Die Auserwählte will sich für den Richtigen aufsparen. Vor lauter Sehnsucht verwechselt man Bohnen mit Pommes. Unser Kolumnist lernt, was Liebe ist. Das Fax der Woche
Große Not. Siggi, der Liebeskasper, glüht. Wir sitzen vor dem C﹠A-Eingang, gelegentlich leuchten die Lampen der Alarmschranken auf, eine verschreckte türkische Dame erstarrt mitten im Schritt, hält die Tüten hoch, läuft zurück zur Kasse. Neben uns, am äußersten Sitzrand, schaufelt ein netter Irrer Kartoffelsalat aus dem Plastiktöpfchen. Eine Mücke fliegt mir ins Gesicht. Ich denke: Wieso locke ich immer Käfer und Fliegen an?
Duschen? Bin gewaschen und poliert. Schmelzendes Haargel? Benutze keins. Goudamauken? Füße und Socken frisch. Achselnässe? 24-Stunden-Antitranspirant hilft über den Tag.
Zurück zu Siggi. Er sagt: Was hilft gegen Liebeskummer? Ich sage: Thomas Kunst und Rainer Malkowski. Er starrt mich lange an und sagt: Scheuch die scheiß Mücke von der Wange, sie saugt sich voll. Der nette Irre stopft sich ein Quarkbällchen in den Mund, hilft mit dem Griff der Plastikgabel nach, die Backen blähen sich auf, die Kiefer arretieren, er läuft rot an. Ich klopfe hart zwischen die Schulterblätter, das zermatschte Quarkbällchen fliegt einer verschreckten dicken Stadtranddame gegen die pralle Tüte. Ihr Sohn löst dem Pitbull an der Leine den Maulkorb, will die Bestie auf den Irren hetzen. Siggi interveniert. Siggi streichelt das Tier zwischen den Ohren, lässt sich die Hand lecken. Der Sohn verwechselt mich mit einem Katzenkrimischreiber, ich signiere das mir hingehaltene Papiertaschenbuch.
Siggi will wissen, was ich von der Liebesschose halte. Das Mädchen hat einen Vater, der Vater ist Chef einer Fensterreinigungsfirma, die Mitarbeiter sind alle wiedererweckte Christen. Das Mädchen schläft noch, steht aber kurz vor der Erweckung. Siggi will ihr bei jedem Treffen sofort Bluse und Rock in Fetzen reißen, er beherrscht sich, er mag das rindsblöde Viech nicht verscheuchen. Rindsblöd? Ja, sagt er, blöd wie Kuh mit Kulleraugen … Wieso blöd wie Kuh? … Ein Beispiel: Ich schenk ihr ’n Buch, die meint, sie liest nur was, wenn sie bei der Frisöse wartet, dass sie drankommt … Du liest auch nix … Egal, sagt Siggi, find ich abnormal, dass ’n Mädchen keine Brille trägt und kein Buch anrührt … Das Mädchen hat den siebten Freund zum Teufel gejagt, es hat Siggi verraten, dass es ab sofort unberührt bleiben wird, bis der Richtige es freit.
Wir schlendern durch die Gänge im Erdgeschoss des Einkaufskomplexes. In der Parfümerie malen sich Minderjährige die Lippen pink, die Minderdebilen kaufen im Buchdiscounter dicke Wälzer über das okkulte Wissen im Dritten Reich. Siggi will wissen, was Liebe ist, ich habe keine Ahnung. Er erzählt: Es juckt mir in der Kehle, innen, also im Schlund, ich kann nicht kratzen. Ich hab Hunger, bin aber nicht hungrig. Ich träum von ihr, sie ist immer angezogen, im Gegensatz zu den anderen Frauen in meinen Träumen. Ich laufe gegen Pfosten und Poller, stolper über Mops und Pinscher. Ich steig in ’nen Bus, leg die Münzen für ’ne Kurzfahrt hin, und beim Aussteigen fällt mir ein, dass ich ’ne Monatskarte hab. Mutter legt mir den Teller hin, ich fang an, zu essen, sie schaut mich komisch an, ich schau auf die Pommes in meiner Hand, da seh ich, ist nicht Pommes, is ’ne Brechbohne.
Hat’s mich erwischt? … Es hat ihn erwischt, doch der wiedererweckte Vater des Mädchens würde Siggi vom Hof jagen: Er sieht aus wie ein Hühnerwürger. Er ist Hauptschulabbrecher. Er zielt, spuckt und trifft eine Möwe am Boden im Auge. Ich drehe mich um: Der nette Irre trottet grinsend hinter uns her, wir bleiben stehen, er gibt Siggi die Hand und will nicht loslassen. Ich habe ihm das Leben gerettet, er bedankt sich bei Siggi. Gruppenbild mit Liebeskasper, die Frau am Fischimbisstresen greift vorsichtshalber zu den Holzspießen, man kann ja nie wissen. Der Irre sagt: Jedes Los gewinnt, dreht sich um, trottet davon. Siggi hat ein Zeichen des Herrn geschaut, er grinst wie ein Grabräuber. Er wird das holde Mädchen um ein Treffen bitten.