Die gegenwärtige Krise des Finanzkapitalismus ist die schwerste seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das ist keine Übertreibung! Wir stehen erst ganz am Anfang. Und ich wette, dass uns die Krise mindestens noch zwei, drei Jahre beschäftigen wird. Nach meinem fast vierwöchigen Urlaub der erste Versuch ein paar Fragen zu beantworten, die mich umtreiben. Hier die erste: Wer ist schuld an der größten Vertrauenskrise seit 80 Jahren? Größte Vertrauenskrise, weil im Kapitalismus nichts schlimmer ist, als wenn sich die Banken gegenseitig nicht mehr über den Weg trauen. Die triviale Antwort: Die Spekulanten sind schuld. Die Gier immer schneller immer reicher zu werden. Die feige Antwort: Die Notenbanken sind schuld. Sie erst haben mit ihrer laxen Geldpolitik nach dem Platzen der Technologieblase Anfang des Jahrtausends die Kreditpyramiden entstehen lassen. Die richtige Antwort: Die Deregulierung der Finanzmärkte seit dem Ende des Bretton Woods System ist zu weit gegangen.
Warum? Gier gibt es, seit es Menschen gibt. Die Frage ist nur, wie sich eine Gesellschaft gegen übermäßige Gier schützen kann, die am Ende der Gesellschaft schadet? Richtig. Durch Regulierung, nicht durch zu viel Vertrauen in den freien Markt und seine Mechanismen. Denn der unregulierte Markt beschert uns die Probleme, die wir heute beklagen. Der Leverage, die Verschuldung, ist zu hoch, die Renditen der Finanzindustrie und die Gehälter der Banker sind zu hoch, die Gewinne der nicht-finanziellen Firmen sind es auch und das ganze Wirtschaftssystem wird extrem heiß gesteuert. Die Puffer sind verhökert, der kurzfristige Handel mit Unternehmensteilen, Krediten und Forderungen aller Art tritt an die Stelle des langfristig denkenden und handelnden Unternehmers. Doch wehe, wehe, wenn auf einmal die Liquidität weg ist. Gegen alles können sich die smarten Banker absichern, gegen das Kreditrisiko, Zinsrisiko, Währungsrisiko, nur das Liquiditätsrisiko ist nicht versicherbar. Wie auch. Es basiert auf Vertrauen und in letzter Instanz einem offenen Diskontfenster. Fehlt es an Liquidität, klappt das Kartenhaus ganz schnell zusammen. Genau in dieser Phase befinden wir uns gerade.
Die Notenbanken trifft kaum Schuld an der Krise, da sie mit ihren ultra-niedrigen Zinsen vor allem erfolgreich das Deflationsgespenst vertrieben haben. Sie können mit einem Instrument nicht zwei Ziele verfolgen. Entweder sie steuern die Verschuldung (was wegen des Herdentriebes sowieso nur sehr eingeschränkt geht) oder sie versuchen die Realwirtschaft auf einem vernünftigen Wachstumspfad zu halten. Außerdem gab es all die Vehikel mit 36fachem Leverage und mehr bereits Ende der 90er Jahre, als die Notenbankzinsen ansehnlich waren und von Deflation keine Rede. Sicherlich haben Investoren durch die Niedrigzinspolitik der Notenbanken Anfang des Jahrtausends mehr Leverage nachgefragt, um trotzdem ansehnliche Renditen zu erzielen. Aber den Punkt zum Hauptkritikpunkt zu machen, ist schlicht feige.
In der jetzigen Phase weiter auf den deregulierten Markt zu vertrauen, funktioniert leider nicht. Das zeigt die Krise wundervoll. Hätten die Notenbanken nicht sofort Geld zur Verfügung gestellt, wären Banken pleite gegangen und ganz rasch wäre es zum Bank Run gekommen und zu einer ausgewachsenen Wirtschafts- und Finanzkrise. Einmal vom Verlust des Vertrauens getroffen, löscht „der Markt“ sich selber aus. Dann läuft die Spirale rückwärts und übrigbleiben Depression, Hunger und Auflösung der sozialen Ordnung. Sicher wird es in den nächsten Monaten Rettungsaktionen geben müssen, damit die Krise nicht ganz furchtbar wird. Wahrscheinlich müssen die amerikanischen Hypotheken irgendwie von der US-Regierung mit einer Garantie versehen werden, damit der weltweite Kapitalismus weiter funktionieren kann. Und wahrscheinlich muss auch in Deutschland der Staat irgendwo eingreifen, um den Fall-out der zu hohen Verschuldung zu beseitigen.
Ist es nicht klüger von vorneherein eine Regulierung zu schaffen, die übermäßige Verschuldung untersagt? So wie Basel I, das den Banken „nur“ das 12fache Verleihen ihrer Einlagen erlaubt. Aber Basel II geht da schon wieder weiter, unterscheidet zwischen guten und schlechten Schuldnern. Ein Irrweg, wie die schwache Performance der Ratingagenturen zeigt (Die Ratingagenturen haben sich mal wieder so blamiert, dass ihre Macht gebrochen werden muss. Am besten, in dem sich jede Agentur Rate-Agentur nennen darf, die das möchte. Dann gibt es so viele Meinungen wie bei den Aktienanlysten und „der Markt“ hört auf niemanden mehr).
Nichts gegen Hedgefunds, die auch auf fallende Kurse setzen können. Aber bitte onshore und reguliert wie die anderen Fonds sowie mit einer Obergrenze für den Hebel. Nichts gegen Private Equity. Aber Eigenkapitalräuber braucht niemand. Nichts gegen hohe Renditen bei den Unternehmen, aber wenn sie nur durch Finanzmathematik zu Stande kommen und am Ende hoch verschuldete Bilanzen übrig bleiben, haben sie keine Berechtigung. Nichts gegen Carry Trades. Aber Zielzonen für die großen Währungen der Welt wie Dollar, Euro und Yen wären nicht schlecht, um die Übertreibung der Spekulanten einzudämmen.
Wenn sich jetzt Kanzlerin Merkel für mehr Transparenz einsetzt, umschifft sie galant das Problem. Transparenz hilft dort nicht, wo die Deregulierung zurück gedreht werden muss. (Hat gestern Jean Pisany-Ferry, Direktor der europäischen Thin Tank Bruegel, ganz ähnlich gesehen. Wo Herdentrieb herrscht, hilft Transparenz wenig.)