Es ist etwas faul im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Die Unternehmen machen Rekordgewinne, auch jetzt schon wieder, nur zwei Jahre nach der großen Krise. Die Investitionen indes bleiben schwach. Dabei sind die Nettoinvestitionen das Elixier. Sie schaffen Einkommen und Beschäftigung und lösen so das Versprechen des Kapitalismus auf Fortschritt und ein besseres Leben ein.
Werfen wir einen Blick auf diese Grafik, die der DGB vergangene Woche rumgeschickt hat, und die der HERDENTRIEB mit Daten für 2010 aktualisiert hat.
Diese Grafik schockiert, weil sie fast einen inversen Zusammenhang zwischen Nettoinvestitionen und Gewinnen darstellt. Dabei lautet doch das Mantra der Angebotstheoretiker, der herrschenden deutschen Ökonomenschule: Höhere Gewinne bedeuten mehr Investitionen bedeuten mehr Jobs. Was ist bloß faul?
Grob gesagt, gibt es drei Erklärungsmuster für diese Anomalie, die allerdings – wie immer in der Makro – miteinander zusammen hängen. Das Erklärungsmuster eins, das viele Anhänger hier im Blog hat, zielt auf die Realzinsen. Mit der Einführung des Euro im Jahr 1999 hat sich der Zinsvorteil der D-Mark in einen Zinsnachteil gekehrt. Denn das Wachstum Eurolands war höher als das Wachstum Deutschlands. Deshalb waren die Zinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) für Deutschland zu hoch, was hier die Investitionen nach unten gedrückt hat.
Im Gegenzug waren die Zinsen etwa für Spanien und Irland zu niedrig, was in diesen Ländern einen heftigen Investitionsboom ausgelöst hat. Dieser Effekt lässt sich aus den Nettoinvestitionen in der Grafik ablesen. Nach dem Höhepunkt der Dot.com-Blase im Jahr 2000 brachen die Nettoinvestitionen ein. Sie erholten sich erst 2006 ff. wieder, nachdem das Wachstum hierzulande halbwegs zu den EZB-Zinsen passte. Heute sind die EZB-Zinsen eindeutig zu niedrig für Deutschland. Deshalb müsste es nun zu einem Investitionsboom kommen. Einige Indizien gibt es. Warten wir es ab.
Wenn sich also die Realzinstheorie als richtig herausstellen sollte, dann wäre das Mantra der Neoliberalen höhere Gewinne gleich höhere Investitionen widerlegt. Dann müsste man nur auf die Zinspolitik der Notenbank schauen.
Der als notwendig erachtete Umbau des Rheinischen Kapitalismus hin zu mehr Gewinnen und weniger Lohneinkommen war mühsam und hart, wie folgende Grafik zeigen soll.
Es hat eine massive Umverteilung hin zu den Unternehmereinkommen gegeben. Um rund fünf Prozentpunkte hat sich die Gewinnquote zulasten der Lohnquote seit der Schröder-Regierung erhöht. Das macht über den Daumen gepeilt 95 Milliarden Euro, die heute mehr in die Taschen der Firmeninhaber und Aktionäre fließen und nicht in die Portemonnaies von Arbeitnehmern und die Kassen des Sozialstaates. Der Staat finanziert sich ja vornehmlich aus dem Einkommen der Beschäftigten. Bei einer Steuer- und Abgabenquote von rund 50 Prozent bei den Beschäftigten, gäbe es geringere Defizite und öfters Überschüsse im Staatshaushalt, ohne diese Umverteilung!
Damit sind wie beim Erklärungsmuster zwei für diese Anomalie: Es ist die falsche Wirtschaftspolitik, die die Binnennachfrage sträflich vernachlässigt hat, indem sie permanent die Angebotsbedingungen verbessert hat. Angebotsverbesserungen über den Ausbau des Niedriglohnsektors, die Senkung der Unternehmenssteuern und das Gewähren von Investitionsanreizen. Kehret um, fordert etwa der DGB in seinem jüngsten Klartext. Erst wenn die Binnennachfrage steigt vor allem durch höhere Löhne, werden die Unternehmen auch wieder beginnen zu investieren. An dem Argument der falschen Wirtschaftspolitik, die die Nachfrageseite viel zu lange (bis zum Herbst 2008) ausgeblendet hat, ist etwas dran. So wurde etwa der negative Realzinseffekt Anfang des Jahrtausends durch eine restriktive Fiskalpolitik von Hans Eichel flankiert, worunter die Wirtschaft unnötig litt. Allerdings reicht mir diese Erklärung als alleinige nicht aus. Sie kann vor allem den Strukturbruch nach 2000 gut erklären, als Rot-Grün zur neoliberalen Wirtschaftspolitik umgeschwenkt ist.
Das Erklärungsmuster drei, das mich umtreibt, ist die Deregulierung der Kapitalmärkte samt des Entstehens völlig unrealistischer Renditevorstellungen in Höhe von 15 Prozent und mehr. Historisch betrachtet sind solche hohen Renditen nicht zu erzielen, weshalb das Anstreben dieser Renditen zu schwachem Wachstum und Oligopolen führt, die ihrerseits das Wachstum schwächen. Unternehmen und Firmen stehen immer vor der Wahl, wo sie ihr Geld unterbringen. Sie können es investieren, am Kapitalmarkt anlegen oder den Anteilseignern geben in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen. Meine These ist, dass die Option Kapitalmarkt mit der Aussicht auf schnelle Rendite die langfristigen Investitionen in einem shareholder-value-Regime unattraktiv macht. Solange die Gehälter der Vorstände am Return on Equity gemessen werden, solange 15 Prozent und mehr Gewinn erzielt werden müssen, solange werden die Nettoinvestitionen nicht anziehen.
Kurzum, ich gewichte die Erklärungsmuster eins und drei gleichhoch, kurz danach Erklärungsmuster zwei. Sicher ist, dass 2011 ein wichtiges Jahr für unsere deutschen Ökonomen wird. Bleiben die Investitionen schwach, wird der Glaube an die Angebotstheorie weiter schwinden. Steigt die Gewinnquote weiter, kann es ungemütlich werden. Denn wie sagte der Chef des arbeitgebernahen Institutes der deutschen Wirtschaft so schön? „Für all diese Quoten gibt es weder theoretisch begründbare noch normative Richtwerte. Die kritische Frage ist, was die Gesellschaft langfristig akzeptiert.“