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„Greatest Hits“

Das Klangforum Wien spielt beim Festival für zeitgenössische Musik auf Kampnagel – Support von Sopranistin Marisol Montalvo und Dirigent Sylvain Cambreling.

Auch Neue Musik hat ihre Klassiker: So gilt der Schweizer Beat Furrer als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten, folgerichtig ist ihm der Eröffnungsabend des Festivals Greatest Hits auf Kampnagel gewidmet. Zu Gast ist das Klangforum Wien, ein von ihm 1985 gegründetes Ensemble, das sich über die Jahre Weltrang erspielt hat. Die Solisten werden dabei unterstützt von der amerikanischen Sopranistin Marisol Montalvo. Unter der Leitung des Ersten Gastdirigenten Sylvain Cambreling spielt das Kammerorchester Stücke von Georges Asperghis, Reinhard Fuchs, Edgar Varèse und natürlich Furrer. Der beschreibt seine Musik als „den Raum zwischen Sprache und Stimme“, eine Vorgabe, die dem gesamten Abend eine thematische Klammer verleiht: Montalvo darf bei Varèses Offrandes ihre gesamte Stimmkraft zeigen, während Furrers ira – arca geräuschvolles Ein- und Ausatmen verlangt. Die Auseinandersetzung mit Klang und Gesang ist der Auftakt für vier spannende Festivaltage im Zeichen der Avantgarde.

Text: Michael Weiland

 

Ásgeir

Jeder zehnte Isländer besitzt ein Album des Singer-Songwriters. Nun ist der Sohn eines Dichters für ein Konzert zu Gast im Uebel & Gefährlich.

Der Isländer Ásgeir Trausti ist in seiner Heimat längst ein Superstar. Wobei Superstar in diesem Zusammenhang weder als Euphorismus noch als Castingshow-Siegertitel zu verstehen ist. Superstar meint im Hinblick auf den smarten Singer-Songwriter, dass rund jeder zehnte Isländer sein Album In The Silence besitzt und es damit die bestverkaufteste Debütplatte des Landes ist. Zugegeben, diese Statistik hört sich beeindruckender an, wenn man nicht weiß, dass der Inselstaat gerade einmal knappe 326.000 Einwohner beherbergt – ähnlich viele wie Bielefeld. Dennoch: Ásgeir Trausti erspielt sich auch hierzulande eine wachsende Fangemeinde. Der Mann kann halt mit Worten und Tönen umgehen, ganz sensibel. Seine Songs klingen zerbrechlich und wären der perfekte Soundtrack für einen Kurzfilm, in dem eine Knospe ganz langsam aufgeht und erblüht. Dieses Gefühl wurde ihm in die Wiege gelegt – schließlich ist sein Vater der Dichter Einar Georg Einarsson.

Text: Miriam Mentz

 

„Lampedusa auf St. Pauli“

Rasmus Gerlach begleitete über mehrere Monate die Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge auf St. Pauli mit der Kamera – sein Film zeigt Solidarität und Ablehnung.

Fast eineinhalb Jahre ist es nun her, dass Pastor Sieghard Wilm einer Gruppe von 80 Westafrikanern in der St. Pauli Kirche Unterschlupf bot. Mit Booten übers offene Meer vor dem Bürgerkrieg in Libyen nach Lampedusa geflüchtet, in Italien mit Touristenvisa ausgestattet und weitergeschickt, landeten die sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge im Juni 2013 in Hamburg. Während niemand so genau wusste, wohin mit den Menschen, die von offizieller Stelle weder geduldet noch versorgt wurden, entwickelte sich im Stadtteil St. Pauli eine besondere Form der Solidarität. Filmemacher Rasmus Gerlach zückte seine Kamera und begleitete die Lampedusa-Gruppe. In seinem Film Lampedusa auf St. Pauli zeigt er, wie Nachbarn beim Wäsche waschen helfen, ältere Damen Deutsch unterrichten und Kiez-Türsteher die Kirchentüren bewachen. Bis heute hat die Stadt keine dauerhafte, humane Lösung für die Flüchtlinge gefunden. Mit dem Film liefert Gerlach einmal mehr Argumente dafür, dass Zusammenhalt viel schönere Früchte trägt, als eine verkopfte Bürokratie es je könnte.

Text: Miriam Mentz

 

Angus & Julia Stone

Die australischen Geschwister sind musikalisch wieder vereint und präsentieren ihr neues Album in der Großen Freiheit 36 – das Konzert ist bereits ausverkauft.

Zuletzt machten Angus und Julia Stone beide eine Weile ihr eigenes Ding. Mit The Memory Machine und By The Horns verwirklichte Julia sich solo, während Angus von seinem ersten „richtig eigenen Album“ Broken Brights erzählte. Hätte es die Zeit davor, in der die Australier gemeinsam Songs wie Big Jet Plane oder For You geschrieben haben, nicht gegeben, man hätte sich über diese schönen Songwriter-Platten gefreut. So schien aber immer etwas zu fehlen. Dass wir uns nun wieder über ein gemeinsames Werk der Geschwister freuen dürfen, ist nicht zuletzt Starproduzent Rick Rubin zu verdanken. Und würden wir ihm heute über den Weg laufen, wäre ein spontaner Kniefall absolut gerechtfertigt. Mit ihrem neuen Album schließen die Stone-Geschwister genau dort an, wo sie uns damals mit sehnsuchtsvoll pochenden Herzen haben sitzen lassen, dort wo innige Liebe, Melancholie, Sonnenaufgänge und leise Melodien ihre Schnittmenge bilden. Die Tickets für das Konzert in der Großen Freiheit 36 sind bereits vergriffen.

 

„Will spray for good!“

In der Galerie Affenfaust hängen die Bilder von Graffiti-Künstler Flying Förtress. Auf einem uriniert eine Sprühdose bunt gegen eine weiße Mauer.

Selten wurde so deutlich sowohl Loyalität als auch Ablehnung gegenüber der Graffitiszene demonstriert, wie nach dem Tod von Sprayer OZ im September auf den Hamburger S-Bahn-Gleisen. Auch Flying Förtress ist Sprayer aus Leidenschaft. Er veredelte für seine aktuelle Ausstellung Will spray for good keine Fassaden sondern Leinwände. „Mit Pinsel und Acrylfarbe bringt er die Sprühdose auf die Leinwand“, heißt es in der Ankündigung. Und tatsächlich ist hier das Traditionswerkzeug des gemeinen Sprayers das Motiv. Man sieht Sprühdosen, die bunt gegen saubere Wände urinieren. Oder Dosen, die als Großwildjäger gekleidet ihrer Beute nachstellen: Eisenbahnzügen. Flying Förtress spielt mit Street-Art-Klischees – und das schon ziemlich lange. Für die älteren Bilder standen noch ordinäre Industriefarbdosen Modell, mit gezeichneten D-Mark-Etiketten. Die Ausstellung in der Affenfaust ist noch bis zum 29. November zu sehen.

Text: Lena Frommeyer

 

„Der kleine Störtebeker“

Nur nicht den Kopf verlieren: Das Kindermusical im Schmidt Theater schickt Norddeutschlands berühmtesten Seeräuber auf große Fahrt.

Pfiffikusse wissen: Das mit Störtebeker nimmt kein gutes Ende. Aber deswegen muss ja der Anfang nicht böse sein. Im Schmidt Theater werden die Kindertage des legendären Hamburger Piraten erzählt, der erst noch seinen Namen finden muss – mit viel Musik, Spaß und einer sprechenden Ratte. Sieben Darsteller in zahlreichen Rollen bringen mit vollem Körpereinsatz die fantastische Vorgeschichte des Jungen, der einmal Störtebeker sein wird, auf die Bühne. Dasselbe Team, das bereits die Schmidt-Kindermusicals Der Räuber Hotzenplotz und Es war einmal – 7 Märchen auf einen Streich erdacht hat, zeichnet sich für das Seeräuber-Abenteuer verantwortlich, in dem die Piraten eigentlich gar nicht so böse und alberne Wortspiele an der Tagesordnung sind. Natürlich ist das Ganze ein besonders großer Spaß für Kinder. Doch auch die Vorstellungskraft der Älteren wird von dem lustigen Freibeuterensemble ohne Gegenwehr gekapert und bis zum Schluss nicht losgelassen.

Text: Thorsten Moor

 

Zola Jesus

Heißkaltes Niemandsland: Mit ihrem fünften Album, „Taiga“, ist die US-amerikanische Elektronikmusikerin im Pop angekommen.

Eigentlich wollte Nika Roza Danilova von Kindesbeinen an Opernsängerin werden. Das Leben sieht aber manchmal andere Dinge für einen vor, als man sich das als Dreikäsehoch vorstellt. Beim Singen ist sie glücklicherweise geblieben: Ihr Künstler-Alias Zola Jesus bedient sich trotz vorhandener Stimmkraft weniger bei herkömmlicher Klassik als bei der Avantgarde-Sparte. Das Stimmwunder Diamanda Galás hat ihre Musik beeinflusst, ebenso schwieriger Noiserock wie Lydia Lunch oder Swans. Taiga ist ihr fünftes Album, das erste für das britische Traditionslabel Mute – und bekundetermaßen ihre erste Pop-Platte. Kalt und unzivilisiert sei die Taiga, der Wald unterhalb der Tundra, sagt die aus Wisconsin stammende Musikerin mit russischen Vorfahren, aber darum kein lebensfeindlicher Raum – ein unbehauenes Niemandsland, wie sie es auch mit ihren Songs erforscht. Die Maschinenkälte ihrer elektronischen Kompositionen füllt die Sängerin mit Wärme, manchmal gar Hitze: Die Single Dangerous Days ist ein aufbrausender Popsong, der so eingängig wie kompromisslos ist. Aus dem Kindertraum mag nichts geworden sein, aber die Wirklichkeit ist auch nicht schlecht.

Text: Michael Weiland

 

Saint Vitus

Die mittlerweile selbst zur Legende gewordenen Black-Sabbath-Epigonen um Sänger Wino Weinrich rocken ihre Slow-Motion-Riffs im Knust herunter.

Born To Late lautet der Titel einer ihrer Schlüsselsongs. Und, in der Tat: Obwohl immerhin vor über 30 Jahren gegründet, waren die Mitglieder der Gruppe Saint Vitus auch Mitte der 1980er noch zu jung, um die besten Zeiten ihrer Vorbilder, Ozzy und Black Sabbath, mitbekommen zu haben. Und, wie sich die Geschichte wiederholt: Mittlerweile sind die in den letzten Jahren hinzugekommenen Fans von Saint Vitus zu jung, um die besten Zeiten des Quartetts um Sänger Wino Weinrich erlebt haben zu können. Die liegen nun mindestens 20 Jahre zurück. Aber da ihre Musik sowieso schon immer unglaublich retro war, tut das alles dem Vergnügen keinen Abbruch. Wie die letzten Hamburg-Gastspiele (und diverse YouTube-Mitschnitte der letzten Jahre) zeigen, ist hier noch längst nicht die Luft raus. Kein Wunder: Mit Heavy-Rock bei durchschnittlich nur 50 beats per minute kann man eben alt werden, ohne auch nur ein bisschen aus der Puste zu kommen.

 

Markt der Völker

Das Museum für Völkerkunde wird für eine Woche zum „Mercadito“ mit Angeboten von Künstlern, Handwerkern und Organisationen aus aller Welt.

Zum 28. Mal verwandelt sich das Völkerkundemuseum ab dem 12. November in einen großen Markt der Völker. Über 60 Künstler, Kunsthandwerker und Hilfsorganisationen aus aller Welt stellen sich und ihre Produkte und Konzepte vor, bieten kulinarische Spezialitäten, Workshops und Vorträge an. Gemäß dem diesjährigen Motto Vamos al mercadito hält der Markt der Völker neben kulinarischen Spezialitäten auch ein buntes Rahmenprogramm ganz im Zeichen der lateinamerikanischen Kultur bereit. Zu den Highlights zählt unter anderem die Capoeira-Show Viva a Capoeira – Widerstand, Rhythmus & Bewegung am Samstag, den 15. November. Und natürlich wird es auch ein buntes Angebot für die kleinen Gäste geben. Der Markt der Völker kann noch bis Sonntag, den 16. November, besucht werden. Am Mittwoch eröffnet er um 18 Uhr pünktlich zum Feierabend vieler Hamburger und schließt erst wieder um 22 Uhr.

 

Musik im Knust

… And You Will Know Us By The Trail Of Dead: Die texanische Band präsentiert die Songs ihres mittlerweile neunten Albums.

An der Spur der Toten soll man sie erkennen. Wenn das nicht hilft, geht aber auch „kleinteiliges Fleißarbeit-Artwork“, „manisches Getrommel“ oder „haltloses Gitarrengeschwurbel“ – Trail Of Dead aus Texas haben aus Rockmusik eine Art Kunsthandwerk gemacht. Das letzte Album, Lost Songs, war für ihre Verhältnisse eine recht reduzierte Nummer, die darum umso dringlicher klang – wie ein bewusster Versuch, den Autopilot, der zielsicher auf die größtmögliche Gitarren-Eskalation Kurs nimmt, eine Weile abzuschalten. IX ist wieder opulenter, beinahe ein Rückfall, aber kein Absturz: wiedererkennbar Trail Of Dead, mitreißend, wenn auch ohne den genialischen Funken, der dem Jahrhundertwerk Source Tags And Codes (2002) damals Lebensatem einhauchte. Einerlei: Von allen Qualitätsschwankungen auf Platte bleibt die Durchschlagskraft der Band als Live-Act unbenommen.

Text: Michael Weiland