Die Daten der deutschen Kreditstatistik sind alarmierend. Trotz Aufschwung schwächt sich die Kreditnachfrage schon wieder ab. Das spricht nicht gerade für ein reibungsloses Funktionieren des hiesigen Kapitalismus. Ist der Aufschwung, bevor er begonnen hat, schon wieder vorbei? Oder ist die schwache Kreditnachfrage lediglich Ausdruck der enormen Schieflage der deutschen Volkswirtschaft, der zu hohen Gewinne und zu geringen Löhne? Ich tippe auf Letzteres.
Zur Erinnerung: Normalerweise sind es die Kredite mit ihrem Zins, die die Dynamik in den Kapitalismus bringen. Sie sorgen für den Zwang im kapitalistischen System, morgen mehr zu produzieren als heute. Als ich meine berühmte Wachstumswette begründet hatte, war es die damalige Lockerung der Kreditvergabe, die meinen Optimismus stützte. Eigentlich müsste ich nun wieder pessimistisch werden, da heute die Nachfrage schlapp macht. Aber so leicht kippt mein Optimismus nicht.
Zunächst zur Analyse: Es gibt eigentlich nur einen guten Grund, warum die Unternehmen, trotz anziehender Investitionen so wenig Kredit nachfragen. Sie schwimmen in Geld. Sie können die Investitionen aus dem Cash-Flow bezahlen. Warum schwimmen sie in Geld? Na, weil dank der krassen Lohnzurückhaltung in diesem unserem Land, die Gewinne ins Unermessliche gestiegen sind – und weiter steigen. Auch dieses Jahr gehe ich von nochmals fallenden Lohnstückkosten aus, sprich überproportional ansteigenden Unternehmensgewinnen.
Die in der westlichen Welt wohl einmalige Lohnzurückhaltung sorgt gleichzeitig auch dafür, dass die privaten Haushalte, also Sie und ich, den Teufel tun werden, uns zu verschulden. Seit rund zehn Jahren stagnieren die Realeinkommen, in den vergangenen Jahren sind sie sogar gesunken. Schreiben die Menschen diesen Trend fort, ist es selbstmörderisch, Schulden zu machen. Denn die Schuldenlast würde von Jahr zu Jahr erdrückender. Es müsste auf immer mehr verzichtet werden, um Zins und Tilgung leisten zu können. Wer will das schon? Wenn das Morgen schlechter wird als das Heute, deformiert der Kapitalismus.
Deshalb sind kräftige Lohnerhöhungen so unerlässlich. Nur, wenn die Menschen wieder positive Einkommenserwartungen – und zwar real, also die die Inflation übersteigen – haben, werden sie auch wieder Kredite aufnehmen. Erst dann kann das Ende der deutschen Sondersituation ausgerufen werden.
Denn, realwirtschaftlich gesprochen, bedeutet die schwache Kreditnachfrage nicht viel anderes, als dass das Land am Tropf der Exporte hängt. Dorthin strömt unser Geld in Form von Kredit, damit sich das Ausland unsere Güter kaufen kann. Doch was, wenn die Weltwirtschaft mal schwächelt? Dann hat es sich schnell ausgeaufschwungt. Das ist meine Sorge.
Meine Hoffnung: Dieses und nächstes Jahr dreht die Einkommenserwartung. Die Menschen sparen nicht nur weniger (was sie übrigens auch 2006 schon taten), sondern sie greifen wieder mutig zum Kredit, kaufen sich ihr Häuschen. Bis es so weit ist, bricht die Weltwirtschaft nicht zusammen. Dann spricht nicht mehr viel gegen das goldene Jahrzehnt. Denn dann steigen die Immobilienpreise – das erste Mal seit mehr als zehn Jahren, dann setzt der Vermögenseffekt ein und es wird lukrativ so rasch wie möglich den Wunsch nach den eigenen vier Wänden zu realisieren. Dann holt Deutschland das nach, was fast alle reichen Länder in den vergangenen Jahren erlebt haben (mit Ausnahme Japans). Selbst eine schwächelnde Weltwirtschaft braucht uns dann nicht mehr schrecken.
Ceterum censeo: Die Löhne müssen steigen, schnell und ansehnlich.
PS: Einen Dank an meinen Kollegen Norbert Häring vom Handelsblatt, der HERDENTRIEB seine Kreditdaten zur Verfügung gestellt hat. Hier ein Link zu seinem Artikel, der gestern erschienen ist.