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Scharia in Aktion: 164 Frauen droht Auspeitschung – allein im Juli

Mona Eltahawy, die ägyptisch-amerikanische Journalistin fragt sich in einem Stück für die New York Times, wo die Empörung über die Fälle der mindestens 164 muslimischen Frauen bleibt, die allein im Monat Juli zu Auspeitschungen verurteilt wurden. Nein, nicht von den Taliban in Pakistan oder Afghanistan: in Malaysia, im Sudan und auf den Malediven – letzteres Inselatoll ist eine der liebsten Feriendestinationen der Deutschen.

Mona Eltahawy Foto: monaeltahawy.com

Über einen der Fälle hatte ich hier schon berichtet – Lubna Hussein, die im Sudan wegen Tragens einer Hose verurteilt wurde. Ihr Prozess wird Anfang September wieder aufgenommen. Wer wundert sich schon noch über Sudan wo der Oberschurke Al-Bashir herrscht, der Schlächter von Darfur!

Aber die Malediven haben einen angeblich reformgesinnten Präsidenten, der es offenbar zuläßt, dass 150 Frauen für „aussereheliche Affären“ ausgepeitscht werden sollen. Hier der Bericht von Amnesty über das Urteil. Wie kann man bloß in so einem Land Urlaub am Strand machen?

In Malaysia schließlich, das auch gerne für sich um Touristen wirbt – „Malaysia, truly Asia“ – wurde am 5. Juli vor einem „Islamischen Gericht“  eine Frau zur Auspeitschung mit einer Rattan-Rute verurteilt. Ihr Verbrechen: Sie hatte ein Bier zusammen mit ihrem Mann getrunken, in einer Bar.

Gulf News gab sie angeblich zu Protokoll:

I will accept this earthly punishment,“ the national news agency Bernama quoted her as saying. „I want to advise youngsters to learn from my experience, not to repeat my mistake and cause shame to yourself and family.“

Grauenhaft. Widerlich.

 

Sebastian Haffner über Afghanistan

Als ich diese Stelle in einem alten Buch las – fast dreißig Jahre alt! – hat es mir fast die Schuhe ausgezogen. Wie bitte? Damals hat der Mann das schon gesehen? Ist ja Wahnsinn.

Der Mann ist Sebastian Haffner, und das Buch heißt „Überlegungen eines Wechselwählers“. Es erschien 1980 zur Wahl – als Empfehlung für Helmut Schmidt und gegen Franz-Josef Strauss. Haffner hätte aus innepolitischen Gründen nichts gegen die Union an der Regierung gehabt, aber die Aussenpolitik hat für ihn den Ausschlag gegeben, noch einmal der SPD den Sieg zu wünschen.

Und am Ende kommt er auf einen Konflikt zu sprechen, der damals noch vor allem die USA betraf. Heute ist er auch unserer. Die Rede ist von Afghanistan. Die Russen hatten das Land besetzt, und Amerika nahm auf seiten der Mudschaheddin Partei, die es in der Folge massiv unterstützte, zum großen Teil über den Umweg des pakistanischen Geheimdienstes, der den islamistischen Widerstand mit amerikanischen Dollars förderte.

Sebastian Haffner Foto: Teuto

Haffner sieht hier schon den neuen Weltkonflikt heraufziehen, der den Kalten Krieg ablösen wird. Den Konflikt mit einem „militanten islamischen Glaubensfanatismus“. Sein Rat, dies an einen Konflikt zu begreifen, der die Blockkonfrontation transzendiert, liest sich wie ein Omen:

„Ob die Amerikaner in ihrem eigenen Interesse richtig gehandelt haben, als sie den russischen Einmarsch in Afghanistan, ein mit Amerika nicht verbündetes Land, mit wirtschaftlichen und sportlichen Sanktionen beantwortet haben, ist nicht unsere Sache zu entscheiden; wir sind nicht gefragt worden. Denkbar gewesen wäre auch eine ganz andere amerikanische Reaktion, bis hin zu einem russisch-amerikanischen Zusammenwirken. Denn schließlich haben es die Russen in Afghanistan mit demselben Gegner zu tun wie die Amerikaner im benachbarten Persien, nämlich einem wiedererwachten, ebenso antiwestlichen wie antiöstlichen, militanten islamischen Glaubensfanatismus; und ein gemeinsamer Gegner, sollte man meinen, legt eher Allianz nahe als Konflikt. Wie auch immer, dieser Konflikt ist nicht unser Konflikt. Afghanistan ist nicht unser Verbündeter, un wir sind kein Weltpolizist. Wir sind in Afghanistan nicht einmal ideologisch engagiert. In dem ideologischen Konflikt zwischen dem Kommunismus und der westlichen Demokratie sind wir Partei; aber zwischen Kommunismus und Islam sind wir neutral. Wenn Amerika glaubt, in diesem Konflikt Partei nehmen zu sollen, ist es seine Sache, nicht unsere. Unser klares Interesse – ein wirkliches Lebensinteresse – ist, zu verhindern, daß die mittelöstlichen Wirren auf Europa übergreifen; und es trifft sich gut, daß sich dieses Interesse mit dem ganz Europas deckt – ganz Europas: unserer westeuropäischer Partner sowohl wie der osteuropäischen Verbündeten Rußlands.

Aus: Sebastian Haffner, Überlegungen eines Wechselwählers, Kindler Verlag, München 1980 (2000, Neuauflage), S. 139

 

Von jetzt an kann es jeden treffen

(Mein Kommentar aus der ZEIT von morgen, Nr. 34, S. 8)
Europa darf sich von Teheraner Schauprozessen nicht einschüchtern lassen
Der Teheraner Prozess gegen die Opposition wirft vor allem eine Frage auf: Wen soll diese Inszenierung eigentlich beeindrucken? Man fühlt sich per Zeitmaschine in die Hochzeiten totalitärer Schauprozesse zurückversetzt: Ehemalige Stützen des Regimes beschuldigen sich in demütigender Häftlingskleidung vor der Weltöffentlichkeit selbst, eine »samtene Revolution« geplant zu haben. Der Höhepunkt des absurden Theaters war erreicht, als Clotilde Reiss, eine 24-jährige Französisch-Lektorin von der Universität in Isfahan, sich vergangenen Samstag vor dem Gericht gezwungen sah, beim »iranischen Volk« um Gnade zu bitten. Ihr »Verbrechen«: Sie hatte Fotos von zwei Demonstrationen gemacht und in E-Mails an Freunde von den Ereignissen nach den Wahlen berichtet. Die verängstigte junge Frau – sie hatte bereits fünf Wochen Haft hinter sich – sah sich mit über hundert Reformanhängern angeklagt, im Auftrag des Westens die Islamische Republik destabilisiert zu haben.
Hat Clotilde Reiss die Hunderttausende auf die Straßen getrieben? Im Internet kursieren schon Persiflagen auf solche »Geständnisse«, in denen sich Iraner in immer bizarreren Selbstbezichtigungen ergehen. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so abstoßend wäre.
Was aber ist der Sinn des Spektakels? Wen wollen die Mullahs auf diese Weise überzeugen, dass der Protest gegen die Wahlfälschung eine Machenschaft des Auslands sei? Die Antwort ist womöglich: Niemand. Es geht nicht um Beweise, sondern um Einschüchterung. Und da gilt die Logik: Je absurder die Anschuldigungen, umso wirksamer.
Iran ist nicht wie Nordkorea. Viele Menschen haben Zugang zu Satellitenfernsehen und Internet. Eben weil das Regime die eigene Öffentlichkeit nicht überzeugen kann, will es seine Entschlossenheit demonstrieren. Der Prozess dient der ideologischen Vorbereitung weiterer Repression: Jeglicher Protest – so die Botschaft – wird nun als Verrat behandelt und mit allen Mitteln niedergemacht werden.
Es spricht viel dafür, dass der Versuch, die Volkserhebung gegen die gefälschten Wahlen als West-Einmischung zu verleumden, zum Scheitern verurteilt ist. Denn die schärfste Kritik kommt dieser Tage aus dem Inneren des Systems. Es ist die loyale Opposition, die den Finger in die Wunde legt. Der frühere Präsident Chatami hat als Erster den »Schauprozess« kritisiert. Der Reformpolitiker Mehdi Karubi schreibt einen Brief an den ewigen Strippenzieher Rafsandschani, in dem er ungeheuerliche Vorwürfe publik macht: In einem Gefängnis der Revolutionsgarden seien Frauen und Männer aus der Opposition vergewaltigt worden. »Nicht einmal zu Zeiten des Schahs« – so Karubi – habe es dergleichen gegeben. Radikaler kann man die Legitimität der Regierung kaum infrage stellen. Mir Hussein Mussawi legte eine Liste mit 69 toten Demonstranten vor – dreimal so viele, wie die Regierung zugibt. Und Parlamentspräsident Laridschani kündigte einen Untersuchungsausschuss an.
Clotilde Reiss wurde unterdessen Haftverschonung gewährt. Der Prozess geht weiter, doch sie wird womöglich bald freikommen – nicht zuletzt, weil die Europäer diesmal zusammengehalten und klare Worte gefunden haben. Mit seinen Anklagen fordere Iran »die gesamte EU heraus«, sagte der Außenminister Carl Bildt im Namen der schwedischen Ratspräsidentschaft.
Gut gesprochen. Doch was wird aus den Iranern, die vor zwei Monaten, friedlich demonstrierend, ein anderes Bild ihres Landes prägten und nun noch zu Hunderten in den Gefängnissen sitzen? Der Prozess hat auch eine nach außen gerichtete Botschaft. Die westliche Öffentlichkeit, die Menschenrechtsorganisationen, die akademischen Austausch-Institutionen und nicht zuletzt unsere Regierungen sollen wissen: Wer sich für einen freieren Iran einsetzt, muss jetzt mit allem rechnen. Wir tun – zeigt das Regime – mit den Aktivisten und jenen, die ihnen helfen, was wir wollen. Jeder kann der Nächste sein. Und wir scheren uns nicht um eure Meinung. Gebt ihnen also keine Unterstützung mehr, sonst landen sie im Knast. Hört ihnen besser nicht mehr zu, druckt sie nicht mehr, ladet sie nicht mehr ein, sonst verurteilen wir sie als Spione.
Der Westen muss sich dieser Logik schon aus Selbstachtung entziehen und sich weiter für die Menschenrechte einsetzen. Es war richtig, Iran »Gespräche ohne Vorbedingungen« und die Rückkehr in die Weltgemeinschaft in Aussicht zu stellen. Dieses Angebot hat aber nur Wert, wenn wir uns im Dienst der neuen Entspannungspolitik nicht selbst aufgeben. Mit jedem weiteren Prozesstag werden die allseits gewünschten Gespräche unwahrscheinlicher. Ohne Vorbedingungen – das heißt eben nicht um jeden Preis.

 

Warum Russland und China Iran stützen

Eine Analyse auf Tehranbureau arbeitet heraus, warum Russen und Chinesen das Teheraner Regime unterstützen, obwohl sie offiziell gegen das Atomprogramm sind und Sanktionen befürworten (jedoch nie, ohne sie vorher in langen Verhandlungen vewässert zu haben):

„Russia treats Iran as a winning card in its relations with the United States. The fact that anti-American hardliners are in power in Iran is to Russia’s advantage. First, because it keeps the U.S. influence in Iran, if any at all, minimal. Second, it forces the United States to focus its attention on Iran, and less elsewhere. At the same time, by not completing the Bushehr reactor and promising to sell it the S-300 system, but not actually going through with the sale, Russia keeps the hardliners in Iran in need. The Iranian public and the reformist-democratic groups in Iran in particular, also see this, which explains their anger at Russia.

China, on the other hand, has a long history of supporting despots around the world, so long as doing so protects and expands its interests. Iran is no different in that respect for it. In Africa, for example, China supports Robert Mugabe’s regime in Zimbabwe and the Omar Al-Bashir’s in Sudan, despite all the calamities there. In East Asia, China supported the bloody Khmer Rouge regime in Cambodia who murdered 2 million Cambodians; and it supports North Korea.

Iran’s natural resources, large population, and strategic position are all important to China. China imports about 700,000 barrels of oil a day from Iran.“

Aber: Nach einem Bericht der LA Times beginnt immerhin in Russland eine Debatte darüber, ob das eigentlich eine schlaue Politik ist. Vor allem im Licht der jüngsten Ereignisse im Iran. Dort sind nämlich Russland und China zu den meist verhassten Ländern aufgestiegen, weil sie das Regime auch nach dem Coup mit den gefälschten Wahlen noch stützen. Es wird, wie in dem oben erwähnten Artikel von Tehranbureau geschildert, mittlerweile auch „Marg bar Rusieh“ (Tod Russland) und „Marg bar Chin“ (Tod China) gerufen – nach den rituellen „Tod Amerika“-Rufen.

Der Leitartikel der Nesavissimaja Gaseta vom 6. August fordert die russische Führung nun zu einer Revision ihrer Ahmadinedschad-Politik auf:

„It appears that recent events in Iran, when the opponents of Ahmadinejad shouted slogans of ‚Death to Russia,‘ indicate that Moscow’s defense of Ahmadinejad’s government has not been met with approval among a considerable portion of the Iranian population,“ the editorial said.

„It appears that the idea that Iran is a regional power which Russia could use as a trump card in relations with the West has turned out to be mistaken,“ the editorial says.

„As a matter of fact, it has turned out that Iran is using Russia to polarize the Group of Six,“ the five permanent members of the United Nations Security Council plus Germany, over Iran’s nuclear program.

The editorial pointed out that Russians are being singled out by the West and Iranians themselves as the primary backers of Ahmadinejad, possibly to Moscow’s disadvantage.

 

Wer gewinnt denn nun in Afghanistan?

Der gestern von mir verlinkte Artikel über General McChrystal macht Furore (auch in den deutschen Zeitungen, die heute damit aufmachen) in den USA. Hat der General wirklich gesagt, die Taliban hätten die Oberhand? Das Pentagon bestreitet dies. (In Amerika werden Interviews nicht autorisiert, daher ist die Wiedergabe des Gesagten offen für mehr Interpretationen.) Hier ein Beitrag auf NBC über die neu entfachte Afghanistan-Debatte:

 

Clotilde Reiss – Opfer der Schauprozesse im Iran

So sieht die Frau ohne Kopftuch aus, die derzeit in Teheran eine Hauptrolle in dem Schauprozeß spielen muss, den das Regime gegen seine Opposition durchpeitscht.

Clotilde Reiss ist eine 24jährige Akademikerin, die in Isfahan als Französisch-Lektorin gearbeitet hat.

Sie wurde am 1. Juli verhaftet, als sie nach Beirut ausfliegen wollte. Ihr „Verbrechen“: Sie soll Fotos von den Demonstrationen gemacht und weiter verbreitet haben.

Clotilde Reiss ist offenbar eine vom Iran begeisterte Orientalistin, die sich zu dem Land hingezogen gefühlt hatte. So heißt es auf einer französischen Website: „Ses amis, eux, parlent d’une amoureuse de l’Iran, qui n’a jamais manifesté aucune hostilité au régime.“

Nun findet sie sich als Opfer eben dieses Regimes auf den ersten Seiten der Weltpresse wieder – nach 6 Wochen Haft gefügig gemacht und „geständig“ – eine Schande für den Iran.

Hier eine Facebook-Seite zu ihrer Unterstützung.

 

Iranische Protest-T-shirts

Protest-T-Shirts von Tehranbureau.

Einige der Aufschriften:

„Facebook made me do it“ – „Mockracy“ – „Class of Evin 2009“ – „Islamic Republic 1979-2009“ – „My brother got a cracked skull in Tehran, and all he got me is this lousy T-shirt“ – „I don’t even like green“

Genauer anssehen hier.

 

Die Taliban haben die Oberhand in Afghanistan

Sagt der neue Oberkommandierende der amerikanischen Truppen dort, General Stanley McChrystal dem Wall Street Journal.
„The Taliban have gained the upper hand in Afghanistan, the top American commander there said, forcing the U.S. to change its strategy in the eight-year-old conflict by increasing the number of troops in heavily populated areas like the volatile southern city of Kandahar, the insurgency’s spiritual home.“

Foto: US Military

McChrystal spricht von einem „sehr aggressiven Feind“ und stellt in Aussicht, dass die Opferzahlen weiter hoch bleiben werden. Der Juli war der blutigste Monat für Briten und Amerikaner, und im August sind auch bereits 12 amerikanische Soldaten getötet worden.
Ende des Monats – nach den afghanischen Wahlen am 20. August – wird der General seine Einschätzung der Lage vorlegen. Es wird erwartet, dass er weitere 10.000 Soldaten fordern wird – zusätzlich zu den in diesem Jahr bereits stationierten weiteren 21.000 Truppen.
Während die Amerikaner bei ihrer Offensive in Helmand den neuen Ansatz McChrystals erproben – die Soldaten bleiben in der Fläche bei den Afghanen, schützen sie und initiieren zivile Aufbauprojekte – haben die Taliban sich in Kandahar stabilisiert.
Kandahar ist die Hauptstadt des Südens. Entwicklung und Staatsaufbau sind langfristig nicht denkbar, wenn die Taliban dort am Drücker bleiben. Aber McChrystal hat nicht genug Soldaten, um sich mit den Taliban wegen Kandahar anzulegen. Wird das Weisse Haus ihm noch mehr Soldaten geben können?
Interessanter Satz eines US-Militärs in dem Stück: „How many people do you bring in before the Afghans say, ‚You’re acting like the Russians‘?“ said one senior military official, referring to the Soviet occupation of Afghanistan in the 1980s. „That’s the big debate going on in the headquarters right now.“