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Eine Wohltat ist eine Wohltat ist eine Wohltat

 

Eine gute Tat tun? Der Sohn verdreht die Augen. Soll ich doch gleich sagen, dass er den Müll runterbringen soll. Und überhaupt: Was hilft es denn, selbstlos zu sein?

© Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Gutes zu tun, ist notwendig. Darüber sind wir uns alle einig, oder? Die Religionen predigen Wohltaten. Im Judentum gilt die „Mitzwa“, die gute Tat, neben der Verehrung Gottes als eines der wichtigsten Gebote. Keine Sorge, ich habe gerade keinen religiösen Schub, aber angesichts der immer stärkeren Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich mache ich mir so meine Gedanken.

Wie wird diese ungesunde Entwicklung weitergehen? Wird Berlin bald aussehen wie Süd- oder Nordamerika? Reiche hinter Stacheldraht, um sich vor den Hungrigen zu schützen?

Kein erbauliches Szenario.

„Wann hast du das letzte Mal Gutes getan?“, frage ich sofort meinen Sohn, der auf dem Sofa liegt und die UEFA Champions League verfolgt.

„Sag doch gleich, dass ich den Müll runterbringen soll“, mault er, ohne den Blick von Zidane zu lösen.

Ich starre ihn streng an. Aber er hat mich schon vergessen. Zum dritten Mal hintereinander hat Real Madrid gewonnen, das ist historisch.

Wann habe ICH etwas Gutes getan?

Und was war es gleich noch mal?

Ich spende für mehrere wohltätige Vereine. Eine Schule in Tansania vergibt von mir finanzierte Scholarships. Ein lächelndes Mädchen auf einem kleinen Foto dankt mir zu Weihnachten.

Zwei Freunde von mir leben von Hartz IV, es ist immer knapp – ich helfe, wo ich kann.

Große Summen sind das nicht, aber ist nicht ohnehin etwas anderes wesentlich?

Ich will nicht die heilige Jeanne d`Arc von Schöneberg werden, aber worauf kommt es denn an?

Selbstloses Geben? Tja. Was genau ist das? Was gehört zu einer Mitzwa, einer guten Tat?

Und zählen Benefizveranstaltungen dazu?

Vor ein paar Jahren habe ich immer mal wieder in einer Justizvollzugsanstalt gelesen. Für umme, versteht sich. Schwere Jungs in violetter Anstaltskleidung hatten mir brav zugehört. Sie würden sich über jeden Besuch von außen freuen, hatte der Gefängnispsychologe gesagt. Die Abwechslung gegen die grausame Langweile sei schon ein Geschenk, es wäre egal, was ich lesen würde.

Erst berichtete ich ihnen über das Lagerleben meiner Mutter. Aber nur kurz, Lager hatten sie selbst genug.

Dann las ich ihnen von der Beschneidung meiner Söhne vor, erst im Nachhinein machte ich mir Vorwürfe, sie an ihren Penis erinnert zu haben. Beim letzten Mal hatte ich kaum zu lesen angefangen, da kam es im Nebengebäude zu einem „Vorfall“. Die Türen wurden automatisch verriegelt, die Sirenen heulten und ich blieb mit den Mördern für eine gute Stunde alleine in dem Gemeinschaftsraum. Die Wachen hatten mit dem „Vorfall“ zu tun.

Ich verbot mir den Gedanken, dass mich diese Jungs in Ruhe hätten filetieren können, und dann hätte sich die Sache mit der Lesereise und der guten Tat von selbst erledigt. Das Gegenteil geschah, die Männer blieben sehr höflich und interessiert, und da wir uns schon ein bisschen kannten, setzte ich mich zwischen sie.

Wir begannen uns zu unterhalten, sie fragten nach dem Draußen, ich nach dem Drinnen, denn sie saßen schon zehn, fünfzehn Jahre. Die meisten hatten im Affekt gehandelt, und ich glaubte, mich an mindestens drei Situationen erinnern zu können, in denen ich auch gerne gemordet hätte. Aber irgendwas war mir dazwischengekommen, und ich hatte niemanden erschlagen. Deshalb war ich auf Lesereise, und sie saßen hier fest.

Manchmal las ich vor Schulklassen. Viele der Schüler hatten noch nie eine Jüdin gesehen und baten schüchtern, mich mal anfassen zu dürfen.

In einem Flüchtlingsheim ermunterte ich die Geflüchteten durchzuhalten, Deutsch zu lernen, es würde sich bestimmt lohnen … War das eine gute Tat?

Jetzt hatte man mich wieder um Unterstützung angefragt: Ich war gebeten, die Verleihung eines Preises zu übernehmen. Sie könnten sich niemand Besseren als mich für diese Aufgabe vorstellen.

Ein Frauenhaus sollte von einer Stiftung eine Ehrung bekommen.

Das Frauenhaus allerdings möchte und muss anonym bleiben, zum Schutze der Frauen. Der Spender, eine Freimaurerloge, auch. Denn die Freimaurer haben sich der Verschwiegenheit verschrieben. Sie handeln, weil sie glauben, dass die ständige Arbeit an sich selbst zu einem menschlicheren Verhalten führt. Karitative Arbeit und freiheitliche Aufklärung stehen ganz oben auf der Tagesordnung.

Hm.

Geber und Nehmer, Spender und Empfänger bleiben anonym. Würde es Zuschauer geben? Oder würde nur ich allein vor leeren Sitzreihen in einem kahlen Raum stehen und sprechen?

Andererseits, warum nicht?

Das Frauenhaus arbeitet aus gutem Grund anonym. Und die Freimaurer spenden um der Tat willen und nicht, um öffentliche Anerkennung zu bekommen. Sie brauchen ihre gute Tat nicht medial ausschlachten.

Beide Organisationen helfen, weil es für sie und unsere Gesellschaft wichtig ist. Weil paradoxerweise, das Geben „reflexiv“ ist und einem selbst etwas gibt. Weil eine gute Tat Spaß macht.

Also mache ich heimlich mit meinen Benefizveranstaltungen weiter.

Angemeldet hat sich der Tierschutzbund. Ich werde vielleicht bald für gefangen gehaltene, traurige Pumas lesen.

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