Es passiert ja nicht oft, aber endlich sind sich mal alle einig: Wegschmeißen ist das neue Shoppen. Hurra.
Wirf es weg, sagen die einen. Endlich mal ausmisten, sagen die anderen. Hach, danach fühlt man sich so befreit, sagen alle. Man ist sich einig: Der Krempel ist der Feind. Er steht auf einer Stufe mit zu viel Körperfett und ist somit ein Garant für ein erfolgloses, suboptimales Leben. Wer an dieser Stelle widerspricht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Messie. Auf jeden Fall aber ein Individualist. Wer seinem Kram lieber behält als wegwirft, begibt sich meinungsmäßig in die totale Isolation.
Alle anderen begeben sich auf den direkten Weg ins Glück. Ein Weg, der erst frei ist, wenn nichts mehr herumliegt. Ein Glück, das nicht besonders originell beschrieben wird: Übersicht, Ordnung, Platz. Okay. Und dann?
Glaubt man der japanischen Aufräumgöttin Marie Kondo oder dem Langzeitbestseller von Werner „Tiki“ Küstenmacher, greift das Ausmistglück automatisch auf alle anderen Lebensbereiche über. Nach dem Wegwerfen wird’s garantiert gut. Der Lauf der Dinge – endlich können wir ihn steuern. Und zwar direkt in den Mülleimer.
Auch hier hilft Geld. Zum einen wird man überflüssigen Highend-Kram besser los. Für den Rest gilt die Faustregel: wenig und teuer = Minimalismus. Wenig und billig = Armut. Doch zur totalen Leere, egal ob erlesen oder schäbig, kommt es in der Regel gar nicht beim Ausmisten. Denn parallel zum Wellnesshype um das Wegwerfen hält sich ein älterer Trend hartnäckig: das Kaufen.
Panta rhei, alles ist im Fluss, auch in der Konsumwelt. Wo nichts gekauft wird, geht bald das Wegwerfmaterial aus. Deshalb sind begeisterte Wegschmeißer häufig auch engagierte Käufer, auch wenn sie darüber weniger gern reden. Und obwohl die Konsumbulimie einen besseren Ruf hat als die Fress-Brech-Sucht, ist es mit dem Ausmisten wie mit dem Kotzen: Beides hat einen stinkigen Namen, einen befreienden Effekt und schafft Raum für die nächste Ladung. Von was auch immer.
Ich mache beides so selten wie möglich. Ich hocke im Limbus zwischen Ordnungsparadies und Messiehölle. Bis auf gelegentliche Meldungen aus dem Paradies: Alles, was ich länger als drei Monate nicht anhatte, fliegt raus! Wenn meine Kinder bei den Großeltern sind, werfe ich heimlich ihr Spielzeug weg! Was hältst du von einem gemeinsamen Flohmarktstand? – ist es relativ ruhig hier.
Hau weg den Scheiß
Es mag sentimental erscheinen, sich nicht radikal von allem trennen zu wollen, was man nicht benutzt oder gar liebt. Doch genau diese Aufladung mit Bedeutung ist mir zu sentimental. Die Magic Cleaning-Erfinderin Marie Kondo rät, nur die Dinge zu behalten, die man wirklich liebt und sich von den anderen mit einem Ritual zu verabschieden. Das erfordert eine Gefühlsleistung, die ich nicht bereit bin, für Vasen oder Jeans aufzubringen. Die Vasen bleiben bei mir, zugegeben hänge ich mehr an ihnen, wenn sie von meiner Großmutter sind als von IKEA, herumstehen dürfen sie trotzdem alle. Sie stören mich nicht und sind zur Hand, wenn es Blumen gibt. Schön ist das. Dasselbe gilt für Klamotten. Viele machen mich weder glücklich noch unglücklich. Ich könnte sie in eine der ungefähr fünfzig neuen Secondhandboutiquen in meiner Gegend bringen und mir die geringschätzigen Gesichter der Besitzer anschauen. Sind meine Hosen sophisticated genug für euren Laden? Leider nein. Habe ich Lust auf einen Fulltimejob als Ebay-Verkäuferin? Nein. Altkleidercontainer sehen noch vermüllter aus als wirkliche Mülltonnen. Die Auflagen für Sachspenden sind so hoch, dass man sich fühlt wie ein Sieger, wenn man sein Zeug spenden darf. Ist überhaupt irgendetwas noch was wert, nachdem man es gekauft hat? Selten.
Solange es sich nicht um Sammlerstücke und Designklassiker handelt, erfolgt die Verwandlung von Neuanschaffungen in Plunder direkt beim Bezahlvorgang. Das ist fast so deprimierend wie die Vorstellung von vor sich hin gammelnden Lebensmittelbergen. Wir haben zu viel. Wegwerfen verzerrt diese Wahrheit nur kurz und schlecht. Wegwerfen ist keine globale Lösung und in meinem Fall auch keine private.
Ich verstehe den Wunsch nach Raum und nach Übersicht. Was mich an dem Hype am meisten fasziniert ist jedoch der Wunsch nach Ordnung, dieser diffusen und subjektiven Größe. Schon Kleinkinder unterteilen sich in Aufräumer und Rumschmeißer. Ordnung sei das halbe Leben, hieß es früher. Eine der trübsinnigsten Aussagen über das Leben überhaupt, fand ich immer. Da ist mir die Erhöhung der Ordnung zur Schicksalsgöttin fast lieber. Sie hat nur ein Gebot und es lautet: Hau weg den Scheiß. Kein Wunder, dass sie so viele Anhänger hat.
Meine Wohnung sieht nicht aus wie eine Zen-Kloster, doch meine entspannte Einstellung zur Materie versetzt mich in einen fast zen-artigen Zustand: Ich bin da, und mein Zeug ist auch da. Wenn es einen biografischen Wert hat, behalte ich es erst recht. Womöglich werde ich irgendwann gezwungen, Bücher und Musik nur noch in digitaler Form zu besitzen, vorerst jedoch nicht. Im Übrigen besteht keinerlei Zusammenhang zwischen den Dingen, die auf meinem Schreibtisch liegen und meiner Konzentration oder gar Kreativität. Es hört sich küchenpsychologisch goldrichtig an, dass das Chaos im Raum sich auf den Kopf überträgt. Eine Bestätigung für jeden Kontrollfreak, doch glücklicherweise halten Hirnforscher unser Hirn für komplexer als diese unterkomplexe These. Genauso küchenpsychologisch richtig könnte es auch sein, dass ein leerer Schreibtisch zu einem leeren Kopf führt.
Es beruhigt mich, dass die metaphorischen Tassen im Schrank nichts mit dem tatsächlichen Schrankinhalt zu tun haben. Es beruhigt mich auch, dass Glück und Kreativität in ihrem Kommen und Gehen nicht durch Müllsäcke und Altkleidercontainer kontrollierbar sind.
Trotzdem habe ich eine Glückfantasie, die mit dem Wegschmeißen zu tun hat. Ich träume davon, meinen Steuerkram nicht mehr zehn Jahre lang aufbewahren zu müssen. Ein Dasein ohne alte Belege und Briefe in der furchteinflößenden Typo des Finanzamts – ich stelle es mir leicht und unbeschwert vor. Um nicht zu sagen glücklich.