Jetzt ist es raus: Deutschland hat alle Chancen schon in diesem Jahr seine Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu senken. Das berühmte und ebenso willkürliche Maastrichtkriterium nach vier Jahren wieder zu erfüllen. Lasst uns gemeinsam den Schlachtruf anstimmen: „Nie wieder zweite Liga, nie wieder über drei Prozent!“
Wie das geht? Na, das stärkere Wachstum erhöht die Steuereinnahmen und lässt die Neuverschuldung geringer ausfallen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das erste Institut diese Vermutung, die hier im Blog ja auch schon angeklungen ist, öffentlich äußert. Dieter Vesper, der Haushaltsexperte des Berliner DIW war jetzt so frei: „Nach meiner Einschätzung könnten es 2,9 Prozent werden“, sagte er. Bezogen auf die DIW-Prognose von Anfang Januar und angesichts des deutlich höheren Steueraufkommens im Dezember, gehe er jetzt davon aus, dass im laufenden Jahr sogar die 3,0 unterboten werde. Mit dieser Zahl kam das DIW im Wochenbericht Anfang Januar raus (leider nicht mehr frei zugänglich).
Ich wette, es dauert nicht lange, bis weitere Konjunkturforscher sich Vesper anschließen.
Dürfen wir uns jetzt freuen? Darum geht es nicht. Die Entwicklung zeigt nur, dass Staatsschulden immer auch die Resultante der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Läuft die Wirtschaft gut, steigen die Steuereinnahmen, gibt es mehr Jobs und deshalb geringere Belastungen für die Sozialsysteme. Das ganze kapitalistische System wirkt immer prozyklisch. Deshalb muss der Staat die Rolle des Libero übernehmen. Er muss im Abschwung sich stärker verschulden als geplant, damit er die Dynamik nicht abwürgt und er muss sich im Aufschwung weniger verschulden als geplant, damit er Überhitzungen vorbeugt. Deutschland hat jedoch seit der Währungsunion genau das Gegenteil gemacht. In den guten Jahren 1999 und 2000 wurde kaum gespart, dafür aber umso härter im Abschwung. Und dann haben sich alle gewundert, dass jede Sparrunde von einer neuen abgelöst worden ist, die Gürtel immer enger geschnallt worden sind, und trotzdem Deutschland Jahr für Jahr die theoretisch unbegründbare Hürde von drei Prozent gerissen hat. Wahnsinn, was Hans Eichel mit seiner Fiskalpolitik – flankiert von aufgebrachten Medien und Brüssel – der deutschen Wirtschaft für einen schlechten Dienst erwiesen hat, wie vielen Menschen er unnötigerweise Arbeitslosigkeit beschert hat.
Jetzt scheint es ein wenig besser zu werden, weil die Anpassungskrise überstanden ist und der Aufschwung sich wie im Lehrbuch ausnimmt. Was folgt daraus:
1. Die harte Mehrwertsteuererhöhung 2007 gehört geschliffen. Lasst Deutschland wachsen! Lasst die Finger vom Konsum, dem nach wie vor schwächstem Glied im Bruttoinlandsprodukt. Die Menschen in Deutschland müssen nach mehr als zehn Jahren realer Ebbe im Portemonnaie endlich auch mal wieder merken, dass das Morgen besser wird, dass Gürtel-Engel-Schnallen nicht zum Kapitalismus passt. Wer sich die Wachstumsprognosen für 2007 anschaut, dem schwindelt ob der mickrigen Zahlen von 0,5 bis 1,2 Prozent. Der Hauptgrund: die Mehrwertsteuererhöhung. Nur wenn sie eins zu eins in die Sozialkassen flösse und dadurch die Sozialbeiträge sänken, würde ich nicht das Wort „verantwortungslos“ verwenden. Aber zum Zwecke der Konsolidierung darf das höhere Mehrwertsteueraufkommen nie und nimmer verwendet werden. Auch sind drei Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuer zu schockierend. Zwei oder besser noch 1,5 Prozentpunkte mehr reichen allemal aus. Ein paar Jahre später können es ja noch mal 1,5 Prozentpunkte sein.
2. Keine Steuergeschenke, zu denen die Große Koalition verständlicher Weise neigt. Wenn Finanzminister Peer Steinbrück jetzt mehr Geld ausgeben will, dann bitte ausschließlich für Investitionen in Straßen, Schulen Bildung und Innovationen. All das ist wachstumsfördernd.
3. Abschied von dem Ziel einer Nettoneuverschuldung von null. Es reicht aus, wenn die Neuverschuldung über den Zyklus leicht schwächer als das Bruttoinlandsprodukt wächst. So bauen sich die Schulden auch ab, aber eben schonend. Und die Regierung kann das normativ festgelegte Schuldenstandskriterium von 60 Prozent gemessen am BIP locker erreichen.
4. Abschied vom Traum einer Staatsverschuldung von null. Damit rauben wir der Volkswirtschaft nicht nur Wachstumsmöglichkeiten. Ich ärgere mich immer, wenn ich den Spruch höre, wir müssten unserer Kinder wegen, die diese Schulden zurückzahlen müssen, heute sparen. Ich habe vier Kinder! Erstens müssen Staatsschulden nie zurückgezahlt werden. Sie müssen lediglich prolongiert werden und reduzieren sich real durch Inflation und Wachstum. Zweitens, was haben meine Kinder davon, wenn die Schulen verrotten, die Unis und die Infrastruktur schlecht sind, wenn das ganze Land wirtschaftlich dar nieder liegt? Dann programmieren wir ihr Leben auf eine Leben in Armut wegen schlechter Qualifikation und Wachstumstristesse. Drittens sind alle Schulden umso vernachlässigbarer je höher der Wohlstand und das Einkommen sind. Deshalb gilt es dort anzusetzen und nicht bei der Reduktion der Schulden heute und jetzt. Aber auch ein anderer Punkt spricht für eine ordentliche Staatsverschuldung. Worin sollen denn die Menschen ihre Altersvorsorge tätigen, wenn nicht in der sichersten Anlageform, die es gibt? Und das sind nun mal Staatsschulden.