Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Warum plötzlich ein Hauch von Vernunft weht

 

Warum bequemt sich Barack Obama ein Jahr nach seinem Amtsantritt, die Macht der Großbanken zu beschneiden? Robert Reich beantwortet die Frage damit, dass Obamas Demokratische Partei Angst vor weiteren Niederlagen hat. Dass im „liberalen“ Massachusetts ein an Schlichtheit nicht zu überbietender Republikaner die Senatsnachwahl gewonnen hat, macht diese Angst erklärlich. Im November sind allgemeine Parlamentswahlen fällig. In Obamas Kalkül, so meint Reich, der unter William Clinton Arbeitsminister war, sei gegen die Wall Street gerichtete Rhetorik die einzige Möglichkeit, um beim Wähler zu punkten.

Da wird Reich wohl recht haben. Auch in Deutschland wäre es populär, wenn dem Treiben der Banker Einhalt geboten würde. Bisher war ja nicht einmal die Rhetorik der Politiker auf beiden Seiten des Atlantik so weit, dass ihre Vorschläge die Kreise der Banker auch nur ein wenig gestört hätten. Ein Anflug von Ärger kam zunächst mit der Boni-Sondersteuer in Britannien (und dann auch Frankreich). Auch hier hat ein an seiner Wiederwahl wohl schon verzweifelnder Gordon Brown eine Maßnahme ergriffen, die den Bankern nicht passt, aber eher lästig als geschäftsschädigend ist.

Die US-Regierung ist nach diesem Beispiel zunächst auf eine andere Art Bankbesteuerung verfallen. Dann kam Obamas kurze Rede vom 21. Januar. Sie ist anders als das wolkige Gerede zuvor. Kurz und knapp soll die von Präsident Roosevelt durchgeführte und Ende der 90er Jahre unter Präsident Clinton aufgehobene Trennung von Kredit- und Handelsbanken wieder eingeführt werden. Banken, die am Geldschöpfungsprozess beteiligt sind, dürfen danach keinen Handel auf dem Finanzmarkt oder gar Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds betreiben. Die größten unter den Banken, also mindestens jene vier (Goldman Sachs, Morgan Stanley, Bank of America, J.P. Morgan Chase), deren Chefs am 13. Januar bei der peinlichen Befragung auf dem Kapitol eine wenig glückliche Figur gemacht hatten, sollen danach zerschlagen werden. Es ist anzunehmen, obwohl Obama es nicht eigens erwähnt hat, dass mächtige Auslandsinstitute wie die Deutsche Bank auch nur in zerlegter Form ihren Geschäften in den USA weitergehen können sollen.

Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein. Viele Kommentatoren rechnen denn auch damit, dass Obamas Reformplan wenn überhaupt, dann stark verwässert und erst mit reichlicher Verspätung Wirklichkeit wird. Mühsam haben wir schließlich die Regeln gelernt, nach welchen die in den USA praktizierte Staatsform der Plutokratie funktioniert. Derjenige Kandidat wird Präsident, der am meisten Geld von Wall Street erhält. Das waren 2008 Barack Obama und die Demokraten. Wird sich die Hochfinanz von „ihrem“ Präsidenten nun nachhaltig fesseln und beeinträchtigen lassen?

Wohl kaum. Warum dann die plötzliche radikale Rede des Präsidenten? Sie war ja erheblich kecker und nicht im Konjunktiv sondern im Indikativ Futur gehalten. Sie als das bei Sozialdemokraten (in den USA den „Demokraten“) übliche „Links blinken – rechts abbiegen“ einzuordnen, scheint dennoch verfehlt. Den Schlüssel könnte Paul Volcker liefern. Der körperlich große alte Mann stand direkt hinter Obama während der Rede. Nach der kurzen Rede umarmten sich die beiden Männer. Volcker gilt vermutlich zu recht als ihr eigentlicher Autor. Volcker war von den Demokraten im Wahlkampf und im ersten Regierungsjahr bisher nur als Werbeaushängeschild missbraucht worden, während die wirtschaftspolitischen Entscheidungen von Lawrence Summers, Timothy Geithner und Ben Bernanke getroffen wurden.

Sonderbarerweise hat Paul Volcker in den USA einen guten Ruf. Er war der Mann, der in der ersten Regierungsperiode Ronald Reagans an der Spitze der Notenbank Fed stand und mit rücksichtslosen Zinserhöhungen die bis dato tiefste Wirtschaftskrise in den USA seit dem zweiten Weltkrieg sowie die Schuldenkrise Lateinamerikas mitverursacht oder billigend in Kauf genommen hatte. Volckers radikale Zinspolitik wird heute von der Mainstream-Ökonomie und -Geschichte als Anstoß für eine notwendige Gesundungskrise interpretiert. Richtig daran ist, dass die zuvor ziemlich hohe Inflationsrate in dieser Krise zurückging. Richtig ist auch, dass die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen auf dem Weltmarkt vorübergehend zunahm. Vergessen wird dabei gern, dass diese Gesundungskrise einseitig auf Kosten der arbeitenden und armen Bevölkerung ging. Die ohnehin schwachen Gewerkschaften wurden noch schwächer. Die in den ersten Dekaden nach dem 2. Weltkrieg egalitärer gewordene Gesellschaft wurde ungleicher. Der Reichtum der Reichen begann schneller zuzunehmen, während die Einkommen der niedrigen Lohngruppen stagnierten und die Armut wieder zunahm. Kurz, Volcker war neben Reagan und Thatcher einer der Geburtshelfer des Neoliberalismus.

Dass Volcker sich jetzt in der US-Regierung durchzusetzen beginnt, könnte auch eine Abkehr in anderer Hinsicht von der bisherigen Wirtschaftspolitik bedeuten. Sie bestand darin, viel Geld des Staates in den Finanzsektor und in den Konsum zu schaufeln in der Hoffnung, dass die damit höheren Preise die Vermögenswerte sowie die Verschuldungsbereitschaft und den Konsum wieder ankurbeln würden. Diese Hoffnung erweist sich als leer. Die Strategie hat ausgedient. Noch bevor die staatliche Stützung der Konjunktur ausläuft, dürfte das kümmerliche Wachstum der Konjunktur abbrechen. Es sind dann die Strategen der Bereinigungskrise, die Volckers gefragt. Sie wissen wenigstens eins: ohne die Macht der Banken anzutasten, geht selbst im überschwänglich patriotischen Land Gottes eine solche Krise auf Kosten der Bevölkerung nicht.

So erfreulich Obamas harter Kurs gegen die Banken zunächst aussieht. Er signalisiert, fürchte ich, Schlimmes. Die Depression rückt in ihre zweite, für die Amerikaner (und uns Europäer) noch härtere Phase.