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„Leftovers“

Mikro-Favela zwischen Einwegflaschen und illegaler Wohnzimmerentsorgung: Britta Lembke stellt in der Galerie M6 im Karoviertel aus.

Während auf Kampnagel das diesjährige Sommerfestival mit atemberaubenden künstlerischen Statements und stattlichen Preisen protzt und klotzt, lohnt es sich, den Blick ein Momentchen auf ein kleineres, unbekanntes, ja beinahe geheimnisvolles Kunstereignis zu lenken: puzzelink_evidenz 18. Der Name ist Programm, denn Näheres über dieses einmonatige Ausstellungsevent zu erfahren, ist mühsame Kleinstarbeit. Ein Anrufbeantworter, ein Online-Stadtplan, eine kryptische Einführung ins diesjährige Leitmotiv Höhlen-Löcher-Röhren: „Diogenes, Ghaddafi und Saddam Hussein machten es uns vor: Wenn wir nur wollten, könnten wir auf epikureerhaft-duldsame Weise in engen Behausungen über kurz oder lang existieren.“ Stirnrunzeln. „Wie sehen sie aus, unsere zukünftigen mietenbespiegelten Wohnungen?!? Und wie sollten sie aussehen? Zeigt her eure Kerker (Piranesi für Daheim), eure mit Fassmalerei verhübschten Weinfässer, eure verschimmelten Wohnhöhlen, eure baufälligen Bauwagen!!!“ Mhm. Aha. Zum Schluss geben uns die Veranstalter freundlich mit auf den Weg: „Gut Holz!“ Gut Holz! sagen auch wir und empfehlen einen Blick in die Galerie Konterkaro M6, wo Britta Lembke ausstellt: Unter dem Titel Leftovers präsentiert sie Objekte aus Müll, die Ähnlichkeit mit behelfsweise bewohnbaren Höhlen oder Nistplätzen aufweisen, eine Art Mikro-Favela „neben dem Gleis, zwischen Einwegflaschen und illegaler Wohnzimmerentsorgung“.

Text: Nik Antoniadis

 

Uone & Julez Cordoba

Einzigartiger Audio-Eargasm: Australiens Tech-Export und sein Hamburger Support versprechen im Baalsaal eine lange schweißtreibende Nacht.

Seine musikalischen Fingerabdrücke tragen auf den Steckbriefen der internationalen Club- und Festivalszene den Vermerk „deep, chunky and twisted tech house„. Uone, der seit Beginn der 2000er von Down Under aus den halben Globus bespielt hat, versteht sich selbst nicht als DJ, sondern als Künstler. Wenn er das Mischpult anschaltet, gibt es kein ordinäres DJ Set, sondern eine Performance, einen einzigartigen Audio-Eargasm. Sagt er. Seine Fans geben ihm recht, und hierzulande hat er nicht wenige davon, spätestens seit er in Berlin sein europäisches Base Camp einrichtete und mit Dirty Doerings Katermukke kooperiert. Im Baalsaal wird er unterstützt von Hamburgs Eigengewächs Julez Cordoba.

Text: Nik Antoniadis

 

„Himmelverbot“

Der Hamburger Regisseur Andrei Schwartz stellt seinen neuen Film über einen geständigen Mörder aus Rumänien persönlich im Abaton vor.

Nach seinem rumänischen Müllhalden-Drama Auf der Kippe vor 17 Jahren ist Andrei Schwartz, Hamburgs unerschrockener Beobachter des europäischen Ostens, erneut ins transsilvanische Dickicht aufgebrochen. Noch einmal kommt er dabei auf sein Knastporträt Jailbirds (2005) zurück, in dem er einen der Protagonisten, den er damals im Hochsicherheitsgefängnis Rahova kennen und schätzen gelernt hat, auf dem mühevollen Weg in die Freiheit begleitet. Gabriel ist beileibe kein Unschuldsengel, das hatte Andrei Schwartz von dem geständigen Mörder auch gar nicht erwartet. Doch in den zwei Jahren seiner Bewährungszeit, während denen der Regisseur ihm immer dicht auf den Fersen bleibt, erfährt er schließlich Ungeheuerliches. Denn mehr und mehr beschleichen ihn Zweifel an Gabriels Missetat, sodass er schließlich Einsicht in dessen Strafakte beantragt. Mit kleinen Gaunern und schlitzohrigen Strauchdieben kennt sich „Don Andrei“, wie man den Filmemacher zwischen Balkan und Karpaten ehrfurchtsvoll nennt, bestens aus. Auch Himmelverbot ist von jenem Respekt getragen, den er den Außenseitern der Ellenbogengesellschaft stets entgegenbringt. Doch diesmal wird seine Toleranz auf eine echte Probe gestellt.

Zur Premiere im Abaton wird der Regisseur Andrei Schwartz anwesend sein.

Text: Jörg Schöning

 

„River of Fundament“

Genitalspektakel mit Pontiacs und Hochöfen: Matthew Barneys sechsstündiges Kunst-Kino-Epos „River of Fundament“ ist auf Kampnagel zu sehen.

Ein Uhr nachts wird es sein, wenn man nach sechs Stunden vom Kampnagel-Gelände schwankt, den Kopf voller Bilder des Künstlers Matthew Barney, der nach dem Cremaster-Zyklus und Drawing Restraint 9 mit Ex-Freundin Björk mit River of Fundament eines der teuersten und aufwendigsten Spektakel der Kunstgeschichte drehte. Irgendwie geht es um den Roman Ancient Evenings von Norman Mailer, um den Untergang Detroits, eine misslungene Wiedergeburt; und dekoriert ist das mit ziemlich viel Kot und reichlich Sex, mit einem Who’s who, das von den Schauspielern Maggie Gyllenhaal und Paul Giamatti über Schriftsteller Jeffrey Eugenides bis zu Matthew Barney selbst reicht. Ein weiterer Star ist – wie in allen Filmen des Amerikaners – das unglaubliche Set-Design, das aus goldglühendem Stahl, lodernden Hochöfen, gigantischen Staudämmen, klassischen Pontiacs und Industrieruinen besteht. Zur New Yorker Weltpremiere erschien, begleitet von ziemlichem Presse-Tamtam, auch Kanye West. Ob er bis zum Schluss durchgehalten hat?

Text: Sabine Danek

 

Bernhard Eder

Verschiedene Aspekte desselben Kummers: Der österreichische Singer-Songwriter kommt mit seinem aktuellen Album „Nonesleeper“ in die Hasenschaukel.

Es geht ihm so mittelprächtig: Nicht wirklich gut, aber auch nicht mehr so mies wie gestern. Er kann trotzdem nicht schlafen, sitzt auf dem Bett seines Motels und spielt selbstvergessen, ganz leise, auf seiner Gitarre, während er mit schweren Lidern aus dem Fenster schaut. Ganz sicher regnet es. Ungefähr in dieser Gefühlslage muss Bernhard Eder die Songs für sein letztes Album Nonesleeper geschrieben haben, das er im März vorlegte. Auf dem Weg ins Motel hat er viel Elliott Smith gehört, allerdings fehlt ihm dessen Wut, die Verzweiflung, die Bitterkeit. Eders Schmerz ist verhältnismäßig facettenarm: Liebesschmerz, Abschiedsschmerz, Trennungsschmerz, irgendwie auch der Schmerz des Neuanfangs, manchmal Weltschmerz. Es sind verschiedene Aspekte desselben Kummers, gegossen in Songs, die sich zwischen Kitsch, Pathos und Poesie nicht entscheiden wollen. Wenn der österreichische Singer-Songwriter nun zum Auftakt seiner Deutschlandtour in die Hasenschaukel kommt, wird er sicherlich kein Feuerwerk abschießen, aber wer hier nicht mindestens einen wunderbar melancholischen Moment erlebt, ist ein gefühlsarmer, unromantischer Schmock.

Text: Nik Antoniadis

 

Popcorn Party

Dass Komet-Chef Baster Rübsam seine Finger im Spiel hat, merkt man immer dann, wenn es rare ist, auf Vinyl und groovt wie Sau.

Es gibt wohl kaum einen Hamburger Nachtschwärmer, der nicht irgendwann schon mal im Komet seinen Schweiß vergossen hat: Am Kicker, beim Tanzen, bei einer Porno-Lesung im Keller; es gibt Tage, da kommt man schon ins Schwitzen, wenn man einfach nur am Tresen sitzt. Am schönsten schwitzen lässt sich aber, wenn der Chef selbst hinters Pult tritt. Dass Baster Rübsam seine Finger im Spiel hat, merkt man immer dann, wenn es rare ist, auf Vinyl und groovt wie Sau. Keiner gräbt tiefer in den Katalogen und Katakomben vergessener RnB-Labels, niemand kennt seltenere Tunes. Er ist der unerreichte King of Popcorn. Also, vormerken: Popcorn Party im Komet! Vergesst den nächsten Morgen, ein Bier geht immer. Außerdem heißt es ja nicht umsonst: Der Mittwoch ist der kleine Freitag.

Text: Nik Antoniadis

 

„Im Labyrinth des Schweigens“

Während des Wirtschaftswunders wollte man nach vorne schauen, nicht zurück: Das Metropolis greift ein filmisch lange unberührtes Thema auf.

Anfang 1959 schickte der Journalist Thomas Gnielka dem hessischen Generalstaatsanwalt sieben Briefe mit brisanten Unterlagen. Es handelte sich um Listen von Hinrichtungen in Auschwitz, unterzeichnet vom Lagerkommandanten Höß. Ihren Weg zu Gnielka hatten sie über einen Überlebenden gefunden, der sie im SS-Gericht von Breslau vor den Flammen gerettet hatte. Damit nahm eines der spektakulärsten Gerichtsverfahren der Nachkriegsgeschichte seinen Lauf, der Frankfurter Auschwitz-Prozess. Basierend auf diesen Ereignissen, erzählt der Film Im Labyrinth des Schweigens die Geschichte des Verfahrens als historischen Kriminalfall, geleitet von dem fiktiven Staatsanwalt Radmann, der zunächst aus persönlichem Ehrgeiz und dann aus echter rechtsstaatlicher Überzeugung den Kampf gegen das Vergessen aufnimmt. Ein zäher Kampf, wie sich bald zeigt, denn die Deutschen sind in dieser Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders nicht gewillt, auf die hässliche Vergangenheit zurückzublicken. Das wirklich Spannende an dem Film, den das Metropolis jetzt zeigt, ist aber weniger die beharrliche Aufarbeitung des Falles durch den Staatsanwalt, sondern die Erinnerung daran, dass es eine Zeit gab, in der Auschwitz und der Holocaust keinen Platz im historischen Selbstverständnis der Deutschen hatten. Eine Zeit, in der die zahlreichen kleinen und großen Täter vollkommen unbehelligt mitten in Deutschland lebten und arbeiteten, als sei nichts geschehen – und das noch zwanzig Jahre nach dem Krieg.

Text: Nik Antoniadis

 

James & Black

Ein Filetstück New Orleans Soul mit clubbigem RnB und einer Messerspitze HipHop: Das texanische Groove-Trio serviert Guerilla Soul auf der Hedi.

Guerrilla Soul nennt sich das Rezept, dass Bruce James und Bella Black in ihrer texanischen Soundküche zusammengemischt haben: Ein scharf angebratenes, innen noch rosiges Filetstück New Orleans Soul à la Dr. John, gezogen in einer raffinierten Marinade, in der sich clubbiger RnB an orgellastigen ZZ Top-Coverversionen reibt; dazu eine Messerspitze HipHop und das Ganze serviert auf funky Beats von DJ Phil Ross. Unter dem Kürzel James & Black haben die drei im Mai 2015 ihr Debütalbum How Long Is Now herausgebracht, anschließend die Koffer gepackt und sich auf den Weg gemacht, um die frohe Botschaft zu verbreiten. Tatsächlich ist James musikalisch schon ein ganzes Weilchen auf dem Weg, hat sich die Bühne schon mit Dr. John, Jimmy Smith und Leon Russell geteilt und bereits drei Soloalben veröffentlicht. An der Elbe gehören James & Black noch nicht zum Allgemeinwissen, aber wer sie an Bord von Frau Hedi erlebt, wird hinterher wissen: Von denen werden wir noch hören!

Text: Nik Antoniadis

 

„Jesus Christ Superstar“

Eine zweitausendjährige Geschichte in einer Show: Andrew Lloyd Webbers berühmtes Rockmusical in einer neuen Inszenierung an der Staatsoper.

Am Ende hängt Jesus am Kreuz und stirbt. Und dieses Sterben ist kein stilisiertes, für die Bühne geschöntes Dahinscheiden, sondern ein qualvoller, lauter Tod! Das ist so untypisch für das Genre Musical wie die Musik untypisch für den Komponisten Andrew Lloyd Webber ist: Mit Jesus Christ Superstar schrieb der bekannte Brite seine erste und einzige Rockoper. Die beschränkt sich in der Story auf die letzten sieben Tage im Leben des Messias, hier erzählt aus der Sicht von Judas. Damit bekommt dessen Konflikt zwischen Loyalität und Verrat eine zusätzliche Dimension, aber auch die Liebe zwischen Jesus und Maria Magdalena erscheint in einem anderen Licht. Eine zweitausendjährige Geschichte in einer Show, die vor über 40 Jahren uraufgeführt wurde, mit einem zeitlosen Stoff in einer vollkommen neuen Inszenierung in der Hamburgischen Staatsoper. Geblieben sind die Songs mit Ohrwurm-Qualität wie I don’t know how to love him.

Text: Dagmar Ellen Fischer

 

Phillip Toledano

Im Haus der Photographie ist eine Werkschau der Arbeiten des britischen Fotografen zu sehen – mit nie gezeigten Aufnahmen und sechs Filmen.

Phillip Toledano ist Fotograf und zudem gut aussehend, nett und intelligent, humorvoll und erfolgreich. Bevorzugt aber widmet er sich Alter, Tod, Verlust, Ängsten und Verdrängtem und macht dabei oft sein eigenes Leben und das seiner Familie publik. Seine erste selbstständige Arbeit war noch ein Ausflug in eine fremde Welt. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase zwischen 2001 und 2003 hatte er die Büros bankrotter Firmen in New York City entdeckt und die leeren Räume mit seiner Kamera in einen sensiblen Abgesang auf alle, die dort ihre Arbeit verloren haben, verwandelt. 2006 begann er, seinen dementen Vater zu betreuen und die innige Beziehung zu dem alten, immer schwächer und verwirrter werdenden Mann bis zu dessen Tod in zärtlichen, traurigen, aber immer einfühlsamen Bildern festzuhalten. Außerdem verarbeitete er den Tod seiner Schwester bei einem Brand im Projekt When I was Six und erarbeitete mit Maskenspezialisten Porträts seines zukünftigen Selbst: der eisig lächelnde Beau im Smoking, der feiste Jedermann oder der einsame Alte im Rollstuhl mit gelangweilter Nurse neben sich. Die Werkschau in den Deichtorhallen gibt einen perfekten Einblick in Toledanos Werk.

Besondere Einblicke in die Phillip-Toledano-Schau gibt Kuratorin Sabine Schnakenberg am 12.8. um 18 Uhr.

Text: Karin Schulze