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Das Haar in der Suppe

 

Es ist unglaublich, welch Jubelarien inzwischen über die deutsche Wirtschaft gesungen werden. Dagegen ist das Blog HERDENTRIEB, das sich immer gegen die Miesmacher der deutschen Wirtschaft ausgesprochen hat, fast ein Waisenkind. Aufschwung, Wachstum, Jobs und sprudelnde Steuereinnahmen entfalten bei denselben Ökonomen und Meinungsmachern, die noch vor eineinhalb Jahren dem Land gar nichts mehr zugetraut haben, eine geradezu euphorisierende Wirkungen. Drei Millionen Arbeitslose werden nun munter für 2009 prognostiziert, ein ausgeglichener Staatshaushalt für dasselbe Jahr in Aussicht gestellt.

Aufgrund welcher Modelle und mit welchen Mitteln der Analyse kommen die Neo-Optimisten denn auf ihre Prognosen? Ich verstehe das nicht. Warum waren sich alle im Herbst 2005 so sicher, dass das Land dem Untergang geweiht sei, wenn nicht endlich harte Strukturreformen ergriffen würden, vor allem am Arbeitsmarkt. Und warum sind die Neo-Optimisten heute der Meinung, die deutsche Wirtschaft werde bis 2009 brummen, obwohl die Große Koalition, den Wählerwillen ernst genommen und von weiteren Angebotsreformen abgesehen hat?

Die einziger Erklärung, die ich habe: Unsere tonangebenden Ökonomen sind klassische Herdentiere. Sie schreiben den Trend einfach fort. Weil sie die Dynamik des Kapitalismus nicht verstehen, quasseln sie über das, was sie können, Mikroökonomie nämlich.

Die Neo-Optimisten haben damals die Lage falsch analysiert und tun es heute wohl wieder, weil sie über die wahren Probleme hinweg sehen. Hier ein Chart, der jeden Volkswirten zum Nachdenken bringen müsste.

Einzelhandelsumsätze - Lebensmittel - Kfz

Mehr dazu später, erstmal ein bisschen jüngste deutsche Wirtschaftsgeschichte.

Meine bescheidene Analyse hatte damals, im Jahr 2002 und 2003, als alle Welt vom „Abstieg des Superstars“ sang und der These der „Basarökonomie“ frönte, vier Hauptursachen für das schwache Wachstum in den Jahren nach dem Börsencrash ausgemacht:

1. Der falsche Wechselkurs beim Eintritt in den Euro. Deutschland hatte nach der Wiedervereinigung an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die D-Mark hätte vor der Verschmelzung auf den Euro, im Mai 1998 eigentlich rund zehn Prozent abgewertet werden müssen. Diese Wettbewerbsfähigkeit musste in den Jahren danach mit moderaten Lohnabschlüssen wiederhergestellt werden.

2. Die falsch konzipierte Wiedervereinigung an sich, mit einen geplatzten Blase beim Bau und mit einer Finanzierung, die vor allem die Masseneinkommen belastete (über die Sozialbeiträge).

3. Eine latente Bankenkrise in Deutschland, die zu einer Kreditverknappung geführt hatte.

4. Bilanzrezession bei den großen Unternehmen, die sich im Börsenboom zu stark verschuldet hatten und nun gezwungen waren, Schuldenabbau vor Neuinvestitionen zu stellen.

Den ganzen Angebotssingsang, mit Verkrustung, Inflexibilität, Billigkonkurrenz etc. pp. brauchte ich zur Erklärung der deutschen Wachstumsschwäche nicht.

Damals, also 2003, habe ich nie eine Zeile über Lohnsteigerungen geschrieben. Meine Kritik galt damals dem zu strikten Makrokorsett der Währungsunion. Ich wünschte mir mehr Staatsausgaben, damit die Wirtschaft nicht in die Rezession abglitte, zumal, da die EZB-Zinsen damals aus deutscher Sicht zu hoch waren. Die Fiskalpolitik hätte es retten müssen. Dass wir trotz Hans Eichels Sparorgien dennoch gerettet worden sind, hat vor allem mit der boomenden Weltwirtschaft zu tun, und hier vor allem mit der richtigen Geld- und Fiskalpolitik Amerikas (auch wenn ich das Geld lieber für andere Dinge ausgegeben gesehen hätte, als für Waffen).

Mitte 2005 zeichnete sich ab, dass die Banken wieder bereitwillig Kredite vergaben und dass die Bilanzen der Unternehmen bereinigt waren. Beim Bau sah es so aus, als könnte die Wende gelingen. Deshalb bin ich optimistisch geworden. Die Wettbewerbsfähigkeit war damals schon wieder hergestellt.

OK, Bau, Investitionen und Export haben Deutschland im vergangenen Jahr das schöne Wachstum beschert. Die Dynamik, ohne die das kapitalistische System nicht funktioniert, ist zurück. Das alles ist ein Grund zum Feiern. Ein Grund zum Jubeln, weil wir trotz grottenschlechter Makro-Politik wieder da sind, wo wir sind. Dennoch gibt es ein Haar in der Suppe, ein Haar, das alle Neo-Optimisten geflissentlich übersehen. Das sind die nach wie vor sinkenden Nettoeinkommen, hier eine gute Grafik bei Jahnke.
Jetzt zur Interpretation des obigen Charts: Die Mehrwertsteuer hat zwar dazu geführt, dass die Deutschen größere Anschaffungen vorgezogen haben, als Proxy dient der Posten Umsatz im KFZ-Einzelhandel. Aber gleichzeitig haben sie bei den Lebensmittel und Getränke nach der Weltmeisterschaft ganz schön gespart. Bei den Verbrauchern ist nach einem Jahrzehnt stagnierender und seit ein paar Jahren fallender Realeinkommen noch nichts vom Aufschwung angekommen. Im Gegenteil, die Löhne verhalten sich noch immer so, als ob wir mitten in einer Rezession steckten. Solange das so bleibt, so lange kann es keinen nachhaltigen Aufschwung geben.

Deutschlands größtes wirtschaftliches Problem ist seit zwei Jahren der Konsum. Der Funke, der vom Export auf die Investitionen übergesprungen ist, hat die Einkommen noch nicht erreicht. Bislang steigt nur der Gewinn. Wenn der Funke dieses Jahr nicht auf die Löhne überspringt, mutiere ich wieder zum Pessimisten. Denn dann droht Deutschland das Schicksal Japans. Der Export brummt, genau wie die Investitionen, doch der Konsum schwächelt. Da aber der Konsum die wichtigste Determinante des Bruttoinlandsproduktes ist, ist ohne einen anziehenden Konsum kein langer Aufschwung möglich. Außerdem betreibt Deutschland mit seinen weiter sinkenden Lohnstückkosten eine klassische Beggar thy neigbour policy. Wir stoßen uns zu Lasten unserer Handelspartner gesund.

Schluss damit, die Löhne müssen endlich steigen. Nur dann kann ich den Optimismus der Neos teilen!