmassen
Gefragt, was es braucht, um den Besuch dort zu überleben, antworte ich:
Gute Nerven, noch besseres Schuhwerk und einen Grund für den Aufenthalt. Reines Umhereiern macht nur depressiv auf der Messe, lässt einen verstimmt und ratlos werden, wieder eine Tasche von 3Sat und wieder einen Becher von Arte einsammeln und das noch vor dem ersten Langnese-Softeisständer. Ich habe da mal einen Text für eine Slam-Bühne drüber gemacht und alles, was man eben an der Messe verachtet, darin aufgezählt. Der Text ist ein Angeber. Auf der Messe sind alle Texte Angeber, alle Menschen riechen ein bisschen nach Schweiß, auch die eigenen Verleger, und man fühlt sich nur wohl, wenn man nah am zivilisatorischen Feuer steht, also wenn man einen Termin oder eben einen Grund hat, die Messe zu besuchen. Am besten sind mehrere Termine. Außen ist es kalt, in den Hallen warm. Am besten macht man sich Stullen, sonst isst man den ganzen Tag nur Quatsch.
An dem einen Stand gibt es Wodka und Kekse, am anderen Gummibären und Brotchips. Wer hat eigentlich Brotchips erfunden? Das müssen Leute gewesen sein, die Reste von Brotscheiben in ihren Messerucksäcken gefunden haben, die sogar die Enten in dem Becken vor der Leipziger Messe nicht mehr essen wollten. Voilà! Brotchips für den Herbst.
Das „Sicher-ist-sie-berühmt“-Ahnen
Ich persönlich gehe von der Frankfurter Buchmesse nie heim ohne zwei Dinge: eine Bratwurst im Bauch und einen Ring am Finger. Das wirklich Schönste an der Messe sind die Silber- und Schmuckhändler im Innenhof. Die verkaufen zum Teil besondere Stücke aus Afghanistan, schweres Silber, und die haben angenehm schlechte Laune. Die sind normal. Auf der Messe sind alle durchdynamisiert, nur an den Rändern fällt die Stimmung ab. Da, wo die Hallen „ausfransen“, die Stände nicht mehr dicht an dicht stehen, die Menschen sich schon mal wie Schulsportschwänzer auf den Boden hocken mit ausgestreckten oder angezogenen Beinen und Rücken an der Wand. Da sind die Menschen erschöpft und am Limit angekommen, mit bunten Taschen behängt. Sie haben sich dazu hinreißen lassen, Plakatrollen einzustecken, einfach nur, weil sie kostenlos waren. Überhaupt hat die Messe das so an sich: Man sagt nicht nein, man nimmt. Die Messe führt direkt an die Todsünden heran, scheint mir. Maßlosigkeitsbingo!
Es ist gut, vor der Messe mal die Beilagen der großen Zeitungen zu den Neuerscheinungen gelesen und wieder vergessen zu haben. So hat man ein angenehmes „Den-sollte-ich-kennen“-Gefühl oder ertappt sich beim „Sicher-ist-sie-berühmt“-Ahnen.
Große Fotos an den Ständen der großen Verlage helfen einem dann auf die Sprünge, und lustig ist, wenn Cornelia Funke in Farbe und echt vor ihrem Schwarzweißfoto sitzt. Oder auch Leute, die eigentlich keine Bücher schreiben (sollten), wie Thomas Gottschalk oder TV-Köche. Oder Nazis. Die haben mittlerweile große Standflächen und bauen sich so schwarze Arenen auf. Leider immer in der Nähe der kleinen Queer- und LGBT-Verlage, was ein Affront ist. Und mich immer wieder am Verstand der Messeausrichter zweifeln lässt.
Gehen, bevor man sich zum Deppen macht
In Frankfurt gibt es nur wenige Cosplayer im Vergleich zu Leipzig. Eigentlich so wenige, dass man denken könnte, sie seien Standangestellte bei Bibel- oder internationalen Kinderbuchverlagen. Ich habe mir bei einem Merch-Stand mal eine violette Perücke gekauft und bin den ganzen Tag auf der Messe damit herumgelaufen. Ich fand mich sexy und sprach hier und da mit russischem Akzent und sagte „charascho„, wenn mir etwas gut gefiel. So ließ es sich gut aushalten auf der Messe, nur dass meine Kopfhaut juckte und mich doch ein paar Leute erkannten, obwohl ich Teilzeit-Russin geworden war.
Ich empfehle also: Schuhe mit breiten Absätzen, Blasen- und Hühneraugenpflaster, Garderobe, die das Ausziehen der Strumpfhose untendrunter erlaubt, die Mitnahme eines Deos und Eau de Toilettes, mehrere Paleoriegel und pro Messetag zwei Äpfel, eine Packung Babykarotten und Handcreme, natürlich Sagrotan-Desinfektionstücher und zum Handyadapter einen Mehrfachstecker, um sich mit Steckdosenzombies – kurz Steckdozombies – anzufreunden. Auch super: mal Tinder anschalten auf der Messe. Vielleicht tindert man ja Benedict Wells, Ijoma Mangold oder Kirsten Fuchs. Oder wichtiger: einen Eisverkäufer, der einem einfach ein Ed von Schleck (die gibt es wieder!) rüberreicht. Und auch wichtig: gehen, bevor man sich zum Deppen macht und Karin Graf entdeckt und versucht, ein Manuskript vor ihr fallen zu lassen, oder noch schlimmer, sie anspricht. Würde bewahren, Haltung tut weh – nach sechs Stunden Messe – Wegtreten!
CODA I:
Manchmal geht man neidisch und leer heim und nimmt sich noch im Zug vor, einen verdammten Bestseller zu schreiben. Spätestens beim ersten Umstieg denkt man an die Last der Prosa und wird realistisch. Es müsste ja nicht ein Bestseller sein, ein bestechendes Debüt wäre schon ausreichend.
CODA II:
Ist das wunderschöne Messelogo eigentlich schon mal jemandem aufgefallen? Es ist von Karl Duschek, einem Schüler des großen Anton Stankowski, entworfen worden, und es ist und war immer schon: wunderschön, gewinnend und klug. Wenn man auf der Messe nichts schön fand, dann muss man nur das Logo ansehen und sich denken: diese bunten Quadrate sind alles wert. Die Verzweiflung, die unnötige Ausgabe für den schönen Ring mit Lapislazuli.
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Lesen Sie hier Tilman Rammstedts „Höhepunkte aus 2.714 Jahren Buchmesse“ vom vergangenen Jahr.
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