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Woher kommen die Gewinne der Banken?

 

Ausgangspunkt meiner Fragestellung ist Dieter Wermuths Feststellung, die hohen Bankgewinne seien ein Zeichen für Marktversagen. Er schreibt (Börsen-Zeitung, 14.11.2009): „Wenn in einem Wirtschaftszweig derart gut verdient wird, sollte das aus der Sicht eines Ökonomen eigentlich dazu führen, dass die Gewinne durch den Markteintritt neuer Wettbewerber wegkonkurriert werden und sich dadurch den Standards im Rest des Unternehmenssektors annähern. Dass das nicht geschehen ist, kann nur als Marktversagen interpretiert werden.“

Die anhaltend hohen Gewinne im Finanzsektor stellt Dieter anhand einer Graphik dar, wonach der Anteil des Finanzsektors an den gesamten Unternehmensgewinnen in den USA seit Ende des 2. Weltkriegs von etwa 10 Prozent trendmäßig gestiegen ist und 2002 einen Wert von 40 Prozent erreicht hat. Im ersten Halbjahr 2009 waren es immer noch 28 Prozent. Dieter zitiert für Deutschland das Statistische Bundesamt, wonach die Gewinne der Kreditinstitute 2008 nicht weniger als 18,5 Prozent der Gewinne aller Kapitalgesellschaften ausgemacht haben.

Das sind fast unglaublich hohe Werte. Sie hätten eigentlich die Anhänger der freien Marktwirtschaft und speziell die der neoklassischen Theorie nachdenklich stimmen müssen. Irgendetwas läuft grundfaul, und zwar in richtig großem Stil. Auch die marxistischen Ökonomen müssen über das Phänomen nachdenken. Schließlich spielt der Ausgleich der Profitraten in der Marx’schen Theorie eine hervorragende Rolle. Bei diesen Ausgleich setzt sich nach Marx schließlich das Wertgesetz im Kapitalismus durch.

Wie auch immer, dass sich die Profitraten im Finanzsektor so gar nicht an die übrigen Sektoren nach unten angleichen, ist eine Überlegung wert. Genauer gesagt handelt es sich um zwei verschiedene Probleme: Ist es so, dass der Kapitalfluss in Richtung Finanzsektor (zum Beispiel durch hohe Eintrittsbarrieren) gehindert ist und es deswegen nicht zu höherer Konkurrenz und einer Anpassung der Profite nach unten kommt? Oder fließt tatsächlich viel Kapital in den Finanzsektor, und es bleiben trotzdem – wider die ökonomischen Gesetze – die Profitraten höher als in der übrigen kapitalistischen Wirtschaft? Ich neige zur zweiten Ansicht. Denn dass der Finanzsektor in den letzten 30 Jahren massiv angeschwollen ist, jedenfalls stärker gewachsen ist als die übrige Wirtschaft, die so genannte Realwirtschaft, dürfte nicht bestritten werden.

Die Frage lautet jetzt präziser: Wie kommt es, dass die Gewinne im Finanzsektor hoch bleiben, obwohl das Angebot an Kredit und Finanzdienstleistungen durchaus reichlich vorhanden ist, es also durchaus Konkurrenz gibt?

Die einfache und zunächst etwas grobe Erklärung liefert die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, kurz Stamokap genannt. Sie ist wohl das, was Dieter Wermuth, einer Darstellung Matt Taibbis und vieler anderer folgend die „regulatory capture“ nennt. Das soll heißen, an den entscheidenden Stellen verfügt die Hochfinanz über den Hebel, um die ökonomische Regulierung durch den Staat zu ihren Gunsten ablaufen zu lassen. Die Stamokap-Theorie, ein in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts durchaus populäres, auf Marx und vor allem Lenin fußendes Erklärungsmodell für den Kapitalismus moderner Prägung besagt – etwas vereinfacht – dass massive, ökonomische und systematische Eingriffe des Staates die erhöhte Rendite des monopolistischen (= machtvollen) Kapitals erst gewährleisten oder herstellen. Es findet eine vom Staat organisierte Umverteilung der Gewinne zugunsten der besonders großen und mächtigen Kapitalgruppen statt. Die Vertreter dieser Theorie hatten dabei Firmen wie Siemens und sein Quasi-Liefer-Monopol für die Telefonanlagen der Post oder die hohen Zuwendungen des Staates an die Atomindustrie und Ähnliches im Sinn. Heute wirkt die Rettungsaktion für die deutschen Banken vom Herbst 2008 in Höhe von 480 Mrd. Euro, die von den Bankern und ihrem Verband ausgestaltet wurde, wie die klassische Illustration der Stamokap-Theorie. Nur dass die Staatseingriffe in diesem Fall nicht irgendwelchen Monopolen sondern den Bankmonopolen oder besser Finanzmonopolen zugute kamen (denn die Allianz gehörte ja zu den hauptsächlich Begünstigten).

Aber das könnte ja nur eine Einzelaktion, wenn auch eine besonders drastische und augenfällige Aktion gewesen sein. Die Antwort, der Stamokap-Staat sorge systematisch für eine Aufplusterung der Gewinne der großen und mächtigen Kapitalgruppen, hat sicher allgemeinen Erklärungswert. Aber sie ist zugleich zu allgemein und unsystematisch. Denn hier interessiert ja, was gerade den Finanzsektor dauerhaft und daher systematisch in die Lage versetzt, einen großen Teil der in der Volkswirtschaft anfallenden Gewinne auf sich umzuleiten.

Ich schlage zwei Lösungen für dieses Problem vor. Ich vermute, dass beide Lösungen die außergewöhnlich hohe Profitabilität und das außergewöhnlich hohe Wachstum des Finanzsektor erklären.

Antwort I lautet „Geldschöpfung und Kredit“

Der Verschuldungsgrad einer Volkswirtschaft hängt nicht von der Höhe der Gewinne oder der Profitrate ab. Wenn überhaupt ist er Reflex von Erwartungen der Wirtschaftssubjekte. Mit Verschuldung ist die Bruttoverschuldung der Agenten der Volkswirtschaft gegeneinander gemeint, nicht die Nettoverschuldung gegenüber dem Ausland. Der Verschuldungsgrad misst also die Höhe der (Geld-)Ansprüche, die die Subjekte gegeneinander haben, bezogen auf die realen Werte in dieser Ökonomie, was man wohl am besten den Kapitalstock in der breitest möglichen Definition nennt. Der Verschuldungsgrad einer Gesellschaft ist hoch, wenn die Konsumenten einerseits hoch mit Ratenkrediten und Hypotheken verschuldet sind, andererseits aber viele Lebensversicherungen, Aktien, Fonds und sonstigen Krimskrams besitzen. Er ist dann hoch, wenn die Rentenversicherung nicht umlagefinanziert sondern kapitalgedeckt ist. Er ist dann hoch, wenn die Eigenkapitalquote der Unternehmen niedrig ist und sie mit viel Fremdkapital die Rendite auf ihr Eigenkapital erhöhen. Er ist dann hoch, wenn es viele schuldenfinanzierte Unternehmensübernahmen gibt. Und er ist schließlich dann hoch, wenn der Staat hohe Schulden hat.

Es gibt viele Gründe, weshalb die Kapitalisten den Verschuldungsgrad möglichst steigern wollen. Der wichtigste scheint mir die wunderbare Hebelwirkung der Verschuldung zu sein. Was gegen einen hohen Fremdkapitalanteil spricht, ist das höhere Risiko, Pleite zu gehen, wenn der Absatz stockt. Rechnen Unternehmen und Bürger mit einer stetigen, wenig volatilen Entwicklung oder, wie Ben Bernanke sagen würde, mit einer „great moderation„, werden sie ihre Verschuldung tendenziell erhöhen. Eine andere Schranke für einen steigenden Verschuldungsgrad stellt die Zinshöhe dar. Würde der Zins, wie die Marktgläubigen annehmen, mit dem höheren Verschuldungsgrad, also der höheren Kreditnachfrage steigen, würde die Kreditaufnahme im selben Maße unattraktiv.

Tatsächlich steigt der Zins keineswegs mit der höheren Kreditnachfrage. Der Grund dafür ist, dass das Kreditangebot mit steigender Nachfrage nach Kredit mühelos mitwächst. Ein nicht lädiertes Bankensystem zaubert Kredit in jeder Größenordnung hervor, sofern nur das zu finanzierende Projekt mit einiger Sicherheit genügend Ertrag verspricht. Die Zentralbank wiederum kennt keine Schranken bei der Kreditvergabe, sofern die Banken Sicherheiten hinterlegen können. Nach herrschender Lehre und Praxis steuert die Zentralbank die Kreditvergabe (sowie Konjunktur und Preise) über den Zins. Wird er (künstlich) angehoben, macht das die höhere Verschuldung künstlich unattraktiv. Nach ebenfalls herrschender Praxis erhöht die Zentralbank den Leitzins aber keinesfalls, um die Kreditvergabe, die Verschuldung zu begrenzen, sondern nur, wenn sie Inflation vermutet und sie bekämpfen will. Wie die letzten 15 Jahre gezeigt haben, müssen steigende Verschuldung und höhere Kreditvergabe keineswegs immer und überall zu inflationären Tendenzen führen.

Ein höherer Verschuldungsgrad der Volkswirtschaft führt dazu, dass ein höherer Anteil der Profite in Richtung Banken, oder generell in Richtung Finanzsektor fließt. Das ist nicht anders als bei einem Einzelunternehmen. Das eingesetzte Fremdkapital muss bedient werden. Je höher sein Anteil am eingesetzten Gesamtkapital, desto höher ceteris paribus der Anteil, der vom ‚Gewinn vor Zinsen‘ an die Bank abgedrückt wird. An sich ist das kein sehr überraschendes Ergebnis. Denn es wirkt ja von vornherein plausibel, dass mit dem steigenden Anteil des Finanzsektors in einer Volkswirtschaft auch sein Anteil am gesamten Unternehmensprofit zunimmt.

Weil der Kapitalmarkt keine Begrenzung der Verschuldung bzw. der Kreditvergabe autonom hervorbringt, haben kapitalistische Gesellschaften in der Regel politische Maßnahmen ergriffen, um diese Grenzen zu schaffen. Die Zentralbank wurde in den meisten Ländern verstaatlicht, in vielen Ländern wurden auch die Geschäftsbanken unter staatlicher Regie gehalten. Den Banken wurden Mindestreserven verordnet, sie wurden wie auch die Versicherungen einer relativ strengen Aufsicht und einer eigenen Bankengesetzgebung unterzogen. Schließlich wurde das Volumen der Kreditvergabe an die Menge des von der Bank aufgebrachten Eigenkapitals geknüpft. Letzteres wurde mit der Basler Übereinkunft sogar zum Standard im Weltkapitalismus.

Antwort II lautet „Geldschöpfung und Spekulationsgewinn“

Der Spekulationsgewinn wird vornehmer auch Vermögenspreiseffekt genannt. Mit diesem Effekt verfügt der Finanzsektor über ein geradezu magisches Mittel, Reichtum zu erzeugen, der nicht aus der Arbeit stammt, sondern buchstäblich aus dem Nichts entspringt. Der Grundmechanismus ist allen bekannt. Er findet am augenfälligsten am Aktienmarkt der Börse statt. In Hausse-Phasen, wenn die Preise für Wertpapiere steigen, profitieren alle, die sich an einem solchen Wertpapiermarkt beteiligen. Es kommt bei diesem Effekt nicht darauf an, dass die Vermögenswerte oder die Unternehmen, auf die sich die Wertpapiere beziehen, wertvoller werden. Der Markt vollzieht durchaus unabhängig davon kurze oder auch lange Aufwärtsphasen. Die längste Hausse des internationalen Aktienmarktes zu meinen Lebzeiten dauerte vom August 1982 bis zum März 2000, also volle 18 Jahre.

Die beteiligten Spekulanten gewinnen in einer Haussephase nicht auf Kosten der anderen Spekulanten sondern sie werden allesamt reicher. Jedem gelingt es, teurer zu verkaufen, als er gekauft hat. Die Differenz zwischen relativ billigem Einkaufspreis und relativ teurem Verkaufspreis streicht der Spekulant ein. Der andere Spekulant, der von ihm relativ teuer eingekauft hat, verkauft das Papier ein Weilchen später noch teurer und streicht ebenfalls die Differenz ein. Das ist das Schöne an steigenden Vermögenspreisen. Sie tun niemandem weh, alle profitieren. Steigende Preise bei anderen Waren sind normalerweise überhaupt nicht populär. Diese Preissteigerung aber ist es. Tatsächlich ist der Reichtum der Spekulanten nur fiktiv. Denn die reale Welt hat sich nicht verändert. Wenn die Börsentendenz kippt und die Kurse purzeln, verschwindet der fiktive Reichtum meist schneller, als er entstanden war. Finanzjournalisten schreiben dann – ausnahmsweise einmal treffend – soundsoviele Mrd. Dollar oder Euro seien in diesem oder jenen Crash „vernichtet“ oder „verbrannt“ worden. In der Tat, was vorher – fiktiv – da war, ist nun tatsächlich weg.

Ist dies schon ein Wunder, so ist es noch wundersamer, dass der fiktive Reichtum aus der Spekulation realen, wirklichen Reichtum schafft. Der Grund ist einfach. Die Spekulanten, die in der Aufwärtsphase der Börse mehr Geld in der Tasche haben, stecken nicht alle Erlöse wieder in die Spekulation. Sie kaufen auch mehr Güter, mehr Brötchen, mehr Porsches und gelegentlich auch mehr Fabriken. Die Folge ist: die Produktion von Brötchen und Porsches wird angeregt. Es werden mehr davon produziert. Die Fabriken erhöhen ihrerseits die Produktion von nützlichen und weniger nützlichen Dingen. Jedenfalls aber bewirkt der fiktive Reichtum der Spekulanten, dass die Gesellschaft, in der das stattfindet, real mehr Reichtum produziert und konsumiert. Die Gesellschaft wird durch fiktiven Reichtum real reicher. Leider gilt auch hier das Umgekehrte. Brechen Spekulation und Vermögenspreise zusammen, sackt auch die Nachfrage nach Brötchen, Porsches und Fabriken wieder in sich zusammen. Der verschwindende fiktive Reichtum löst eine reale Rezession aus.

Die Volkswirtschaftslehre spricht in anderem Zusammenhang von Geldillusion, wenn steigende Preise – vorübergehend – die Nachfrage stimulieren. In der Tat beruht das satte Plus des Vermögenspreiseffekts auf Geldillusion. In der Haussephase der Spekulationsmärkte wächst die Geldmenge. Sie kann nur wachsen, wenn die Geldschöpfung der Banken und der Zentralbank die höheren Vermögenspreise elastisch akkomodiert bzw. die Geldillusion nährt.

Die Regierungen der meisten kapitalistischen Staaten und ihre Notenbanken haben den anregenden Effekt der Spekulation mit Vermögenswerten zielbewusst gefördert. Unter Bill Clinton, seinem Finanzminister Robert Rubin und Fed-Chairman Alan Greenspan erhielt dieses Ziel unter der Überschrift vom „starken Dollar“ auch ideologische Weihen. Tatsächlich beruhte die von Ronald Reagan und seinem Fed-Chairman Paul Volcker betriebene Politik des starken Dollar in den frühen 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf demselben Gedanken. Nur wurde das damals von vielen Akademikern als Voodoo-Economics abgetan. Dass diese Politik in den Finanzkrisen ihr jeweils vorläufiges Ende findet, konnten wir in den letzten Jahren sehr deutlich beobachten.

Die Spekulationsgewinne aus dem Nichts kommen zwar indirekt der Volkswirtschaft insgesamt zugute. Zunächst aber treten sie vorwiegend im Finanzsektor selber auf. Dabei ist es fast egal, ob die spekulativen Preissteigerungen am Immobilien-, Aktien-, Rohstoff- oder Bondmarkt stattfinden. In allen Fällen profitiert der Finanzsektor in erster Linie. Dort treten die Spekulationsgewinne zunächst auf. Steigende Vermögenspreise regen die Kreditvergabe an. Sie sind nachhaltig ohne Kreditausweitung nicht möglich. Auf diese Weise wirken Spekulationseffekt und Kreditausweitung sich ergänzend und gegenseitig fördernd zusammen, um den Finanzsektor groß und bei aller Größe dennoch sehr profitabel zu machen.