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Iran: Haft macht schlank

Kein Witz. Ein Presseberater des iranischen Präsidenten hat die Sorge von Menschenrechtlern über den Zustand der inhaftierten Oppositionellen folgerndermassen kommentiert: Ein Gefängnisaufenthalt sei vielleicht eine gute Gelegenheit, überflüssisges Körperfett abzubauen.

Der Kommentar bezieht sich auf Ali Abtahi, den „bloggenden Mullah“, eine der prominentesten Figuren der Opposition um Mehdi Karrubi.

Mohammed Ali Abtahi vor der Verhaftung und beim Schauprozess. Fotos: Press TV

Es war offensichtlich, dass Abtahi in der Gefangenschaft erheblich an Gewicht verloren hatte. Bei dem Schauprozess hatte er ein „Geständnis“ abgelegt, das vielen Beobachtern als wahrscheinlich erpresst gilt:

Following the televised trial, photos of Abtahi circulated the media with human rights activists and opposition figures questioning the credibility of the confessions made by Abtahi who had lost visible weight.

In an interview on Saturday, President Ahmadinejad’s advisor explained why the Reformist figure looked so frail during his appearance at court in Tehran.

„It is only natural for a person who has gained an excessive amount of weight to come to his senses in prison that being overweight is not good for your mental of physical health,“ Javanfekr reasoned.

„Maybe Mr. Abtahi has seized this opportunity and made an effort to lose weight,“ he was quoted as saying by Tabnak.

Die Evin-Schlankheitskur!

Spott und Hohn den Opfern gegenüber – der Zynismus des Regimes nimmt immer mehr Züge an, die an die totalitären Regime des letzten Jahrhunderts erinnern.

 

Korruption – Afghanistans politisches Gift

Dies ist eine bildliche Darstellung des „Korruptionswahrnehmungsindexes“, der jährlich von der Organisation Transparency International erstellt wird. Er ist äußerst erhellend über die Zustände in der Welt, was Verläßlichkeit und Rechtssicherheit angeht. Transparency mißt in diesem Index die von den Bürgern wahrgenommene Korruption – ein wesentlicher Faktor der Legitimität.

Afghanstan ist danach das fünft korrupteste Land der Welt – im Blick der eigenen Bürger!

Es sollte nicht vergessen werden, was eines der Hauptprobleme des Landes – und einen der Haupttrümpfe der Taliban – darstellt: Weltniveau erreicht das Land neben dem Opiumanbau nur bei der Korruption. Man darf natürlich annnehmen, dass beides zusammenhängt. Nur noch gefolgt werden von Haiti, Irak (!), Myanmar und Somalia – das ist für ein Land, das seit 8 Jahren im Fokus der internationalen Gemeinschaft steht und dessen Regierung vom Westen mit Milliarden gestützt wird, schon eine desaströse Bilanz.

Man darf gespannt sein, wie (ob) sich dies in der Wahl niederschlägt. Karsais Konkurrent Abdullah hatte seine Betonung genau auf diese Punkte gelegt: schlechte Regierungsführung, Inkompetenz und Korruption.

Ein Ergebnis wird in den nächsten Tagen erwartet.

 

Demokratie lernen in Afghanistan

Dabei will eine Handreichung der Regierung in Dari und Pashto helfen, die durch ein sehr schönes Artwork bezaubert.

Heute abend wissen wir, ob’s was fruchtet. Mehr hier.

 

Was die DDR für Marwas Tod kann

Fragt sich die Vorsitzende der säschsischen Landtagsfraktion der Grünen, Antje Hermenau, in einem bedenkenswerten Stück (ebenfalls in der heutigen taz).

Die DDR-Tradition der Abschottung von Einwanderern hat ein unheilvolles Erbe hinterlassen, meint sie. Und man muss die Grünen wirklich dafür leiben, dass sie solche Fragen stellen, denen sich alle anderen gerne verweigern wollen: Hat die Fremdenfeindlichkeit im Osten etwas mit dem sozialistischen Staat zu tun?

Als 1989 die Mauer fiel, lebten etwa 192.000 Ausländer in der damaligen DDR. Viele von ihnen waren Arbeitsmigranten, in der DDR ‚Vertragsarbeiter‘ genannt. Sie waren über staatliche Abkommen ins Land gekommen. Das SED-Regime achtete streng darauf, dass sie nach der vereinbarten Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Während sie in der DDR lebten, wohnten sie abgeschottet in Heimen, über die Einzelheiten der Abkommen mit ihren Herkunftsländern war bei der Bevölkerung wenig bekannt.

Ein Miteinander zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung, das über demonstrative Gastfreundschaft hinausging, war nicht vorgesehen. Bestehende Ressentiments und fremdenfeindliche Übergriffe, die es sehr wohl gab, wurden tabuisiert und geheim gehalten. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es keine Normalisierungsprozesse zwischen Eingeborenen und Eingewanderten.

Dieses Erbe der Vergangenheit ist auch heute noch in Ostdeutschland gegenwärtig. Auch 20 Jahre nach der Wende gibt es ausreichend Anzeichen, dass die Vorstellung, Migrantinnen und Migranten seien nicht Teil dieser Gesellschaft, sondern eine Gruppe von ‚Besuchern‘ auch weiterhin verbreitet ist.(…)

Was in Sachsen und Ostdeutschland fehlt, ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem DDR-Erbe sowie eine realistische Analyse zur Situation der Einwanderer in Ostdeutschland.

Die Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, der Tod von Jorge Gomondai in Dresden 1991 oder aber auch die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen 1993 hätten Anlass sein müssen, eine eigene ostdeutsche Debatte zu Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit und den Umgang mit Migrantinnen und Migranten in breite gesellschaftliche Schichten zu tragen.

(…)

Auch die politisch Verantwortlichen tragen zu einem Zerrbild bei, wenn sie in Veranstaltungen über den Islam hauptsächlich über die Gefahr von Terrorismus reden, statt über in Ostdeutschland tatsächlich bestehende Herausforderungen und Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund zu diskutieren.

Der Mord an Marwa el-Sherbini hat auch etwas anderes deutlich gezeigt: Dass diese Frau hervorragend gebildet war, Deutsch sprach und das deutsche Rechtssystem nicht nur anerkannte, sondern sich ihm sogar anvertraute, hat sie nicht vor der schrecklichen Gewalttat bewahrt. Auch wenn sie schon bald nach Ägypten zurückkehren wollte, entsprach sie fast dem konservativen Wunschbild der „Integration“. Das hat sie nicht geschützt. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in Sachsen den Menschen, die von vielen als „Fremde“ wahrgenommen werden, den Respekt entgegenbringen, auf den jeder, wirklich jeder Mensch Anspruch haben muss – unabhängig von Herkunft oder Religionszugehörigkeit.

 

Warum das Kopftuch eben doch ein Problem ist

Erklärt meine Ex-Kollegin Nicola Liebert heute in der taz aus der Perspektive einer Kreuzbergerin, die es langsam satt hat, dass die Kleidung der Frau (immer nur der Frau!) fremdbestimmt wird:

Wie sich Frauen kleiden, ist im Deutschland des 21. Jahrhunderts lediglich eine Frage des guten oder schlechten Geschmacks – und nicht der Moral oder Immoralität. Dachte ich jedenfalls bis vor kurzem.

Unlängst musste ich mich eines Besseren belehren lassen. Unversehens sprach mich in Berlin-Kreuzberg ein Mann von hinten an: „Zieh dir einen BH an, es stört mich, wie du rumläufst.“ Der Mann war um die 30 Jahre alt und nach Aussehen und Aussprache zu urteilen mit türkischen Migrationshintergrund ausgestattet. Ich wiederum, anderthalb Jahrzehnte älter als er und in einem Alter, in dem man auch im alternativen Kreuzberg gesiezt wird, fühlte mich mit langer Hose und kurzärmeligem T-Shirt – mehr konnte er von hinten ohnehin nicht sehen – mitnichten wie eine wandelnde Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Leider fallen einem in solchen Situationen die schlagfertigen Antworten immer erst hinterher ein. In dem Moment war ich nur wortlos, geplättet und fühlte mich erniedrigt. Welches Recht nehmen sich solche Typen eigentlich heraus, nicht nur über die Kleidung fremder Frauen zu urteilen, sondern ihnen dieses Urteil auch noch in einem Befehlston mitzuteilen? Und damit komme ich wieder auf das Problem, dass ich mit dem Tragen von Kopftüchern habe, von den in Berlin glücklicherweise relativ seltenen Ganzkörperschleiern ganz zu schweigen. Es ist nicht das oft unterstellte paternalistische Mitleid, das ich verspüre – schließlich erklärt man mir, dass viele, gerade auch junge Frauen das Kopftuch nicht aus familiärem oder religiösem Zwang, sondern als stolzen Ausdruck ihrer Identität tragen. Es ist Zorn. Warum? Es hat eine Weile und die eben beschriebene Begegnung gebraucht, bis ich meinen eigenen so gar nicht politically correcten Emotionen auf die Spur kam.

Ich bin zornig, weil das Verhüllen von Körper und Kopf eine Aussage darstellt, die ich persönlich nehme. Die Aussage lautet nicht nur: „Seht her, das ist meine Religion, und darauf bin ich stolz!“ Sie lautet auch: „Seht her, ich bin züchtig und keusch, ich bin keine Schlampe, keine Nutte!“ Und solch eine Aussage beinhaltet stets auch ihr Gegenteil: Wer sich nicht so kleidet, ist im Umkehrschluss wohl nicht züchtig und nicht keusch. Also alles voller Schlampen und Nutten in diesem Sündenbabel Berlin, mich eingeschlossen. Dadurch fühlte sich der Mann in Kreuzberg so gestört.

Es ist ein gesellschaftliches Klima, das mich so wütend macht, in dem Leute wie er es zu ihrer Angelegenheit machen, ob Frauen züchtig genug sind.

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Sorgen eines Wechselwählers (1)

Meine Kolumne aus der ZEIT Nr. 35 (S.3) von morgen. Ab jetzt wöchentlich bis zur Wahl.

Fast hätten sie mich gehabt. Erst das 67-Seiten-Papier mit seinen drögen, vernünftigen Vorschlägen. Nicht alles toll, aber immerhin Inhalte! Steinmeiers »Deutschland-Plan« gefiel mir um­so besser, je lustvoller darauf eingedroschen wurde. Dann kamen die Umfragen, in denen die SPD knapp über zwanzig Prozent lag, hart verfolgt von Horst Schlämmer. Das hat die Partei nicht verdient! Ich müsste wohl, dachte es in mir, SPD wählen, aus einer Mischung von Respekt und Gerechtigkeitsgefühl. Die Sozis sind krass unterbewertet – nach einem Jahrzehnt schmerzhafter Reformen. Allerdings weiß ich nicht, ob dieses Gefühl noch eine Runde Urlaubsbilder von Ulla Schmidt übersteht – und Münteferings verzweifelt lachhafte Angriffe auf die Kanzlerin, sie interessiere sich nicht für Arbeitsplätze und solle besser schon mal »die Umzugskisten packen«.
Ich bin Wechselwähler – und ich bin diesmal unglücklicher denn je. Vielen aus unserer beargwöhnten Spezies geht es genauso. Wir werden immer wichtiger – genießen können wir es nicht. Wir sind das schmutzige kleine Geheimnis der Demokratie. Ohne uns geht nichts. Wir stürzen Regierungen, wir zwingen Große Koalitionen herbei, um sie anschließend zu hassen. Und uns selbst ein bisschen mit. Die Politiker zittern heute mehr denn je vor uns. Unsere Stimmen zählen doppelt, verglichen mit denen der Stammwähler (wir waren mal welche), weil wir sie den einen entziehen und den anderen geben. Wer uns gewinnt, lobt unsere Rationalität. Wer uns verliert, verflucht unsere Wankelmütigkeit. Leider stimmt beides.
Die Demoskopen kennen seit Jahren das Problem, uns zu fassen zu bekommen: Wir neigen dazu, uns nachträglich konsistenter und konsequenter darzustellen, als wir in Wahrheit sind. Wir wollen (auch uns selbst gegenüber) oft nicht zugeben, hin- und hergesprungen zu sein. Ein Ruch von Verrat und Beliebigkeit hängt uns an. Nicht zu Unrecht: Wir sind politisiert und gut informiert – und doch sprunghaft und launisch bis zur Zickigkeit. Letztes Mal haben viele von uns am Sonntag anders gestimmt, als sie noch am Samstag dachten. Die Demoskopen hassen uns seither und leben doch gut von uns.
Ich möchte jetzt eigentlich schon gern wissen, wie es weitergehen würde mit Merkel. Nicht aus Begeisterung, sondern weil ich mir nach vier Jahren kein Urteil machen kann. Es war keine schlechte Zeit. Aber war das schon alles? Ich bin irgendwie noch nicht fertig mit der Kanzlerin – genau wie all jene, die ihr in Umfragen tolle Noten geben und ihrer Partei die kalte Schulter zeigen. Das ist kein hehres Motiv, und ich weiß auch nicht, ob es noch lange tragen wird. Denn wenn die Kanzlerin mit ihrem »präsidialen Wahlkampf« weitermacht, wird sich meine Neugier auf ihre zweite Amtszeit in Grenzen halten. Immer die andere Seite vorpreschen lassen und dann sagen, das alles könne man übrigens auch bei der Union haben – das Ökologische, den aktiven Staat, die gesellschaftliche Modernisierung, die Regulierung der Finanzmärkte – ist schon ziemlich mau. Kommt ein Konzept doch an die Oberfläche, wird es gleich als »obsolete Ideensammlung« in die Tonne getreten.
Seit Monaten Rekordwerte beim Wechselwunsch: Fast zwei Drittel wollen eine andere Regierung. Doch nur jeder Dritte möchte, dass sich dadurch viel verändert. Mir geht es auch so: Ich bin prinzipiell unglücklich mit der Großen Koalition, weil sie schlecht ist fürs System, weil sie Langeweile und Mutlosigkeit befördert. Andererseits: Die beiden Großen haben uns zusammen nicht schlecht durch die Krise gebracht. Also, ich will einen Wechsel, aber keinen Bruch. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das wählen soll. Ob ich wohl mal bei den Grünen vorbeischaue? Ich bin mir ziemlich sicher, die schon mal gewählt zu haben.

Bis zur Bundestagswahl wird Jörg Lau in der ZEIT den
Wahlkampf aus Sicht eines Wechselwählers kommentieren