Als am Montagabend die Kanzlerin im Fernsehen zu sehen war und auf irgendeiner Meereskonferenz als Hintergrund sprach und Hartmut Mehdorn ihren Respekt bekundete, da sah sie in ihrem rosa Jäckchen wirklich schlecht aus. Als sei sie am Ende ihrer Kräfte. Normalerweise hätte ich instinktiv gedacht oder auch mehr oder weniger mitfühlend gefragt, „wollen Sie sich nicht ein wenig hinlegen?“ Im Fall dieser Kanzlerin geht mir das anders. Ich wünschte mir, dem immer noch feist und gesund dreinblickenden Steinmeier möge es ähnlich gehen wie Merkel.
Der Fall Mehdorn ist tatsächlich unfassbar. Da war praktisch die gesamte Republik vollkommen einig in der Auffassung, dieser Mann hat an der Spitze der staatlichen Eisenbahn nichts zu suchen. Denn er macht alles falsch: Er kauft weltweit Speditionsunternehmen auf und verschwendet damit Steuergelder. Er formt aus einem Unternehmen, das eigentlich den Transport auf der Schiene in Deutschland organisieren soll, einen „Logistikkonzern“, der ganz wie die Post in aller Welt irgendwelche Dinge transportieren und deshalb herausragende Profite machen will. Obwohl das Unternehmen auf die Alimentierung durch die Öffentliche Hand angewiesen ist, tut er alles, um es an die Börse zu bringen. Er zieht gegen die ihm unterstellten Angestellten alle Register, um ihre Arbeitszeit zu verlängern, ihren Lohn zu kürzen und ihre Motivation zu dämpfen. Schließlich bringt er es sogar fertig, die ihm bisher fast hörige Führung zweier zahmer Betriebsgewerkschaften gegen sich aufzubringen. Erst das machte ihn unhaltbar.
Der Fall Mehdorn ist nicht nur krass sondern auch exemplarisch. Warum bekunden Merkel und ihr alberner Verkehrsminister Tiefensee Herrn Mehdorn nach dessen Rücktritt noch Respekt? Und warum hat die Regierung diesen Mann solange im Amt gehalten? – Weil er versucht hat, das Regierungsprogramm auszuführen. Mehdorns Fehler sind selbstverständlich die Fehler der Regierungen seit Helmut Kohl. Die Regierungspolitik der Privatisierung öffentlichen Eigentums, des Abbaus der Infrastruktur zugunsten eines fiktiven Wettbewerbs, sie ist gescheitert. Die Republik atmet auf. Die Kanzlerin sieht schlecht aus.
Natürlich ist das nur eine Atempause, nur ein Moment der kurzen Freude. Ganz wie im Fall der kaputten Banken, der verfehlten Konjunkturpolitik, der gescheiterten Versuche, die Staatsschulden einzudämmen hält diese Regierung auch im Fall der Bahn an ihrer verfehlten Strategie fest. Frau Merkel erholt sich und Steinmeier wird weiter feist lächeln. Immerhin stehen massive Interessen hinter ihrer Position. (Nur mit Blick auf die Wahl im Herbst profilieren sich einige Sozialdemokraten als Skeptiker des Börsengangs.)
Und dennoch kann man am Fall Mehdorn/Bahn erkennen, dass gelegentlich in der Auseinandersetzung mit neoliberaler Regierungspolitik Teilerfolge möglich sind.