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„L’Chaim! – Auf das Leben!“

Vom Millionär zum Altenpfleger: Chaim Lubelski ist ein Lebemann sondergleichen. Doch als seine Mutter pflegebedürftig wird, ändert sich alles.

Er führte ein Leben wie eine Achterbahn. Er war Hippie und Dealer, lebte in Deutschland, Paris und London, war in Afghanistan, wurde in New York Geschäftsmann und feierte als hochrangiger Profi-Schachspieler Erfolge. Er ging, wohin der Wind ihn trug oder Ideen lauerten. Gerade ist Chaim Lubelski – mittlerweile über 60 Jahre alt – nach Antwerpen gezogen, in ein Altersheim. Darin wird nicht etwa er gepflegt, Lubelski betreut seine Mutter Nechama. Sein Cousin Elkan Spiller hat dieses Kapitel von Lubelskis Leben mit der Kamera festgehalten und heraus kam L’Chaim! – Auf das Leben! – eine Dokumentation über den Ex-Millionär und Lebemann sowie über die Erinnerungen Nechamas an die Familie und den Holocaust. Zur Premiere im Abaton am Montag kommen übrigens Protagonist und Regisseur höchstpersönlich.

Text: Andra Wöllert

 

Ruleta Rusa

Dieser spanische Punk und Hardcore made in San Francisco ist nichts für seichte Gemüter. Aber die finden eh nur selten ins Hafenklang.

Wie muss man sich Russisches Roulette auf Spanisch vorstellen? Zunächst einmal gibt es Entwarnung: Im Gegensatz zum Original ist diese Variante nicht tödlich, aber bösartig und vor allem musikalisch. Ruleta Rusa ist eine spanischsprachige, fünfköpfige Band aus San Francisco und spielt Punk inspiriert von der spanischen Szene mit Bands wie Eskorbuto, RIP, MCD oder La Uvi und vom kalifornischen Punk und Hardcore der frühen Achtziger. José, Andrew, Ratboi, Jimoh und Josh nennen diese Mischung auf ihrer Facebook-Seite Rock Basura und auf ihrer Europatour wehen sie den Fans ihren explosiven, bösartig aber eingängig klingenden Sound live um die Ohren. Zum Glück ist das Hafenklang, wo das Konzert am Montag stattfindet, derartige Soundgewitter gewöhnt. Also Freunde zusammen sammeln und schön moshpitten auf Spanisch.

Text: Andra Wöllert

 

Sean Paul

Glitzernde Off-Beat-Produktionen und halbnackte Frauen: Dancehall-Star Sean Paul lässt im Stadtpark ganz sicher die Puppen tanzen.

„Ich mache immer noch Dancehall, genau wie am Anfang“, sagt Sean Paul und wehrt sich damit gegen all diejenigen, die ihn heute nur noch als aalglatten Popstar sehen, der mit seichten Tanz-Tracks das Formatradio bedient. Tatsächlich hat sich die Musik des 42-jährigen Jamaikaners in den vergangenen 15 Jahren nicht sonderlich verändert. Von seinen ältesten Hits („Like Glue“, „Gimme The Light“; beide 2002) bis zu den jüngeren („Got 2 Luv U“, „She Doesn’t Mind“; beide 2012) ist kaum eine Veränderung hörbar: Sean Paul setzt nach wie vor auf glitzernde Off-Beat-Produktionen, die in den dazugehörigen Videos genretypisch von halbnackten Frauen präsentiert werden. Kommt bei vielen ja auch immer noch gut an, wie sein Konzert im Stadtpark sicherlich beweisen wird.

Text: Erik Brandt-Höge

 

Sea + Air

Auf ihren Konzerten und Reisen zum letzten Album sammelten sie Ideen für das jetzige und gehen wieder auf Tour – mit Halt im Uebel & Gefährlich.

Das Debütalbum My Heart’s Sick Chord von Eleni Zafiriadou und Daniel Benjamin alias Sea + Air war der Knaller. Drei Jahre lang tourten sie damit durch Europa und spielten 600 Konzerte in 22 Ländern. „Auf einer solchen Reise die verschiedenen Gesichter Europas aus der Nähe zu betrachten und sich selbst überall wiederzuentdecken, erschafft eine eigenartige Spannung“, resümiert Benjamin. Die Erlebnisse im krisengebeutelten Griechenland, der Ukraine und in Portugal lassen die beiden nicht mehr los. Unterwegs komponieren sie in ihren Köpfen das ganze Album und nehmen einzelne Stücke auf, wann immer sie die Möglichkeit dazu haben. Flucht, Vertreibung und Heimatlosigkeit sind die Themen von Evropi. Bei ihren Liveauftritten stellt das griechisch-deutsche Musikerehepaar wieder seine instrumentale Virtuosität zur Schau. Diese Mischung aus verloren geglaubten mediterranen Melodien und exotischen Instrumenten erwartet Fans auch im Uebel & Gefährlich bei ihrer Release Show.

 

Jello Biafra

Der Ex-Dead-Kennedy-Frontmann und zweifache US-Präsidentschaftskandidat kommt zusammen mit der Guantanamo School of Medicine in die Markthalle.

Wer bei den Dead Kennedys im Juni in der Großen Freiheit 36 Jello Biafra schmerzlich vermisste, kann sich nun trösten. Es scheint bezeichnend, dass zwischen den Auftritten der Band und dem ihres ehemaligen Frontmanns nur wenige Wochen liegen. Dabei hinkt Biafra den alten Kollegen keineswegs hinterher. Im Gegenteil: Seit er 2009 mit der Guantanamo School of Medicine The Audacity Of Hype veröffentlichte, steht fest, dass er immer noch auf der Höhe der Zeit ist und weiterhin mit dem Finger auf alles zeigt, auf das gezeigt werden muss. Nachdem er selbst zweimal als Präsidentschaftskandidat für die US-amerikanische Green Party antrat, spricht er sich nun dafür aus, die Whistleblower Manning und Snowden 2016 ins Rennen ums Weiße Haus zu schicken. Aussichtslos, aber herrlich provokant. Und wenn er dann in der Markthalle doch dem Wunsch der Fans nachkommt und Kennedys-Klassiker spielt, wirken die mit ihm allemal überzeugender.

Text: Pablo Schinkel

 

„Die Frau, die singt“

Kein Sommervergnügen, aber ein unvergessliches Kinoerlebnis: Wer die Beweggründe von Flüchtlingen verstehen will, sollte diesen Film im Zeise sehen.

Man sollte sich vom glitzernden Pool nicht täuschen lassen: Der kanadische Film Die Frau, die singt aus dem Jahr 2010, der auf dem Drama von Drama Incendies von Wajdi Mouawad beruht, ist nicht das wahre Sommervergnügen, dafür aber ein unvergessliches Kinoerlebnis. In ihm erzählt der Regisseur Denis Villeneuve von der Vergangenheit einer Frau, die aus einem Land des Nahen Osten nach Amerika floh. Nach ihrem Tod reist ihre Tochter dorthin, um herauszufinden, was man der Mutter im Bürgerkrieg antat. Der Film erhielt überwältigende Kritiken, die ihm sogar eine Nominierung als Bester fremdsprachiger Film bei den Oscars 2011 einbrachte. Wer die Beweggründe von Flüchtlingen verstehen will, tut gut daran, sich diesen Film beim Zeise Open Air im Hof des Altonaer Rathauses anzusehen.

Text: Jörg Schöning

 

Orchesterkaraoke

Die Karaokisierung der Hochkultur: Die Jungen Symphoniker Hamburg bitten Mutige und Übermütige auf Kampnagel ans Mikrofon.

Es ist ja immer noch irgendwie trashig. Aber es ist schon ein weiter Weg, den Karaoke zurückgelegt und inzwischen bis an den Rand der Hochkultur geführt hat. Von Geschäftsleuten oder Junggesellen, die im Hinterzimmer einer Thai-Bar Schmonzetten von White Snake oder den Weather Girls schmettern, bis zum Sommerfestival auf Kampnagel. Inzwischen führen sogar Firmen wie Microsoft oder Amazon Powerpoint-Karaoken durch, um ihre Mitarbeiter in Improvisation zu schulen und gleichzeitig zu belustigen. Eingefleischte Fans können sich noch gut an Porno-Karaoke erinnern, ebenfalls auf Kampnagel. Während die Karaokisierung der Alltagskultur weiter voranschreitet, nimmt der Einfallsreichtum und der Aufwand, der dafür betrieben wird, rasant zu. Zum Abschluss des Sommerfestivals wird jetzt noch einmal richtig aufgefahren: Die Jungen Symphoniker Hamburg liefern die musikalische Rohmasse, von Leonard Cohen bis Madonna oder Daft Punk, und jeder mutige, übermütige oder schamlos betrunkene Besucher kann am Mikrofon alles geben. Definitv ein würdiger Abschluss für ein großes Kampnagelfestival!

Einen kleinen Vorgeschmack liefert das Video.

Text: Nik Antoniadis

 

MS Dockville

Schluss mit lustig: Zum krönenden Abschluss der wochenlangen Elbinsel-Sause wird in Wilhelmsburg noch mal so richtig Gas gegeben.

Seit Wochen pilgern wir nach Wilhelmsburg: Sonnenfeste, Vogelball, Butterland, zum krönenden Abschluss MS Dockville. Und jetzt geht auch das zu Ende. Es wäre nicht ganz richtig zu behaupten, das Schönste komme immer zum Schluss. Aber dieser letzte Festival-Sonntag in Wilhelmsburg hält ein sehr amtliches Line-up bereit, angefangen mit den Dockville Acoustic Sessions, bei denen ab 13 Uhr unter anderem Dan Deacon, Der Bürgermeister der Nacht und José González ins Dockville-Nest kommen. Wer zu dieser Zeit lieber noch irgendwo anders seinen Milchkaffee schlürft, kann González trotzdem noch live sehen: Ab 21 Uhr tritt er noch einmal im Dockville-Großschot auf – im Anschluss an die Orsons, die sich nicht zu Unrecht als „die fetteren Brote und fantastischeren Vier“ angemeldet haben. Also, am besten verbringt ihr den ganzen Tag auf der Elbinsel, vor allem weil Martha Hari, The Alphabet Pony & Johannes D. Täufer, die Residents von Mis-Shapes, als letzter Festivalact dafür sorgen, dass niemand die Füße stillhält, bis Montagmorgen die Sonne aufgeht.

Text: Nik Antoniadis

 

„Frühschicht“

Elektronisches Frühstück: Im Juice Club ist jeden Sonntag ab 8 Uhr morgens das DJ-Pult besetzt, die Bar frisch aufgefüllt und die Sofaecke entstaubt.

Was tun, wenn der letzte Club dichtmacht, aber man ist noch gar nicht müde? Oder wenn die Nachbarn nicht begreifen, dass man einfach mal Lust hat, sich mittags auf die Couch zu lümmeln und mal so richtig laut Techno zu hören? Zum Glück gibt es den Juice Club. Der kleine Saftladen an der Stresemannstraße lädt jeden Sonntag ab 8 Uhr (richtig, nicht 20 Uhr!) zur „Frühschicht“. Am DJ-Pult gilt ein eisernes Gesetz: nur Electro und nur brettlaut. Wer es dabei trotzdem gerne ein bisschen kuschelig hat, kann es sich in einer der vielen Nischen auf Sofas oder Sesseln bequem machen. Wir wollen ehrlich sein: Es ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Aber hey, man kann seinen Sonntagmorgen natürlich auch im Goldenen Handschuh verbringen. Aber die Musik ist da wesentlich schlechter.

Text: Nik Antoniadis

 

Gängeviertel Geburtstag

Das Gängeviertel wird sechs – oder zumindest seine Besetzung. Und auch wenn die Zukunft unklar ist, soll der Ehrentag gefeiert werden.

„Arm, aber sexy“ – den Spruch hat zwar Berlin auf ewig gepachtet, aber im Hamburger Gängeviertel herrschen ähnliche Zustände wie in der Hauptstadt. Seit Februar gibt es einen Planungsstopp zwischen den Vertretern des Gängeviertels und den zuständigen Behörden der Stadt. Vereinbarte Ziele seien verfehlt worden, weder Lösungen zur Genossenschaftsanbindung noch zum Betrieb der Fabrique sowie zu Finanzierungs- und Sanierungsverfahren gefunden. „Unschöne und vor allem ungewisse Zeiten, die uns arm machen, arm an Geld, aber superreich an Ideen, Zusammenhalt, Solidarität, Liebe und politischem Willen“, erklärt die Initiative. Und umso unsicherer die Zeiten, desto wilder muss gefeiert werden: Zum sechsten Geburtstag lockt das Gängeviertel, das am 22. August 2009 mit einem „Hoffest“ besetzt wurde, in den Valentinskamp. Im Rahmen der Geburtstagssause vom 20. bis zum 23. August wird es Ausstellungen wie Arm aber sechs, ey mit Künstlern aus dem Gängeviertel geben, außerdem natürlich Musik, zum Beispiel von Mark Boombastik, geben. Also, „komm in die Gänge“ – auch so ein Spruch. Der gehört aber definitiv zu Hamburg.

Text: Julia Braune