Lesezeichen
 

„Off Course“

Hochqualifiziert und trotzdem ohne Aussicht auf eine gute Anstellung sitzen die Freunde Hugo und Braulio in ihrer von der Wirtschaftskrise gebeutelten Heimat Spanien. Der eine hat zwei Uniabschlüsse und einen Master in Wirtschaft, der andere ist Molekularbiologe. Im Fernsehen läuft eine Sendung über den boomenden Arbeitsmarkt in Deutschland und überhaupt ist Berlin ja so cool. Da beschließen sie auszuwandern. Die Koffer sind gepackt, es geht los und in Berlin wartet keiner auf die beiden – außer der Besitzer eines Kebab-Ladens, bei dem sie wohnen können. Endstation Dönerspieß? Oder gibt es doch noch eine Zukunft in der deutschen Hauptstadt? Nacho Garcia Velilla hat mit Off Course eine charmante Krisen-Komödie mit spleenigen Typen gedreht und das Filmfest Hamburg zeigt sie am Sonntag.

Text: Andra Wöllert

 

„LIFE“

Es ist ein Foto, das jeder kennt: James Dean am verregneten Times Square in New York, den Mantelkragen hochgestellt, eine Zigarette im Mundwinkel und weit und breit keine Menschenseele. Wie es zu dem Foto kam und zu den vielen anderen James-Dean-Porträts, die der Fotograf Dennis Stock 1955 für das Life Magazine schoss, erzählt Anton Corbijn in seinem neuesten gleichnamigen Film.

Die berühmte Life-Serie von Dennis Stock zeigt James Dean auf der Farm seiner Familie in Indiana, mit Kühen, mit seinem Neffen in Comics vertieft, Schweine streichelnd im Stall, sprühend vor Energie, zärtlich und versetzt mit der berühmten Ironie, die sein Lächeln umspielt. Nur wenige Monate später stirbt Dean, gerade mal 24 Jahre alt, in seinem Porsche und Stocks Porträts tragen einen großen Teil zur Legendenbildung bei.

Corbijn erzählt, wie die zwei ungleichen Charaktere sich auf die Reise quer durch die USA machen: Stock (Robert Pattinson), ungelenk und getrieben, der seine Chance zum Durchbruch wittert und Dean (Dane DeHaan), der so selbstbewusst wie unberechenbar ist, gezeigt wird das alles ganz konzentriert in einer Abfolge perfekt inszenierter Bilder. Der Film läuft derzeit unter anderem im 3001 Kino.

Text: Sabine Danek

https://youtu.be/lMMwg4RoaRU

 

Sängerknaben & Sirenen

So einen Liederabend macht man viel zu selten bis gar nicht mehr. Sich zusammensetzen und gemeinsam singen hat was Meditatives und schweißt eine Gruppe wunderbar zusammen – und ist auch ein bisschen hippiemäßig. Die Lightversion aber dürfte weniger Berührungsängste in einem hervorrufen und findet am Sonntag im Westwerk statt. Sängerknaben und Sirenen – gerne auch im Doppelpack – werden geladen und ihr dürft ihren Liedern lauschen. Dieses Mal sind die Liedermacher Manfred Maurenbrecher, Lena Geue, Juhana Iivonen und Agata Paulina & Meike Schrader dabei und singen Chanson, Popsongs sowie Singer-/Songwriter-Hymnen. Und hat sich die Lust auf einen Liederabend schon gesteigert? Dann nichts wie los in einen gemütlichen Abend!

Text: Andra Wöllert

https://www.youtube.com/watch?v=uO0X0kvMciI

 

FlohZinn

Hier kommt nur Gutes zusammen: Sonntag, Wilhelmsburg, Ausstellung, Flohmarkt und ein Pop-up-Festival. Es ist wieder FlohZinn-Zeit und dieses Mal wird es was Besonderes. Das trödelgeile Volk kann sich nicht nur den ganzen Tag durch alte und neue Schätze graben, sondern auch den letzten Tag vom Lädenfestival Popup Wilhelmsburg erleben. Überall im Reiherstiegviertel tauchen kleine, große, besondere und bunte Ladenutopien auf – im ehemaligen Sonnenstudio, im verwaisten Monopol-Theater usw. Aber auch in den Zinnwerken gibt’s ein Sahnehäubchen: An den weißen Wänden werden Stadtfotografien aus Philadelphia und New York ausgestellt, die Leon Küchler mit einer analogen Kamera aufnahm. Dieser Flohmarkt ist nämlich dem fast gleich klingenden Stadtteil im Big Apple, Williamsburg, gewidmet. Fragt sich nur, ob nicht unser heimischer Kiez zwischen Elbe und Migrationshintergrund spannender ist. Diesen Sonntag auf jeden Fall!

Text: Andra Wöllert

 

Marktzeit

Der Sommer ist vorbei, doch die Marktzeit findet kein Ende. Der Nachbarschaftsmarkt der beiden Geschwister Max und Marie ist seit dem 5. September wieder in die Altonaer Fabrik gezogen. Die kalte Jahreszeit hindurch werden dort jeden Samstag regionale Produzenten ihre süßen und herzhaften Produkte anbieten. Hier kann man sich nicht nur mit Lebensmitteln für das Wochenende eindecken, sondern auch kulinarisch mit Freunden den Tag beginnen. Streetfood-Stände und Foodtrucks wie Curry it up, La Tarte, Vincent Vegan und viele andere brutzeln einen perfekten Samstagmorgen zurecht. Unter den Ständen sind auch Designaussteller wie Woodcardz und IYAGI. Die Marktzeit lädt ein zum Schlemmen, Einkaufen und Verweilen. Da lohnt sich das Weckerstellen allemal.

Text: Louise Otterbein

 

Datscha-Party

Wenn sich die berühmten Fahrstuhltüren des Uebel & Gefährlich am 3. Oktober öffnen, werdet ihr eine ungestüme Sause mit bunten Klängen und herrlich verschwitzten, tanzenden Körpern betreten, die euch nicht erlauben werden, auch nur eine Sekunde stillzustehen. Es ist Datscha-Nacht, und zwar mit einer der besten Bands der Szene, Perkalaba. Nach Umbesetzung nun Familie Perkalaba, am konsequenten Feierdruck hat sich aber nichts geändert. Die sechs Mann starke Gruppe stammt aus dem Westen der Ukraine und mischt regionale Folklore mit Punk und Ska-Elementen, eine wilde Mischung, die Hand in Hand mit schrägen Bühnenshows geht. Dazu gehören fette Bläser, scheppernde Becken und trunkenes Rufen. Und feiern wir am Tag der Deutschen Einheit mit Ukrainern, auf dass sie vergessen, dass ihr Land zerfällt.

Text: Ina Volkmer

 

Hotel Reichshof

Jahrzehntelang präsentierte sich das Grand Hotel am Hauptbahnhof als familiäres, luxuriöses und mondänes Haus. Ende des 20. Jahrhunderts kam das Haus jedoch herunter, stetige Flickschusterei ohne Gesamtkonzept ließ unzufriedene Gäste zurück. In diesem Zustand lernten Nicole Keller und Oliver Schumacher das legendäre Hotel kennen. Bis zur Schließung im Mai 2014 streiften sie durchs Gebäude, fotografierten das Interieur und sprachen mit den Menschen, die hier teils jahrzehntelang gearbeitet haben. Aus der Recherche wurde ein Buch, die bildreiche Chronik Hotel Reichshof Hamburg erschien jüngst. Die Fotos werden vom 3. bis 10. Oktober in der Galerie Multiple Box ausgestellt.

Und heute? Das Curio by Hilton nahm sich des Hotels an und eröffnet genau 105 Jahre später das Hotel Reichshof erneut – einfühlsam renoviert und doch modern.

Text: Lisa Scheide

 

Tschüss Supershirt

Taschentücher einpacken. Beim Abschiedskonzert von Supershirt werden wohl Tränen fließen. Man hat sie doch lieb gewonnen, diese „leicht spackigen Typen“, die 2007 auf der Bildfläche erschienen – beziehungsweise auf der Bühne von Dorfdiskos und Jugendzentren in Mecklenburg. „Aus Versatzstücken der Popkultur und dummen Sprüchen von Freunden fügten Tim Brenner und Faxe System Texte zusammen, aus ein paar billigen Controllern und Plugins die Beats“, so heißt es in der Konzertankündigung. Acht Jahre, viel Alkohol, Unterstützung durch Audiolith Records, zahlreiche Gaga-Texte, Festivalauftritte, dem Superhit „8000 Mark“ und klatschende Feuilletonisten später, hauen die drei Jungs nun in den Sack. Weil halb Hamburg Tim Brenner, Faxe System und Timo Katze noch einmal an den Hintern fassen möchte, gibt es gleich zwei Goodbye-Konzerte hintereinander: am 2.10. im Hafenklang (ausverkauft) und einen Tag später im Molotow (ausverkauft). Mist! Hoffnungsschimmer: Bei Facebook geben einige, die zum Konzert verhindert sind, ihre Tickets weiter.

Text: Lena Frommeyer

https://youtu.be/rx6zSaoszv4

https://youtu.be/KsxNkWoWGKA

 

Noella Wiyaala

In knallroter Hose, mit schwarzem Tanktop, Sonnenbrille und bunten Fingernägeln sitzt sie auf einem Motorrad, pest über die staubigen Straßen Afrikas und interpretiert den The Soul Sisters-Hit Wreck A Buddy aus dem Jahre 1960 neu. Noella Wiyaala ist eine imposante Erscheinung und gilt als neue afrikanische Pop-Sensation – mit Message: In ihren selbst geschriebenen Texten (verfasst in Englisch oder ihrer Muttersprache Sisaala) und auch abseits der Bühne nimmt die Sängerin kein Blatt vor den Mund und kritisiert offen die männerdominierte Kultur ihrer Heimat. Damit gibt die „young lioness of Africa“, wie sie genannt wird, einer jungen feministischen Bewegung eine Stimme. Stilistisch bewegt sich Noella Wiyaala zwischen Pop und Dancehall – extrem tanzbar und sinnlich. Ihr Konzert auf Kampnagel ist Teil des Festivals We Don’t Contemporary. Im Anschluss: Closing Party Set von DJ Steloo.

Text: Lena Frommeyer

 

„Cartel Land“

Geschätzte 70.000 Opfer forderte der mexikanische Drogenkrieg in den letzten sieben Jahren. Die bemerkenswerte Doku vermittelt einen Eindruck, wie diese monströse Zahl zustande kommen konnte. Regisseur Matthew Heineman heftet sich, zum Teil unter Einsatz seines Lebens, an die Fersen zweier Bürgerwehr-Anführer. In Arizona jagt der markige Army-Veteran Tim „Nailer“ Foley in voller Kampfmontur Drogenkuriere, die „seine“ Grenze überqueren. Weniger klischeehaft kommt sein mexikanisches Gegenüber, der Kinderarzt Dr. José Mireles, daher. Er ist der Gründer der Autodefensas.

Des Terrors der Kartelle überdrüssig, nimmt die mitgliederstarke Bewegung Recht und Gesetz in die eigenen (nicht minder schwer bewaffneten) Hände. Doch auch Mireles‘ Heldenfassade bröckelt im Laufe des Films. Unterscheiden sich die selbst ernannten Heilsbringer wirklich so sehr von jenen, die sie zu bekämpfen meinen? Am Ende bleibt die nihilistische Einsicht, dass die Straße zur Hölle oft mit den besten Absichten gepflastert ist. Am Sonntag wird das Werk während des Filmfest Hamburg im Cinemaxx gezeigt.

Text: Calle Claus