Ach, lieber FC Kaiserslautern, wie warst du einst glorreich. Aber ich bleibe dir treu und reise mit dir selbst ins letzte Kaff. Eine Liebeserklärung zum Abstieg
Madame de Staël sagte, dass Reisen von allen Vergnügen das traurigste sei. Auswärtsfahrende Tifosi des 1. FC Kaiserslautern wissen ganz genau, was sie meinte. Nehmen wir mal das Spiel in Darmstadt: Dort waren wir in dieser Saison zwei Mal, allerdings nicht, weil es so schön war, sondern da das erste Spiel abgebrochen wurde, nachdem Jeff Strasser, unser damaliger Trainer, in der Halbzeitpause kollabiert war – Verdacht auf Herzinfarkt, das ganze Stadion verabschiedete den Krankenwagen mit You’ll Never Walk Alone. Die Ursache seines Zusammenbruchs war eine ins Trainingslager verschleppte Grippe; er hatte sich in seinen Bemühungen um den Klassenerhalt derart verausgabt, dass sein Herz aussetzte.
Fußballpathos ist einzigartig.
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Ich habe in Heidelberg studiert, doch während meines Auslandsjahres in England beantwortete ich die Frage danach, woher ich komme, stets mit Kaiserslautern. Ich hatte nämlich festgestellt, dass nur jeder zehnte Brite von Heidelberg gehört hatte, sie alle jedoch Kaiserslautern kannten.
Nicht unbedingt die Stadt – aber den Fußballverein, und es reichte mir, wenn sie sich bei ihrer Einschätzung davon, wer ich war, daran orientierten.
Vergangenes Jahr, als ich in meine alten Heimat Sarajevo reiste und dort von meiner neuen Heimat Kaiserslautern erzählte, überraschte mich einer meiner Gesprächspartner – ein bosnischer Schriftsteller, der nie in Deutschland gewesen war – mit der Feststellung, wie schade er es doch finde, dass der 1. FC Kaiserslautern nicht mehr so erfolgreich sei wie in den Neunzigerjahren; das sei nämlich damals ein „zajeban tim“ gewesen, ein „galliger„, „gefährlicher“ Verein. Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass es nur wenige deutsche Vereine gibt, deren Niedergang in Südosteuropa überhaupt bemerkt werden würde. Aber der FCK ist nicht irgendein Verein. Ich muss nicht die Vielzahl unserer Errungenschaften auffächern – und auch nicht der (irrwitzigen, haarsträubenden, tragischen) Fehlentscheidungen, die nun in unserem Abstieg in die dritte Liga ihren vorläufigen Höhepunkt finden.
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Als meine Familie 1994 nach Deutschland kam, war der FCK noch eine Supermacht. Allerdings spielte das bei meiner Entscheidung, dass er von nun an mein Verein sein sollte, keine Rolle. Vielmehr erklärten mir Freunde in der Schule, dass es, da ich nun in Landau in der Pfalz lebte, nur einen Verein gebe, den ich lieben dürfe: Lautre.
„Okay“, sagte ich. Ich vermute, das war diese Integration, von der alle sprechen – von diesem Tag an sagte ich, ohne jemals im Stadion gewesen zu sein, dass ich ein FCK-Fan sei. Vielleicht liegt es daran, dass ich vom Balkan stamme, aber es wäre für mich nicht infrage gekommen, einen Verein zu mögen, der nicht zu der Region gehörte, in der ich mich heimisch fühlte (wie eine dieser Salzstangen, die in Bonn aufwachsen, in Berlin leben und irgendwie St.-Pauli-Fans werden) – und ich fühlte mich in der Pfalz ja in kurzer Zeit sehr heimisch. Dieselben Freunde, die mir gesagt hatten, welcher Verein der einzige für mich sei, hatten mich nämlich mit offenen Armen empfangen: Sie brachten mir bei, E-Gitarre zu spielen und Skateboard zu fahren, sie nahmen mich auf Konzerte mit, sie liehen mir ihre Super-Nintendos und stellten sich vor mich, wenn mich jemand hauen wollte (zum Beispiel ein Zuhälter, über dessen Ferrari 348 ich mich unbedacht laut lustig gemacht hatte). Wie hätte ich einen anderen Verein mögen sollen als sie?
You don’t choose your club, your club chooses you, hörte ich später in England. Stimmt wohl.
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Der FCK ist der Verein einer Region, die aus einigen krausen Industriestädt(ch)en, einem Weinbaustreifen und Wald, Wald, Wald besteht, ein unhipper, altmodischer Heimatverein: Lautrer ist, wer die Pfalz mag, wer in ihr aufgewachsen ist oder lebt. Mir ist bewusst, dass der Begriff „Heimat“ derzeit umkämpft ist und sowohl Menschen, die ihn verdammen, Schaum vor den Mund treibt, wie auch jenen anderen, für die er einen Fetisch darstellt. Aber das soll hier keine Rolle spielen. Politik raus aus dem Stadion, I say! Vielmehr ist wichtig, dass die Westkurve – wie eigentlich alle Fankurven deutscher Traditionsvereine – ihr Umfeld wie ein Soziogramm abbildet: Streber und Schläger, Fesche und Faschos, Tekker-Bauern und Trekker-Bauern, Schluchzer und Schimpfer, Punkrocker und Stubenhocker, Pfeifenstopfer und Drogenopfer, Schriftsteller und Bittsteller – sie alle sind da. Und du mittendrin – her mit meiner Homöostase, you boys in red!
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Bald könnte es damit vorbei sein: Falls der FCK nicht den Direktaufstieg schafft, droht ihm die Insolvenz. Vielleicht muss das Stadion abgerissen und günstiger neu gebaut werden. Vielleicht muss man sich an die Vorstellung einer Zukunft ohne den FCK gewöhnen. Ich empfinde darüber die gleiche Mischung aus Resignation und Schrecken wie vermutlich die meisten anderen Fans unseres Vereins. Aber das sind doch alles keine Gefühle, in denen man verharren sollte, oder?
Meine Auswärtsfahrergruppe hat sich folglich darauf geeinigt, dass wir in der kommenden Saison noch öfter mit der Mannschaft verreisen werden. Köln ist nicht weit, Wiesbaden vor der Haustür und in Rostock, so stellten wir fest, hat fast jeder von uns Freunde oder angeheiratete Verwandtschaft. Vielleicht ist Zwickau, wo ich noch nie war, auch cool. Cooler als Ingolstadt ist es allemal.
Wir werden Tausende von Kilometern im zugefurzten Ford, zugefurzten Toyota, zugefurzten Opel fahren, an den tristesten Raststätten abhängen, alle CDs durchhören, die wir besitzen. Als nächstes ist die The Sound of Perseverance von DEATH dran.
Wenn es die letzte Saison sein sollte – Freunde begleitet man auch über die Styx.
Und wenn nicht? Und wenn wir sogar wieder aufsteigen?
Dann wird es die beste Saison überhaupt: Dieser Orpheus wird voransingen, niemals zurückblicken.
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