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Schlagen oder Weggehen?

Ein interessanter Artikel der New York Times über die Sure (4,34), die im Frankfurter Fall eine Rolle spielt.
Laleh Bakhtiar, eine iranisch-amerikanische Übersetzerin des Korans hat sich an dieser Sure gestört, die ein 3-Punkte Programm zur Domestizierung widerspenstiger Frauen darstellt:
Männer sollen rebellische Frauen
– warnen,
– im Bett meiden (auch: in die Schlafgemächer verbannen),
– und als ultima ratio: schlagen.

Nun hat Frau Bakhtiar so lange in einem arabischen Wörterbuch gesucht, bis sie eine Übersetzung fand, die ihr angemessener scheint: „Ich konnte nicht glauben, dass Gott die Verletzung eines anderen Wesens erlauben würde, ausser im Krieg.“

Frau Bakhtiar übersetzt „daraba“ nun als „weggehen“.

So sehr man den Wunsch einer frommen Muslima verstehen kann, den Vers mit unserem heutigen Verständnis der Menschenrechte kompatibel zu machen – es ist aber doch fraglich, ob dadurch nicht am Ende eine Enthistorisierung des Koran bewirkt wird, die es unmöglich macht, ihn in seinem Entstehungskontext zu begreifen.

(Ganz ähnlich wie übrigens bei dem politisch korrekten Projekt einer „Bibel in gerechter Sprache“.)

 

Züchtigungsrecht

Leser Reinhard A. gibt folgendes zu bedenken:

Und die Richterin hatte DOCH RECHT, mit ihrer marokkanischen Kulturkreis-Argumentation, Herr Jörg Lau!

Sie schreiben im letzten Absatz:
” Die Kulturkreis-Argumentation der Richterin, die sich so wissend aufspreizt, ist in Wahrheit ein Zeichen von Ignoranz.(…)
Marokko hat vor Jahren nämlich das Familienrecht auf eine für die islamische Welt umstürzende Weise verändert”.

Aber das mar. Familienrecht wurde erst 2004 reformiert, der marokkanische Ehemann wuchs somit nach dem alten archaischen frauenfeindlichen Recht auf und lebte mit diesem Recht, aber nicht mehr mit dem reformierten mar. Familenrecht!
Die Familienrichterin zitierte somit mit Recht das archaische
Züchtigungsrecht. Entscheidend ist, was der Marokkaner verinnerlichte, was er für sein marokkanisches Recht hielt.

Das lässt sich nun nach meiner Meinung genau iim Sinn meiner Argumentation wenden: Wenn der Mann so geprägt war, gibt es noch mehr Grund, die Frau unter Ausschöpfung unseres Rechts vor ihm zu schützen. Und zum Schutz trägt die vorzeitige Auflösung der Ehe erheblich bei. Sie ist für den Mann keine Formalität, sondern eine klare Ansage, dass er hier nicht mehr zuständig und also auch in seiner „Ehre“ nicht mehr betroffen ist.

 

Berliner Verwaltungsgericht: Werbung für Hizbollah erlaubt

Das Berliner Verwaltungsgericht hält es für erlaubt, bei einer Demonstration in Berlin für die Hizbollah zu werben. Am Mittwoch wurde einer entsprechenden Klage stattgegeben. Der „Deutsche Friedensrat“ hatte im August 2006 zusammen mit zwei palästinensischen Organisationen eine Demonstration gegen den Libanon-Krieg in Berlin angemeldet.
Der Berliner Polizeipräsident hatte die Demo unter der Auflage genehmigt, dass keine Symbole der Hizbollah oder Bildnisse des Generalsekretärs Nasrallah gezeigt würden.
Nun fällt ihm das Verwaltungsgericht in den Rücken:
Wer für die Hizbollah während der Libanonkrieges Partei ergreife, entscheide sich bloss für einen „Beteiligten einer kriegerischen Auseinandersetzung“. Dies sei eine legitime Meinungsäußerung. Sind die Hisbollah-Sympathisanten also ganz gewöhnliche Schlachtenbummler? Was die Richter nicht erwähnen, ist der Unterschied zwischen jemandem, der sich für die Hisbollah entscheidet – und jemandem, der sich für ein Team in einem Europacup-Endspiel entscheidet. Die Hisbollah strebt die Auslöschung ihres Gegners an. Spielt es wirklich keine Rolle, dass Hizbollah Israels Existenzrecht bestreitet und für die Vernichtung der „zionistischen Entität“ eintritt? Der Polizeipräsident hatte recht mit seiner Auflage: Eine Stellungnahme gegen den Libanonkrieg ist legitim, aber sie muss sich von einer Unterstützung der Hizbollah-Terroristen unterscheiden. (Dass Hizbollah nicht nur in Terrorismus macht, sondern auch soziale Dienste, Medien und dergleichen unterhält, ändert nichts daran, dass sie eine Terrororganisation ist.)
Wissen die Richter das nicht? Man ist fassungslos.

Hier ein Potpourri der Reden von Hizbollah-Chef Nasrallah, in denen er die „Märtyrer-Operationen“ als „schnellsten Weg zu Allah“ lobt:

Hier der Wortlaut der Pressemitteilung des Berliner Verwaltungsgerichts:

Der Kläger meldete zusammen mit zwei palästinensischen Organisationen für den 12. August 2006 eine Demonstration zum Thema „Stoppt den Krieg gegen Libanon und Palästina“ an. Mit Bescheid vom 10. August 2006 verbot der Polizeipräsident als Versammlungsbehörde während der Demonstration jedes Werben für die Hizbollah. Es wurde untersagt, Kennzeichen, Symbole oder Embleme dieser Organisation oder Bildnisse des Generalsekretärs der Hizbollah Nasrallah zu zeigen.

Die vom Kläger gegen diese Auflage nachträglich erhobene Klage hatte Erfolg. Zur Begründung hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin ausgeführt:

Entgegen der Auffassung des Polizeipräsidenten sei das Zeigen der von ihm untersagten Symbole bzw. Bilder auf einer Demonstration während des Libanonkriegs als Parteinahme für einen der Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung zu verstehen, die unter den durch Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit falle. Der Polizeipräsident hätte das Zeigen der Bilder und Symbole daher nur dann untersagen dürfen, wenn dies strafbar gewesen wäre. Das könne das Gericht aber nicht feststellen.

Die in dem Zeigen der untersagten Symbole und Bilder liegende – für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandende – Parteinahme könne nicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihr jede Äußerung oder Handlung der Hizbollah oder ihres Generalsekretärs gut geheißen oder unterstützt werde. Deshalb sei das Zeigen der Symbole und Bilder der Hizbollah und ihres Generalsekretärs nicht als Verstoß gegen Strafgesetze (Aufforderung oder Billigung von Straftaten) zu werten.

Die in der Parteinahme lediglich zum Ausdruck kommende Unterstützung der Hizbollah als solche sei aber – auch nach Auffassung des Polizeipräsidenten – nicht strafbar, weil sie nicht als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft sei.

 

Europäisiert den Islam!

Viel Europa-Gequatsche dieser Tage, da 50 Jahre Römische Verträge gefeiert werden. Eine Ausnahme macht Bassam Tibi mit seinem grossen Essay im Perlentaucher, der die Hirsi Ali-Debatte abschliesst. Tibi plädiert für eine Europäisierung des Islam.
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Zitat: „Bei der Diskussion über eine euro-islamische Wertegemeinschaft und den politischen Willen zur Europäisierung des Islam möchte ich mit einem Rückgriff auf den letzten großen islamischen Philosophen, der vor 600 Jahren verstorben ist, zurückgreifen. Dieser islamische Denker Ibn Khaldun prägte den Begriff Asabiyya (das ist der Esprit de Corps), um daran die Stärke und Schwäche jeder Zivilisation zu messen. Nach Ibn Khaldun ist Asabiyya das Werte-Bewusstsein einer Zivilisation.

Wie stark ist die europäische Assabiya? Nur wenn eine Europäisierung als demokratischer Weg zur Bewältigung der islamischen Herausforderung gelingt, kann man von einer starken europäischen Asabiyya im Sinne Ibn Khalduns sprechen.
Es geht um die Einbindung Europas in eine pluralistische Welt als zivilisatorische Entität, die eine eigene Asabiyya hat, das heißt, die weiß, was sie zivilisatorisch ausmacht und die dadurch für andere offen bleibt, dass sie sie inklusiv mittels Europäisierung in ihr Gemeinwesen aufnehmen kann.
Europa ist in der Tat mehr als eine Wirtschafts- und Handelsgemeinschaft, Europa als beautiful idea ist es wert, bewahrt zu werden. Dies ist auch mit islamischer Beteiligung möglich, wenn die Vision vom Euro-Islam zum Politikkonzept wird. Die Arbeit an der Bewahrung Europas mit islamischer Beteiligung ist eine Friedenspolitik für das 21. Jahrhundert.“

 

Das alltägliche Grauen im Irak

Zum Kontrast mit dem Historienbild unten hier drei alltägliche Bilder aus dem Irak von Anfang Januar.
Aus dem immer lehrreichen Blog „Healing Iraq“:

A view of the dozens of corpses lying in the streets of Baghdad, often for weeks. These scenes of Iraq’s civil war have become such a daily part of people’s lives so much that they don’t bother to remove the bodies. Those were taken in Adhamiya a month ago and the victims were judged as „strangers“ or „spies“ before they were shot and thrown with the garbage in the street. People in the neighbourhood just covered them with blankets and moved on. Those bodies are rarely counted in the daily death toll, and when they are counted they’re just „unknown corpses.“

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Das Mißtrauen gegen die Muslime

Wieder einmal ein mutiger und klarsichtiger Aufsatz des saudischen Autors Turki Al-Hamad in Asharq Alawsat.
Auszug:

Why do they find us repugnant and actually hate us?

In my belief–and I may be partially or entirely mistaken–is that there are reasons that separate the contemporary Muslim from his world and keep him in a world of his own. This is the underlying cause for the overt or covert revulsion if not the hatred he elicits. Perhaps among the important reasons is the „suspicion“ which the contemporary Muslim (in temporal terms) feels about the contemporary world (in civilization terms), a suspicion that always makes him imagine that this world is hostile to him, being often against his civilization, his culture, his history and his existence. Thus his reaction to the world is tinged with hostility, and this could be translated sometimes into acts of rejection of various types. Or it could lead to an isolation that prompts the other side to reciprocate with suspicion, leading to tension between the two sides.

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Turki Al-Hamad

Whether we talk of the contemporary Muslim in his own country or in the countries to which he has emigrated, to escape from his own country and the inhuman conditions, it is suspicion, doubt, isolation and hostility that are the end result.

The prevalence of a religious or nationalist dissertation in the home countries has contributed to an impression that the others must be hostile and conspiratorial enemies. This is the lesson of history, geography, and most importantly of ideological differences. Therefore the orientation in dealing with the other is that he is „sly“ until proven otherwise.

As to the host countries, the contemporary Muslim is following the very same course that the Jews took at one time: near-total isolation in a district that does not form part of the society or the culture in whose midst he lives. He refuses to merge in the culture of the society to which he has emigrated, even fighting the values of the society and of the state of which they have become citizens. It is legitimate that there should be a special identity for the Muslim in the country to which he has emigrated. This is his right, just as it is a right for all races that leave their homes to settle in other countries.

But to turn this identity into a state of absolute rejection for all the values and principles on which these societies were developed, and to consider that his citizenship comes secondary to his identity, this is what creates the state of suspicion between the Muslim and the rest of the components of the host societies.

 

Die Befreiung des Irak

Eines der merkwürdigsten Kunstwerke, das ich seit langem gesehen habe. Vielleicht ist es sarkastisch gemeint.

(Man hat den Eindruck, es wurde vorab für einen Sieg gemalt, der nicht stattfinden sollte. Man kann sich vorstellen, dies habe jemand aus dem Archiv der Bush-Regierung gerettet, in dem die Requisiten für die ausgefallene Feier der erfüllten Mission lagerten.)

Historienmalerei von Dingen, die nicht passiert sind. Ein irgendwie unserer schrecklichen Situation angemessener Ausdruck von Absurdität und Trauer.

Der Künstler heisst Sandow Birk. Seine Werke hier. Ein Artikel der LA Times hier. (Dank an Boing Boing.)
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Unter all den interessanten Beiträgen der werten Mitblogger möchte ich folgenden herausheben:

M. Goldgagen schreibt mir:

Ich habe als kleines Kind die Shoa überlebt; meine Eltern hätten sich sicherlich gewünscht, dass es damals unabhängige Richter in Deutschland gegeben hätte, an die man sich hätte wenden können. Mit großer Bestürzung nehme ich zur Kenntnis, dass Deutschlands Politiker auch heute noch bereit sind, die große Errungenschaft der unabhängigen Gerichte wieder mit Füßen zu treten, nur weil eine Richterin einmal eine Entscheidung getroffen hat, über die man sehr trefflich streiten kann. Den Pöbel der Straße, der früher wie heute Köpfe rollen sehen will, lasse ich jetzt einmal bewusst beiseite. Früher verschwanden Richter, die nicht spurten, oder jüdische Richterkollegen im KZ oder anderswo. Heute will man Richter, die eine politisch unliebsame Entscheidung getroffen haben, aus dem Amt entfernen oder mit Disziplinarmaßnahmen bestrafen, nur weil sie das anwenden, was dieselben deutschen Politiker mit ihrer unterwürfigen Multi-Kulit-Mentalität jeden Tag selbst vorleben und sogar ins Gesetz schreiben…. Weiter

 

Scharia in Frankfurt

Kulturelle Sensibilität ist eine tolle Sache. Völlig zu Recht wird immer wieder gefordert, interkulturelle Kompetenz gehöre in einer Einwanderungsgesellschaft zum guten Ton.
Aber die Rücksichtnahme auf (echte oder vermeintliche) kulturelle Besonderheiten kann sich auch als eine besonders subtile Form von Diskriminierung erweisen.

Dies hier ist so ein Fall: Eine Frankfurter Richterin hat einer 26jährigen Deutschen marokkanischer Abstammung die vorzeitige Scheidung von ihrem Mann – ebenfalls marrokkanischer Herkunft – verweigert. Begründung: „Die Ausübung des Züchtigungsrechts begründet keine unzumutbare Härte gemäß § 1565 BGB.“ Die Richterin erläutert ihre eigenwillige Ansicht damit, dass beide Beteiligten aus dem „marokkanischen Kulturkreis“ stammen, in dem es nicht unüblich sei, dass der Mann ein Züchtigungsrecht gegenüber der Frau ausübe.

Die Richterin argumentiert mit dem Koran, in dem das Züchtigungsrecht des Mannes begründet sei (Sure 4, 34). Das ist zwar sachlich richtig, aber für ein Verfahren auf deutschem Boden und nach deutschem Recht total irrelevant.

Das ist alles so haarsträubend, dass man gar nicht weiss, wo anfangen.
Erstens: Die Klägerin ist Deutsche (hier geboren und aufgewachsen), eventuelle Bräuche im „marokkanischen Kulturkreis“ ihrer Eltern oder Verwandten sind für ihren Fall nicht maßgeblich. Ihr Mann hat sie schwer misshandelt und bedroht, so dass selbst die betreffende Richterin ein Näherungsverbot gegen ihn verhängte.

Zweitens: Wäre sie nicht Deutsche, hätte sie trotzdem ein Recht auf den Schutz durch deutsche Gesetze. Warum sonst hätten Feministinnen so lange für die Aufnahme sexueller Verfolgung als Asylgrund gekämpft? „Geschlechtsspezifische Verfolgung“ ist im Zuwanderungsgesetz als besonderer Schutzgrund benannt.

Drittens: Die Kulturkreis-Argumentation der Richterin, die sich so wissend aufspreizt, ist in Wahrheit ein Zeichen von Ignoranz. Sie läuft im Grunde auf die Herablassung heraus, die früher gegenüber unseren hiesigen Unterschichten in Sprüchen wie „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ zum Ausdruck kam.
Marokko hat vor Jahren nämlich das Familienrecht auf eine für die islamische Welt umstürzende Weise verändert (langer Bericht von Michael Thumann hier). Das Heiratsalter wurde auf 18 heraufgesetzt. Gewalt in der Ehe ist strafbar. Frauen haben in Marokko ein Recht auf Scheidung, auf das Sorgerecht für die Kinder und auf Unterhalt.
Das tut für den Fall, wie gesagt, eigentlich nichts zur Sache, weil unsere Rechtsgrundlage das BGB und nicht eine hergebrachte Auslegung der Scharia ist, die selbst Marokko hinter sich zu lassen bemüht ist. Es zeigt aber, wes Geistes die Kulturrelativisten sind, die für jeden Rückstand immer ein kulturelles Argument finden, wie in diesem Fall die Frankfurter Richterin.
Sie machen, ob sie es wissen oder nicht, mit den Fundamentalisten gemeinsame Sache. Sie sind genauso schlimme Feinde jeden humanen Fortschritts wie jene, weil auch sie sich Kulturen als statische Blöcke vorstellen, an die man nicht rühren darf.

 

Iranische Feministinnen wieder auf freiem Fuss

Die beiden letzten Inhaftierten, die bei der jüngsten Verhaftungswelle im Iran ins Gefängnis geworfen wurden, sind vorgestern – kurz vor dem iranischen Neujahrs-Fest – frei gelassen worden. Shadi Sadr und Mahboubeh Abasgholizadeh wurden nach 10 Tagen Einzelhaft im berüchtigten Staatssicherheitsflügel des Teheraner Evin-Gefängnis als letzte der ursprünglich 33 Inhaftierten entlassen.

Sie kündigten an, ihre Kampgane gegen Steinigungen fortzusetzen.

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Shadi Sadr

Hintergrund zu Shadi Sadrs Initiative hier bei Martin Ebbing.
Ausführlicher Bericht hier.