Einer der schönsten Begriffe aus der Wunderwelt des Abfalls ist wohl „intelligenter Fehlwurf“. Wer etwa das kaputte Nudelsieb aus Plastik in der Gelben Tonne entsorgt, der ist ein „intelligenter Fehlwerfer“. Denn da hat es offiziell nix zu suchen, schließlich ist es ja keine Verpackung – und nur für deren Entsorgung via Gelbe Tonne oder Gelber Sack haben die Hersteller (und de facto die Kunden) gezahlt.
Ökologisch macht es aber natürlich Sinn, dass das Nudelsieb (der Fachmann spricht hier gerne von „stoffgleicher Nichtverpackung“) auch in der Gelben Tonne landet, schließlich ist es im Zweifelsfall sogar aus dem gleichen Kunststoff hergestellt, der andernorts für eine Verpackung genutzt wurde. Es ist besser, es zu recyceln, als es in die Müllverbrennung zu schicken. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums machen die offiziellen Fehlwürfe rund 280.000 Tonnen im Jahr aus.
Unser neuer Bundesumweltminister Peter Altmaier hat sich neben der Energiewende nun noch ein weiteres, hoffentlich kurzfristiger zu realisierendes Projekt vorgenommen. Er will noch in dieser Legislaturperiode bundesweit die „Wertstofftonne“ einführen. Sie würde uns Fehlwerfer von der Schmach der Illegalität befreien.
Altmaier will eine Art „Gelbe Tonne Plus“. Die gute Nachricht: Es gibt keine zusätzliche Tonne. Er will die bisherige Gelbe Tonne upgraden, sodass alle Kunststoffe und Metalle darin landen dürfen. Elektrogeräte wie Föhn oder Handy sowie Batterien sollen weiterhin getrennt entsorgt werden.
Es ist ein ambitioniertes Unterfangen, denn das Geschäft mit Müll ist lukrativ. Weder Kommunen noch private Entsorger wollen es sich entgehen lassen. Altmaier sieht sich da zurzeit in der Rolle des Moderators. Heute hat er ein Thesenpapier veröffentlicht, wie er sich die neue Wertstofftonne vorstellen und wie man das System organisieren könnte.
Er braucht allerdings für sein Wertstofftonnen-Gesetz die Zustimmung der Bundesländer. Und gerade SPD und Grüne sorgen sich um die finanzschwachen Kommunen. Die wehren sich dagegen, dass private Entsorger wie Alba Rosinenpickerei betreiben und nur die wertvollen Recyclingmaterialien entsorgen, nicht aber schnöden und teuren Restmüll. Und natürlich ist spannend, wer die zusätzlichen Kosten tragen wird.
Altmaier will nun in den kommenden Wochen allerorts für seine Tonne werben, bei den Kommunen, bei den Versorgern. Auch die Bundesbürger sollen per Bürgerdialog im Internet eingeladen werden, ihre Meinung kundzutun. Für einige wird die neue Tonne nichts Neues sein. In 35 Städten und Kommunen laufen bereits Pilotprojekte dazu.
Ja, ich gestehe: Auch ich kann Schokolade nicht widerstehen, Favoriten sind sämliche Kombinationen mit Espressosplittern. Als ich allerdings die aktuelle Studie des Südwind-Instituts zur Wertschöpfungskette Schokolade durchgelesen habe, wurde mir doch ein bisschen anders. Detailliert hat die NGO einmal die Lieferantenkette im weltweiten Kakaohandel analysiert und aufgeschrieben, wer eigentlich die wichtigsten Player sind und wer wo profitiert. Es ist ein kleiner Krimi.
Mehr als 5,5 Millionen Kakaobauern leben weltweit zurzeit vom Anbau der Kakaopflanzen. Das größte Problem ist die Armut, denn die Erlöse aus dem Verkauf reichen in der Regel kaum aus, die Familien dauerhaft zu ernähren. Ein ausführliches Kapitel widmet der Bericht daher dem Thema Kinderarbeit.
Südwind zitiert eine Studie aus dem Jahr 2009, nach der allein in der Elfenbeinküste mehr als 260.000 Kinder in der Kakaobranche arbeiten – und zwar unter Umständen, die internationalen Konventionen gegen Kinderarbeit widersprechen. Südwind schreibt:
„Immer wieder gibt es Berichte, dass aus den Nachbarländern Mali und Burkina Faso Kinder an Kakaobauern in der Elfenbeinküste verkauft werden. Genaue Zahlen liegen nicht vor, doch vermutlich arbeiten viele Tausend Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Kakaoplantagen.“
Südwind zieht aus der Studie die Forderung nach höheren Preisen für die Kakaobauern. Weil der Kostenanteil des Kakaos an der Schokolade so gering ist, seien höhere Preise für die Kakaobauern leicht umzusetzen und würden kaum Preissteigerungen für die Kunden (also für mich) nach sich ziehen:
„Die Analyse belegt, dass eine Verbesserung der Situation in den Kakaogebieten nur zu sehr geringen Preiserhöhungen in der Produktionskette führen würde. Eine durchschnittliche Tafel Vollmilchschokolade enthält lediglich Kakao im Wert von rund sechs Cent, und bei den derzeitigen Zertifizierungsansätzen liegt der Aufpreis für Schokolade aus nachhaltiger Produktion derzeit bei rund einem Cent pro Tafel.“
Nun könnte man sagen: Ja, wie schön, ist aber alles weit weg. Doch es gibt dazu ganz aktuelle Entwicklungen in Deutschland. Mitte Juni wird sich in Deutschland das Forum nachhaltiger Kakao gründen, mit dem Ziel, den Anteil nachhaltig produzierten Kakaos in Schokolade zu steigern. Selbst Unternehmen wie Rewe, Mars und der Bundesverband der Süßwarenindustrie sowie die zuständigen Fachministerien machen mit.
Es könnte der erste Schritt zu fair gehandelter Schokolade für die Masse sein.
Das Geschäft von Edelman dreht sich eigentlich um Werbespots, Firmenauftritte und schicke Hochglanzfotos. Seit fünf Jahren gibt die amerikanische Kommunikationsagentur aber auch den Good Purpose-Report heraus, der analysiert, welche Rolle das soziale Engagement von Firmen für Kunden spielt.
Interessant ist das Ergebnis in diesem Jahr: Für Menschen in wirtschaftlich schnell wachsenden Staaten wie China, Indien und Brasilien spielt das soziale und ökologische Firmenengagement eine weitaus größere Rolle bei Kaufentscheidungen als für Amerikaner oder Europäer, also Menschen aus Industrienationen. Während nur etwa ein Drittel der Befragten aus den Industrienationen auf solche Themen achten, sind es in den Schwellenländern mehr als doppelt so viele. Dort engagieren sich die Menschen laut Studie auch stärker in lokalen Vereinen und spenden mehr Geld.
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Warum ist das so? Das US-Magazin Good befragte die Studiemacher. Die fünf Hypothesen sind wirklich interessant. Unter anderem hänge demnach die Wertschätzung grüner Themen auch mit der demografischen Zusammensetzung einer Gesellschaft zusammen. Ältere Menschen würden Investitionen in Bildung, Umweltschutz und andere Güter, die sich vielleicht erst langfristig rechnen, weniger wertschätzen (gewagte These, würde ich mal sagen, oder?).
Zudem mache der wirtschaftliche Abschwung in den Industrienationen die Menschen egoistischer, so die Studienmacherin Carol Cone, die Good zitiert:
„The two numbers that were down were volunteering and donating, and we absolutely correlate them to the recession,“ Cone says. “People are still concerned, rightly so, about either getting a job or staying in a job, they just have less time and they have less money to give.” While the United States remains one of the wealthiest economies in the world, compared to pre-recession life or the current growth rates in the emerging market economies, some American consumers feel like their opportunities are diminishing more than they are expanding.
Ganz interessant ist übrigens auch der Blick nach Deutschland, den ein extra Artikel behandelt. Danach engagieren sich immer mehr Deutsche in ihrer Freizeit für einen guten Zweck. Und sie erwarten das auch von Unternehmen. „Besserer Geschmack“ auf der Zahnpastatube reicht inzwischen nicht mehr aus als Werbung. Die Kunden würden immer stärker nachfragen, welchen sinnvollen Beitrag Unternehmen zur Gesellschaft leisten:
„When it comes to consumer expectations towards business, nearly nine out of ten Germans demand that corporations place at least equal weight on society´s interests as on business’ interests. But in contrast to that, only 15% of Germans believe that businesses are performing well in addressing societal issues. There is definitely a huge gap to close between consumer demands and companies` perceived performance. Clearly, it is no longer sufficient for brands to just “wash well” or “taste better,” but brands today are facing the question: “What is my contribution to society?”“
In der Sprache der Indianer heißt Jaborandi, „was uns Sabbern macht“. Der Busch, der im Schatten der Wälder ausschließlich dreier brasilianischer Bundesstaaten wächst, hat kleine, dunkelgrüne, sehr feste Blättchen. Sie enthalten den Wirkstoff Pilocarpin, der zu Augentropfen gegen den Grünen Star verarbeitet wird. In Piauí wird der Busch höchstens hüfthoch, in Pará kann er bis zu zehn Meter hoch werden. In diesen beiden Bundesstaaten und in Maranhao organisiert die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Rahmen eines zweijährigen Projektes Jaborandi-Sammler zu Kooperativen. Diese Kooperativen verkaufen die Blätter an Centroflora, ein brasilianisches Unternehmen, das rund 400 verschiedene Pflanzenextrakte für die pharmazeutische und die Kosmetikindustrie herstellt. Centroflora verkauft das Pilocarbin dann an Boehringer-Ingelheim, das daraus ein Medikament herstellt.
Centroflora hat vor zehn Jahren die Pilocarpin-Fabrik gekauft, die das deutsche Pharmaunternehmen Merck 1972 in Parnáiba gebaut hatte. Merck produzierte die Jaborandi-Büsche auf einer Planatage selbst. Nach fünf Jahren endete die Lieferpflicht für die Fabrik, und Merck verlangte einen Einkaufspreis, der „zur Schließung der Fabrik geführt hätte“, sagt Werksleiter Michael Anderson. Also sah er sich nach neuen Bezugsquellen um. Dabei gab es zwei Probleme: Jaborandi wird auch noch von anderen Pharmaunternehmen in Brasilien für die Pilocarpin-Produktion genutzt. Es gab also eine relativ hohe Nachfrage. Deshalb wurden die Büsche immer stärker geplündert und oft mit Stumpf und Stiel ausgerissen. Jaborandi landete auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzenarten. Centroflora musste eine eigene Farm aufbauen. Es gibt sie inzwischen auch, und bei einem Ertrag von 3000 Kilogramm pro Jahr und Hektar ist sie auch erfolgreich. Aber die Firma hat einen Jahresbedarf von 250 Tonnen getrockneter Blätter, das sind 500 Tonnen frisch gepflückte. Michael Anderson sagt zudem: „In der Landwirtschaft beschäftigen wir nur wenige Leute.“ Inzwischen sammeln 1700 Sammlerfamilien die Blätter für das Unternehmen.
Centroflora ist mit seinen Produkten täglich mit der strengen aber nach Einschätzung selbst der Regierung wenig praktikablen Gesetzgebung zur Nutzung der genetischen Vielfalt und des traditionellen Wissens konfrontiert. Dabei geht es darum, die Vereinbarungen zum Zugang und gerechten Vorteilsausgleich (ABS, Access and Benefit Sharing) unter der UN-Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt umzusetzen. Für Jaborandi hat Centroflora mit der Regierung eine Vereinbarung über die Nutzung der genetischen Ressourcen geschlossen. Und weil Jaborandi zwar seit Jahrhunderten als Heilpflanze bekannt war, die Anwendung gegen den Grünen Star aber von einem brasilianischen Arzt in Paris 1870 erst entdeckt worden ist, muss Centroflora keine Kompensation für die Nutzung traditionellen Wissens leisten. Doch weil diese Genehmigungen so schwer zu bekommen sind, ist es für Centroflora von Vorteil, die anderen politschen Ziele der brasilianischen Regierung zu beherzigen und zu versuchen, möglichst viele Menschen zu beschäftigen. Auch deshalb wollte Centroflora mit den Sammlergemeinschaften zusammenarbeiten.
Weil die Pflanze aber auf der Roten Liste steht, ist das Wildsammeln der Blätter verboten. Die brasilianische Umweltbehörde muss jede Ernte genehmigen. Durch Vermittliung der GIZ hat sie das nun getan und damit die Sammler legalisiert. Die haben nun eine Schnitttechnik gelernt, die eine rasche Erholung der Pflanze ermöglicht. Zuvor war das Sammeln nicht nur deshalb illegal, weil die Pflanze unter Schutz steht. Eine Sammlergemeinde in Piauí hat dies auch auf Land getan, das ihr nicht gehörte. Das Dorf Cutias in der Region Territorio dos Cocais hatten die Landlosen irgendwann besetzt. Durch die Registrierung als nun offizielle Sammler ist seit zwei Jahren aus dem illegalen ein legales Dorf geworden, in das die Agrarreformbehörde INCRA, die damals 18 Familien nun offiziell angesiedelt hat.
Die Gesamtkosten des Projekts liegen bei rund 700 000 Euro, von denen das deutsche Entwicklungsministerium 25 Prozent trägt. Den Rest der Kosten bringen die Unternehmen auf. Boehringer-Ingelheim zahlt 100 000 Euro, Centroflora trägt 450 000 Euro. Wenn die Kooperation mit der GIZ endet, müssen die Sammlerkooperativen auch weiterhin jedes Jahr Managementpläne für die Bestandserhaltung von Jaborandi vorlegen, damit die Umweltbehörde ihre Ernte genehmigt. Dabei wird sie wohl auch in Zukunft eine Nichtregierungsorganisation unterstützen, die zu 40 Prozent von Centroflora finanziert wird.
Michael Anderson strahlt, als er die selbstbewussten Frauen von der Sammlergemeinde über ihre Erfolge reden hört. Und auch Adrian von Treuenfels von Boehringer-Ingelheim ist sichtlich gerührt. Margarida Silva Oliveira, die Generalsekretärin der Sammlergemeinschaft, sagt: „Wir haben keine Angst. Wir sind mutig.“ Sie hätten erkannt, dass die Pflanze für sie weit wertvoller ist, als sie erwartet hätten, und „dass wir besser auf unsere Natur aufpassen müssen“. Denn die Zwischenhändler der Vergangenheit haben ihnen nicht nur verschwiegen, wofür die Pflanze gebraucht wird, sondern auch noch einen hohen Illegalitätszuschlag verlangt. Wenn die Sammler 3,50 Reais pro Kilo Jaborandi bekamen, blieben ihnen am Ende 60 Cent, der Zwischenhändler kassierte den Rest. Seit sie direkt an Centroflora verkaufen, verdient der zertifizierte Aufkäufer einen Reais und 3,50 Reais bleiben bei den Sammlern. Centroflora muss zehn Reais pro Kilogramm aufbringen, um die Ware der Sammler einzulagern. Von der Farm kostet die Ware nur zwei Reais.
Da die Pflanze nur drei Monate im Jahr geerntet werden darf, um ihren Bestand nicht zu gefährden, sammeln die Leute von Cutias in der restlichen Zeit Babassu-Nüsse. Diese Frucht einer Palmenart enthält einen ölreichen Kern, der sich zur Ölerzeugung nutzen und verkaufen lässt. Die Schicht direkt darüber wird zu einem Mehl verarbeitet, aus dem Babynahrung, Kuchen oder sogar Eiscreme werden kann. (Sie schmeckt süß aber nicht zu süß und hat eine sahnig-sämige Konsistenz.) Die Schalen wiederum haben einen hohen Brennwert und werden bisher zu Holzkohle gebrannt. Michael Anderson hat aber schon das nächste Projekt im Kopf: Er will in der Nähe von Cutias eine Fabrik aufbauen, die die Schalen zerkleinert und sie dann zu Bricketts verpresst. Denn noch muss dort täglich für drei Stunden ein Dieselgenerator angeworfen werden, um wichtige Produktionsprozesse am Laufen zu halten, wenn die Fabrik von fünf Uhr nachmittags bis zehn Uhr Abends abgeschaltet wird. Der Generator schluckt 30 Liter Diesel pro Stunde. Anderson würde den Diesel gerne durch die Babassu-Brickets ersetzen. Die Boiler für die Trocknungsanlage werden bereits mit Ölabfällen aus der Paranuss-Produktion betrieben.
Anderson weiß, dass das größte Risiko für seine Firma und die Sammlerfamilien „der Markt ist“. Er befürchtet einen Kostenwettbewerb um die Blätter und denkt ernsthaft darüber nach, mehr Blätter aus Sammlergemeinschaften aufzukaufen, als die Firma braucht, um die Ware dann als zertifizierte und legale Ware an die eigene Konkurrenz weiterzuverkaufen. Dabei erhofft sich Centroflora noch einmal Hilfe von der GIZ und der deutschen Regierung. Außerdem forscht das Unternehmen gemeinsam mit der Universität Piauí an neuen Einsatzfeldern für Pilocarpin. Und gegen zwei hässliche Tropenkrankheiten scheint der Wirkstoff auch zu helfen: gegen Leishmania (Elefantenfuß) und gegen Schistosomiasis. Beide Krankheiten werden durch Parasiten ausgelöst. Wenn die Tests gut verlaufen, will Centroflora sich um eine Medikamentenzulassung bemühen. Und warum der ganze Aufwand? Michael Anderson sagt: „Wir leben von der Natur – seit 50 Jahren.“ Reich wird man mit einer solchen Wirtschaftsweise übrigens nicht. „Das ist keine Cash-cow“, stellt Anderson klar. Aber wirtschaftlich betreiben, lässt sich eine Fabrik so schon. Ein grünes Geschäft eben.
Brasilien will den Schutz des Regenwalds dramatisch lockern. Zurzeit plant die Regierung ein Waldgesetz, das den illegalen Einschlag von Waldflächen, der bis zum Jahr 2008 getätigt wurde, legalisiert. Nach Schätzungen des WWF würde das bedeuten, dass die Agrarindustrie – und insbesondere die Viehwirtschaft – von der Pflicht befreit würde, 44 Millionen Hektar illegal eingeschlagenen Wald wieder aufzuforsten. Schaut man sich die gesamten Pläne an, dann steht nach WWF-Angaben eine Regenwald-Fläche so groß wie Deutschland, Österreich und Italien auf dem Spiel. Würde sie abgeholzt, würden die dadurch entstehenden Kohlendioxid-Emissionen das Weltklima mit 28 Milliarden Tonnen belasten. Zum Vergleich: Deutschland emittierte laut Umweltbundesamt im Jahr 2010 rund 830 Millionen Tonnen CO2.
Zurzeit hängt das Gesetz (Codigo Florestal) im Unterhaus. Der Senat hat eine Fassung verabschiedet, das Unterhaus hat seine Entscheidung darüber bereits zwei Mal verschoben. Die Hängepartie hat schon jetzt Folgen, Dokumentationen zeigten, dass der illegale Einschlag bereits wieder zunehme, so die Frankfurter Rundschau. Bei einer Veranstaltung in Berlin vergangenen Freitag sagte Cicero Lucena, erster Sekretär im brasilianischen Senat, er ginge davon aus, dass das Gesetz bis Juni verabschiedet sei.
Es ist ein wirklich pikantes, wenn nicht skandalöses Timing. Denn Mitte Juni wird sich die Welt in Brasilien zur großen „Rio+20“ Konferenz treffen. Auch wenn der Titel verdammt sperrig ist: Es wird der Weltgipfel zum Schutz von Klima und Umwelt sein. Nicht weniger als ein „Ergrünen“ der Volkswirtschaften ist geplant, sie sollen sich zu nachhaltigem Wachstum bekennen. Vor genau 20 Jahren trafen sich schon einmal die Regierungschefs in Rio de Janeiro. Damals legten sie die Fundamente für die Klimarahmenkonvention, zur Konvention zur Biologischen Vielfalt und zur Wüstenbekämpfung.
Und Brasilien hat in den vergangenen Jahren zum Teil mächtige Fortschritte gemacht. Das bisherige Waldgesetz ist in Abschnitten hochgelobt. Wer etwa Privatland im Amazonas besitzt, darf nur 20 Prozent nutzen, der Rest bleibt unberührt (die Novelle sieht nun eine Erhöhung der Nutzfläche auf 50 Prozent vor). Brasilien hat sogar ambitioniertere Klimaschutzziele als manch anderer Staat, auf dem Gipfel in Kopenhagen sagte das Land eine CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2020 zu.
Und nun ein solches Gesetz – gerade wenn die Weltgemeinschaft sich in Rio versammelt, um über umweltverträgliches Wirtschaften zu streiten. „Dieses Gesetz ist unwürdig für ein Land, das vom Status eines Schwellenlands aufsteigen und international Verantwortung übernehmen will“, sagt Roberto Maldonado vom WWF.
Wenn ich das Thema Land Grabbing höre (was sich wohl am besten mit unerlaubter Landnahme übersetzen lässt), denke ich ja erst einmal an südamerikanische Bauern, die für riesige Sojaplantagen weichen mussten. Oder an Afrika, wo Menschen für neue Kohleminen vertrieben werden. Im kolumbianischen Amazonasgebiet wird nach Gold geschürft, in Indien nach Kohle und Bauxit. Alles weit weg. Heute morgen kam mir nun ein Report von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen unter: Opening Pandoras Box – The New Wave of Land Grabbing by the Extractive Industries and the Devasting Impact on Earth.
Die Gaia Foundation, eine NGO aus London, die unter anderem von der indischen Menschenrechtlerin Vandana Shiva unterstützt wird, macht darin deutlich, dass Land Grabbing schon lange nicht mehr ein Phänomen nur in ärmeren Staaten ist. Ob Mountain Top Removal in den USA, die riesigen Mondlandschaften des Teersand-Abbaus in Kanada, das Fracking in Europa: Die Suche nach Rohstoffen findet inzwischen direkt vor unserer Haustür statt – mit dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, für Umwelt, Wasser und Klima.
„We are no longer talking about isolated pockets of destruction and pollution. Nowadays, chances are that, no matter where you live on Earth, land acquisitions for mining, oil and gas might soon be at your door. This trend is now a major driver of land grabbing globally, and poses a significant threat to the world’s indigenous communities, farmers and local food production systems, as well as to precious water, forests, biodiversity, critical ecosystems and climate change.“
Es sind vor allem die steigenden Rohstoffpreise, die diese Entwicklung befeuern. Dahinter steckt einfach die steigende Nachfrage nach entsprechenden Produkten. Das zeigen vor allem auch die zahlreichen, auch deutschen Initiativen zur Sicherung von Rohstoffen, die Regierungen weltweit auflegen. Erst gestern stellte die Bundesregierung ja auch ein Ressourceneffizienzprogramm vor, um effizienter mit Rohstoffen umzugehen.
Der weltweite Trend allerdings geht zurzeit noch in eine andere Richtung. Die weltweite Eisenerz-Produktion wurde, so die Studie, in den vergangenen zehn Jahren um 180 Prozent gesteigert. Gerade die Nachfrage nach den Seltenen Erden – die ja auch für die grünen Technologien wie Solarzellen und Windräder so wichtig sind – hat zugenommen (spannend das Kapitel Green Energy dazu in der Studie ab Seite 45).
Ganz einmal abgesehen von den Menschenrechtsverletzungen, die durch den Rohstoffabbau stattfinden: Die weltweite Branche hat ein riesiges Abfallproblem. Jährlich würden, so das Mining Journal, rund 50 Milliarden Tonnen Erde beim Abbau von Eisenerz, Kohle, Industriemetallen und anderen Rohstoffen bewegt (Seite 34). 21 Milliarden Tonnen, also knapp die Hälfte, fallen einfach als Abraum an – ungenutzt.
Was also tun? Die Studienmacher fordern ein Globales Moratorium für neue Abbauprojekte. Minen, die bereits in Betrieb sind, sollten auf ihre Umweltauswirkungen untersucht werden. Es sollte No-Go-Areas geben, wo der Rohstoffabbau tabu ist, darunter etwa alle UNESCO-Schutzgebiete. Und es sollte ein Veto-Recht für die lokale Bevölkerung bei Abbauplänen geben.
Das aktuelle Lieblingsbuch meiner jüngsten Tochter heißt gerade „Wilde Tiere“ und erzählt alles über Löwen, Affen, Eletanten (und gefährlichen Wellensichttichen, huhuhu). Nun gut, es ist vor allem angesagt, weil sie auf jeder Seite ein Knöpfchen drücken kann und dann der große Löwe brüllt – im kinderkompatiblen, zärtlichen Tonfall.
Glaubt man einer neuen Studie aus den USA, dann sind solche Kinderbücher allerdings immer seltener. Der Umweltsoziologe J. Allen Williams von der Universität Nebraska hat rund 300 Kinderbilderbücher aus den Jahren 1938 bis 2008 ausgewertet, die jedes Jahr den wichtigsten Kinderbücherpreis, die Caldecott Medal, gewonnen haben – also auch in den Buchläden Bestseller sind. Mehr als 8000 Zeichnungen haben die Wissenschaftler analysiert.
Ergebnis: Natur und die natürliche Umgebung sind in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr in den Hintergrund gerückt – und das entspricht wohl dem allgemeinen Trend, weniger Kontakt zur Natur zu haben.
Williams unterscheidet drei Umgebungen: Wilde Natur, also Dschungel oder Wald. Dann von Menschen errichtete Umgebung (Städte, Häuser, Innenräume) und eine Mischform: das Maisfeld oder der gemähte Rasen – ist ja schließlich auch Natur, nur eben vom Menschen verändert.
Während sich bis in die 60er Jahre Natur und Stadt ungefähr fifty-fifty verteilten, klafft seitdem eine Lücke auf: Der Anteil von Geschichten, die in der Natur spielen, nimmt ab, stattdessen spielen die Geschichten nun in Häusern, in der Stadt.
„What we find in these books, however, is not a consistent proportional balance of built and natural environments, but a significant and steady increase of built environments, both by mere presence and as the major environment. Natural environments have all but disappeared.“
Was sagt das aus? Natürlich spiegelt es erst einmal nur eine allgemeine Entwicklung wieder, der Großteil der Amerikaner lebt eben inzwischen in Städten. Aber Wiliams warnt. Der Umweltgedanke und eine Wertschätzung der Natur würden so schon im Kindesalter an Bedeutung verlieren:
„(…) it does suggest that the current generation of young children listening to the stories and looking at the images in children’s books are not being socialized, at least through this source, toward greater understanding and appreciation of the natural world and the place of humans within it.“ (…)
„I am concerned that this lack of contact may result in caring less about the natural world, less empathy for what is happening to other species and less understanding of many significant environmental problems.“
Ein Haushaltsausschuss-Mitglied betont, dass das Verfahren sehr verwaltungsaufwändig gewesen sei, die Auswahl der Projekte „nach nicht immer durchsichtigen Kriterien“ erfolgt sei und dass die Kompensation keine Lenkungsfunktion gehabt habe.
„Die Bundesregierung hat beschlossen, die Treibhausgasemissionen im eigenen Geschäftsbereich im Zeitraum von 2008 bis 2012 um 30 % im Vergleich zum Basisjahr 1990 zu reduzieren. In diesem Zusammenhang hat das Bundeskabinett am 28. Februar 2007 auf Vorschlag von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel beschlossen, die Dienstreisen der Mitglieder und Beschäftigten der Bundesregierung „klimaneutral“ zu stellen. Das bedeutet, dass die bei unvermeidbaren Dienstflügen und Dienstfahrten mit dem Pkw produzierten Treibhausgase an anderer Stelle eingespart werden, indem in Klimaschutzprojekte investiert wird.“
Damit ist nun also Schluss. Einen Rüffel gab es dafür bereits vom Umweltbundesamt:
„Aus Sicht des Umweltbundesamtes ist das vorzeitige Ende der Kompensation der Dienstreisen der Bundesregierung bedauerlich. Wir halten die freiwillige Kompensation von Treibhausgasemissionen – richtig eingesetzt – für ein sinnvolles Instrument des Klimaschutzes. Eine Vorbildwirkung der Bundesregierung könnte hier ein wichtiges klimapolitisches Zeichen setzen.“
Am sinnvollsten wäre es natürlich, wenn die Emissionen erst gar nicht entstehen, wenn die Ministerien also etwa ihre Mitarbeiter anhalten: „Fahrt Bahn, innerdeutsche Flüge sind tabu.“
Das ist in der Praxis allerdings kaum umzusetzen. Was also tun? Ich würde sagen: Na, dann eben kompensieren, und zwar nach den höchsten Standards, die es dafür auf dem Markt gibt.
Oder was meinen Sie, liebe Leser? Wo sind die Grenzen der Kompensation? Ganz spannend in diesem Zusammenhang ist ja, dass Atmosfair – also einer der führenden Anbieter von Kompensationsprojekten – aktuell in einem taz-Interview auch von den Grenzen der Kompensation spricht:
„taz: Alle Welt gibt sich heutzutage klimaneutral: Der Vatikanstaat, die Leuphana Universität Lüneburg, der Reiseveranstalter Studiosus, die Stadtwerke Soest. Verkommt die Kompensation zum reinen PR-Instrument?
Dietrich Brockhagen/Atmosfair: Es geht leider in diese Richtung. Ich mache dies vor allem an den Produkten fest, die kompensiert werden. Wir arbeiten zurzeit an einer Studie zu den Grenzen von Kompensation.“
Zum Wochenende ein Lesetipp in der heutigen Financial Times Deutschland: „Der Feldversuch“ von Jarka Kubsova (leider kann ich ihn mobil nicht verlinken, ich freu mich, wenn ein Leser das in den Kommentaren machen koennte, Danke!)
Bayer Cropscience wurde 2004 wegen Kinderarbeit auf den indischen Baumwollplantagen angefeindet.
„Was tut ein Konzern, in dem Kinderarbeit auffliegt? Aussitzen? Vertuschen? Die Ausbeuterbude schliessen? Der Chemieriese waehlt den muehsameren Weg: Er behebt das Problem. Selbst Erzfeinde sind ueberzeugt.“
Und ja: Selbst die Bayer- kritische NGO „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ lobt das Projekt.
Globale Nachhaltigkeit – und schwupps: Wieder haben ein paar Leser weggeklickt. Ich ahne, Nachhaltigkeit wird wohl bald das Unwort des Jahres. Trotzdem enthält der Nachhaltigkeitsreport, den heute eine UN-Kommission zur „Globalen Nachhaltigkeit“ vorlegte, einige ganz interessante Schätzungen:
As the global population grows from 7 billion to almost 9 billion by 2040, and the number of middle-class consumers increases by 3 billion over the next 20 years, the demand for resources will rise exponentially.
By 2030, the world will need at least 50 per cent more food, 45 per cent more energy and 30 per cent more water — all at a time when environmental boundaries are throwing up new limits to supply.
Mehr als ein Jahr hat eine 22-köpfige Kommission, darunter Minister und vor allem Ex-Minister, viele sinnvolle Forderungen zusammengetragen, unter anderem, dass Güterpreise auch soziale und ökologische Folgekosten widerspiegeln sollen. Oder dass wir mehr Geld zur Armutsbekämpfung benötigen (nun gut, das lässt sich auch hinterfragen). Oder dass Frauen das Sagen über Ressourcen und Bildung haben sollten.
Das liest sich alles wunderbar. Aber ich befürchte, große Folgen werden diese großen Worte kaum haben. Viel zu vage, viel zu unkonkret. Und vor allem ohne konkreten Zeitplan.