„Wenn wir mehr Steuereinnahmen haben als erwartet, dann bin ich dafür, dass wir die Kürzung der Steuergelder für die Krankenversicherung zurücknehmen.“ Wer das gesagt hat? Andrea Nahles, Oskar Lafontaine, Peter Bofinger? Weit gefehlt. Das war Angela Merkel gestern Abend. Bravo! Das ist seit langem endlich wieder mal etwas Konstruktives, Frau Bundeskanzlerin. Anstatt die Steuermehreinnahmen destruktiv für den Schuldenabbau zu verwenden, oder schlimmer noch in neue Panzer zu stecken, will die Bundeskanzlerin die Binnennachfrage stärken. Das klingt nach pragmatischer Wirtschaftspolitik. Das macht mich noch optimistischer für das Wachstum 2007. Aber, Frau Merkel, da geht noch mehr.
Warum ist diese Pragmatik vernünftig? Weil sie am derzeitigen Hauptproblem der deutschen Wirtschaft ansetzt: Bei der Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger. Trotz boomender Exporte, historisch hoher Unternehmensgewinne und 600.000 neuen Jobs binnen Jahrsfrist, lahmt der Konsum. Warum? Weil die Löhne nicht angemessen steigen. Wahrscheinlich werden sie dieses Jahr um lediglich 1,7 Prozent steigen. Das ist weniger als die Inflation und bedeutet ein weiteres Jahr geringere Nettoeinkommen in Deutschland. Kein Wunder, dass der Konsum nicht aus den Puschen kommt.
Wenn nächstes Jahr neben der brutalen Mehrwertsteuererhöhung auch noch die Sozialabgaben steigen, dann ist der Aufschwung in Gefahr, wie ich schon oft argumentiert habe. Wenn aber im Januar netto eine Entlastung eintritt, was ja nichts anderes ist als eine Lohnerhöhung, dann erhöht sich die Chance, dass der Mehrwertsteuerschock absorbiert werden kann. Zumal ich davon ausgehe, dass der Ölpreis bis dahin weitere zehn Dollar Spekulationsprämie abgebaut haben wird.
Aber es geht noch mehr: Noch pragmatischer wäre es, die geplante Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung einseitig den Arbeitnehmern zukommen zu lassen. Damit wäre zum einen der Aufschwung im nächsten Jahr gesichert, ziemlich egal, was der Euro und die amerikanische Wirtschaft bis dahin machen werden. Zum anderen würde der Lohndumpingwettbewerb der Deutschen in Euroland abgemildert. Denn die Unternehmen, die ja durch die Senkung der Lohnnebenkosten auch entlastet werden, brauchen derzeit alles, nur nicht noch höhere Gewinne (siehe raus aus der Ideologiefalle).
PS für alle FAZ-Leser, die seit Jahren wegen der hohen Staatsschulden nicht schlafen können und meinen Vorschlag sicherlich für ganz fürchterlich gefährlich halten: Seien Sie beruhigt. Erstens ist eine gute Fiskalpolitik antizyklisch, das heißt: Der Staat stützt mit Mehrausgaben in einem Abschwung und konsolidiert im Aufschwung. Genau das tut Deutschland dieses Jahr und auch nächstes Jahr. Denn zwei Prozentpunkte der Mehrwertsteuererhöhung gehen ja in die Konsolidierung der Staatsausgaben. Nur darf man es nicht übertreiben. Denn dieses Geld wird dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Dieses Jahr dürfte die Neuverschuldung in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes tendieren, nächstes Jahr in Richtung ein Prozent. Das ist genug. Netto sparen darf der Staat nur im Boom, also bei Wachstumsraten über vier Prozent für Deutschland. Aber auch bei einer Neuverschuldung von einem Prozent und einem Wachstum von zwei Prozent baut sich der Schuldenstand gemessen am BIP ab. Und das ist alles, was man klugerweise verantworten sollte.
Go, Angie, go!