Lesezeichen
 

Motor City Calling

Drei Dokumentarfilme des DokArt-Programms behandeln die Stadt Detroit vom 12. bis 25. Juni im Metropolis. Thema ist unter anderem die „grüne“ Zukunft der Metropole.

Zuletzt lieferten die heruntergekommenen Fassaden Detroits einen pittoresken Hintergrund für die Vampir-Romanze Only Lovers Left Alive von Jim Jarmusch. Dass aber auch die krisengeschüttelte Autobauer-Metropole von einst durchaus noch am Leben ist, zeigen gleich drei Dokumentarfilme des DokArt-Programms. Dem beliebten „Ruin-Porn“ der fotogenen Endzeitkulisse setzen die Detroiter Filmemacherinnen Heidi Ewing und Rachel Grady in ihrer sehr persönlichen Sightseeing-Tour Detropia (12.6., Foto) eine dynamische Nischenkultur entgegen. Bilder eines individuellen Aufbruchs zeigt auch der Franzose Florent Tillon in Detroit Wild City (18.6.), während der Film Grown in Detroit  (25.6.), in dem eine Landwirtschaftsschule für schwangere und alleinerziehende Teenager porträtiert wird, eine „grüne“ Zukunft der Stadt entwirft.

 

Oktober November

Kulturschock? Ein moderner Heimatfilm aus Österreich mit Nora von Waldstätten in der Hauptrolle offenbart alte Familiengeheimnisse.

Beinahe erklärt schon der halbe Schuhschrank die ganze Frau: Sonja (Nora von Waldstätten) arbeitet als Schauspielerin in Berlin. Sie ist ambitioniert, wirkt zielstrebig und kontrolliert. Eines verheirateten Verehrers, mit dem sie eine für sie ganz unbedeutende Affäre hatte, weiß sie sich souverän zu entledigen. Sachlich und selbstbeherrscht nimmt sie es sogar hin, von seiner Ehefrau beschimpft und geohrfeigt zu werden. In Sonjas Schuhschrank steht neben den Stilettos auch ein Paar alter derber Wanderstiefel. Der österreichische Regisseur Götz Spielmann (Revanche) variiert in Oktober November ein altbekanntes, schon oft im Kino verhandeltes Thema: die Rückkehr einer erfolgreichen, weltläufigen Frau in die Enge ihrer dörflichen oder ländlichen Heimat. Denn nachdem ihr Vater (Peter Simonischek) einen schweren Herzanfall erlitten hat, reist auch Sonja zurück in das Alpental, aus dem sie stammt und wo ihre Schwester (Ursula Strauss) den väterlichen Gasthof am Leben erhält. In diesem Schwebezustand zwischen Leben und Tod sieht sich Sonja mit Fragen nach ihrer Herkunft und Identität konfrontiert.

 

Abendbrot

Im Rahmen der Initiative So schmeckt Hamburg serviert Constanze Lux mehrmals im Monat an unterschiedlichen Orten der Stadt ein rustikales Abendbrot.

Jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat lädt Constanze Lux in der giftgrünen Stadtvilla, die das Konsumkulturhaus Lokal e. V. beheimatet, zum rustikalen Abendbrot – mit selbst gemachten Aufstrichen, Wurst und Schinken, Käse aus der Region und selbst gebackenem Brot. Lux betreibt den Catering-Service La Douce, außerdem ein kleines Café, und sie mag es, Menschen an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam regionale Produkte zu schlemmen. Im Rahmen der Initiative So schmeckt Hamburg macht sie das nicht nur im Konsumkulturhaus, sondern, in Kooperation mit der Biobäckerei Springer, der Fleischerei Rose aus Eimsbüttel und dem Hamburger Bauerngarten, an zwei weiteren Orten: im Vju auf dem Wilhelmsburger Energiebunker und in der Trinkhalle im Stadtpark. So kann man Leckereien wie Erbsen-Minze-Guacamole, Karotten-Pastinaken-Salat und frisches Bio-Brot wahlweise in luftiger Höhe, mit fantastischem Ausblick oder in historischem Ambiente genießen. Achtung: Mitessen kann man nur nach vorheriger Anmeldung: mail@ladoucecatering.com.

weitere Termine: 17.6. im Vju, 19.6. im Lokal

 

Clutch

Das US-Quartett um den Gitarristen und Sänger Neil Fallon haut seinen brachialen Blues-Metal im Gruenspan von der Bühne.

Clutch haben sich 1990 gegründet, als sich hierzulande noch kaum jemand etwas unter dem Stichwort Alternative Metal oder Stoner Rock vorstellen konnte. Die ersten Songs des Quartetts aus Maryland waren auf dem Naive-Sampler des englischen Death-Metal- und Grindcore-Labels Earache zu hören. Danach folgten mehr oder weniger im Zwei-Jahres-Rhythmus zehn Alben, auf denen Kritiker festgestellt haben wollen, dass sich Clutch stetig in Richtung Vergangenheit entwickelten, sprich: immer mehr nach Bluesrock klängen. Das ist zwar nicht grundsätzlich falsch, allerdings sollte man sich davor hüten, Clutch in eine Kiste mit langweiligen, alten Säcken vom Schlage ZZ Top zu stecken. Dazu ist ihr Sound zu mächtig und zu sehr im Hardcore und Metal verhaftet, wie auch ihr letztes Album, Earth Rocker, eindrucksvoll demonstriert. Das Zeug drückt immer noch ganz ordentlich.

Text: Michele Avantario

 

49 1/2 Shades

Im St. Pauli-Theater auf dem Kiez debütiert ein durchaus apartes Genre: Das SM-Musical als Parodie auf den Bestseller von E. L. James.

Es war das literarische Phänomen 2011: Hausfrauen in Jack-Wolfskin-Jacken lasen in öffentlichen Verkehrsmitteln ungeniert E. L. James’ SM-Schmonzette Fifty Shades of Grey. Gerburg Jahnke, die schon in Heiße Zeiten – die Wechseljahre-Revue ihr parodistisches, aber durchaus einfühlsames Gespür für die Damen bewies, die einen Großteil der Leserschaft stellen, inszeniert nun mit 49 1/2 Shades die Musicalparodie auf den Bestseller: Drei Frauen mittleren Alters gründen einen Buchclub, aber eigentlich geht es um Sex und Frustration: Frau hat unter Niveau geheiratet, wartet immer noch auf den Richtigen, vögelt mit den Falschen. Aus der Misere helfen soll die Buchheldin Ana, deren geheime Sehnsüchte die Damen inspirieren soll. Vielleicht wird auch José, der Latino aus Leverkusen, dabei eine Rolle spielen.

Text: Hanna Klimpe

 

Live Art Festival

Ausrasten, Baby! Auf Kampnagel wird der Exzess ausgerufen bei einem schön skurrilen Festival, für das ein Naturmystiker geistig Pate stand.

Das Live Art Festival hat sich in den letzten sechs Jahren als wunderbar schräges Theater- und Theorie-Fest mit radikalen Motti etabliert. So stand letztes Jahr die seit einigen Jahren ausgerufene Auflösung des Mensch-Tier-Dualismus auf dem Plan, dieses Jahr heißt es vom 10. bis 14. Juni schon fast klassisch: Excess yourself! Geistiger Pate für das Festival ist der britische Naturmystiker und Maler William Blake, der im 19. Jahrhundert verkündete: „The road of excess leads to the palace of wisdom.“ Zu sehen ist: Neal Medlyn, die Paris Hilton der Performance-Szene, postkoloniale Performance-Praxis von Ariel Eshraim Ashbel, Ballett-Cyberpunk von Halla Ólafsdóttir, die Hamburger Geheimagentur und God’s Entertainment, die verlässlichen Könige des Chaos. Programm: hier.

Text: Hanna Klimpe

 

Total Lokal

Die Unplugged-Konzertreihe für Nachwuchskünstler gönnt sich seit 2012 ein eigenes kleines Festival und präsentiert diesmal das Duo Sea + Air.

Es geht raus aus den Bars, die den Künstlern sonst eine Bühne bieten, und rein in die Clubs: In Hamburg findet das Total-Lokal-Festival im Knust statt. Headliner des Abends ist das Duo Sea + Air: Das Ehepaar Eleni Zafiriadou und Daniel Benjamin hat sich live seine Sporen redlich verdient. Zwei Jahre waren die beiden auf dem ganzen Erdball unterwegs und spielten dabei rund 500 Konzerte. Ihre Musik ist Indiepop mit Elektro- und Folklore-Einflüssen, Daniels Vergangenheit als Punk-Schlagzeuger kann man ebenso raushören. Zusammen ergibt das famose, welterfahrene Songs. Ebenfalls dabei im Knust: deutschsprachiger Pop von Schmidts Kater, die 2013 den Wettbewerb Hamburg rockt gewonnen haben, und der Singer-Songwriter Tommy Finke mit Songs seiner aktuellen Platte Unkämmbar. Klingt doch nach einer willkommenen Lokalrunde.

Text: Thorsten Moor

 

Pingipung im Kolbenhof

Finale: Das Festival der kurzen Filme geht zu Ende. Zum Abschluss gibt es im Kolbenhof eine Video-Performance und ein DJ-Set.

Und zack, ist das Internationale KurzFilmFestival auch schon wieder vorbei. Zumindest fast. Am Pfingstmontag werden im Festivalzentrum in Ottensen die Projektoren zum letzten Mal angeschmissen und auch die Mischpultregler hochgedreht. Der japanische Filmemacher Makino Takashi (Gewinner des Hamburger Kurzfilmpreises 2012) zeigt ab 20 Uhr im Kolbenhof eine recht experimentelle Sound-Video-Performance mit mehrschichtig angeordnetem Filmmaterial. Anschließend lösen Heiko Gogolin und Sebastian Kokus vom Hamburger Plattenlabel Pingipung mit ihrer Mischung aus Bossa Nova, Jazz, Afrobeat und Dub ein verliebtes Gefühl in der Magengegend aus. Wieso dieser Abend Küssen mit Hundebabies heißt? Keine Ahnung – vielleicht ist die Zeit des Katzen-Contents nun endlich vorbei und man versucht mit Hundenachwuchs für Reichweite zu sorgen …

Text: Lena Frommeyer

Takashi Makino: Space Noise from 25 FPS on Vimeo.

 

Euromaidan

Beim Yachtclub-Spezial „Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht“ berichtet Juri Andruchowytsch aus der Ukraine.

„Und in Odessa schneite es. Der Schnee war vergänglich, Odessa aber schien ewig“, schreibt der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch in der Suhrkamp-Sonderedition Euromaidan. In seinem Beitrag beschreibt er die Atmosphäre in dem zerrütteten Land, das er als Teil einer Gruppe von Wanderschauspielern im Februar dieses Jahres durchquerte. Selbst in seinen Kreisen ahnte noch Ende Oktober 2013 niemand, was kurz darauf in der Ukraine passieren würde. Namensgeber der Textsammlung sind die blutigen Demonstrationen von Kiew, mit denen die Bevölkerung auf die Entscheidung des Präsidenten Viktor Janukowitsch antwortete, der das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnen wollte. Andruchowytsch ist der bekannteste Autor der Ukraine und Herausgeber der Anthologie, in der sich Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler an einer „Anatomie des Augenblicks“ versuchen, wie es im Vorspann heißt. Tina Uebel und Friederike Moldenhauer veranstalten zur aktuellen Situation in der Ukraine einen Sonder-Yachtclub im Nochtspeicher. Zusammen mit Juri Andruchowytsch kann man neue Eindrücke über die Krimkrise gewinnen.

Text: Alessa Pieroth

Lesen Sie im Buch: undefined – Euromaidan

 

Tim Sohr liest

Der Hamburger Autor und Journalist beschreibt in seinem Debütroman „Woanders is’ auch scheiße“ die Fußball-Kreisliga der 1990er Jahre.

Karl-Heinz Borowski hat lange Wimpern, laut Kinderarzt ein Indiz für einen sensiblen Charakter. Keine gute Voraussetzung für einen Jungen aus Diepenbusch, einem kleinen Dorf im Ruhrgebiet Ende der 1980er Jahre. Um seine männliche Seite zu stärken, stecken die Eltern Kalli in den örtlichen Fußballverein. Auf dem Platz läuft er zu Höchstformen auf, fühlt sich sicher und wird von der Mannschaft geschätzt. Im richtigen Leben dagegen verhält er sich uncool und verzweifelt an den typischen Problemen eines Heranwachsenden. Bis er sich in Melanie verliebt. In seinem Debütroman, Woanders is’ auch scheiße, lässt der Journalist und Autor Tim Sohr, der mittlerweile in Hamburg lebt, den Pott der 1990er Jahre wieder auferstehen. Der 32-Jährige nimmt den Leser mit zu Kallis Anfängen in der D-Jugend bis zum finalen Spiel in der A-Jugend. Dabei merkt man deutlich: Sohr ist Romantiker. Angenehm verklärt schildert er Kallis erste Erfolge auf dem Ascheplatz, die Enttäuschung über den neuen Kurzhaarschnitt der Mutter und den Geschmack von Fischstäbchen. Und damit zeigt er rechtzeitig zur WM, dass sich sogar die spröde Vereinskultur romantisieren lässt.

Text: Alessa Pieroth