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Demokratie lernen in Afghanistan

Dabei will eine Handreichung der Regierung in Dari und Pashto helfen, die durch ein sehr schönes Artwork bezaubert.

Heute abend wissen wir, ob’s was fruchtet. Mehr hier.

 

Wer gewinnt denn nun in Afghanistan?

Der gestern von mir verlinkte Artikel über General McChrystal macht Furore (auch in den deutschen Zeitungen, die heute damit aufmachen) in den USA. Hat der General wirklich gesagt, die Taliban hätten die Oberhand? Das Pentagon bestreitet dies. (In Amerika werden Interviews nicht autorisiert, daher ist die Wiedergabe des Gesagten offen für mehr Interpretationen.) Hier ein Beitrag auf NBC über die neu entfachte Afghanistan-Debatte:

 

Die Taliban haben die Oberhand in Afghanistan

Sagt der neue Oberkommandierende der amerikanischen Truppen dort, General Stanley McChrystal dem Wall Street Journal.
„The Taliban have gained the upper hand in Afghanistan, the top American commander there said, forcing the U.S. to change its strategy in the eight-year-old conflict by increasing the number of troops in heavily populated areas like the volatile southern city of Kandahar, the insurgency’s spiritual home.“

Foto: US Military

McChrystal spricht von einem „sehr aggressiven Feind“ und stellt in Aussicht, dass die Opferzahlen weiter hoch bleiben werden. Der Juli war der blutigste Monat für Briten und Amerikaner, und im August sind auch bereits 12 amerikanische Soldaten getötet worden.
Ende des Monats – nach den afghanischen Wahlen am 20. August – wird der General seine Einschätzung der Lage vorlegen. Es wird erwartet, dass er weitere 10.000 Soldaten fordern wird – zusätzlich zu den in diesem Jahr bereits stationierten weiteren 21.000 Truppen.
Während die Amerikaner bei ihrer Offensive in Helmand den neuen Ansatz McChrystals erproben – die Soldaten bleiben in der Fläche bei den Afghanen, schützen sie und initiieren zivile Aufbauprojekte – haben die Taliban sich in Kandahar stabilisiert.
Kandahar ist die Hauptstadt des Südens. Entwicklung und Staatsaufbau sind langfristig nicht denkbar, wenn die Taliban dort am Drücker bleiben. Aber McChrystal hat nicht genug Soldaten, um sich mit den Taliban wegen Kandahar anzulegen. Wird das Weisse Haus ihm noch mehr Soldaten geben können?
Interessanter Satz eines US-Militärs in dem Stück: „How many people do you bring in before the Afghans say, ‚You’re acting like the Russians‘?“ said one senior military official, referring to the Soviet occupation of Afghanistan in the 1980s. „That’s the big debate going on in the headquarters right now.“

 

Defätistische Gedanken beim Betrachten von Kriegsteppichen aus Afghanistan

In Afghanistan gibt es diese Teppiche, die sich mit akuellen Geschehnissen beschäftigen. Dieser hier ist rätselhafter Weise überschrieben mit „Leader have come with American Force“ und handelt vom Krieg gegen den Terrorismus.

(Mehr hier.)

Andere Teppiche beschäftigen sich mit dem Abzug der Sowjets.


Und wenn man diese Teppiche anschaut, weht einen schon ein gewisser Defätismus an: Was werden die Weber für Bilder knüpfen, wenn wir eines Tages abziehen? Ob es wirklich noch 10 Jahre dauert, wie Peter Struck gestern in der Berliner Zeitung sagte? Die Debatte um den Sinn des Krieges in Afghanistan bekomt zusehends Fahrt. Hier der kritische Konservative Andrew Bacevich:

„What is it about Afghanistan, possessing next to nothing that the United States requires, that justifies such lavish attention? In Washington, this question goes not only unanswered but unasked. Among Democrats and Republicans alike, with few exceptions, Afghanistan’s importance is simply assumed—much the way fifty years ago otherwise intelligent people simply assumed that the United States had a vital interest in ensuring the survival of South Vietnam. As then, so today, the assumption does not stand up to even casual scrutiny.

Fixing Afghanistan is not only unnecessary, it’s also likely to prove impossible. Not for nothing has the place acquired the nickname Graveyard of Empires. Of course, Americans, insistent that the dominion over which they preside does not meet the definition of empire, evince little interest in how Brits, Russians, or other foreigners have fared in attempting to impose their will on the Afghans. As General David McKiernan, until just recently the U.S. commander in Afghanistan, put it, “There’s always an inclination to relate what we’re doing with previous nations,” adding, “I think that’s a very unhealthy comparison.” McKiernan was expressing a view common among the ranks of the political and military elite: We’re Americans. We’re different. Therefore, the experience of others does not apply.

Of course, Americans like McKiernan who reject as irrelevant the experience of others might at least be willing to contemplate the experience of the United States itself. Take the case of Iraq, now bizarrely trumpeted in some quarters as a “s

uccess” and even more bizarrely seen as offering a template for how to turn Afghanistan around.

Much has been made of the United States Army’s rediscovery of (and growing infatuation with) counterinsurgency doctrine, applied in Iraq beginning in late 2006 when President Bush announced his so-called surge and anointed General David Petraeus as the senior U.S. commander in Baghdad. Yet technique is no substitute for strategy. Violence in Iraq may be down, but evidence of the promised political reconciliation that the surge was intended to produce remains elusive. America’s Mesopotamian misadventure continues.

So the answer to the question of the hour—What should the United States do about Afghanistan?—comes down to this: A sense of realism and a sense of proportion should oblige us to take a minimalist approach. As with Uruguay or Fiji or Estonia or other countries where U.S. interests are limited, the United States should undertake to secure those interests at the lowest cost possible.

What might this mean in practice? General Petraeus, now commanding United States Central Command, recently commented that “the mission is to ensure that Afghanistan does not again become a sanctuary for Al Qaeda and other transnational extremists,” in effect “to deny them safe havens in which they can plan and train for such attacks.”

The mission statement is a sound one. The current approach to accomplishing the mission is not sound and, indeed, qualifies as counterproductive. Note that denying Al Qaeda safe havens in Pakistan hasn’t required U.S. forces to occupy the frontier regions of that country. Similarly, denying Al Qaeda safe havens in Afghanistan shouldn’t require military occupation by the United States and its allies.

It would be much better to let local authorities do the heavy lifting. Provided appropriate incentives, the tribal chiefs who actually run Afghanistan are best positioned to prevent terrorist networks from establishing a large-scale presence. As a backup, intensive surveillance complemented with precision punitive strikes (assuming we can manage to kill the right people) will suffice to disrupt Al Qaeda’s plans. Certainly, that approach offers a cheaper and more efficient alter-native to establishing a large-scale and long-term U.S. ground presence—which, as the U.S. campaigns in both Iraq and Afghanistan have demonstrated, has the unintended effect of handing jihadists a recruiting tool that they are quick to exploit.

In the immediate wake of 9/11, all the talk—much of it emanating from neoconservative quarters—was about achieving a “decisive victory” over terror. Weiter„Defätistische Gedanken beim Betrachten von Kriegsteppichen aus Afghanistan“

 

Warum Deutschland in Afghanistan mehr tun muss

(Langfassung eines Stücks, das in veränderter Form morgen in der ZEIT erscheint:) 

Der freundliche Herr mit Silbermähne und randloser Brille brauchte neun Worte, um das politische Berlin in helle Aufregung zu versetzen. Ivo Daalder, als neuer Nato-Botschafter Obamas Mann in Brüssel, erläuterte Fachleuten und Politikern, wie es weitergehen soll mit der ISAF in Afghanistan, bei ihrem „größten und gefährlichsten Einsatz in der Geschichte der Nato“. Die Schlüsselworte standen etwas versteckt auf Seite 7 seines Redemanuskripts vom vergangenen Mittwoch: „Dennoch können und sollten Europa und Deutschland mehr tun.“ Daalder hatte an diesem Tag nur eine Botschaft, verpackt in viele freundliche Worte der Anerkennung: Es brennt in Afghanistan, und Deutschland muß helfen.

Auch das noch. Eine Woche zuvor erst waren drei deutsche Soldaten bei einem Einsatz in Nordafghanistan umgekommen, als sie sich unter heftigem Beschuss mit ihrem Panzerfahrzeug zu retten versuchten. Dem Verteidigungsminister stand ein schwerer Gang ins thüringische Bad Salzungen bevor, zur Beerdigung der drei Gefallenen. Und prompt kamen dann auch schon die neuesten Meinungsumfragen heraus: Kaum noch ein Drittel der Deutschen unterstützt jenen Einsatz, den die Regierung partout nicht unseren „Krieg“ in Afghanistan nennen will.

Der Verteidigungsminister betätigt sich in diesen Tagen hauptsächlich als Semantiker. In jeder seiner öffentlichen Äusserungen stellt er klart, Deutschland befinde sich nicht im Krieg, sondern im Kampfeinsatz. Warum ihm diese Unterscheidung so wichtig sei, die dem Volk offenbar nicht einleuchtet? Es gehe darum, so Jung, den Taliban nicht den Rang einer Kriegspartei mit Kombattantenstatus zuzugestehen. Sie müßten weiter als Terroristen und Verbrecher behandelt werden.

Die sprachliche Entschärfung macht den Einsatz aber offenbar nicht populärer. Im Gegenteil: Je öfter Franz-Josef Jung bestreitet, dass Deutschland Krieg führt, um so mehr setzt sich beim Publikum der fatale Eindruck von Überforderung und Verleugnung fest. Zumal wenn die Bundeswehr sich gleichzeitig gezwungen sieht, die Einsatzregeln für die Soldaten zu lockern, wie just am Wochenende publik wurde. Die Soldaten werden eine überarbeitete „Taschenkarte“ bekommen. Diese kurze Anweisung – eine Übersetzung der deutschen Einsatzregeln in simple Worte – gibt ihnen Orientierung über ihre Befugnisse in Gefahrensituationen. Die neue Taschenkarte wird den Gebrauch der Waffe leichter machen – eine Reaktion auf zunehmenden Beschuss und häufigere Hinterhalte im Einsatzgebiet. Die Deutschen werden also künftig offensiver vorgehen dürfen, wie von der Truppe lange schon gewünscht. Das heißt womöglich: Mehr Gefechte, mehr Verletzte, mehr Tote.

Da hat es gerade noch gefehlt, dass Obamas Nato-Mann ausgerechnet jetzt den Druck erhöht. Nicht dass man nicht schon geahnt hätte, dass es eines Tages so kommen würde. Obama war ja nicht zuletzt aufgrund des aussenpolitischen Versprechens gewählt worden, den „falschen Krieg“ im Irak zu beenden, und den „richtigen Krieg“ in Afghanistan zu gewinnen – und zwar mit Hilfe eben jener europäischen Freunde, die ein Bush nicht mehr erreichen konnten.

Aber warum jetzt mehr Druck? Die maßgeblichen Aussenpolitiker der Koalition sind mehr als „ein Stück weit irritiert über Herrn Daalder“, wie ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses formuliert. Bei Union und SPD trifft man vor allem auf zwei Reaktionen: Haben die Amerikaner vergessen, dass wir bald schon mitten im Wahlkampf stehen? Die wissen doch genau, dass wir unsere Mandatsobergrenze auf 4.500 Mann erhöht haben und ständig mehr Soldaten schicken!

Natürlich wissen „die“ das: Barack Obama hat darum beim Besuch der Kanzlerin am vorletzten Wochenende peinlich vermieden, von den Deutschen öffentlich mehr zu verlangen. Das Thema Afghanistan wurde mit Rücksicht auf den 27. September gemieden. Obama weiss sehr wohl, dass die Kanzlerin das toxische Thema bis dahin lieber nicht anfassen möchte. Vielleicht schickt er eben darum seinen Nato-Mann schon einmal nach Berlin, um deutlich zu machen, dass man sich an die Ausklammerung des Themas besser nicht gewöhnen möge. Jene 600 Soldaten, die soeben von Deutschland zur Absicherung der afghanischen Wahl im August zusätzlich ins Land beordert wurden, müssten auch danach auf jeden Fall bleiben, sagte Daalder in Berlin: „Die Sicherheitslage wird sich nach der Wahl nicht wie von Zauberhand verbessern. Da finden wir für ihre Soldaten schon etwas zu tun.“

Auch wenn Merkel und Obama in Washington das Thema Afghanistan mieden – es ist schwer vorstellbar, dass der amerikanische Präsident seiner wichtigsten europäischen Partnerin nichts von der geplanten Groß-Offensive in der südafghanischen Provinz Helmand gesagt haben sollte. Dieser Vorstoß hat nun am letzten Donnerstag begonnen. Im Lichte dieses militärischen Angriffs, des größten seit der Invasion von 2001, bekommt die neue diplomatische Offensive des Nato-Botschafters eine enorme Dringlichkeit. Die Amerikaner suchen jetzt die Wende um jeden Preis in dem bald achtjährigen Krieg.

4000 Marines sind seit letztem Donnerstag dabei, die Provinz Helmand unter Kontrolle zu bringen – eine Hochburg der Taliban und zugleich das wichtigste Drogenanbaugebiet des Landes. Durch Diplomatie und militärische Stärke zugleich will Obama beweisen, dass er sich diesen Krieg wirklich zu eigen gemacht hat. Was am Hindukusch passiert, ist nun auf Gedeih und Verderb „Obama’s war“ (Washington Post). Und ein Präsident, der sein Schicksal derart mit diesem Konflikt verbindet, kann und muss auch gegenüber seinen Verbündeten bestimmter auftreten.

Der Strategiewechsel der Amerikaner unter Obama wurde in Berlin mit Genugtuung aufgenommen. Nun aber beginnt die Zufriedenheit der Nervösität zu weichen. Jahrelang hatte man die amerikanische Überbetonung des Militärischen kritisiert und das deutsche Konzept der „vernetzten Sicherheit“ dagegengehalten, in dem die Betonung auf dem zivilen Aufbau liegt. Das wird nun unterlaufen, indem die Kritisierten sich reuig zeigen: Jawohl, ihr hattet recht. Wir haben erstens (im Irak) einen falschen Krieg geführt, und zweitens den richtigen Krieg (in Afghanistan) auf die falsche Weise. Wir nehmen uns eure Kritik zu Herzen. Botschafter Daalder sagte in Berlin: „Wir haben so viele Jahre lang die falsche Strategie in Afghanistan verfolgt, dass es uns kaum gelingen kann, diesen Krieg binnen einen Jahres zu drehen.“ Das ist ein bemerkenswert offenherziges Geständnis. Es schafft zugleich eine ziemliche unwiderstehliche Verpflichtung. Denn: Wenn wir mit der Reue durch sind – so die neue amerikanische Logik -, würden wir uns gerne mit euch zusammensetzen und überlegen, wie wir den richtigen Krieg doch noch gewinnen können. Wir haben übrigens nicht viel Zeit. Nicht mehr als zwölf bis achtzehn Monate. Dann nämlich drohen auch in den USA die nächsten Wahlen: Bei der Abstimmung zum Kongress Ende 2010 wird Obamas Politik ihrem ersten Stresstest beim Wähler unterzogen werden. Ist dann keine Wende zu sehen, wird es eng.

Worauf aber zielt eigentlich der neue amerikanische Druck? Geht es um die Beteiligung an gefährlichen Kampfeinsätzen im paschtunisch dominierten Süden des Landes, wie in der deutschen Debatte oft suggeriert wird? Eher nicht: Die Amerikaner warten dabei nicht auf die Deutschen, wie die jetzige Offensive in Helmand zeigt. Und sie können auch nicht erwarten, dass im Dezember, wenn der Bundeswehr im Parlament ein neues Mandat erteilt werden muss, wesentlich mehr als die jetzt schon möglichen 4.500 Truppen bewilligt werden. Selbst eine schwarz-gelbe Regierung hätte da nicht mehr Spielraum, wie sich schon dieser Tage andeutet: Der Versuchung, aus der Anti-Stimmung im Wahlkampf Honig zu saugen, erliegen jetzt schon namhafte Unions-Abgeordnete. Der CSU- Landesgruppenchef Ramsauer fordert lauthals eine „Exit-Strategie“. Und auch der Sicherheitsexperte der CSU, Hans-Peter Uhl, wünscht öffentlich einen „baldigen Abzug“ der Bundeswehr. Er halte es darum für „an der Zeit, die Priorität des Afghanistan-Einsatzes vom Militär zur Polizei zu verlagern.“

Die bittere Wahrheit ist allerdings, wie andere einflussreiche Aussenpolitiker der Koalition hinter vorgehaltener Hand bereitwillig eingestehen, dass Deutschland und Europa bei eben dieser Aufgabe „schmählich versagt“ haben. Deutschlands etwa 40 permanente Ausbilder und 100 zusätzliche Trainer haben seit 2002 circa 25.0000 Polizisten gecoacht. Nicht schlecht, aber viel zu wenig. Der Versuch, seit 2007 die Polizeiausbildung zu europäisieren, wurde vollends ein Fiasko. Von den versprochenen 400 Trainern kamen nur rund die Häfte. Man zerstritt sich über die Finanzierung und die Richtlinien. Währenddessen hat Obama nun 1.500 zusätzliche Trainer in Marsch gesetzt. Deutschland gibt schlanke 35,7 Millionen € im Jahr für die Polizei-Ausbildung aus – deutlich weniger, als der Regierung die Rettung des Quelle-Katalogs (50 Millionen €) per Massekredit wert ist.

Vielleicht hat die berechtigte Kritik an der früheren amerikanischen Kriegsführung – mit ihren vielen zivilen Opfern durch Luftangriffe – die deutsche Seite verleitet, die eigenen Anstrengungen nicht mehr selbstkritisch zu durchleuchten, weil sie ja ohnehin den moralisch höherwertigen Ansatz zu repräsentieren schienen. Doch das ist nun vorbei, auch wenn die Amerikaner jetzt in Helmand massiv vorgehen und dabei zwangsweise neue Opfer produzieren werden. Denn ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt, dass Amerika in der zivilen Aufbauarbeit viel mehr tut als die Europäer. Die Bundesregierung stellte 2008 140 Millionen € für den Aufbau bereit. Die USA kamen im gleichen Jahr bereits auf 5,6 Milliarden Dollar. Darin sind auch die Mittel für die afghanischen Sicherheitskräfte enthalten. Aber selbst wenn man sie abzieht, bleibt die beschämende Tatsache, dass Amerika fast 15 mal so viel in den zivilen Aufbau Afghanistans investiert wie Deutschland. Und für 2009 hat Obama den Beitrag kurzerhand abermals verdoppelt auf geplanten 10,3 Milliarden. Zum Vergleich: Die Europäische Union ist stolz darauf, für die Zeit zwischen 2007 bis 2010 insgesamt 700 Millionen € bereitzustellen.

Dieses wachsende Ungleichgewicht führt dazu, dass das deutsche Mantra langsam unglaubwürdig wirkt, man stehe zur „vernetzten Sicherheit“ und werde – nun aber wirklich! – die „zivile Komponente“ stärken. Dazu war schon viele Jahre Zeit. Mit der mangelnden Kampfbereitschaft der Deutschen haben sich die Alliierten zwar abgefunden. Das ungenügende zivile Engagement aber ist das eigentliche Problem: Wenn Deutschland sich in einem glaubwürdigen Umfang am Staatsaufbau, an der Förderung der Landwirtschaft sowie an der Ausbildung von Polizei und Armee beteiligen würde, gäbe es keinen Druck, mehr zu tun. Doch stattdessen hat die Regierung sich darauf verlegt, immer wieder symbolische Kontingenterhöhungen vorzunehmen, um den Druck abzufangen: Die Tornados und neuerdings die Awacs-Überwachungsflugzeuge, die Deutschland bereitstellt, sind vor allem Placebos für die Alliierten. Sie werden nicht aus militärischer Notwendigkeit nach Afghanistan geschickt, sondern um dem befürchteten Ruf nach mehr Soldaten etwas entgegensetzen zu können.

Die deutschen Abgeordneten, die jetzt in die Ferien und dann in den Wahlkampf gehen, ist schmerzlich klar, wie schwer die deutsche Afghanistan-Politik bei ihren Wählern zu vertreten ist. Nur die todesmutigen unter ihnen werden das Thema von sich aus ansprechen bei ihren Wahlkreisveranstaltungen. Wenn es aber doch aufkommt, sagt ein Sozialdemokrat mit von Vergeblichkeit gezeichneter Stimme, „braucht man dann schon ein paar Minuten“: „Viele Wähler haben ihre Meinung gebildet und hören schlicht nicht mehr zu.“ Wer diese dennoch erreichen wolle, müsse „die große moralische Erzählung“ über Afghanistan fallen lassen und eine realistische Perspektive bieten können.

In Wahrheit aber werden seit geraumer Zeit schon die Ziele für den Einsatz heruntergedimmt. Von Demokratie, Menschen- und Frauenrechten als Ziel der westlichen Mission ist auffällig selten noch die Rede. Die Afghanen in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt und ihre Sicherheit selbst zu garantieren, lautet die neue, bescheidene Maxime. Dass die Taliban nie wieder die Kontrolle über das Land haben dürfen, ist der Minimalkonsens.

Vielleicht liegt in dieser Ernüchterung eine Chance. Doch einfacher wird es damit eben nicht. Denn der neue Realismus am Hindukusch bringt auch ein neues afghanisches Paradox mit sich: In Zukunft müssen für deutliche bescheidenere Ziele erheblich größere Mittel mobilisiert werden.

 

Worum es in Afghanistan wirklich geht

Zitat aus einem interessanten NYT-Artikel über den „Surge“ in Afghanistan:

What is now causing unrest in Jalrez is an assortment of low-level criminals, Americans and Afghans said, men who may be thought of as Taliban, but whose main pursuit is money, not infidels. (The main target in Jalrez is a man whose last big crime was stealing solar panels.) That gives the Americans hope that if they bring money and jobs fast enough here and to the rest country, they could substantially weaken the insurgency.

“I learned everything I know about the Jalrez insurgency from ‘The Sopranos,’ ” Colonel Gallahue said. “At the foot soldier level, it’s economically driven.”

Ich wusste immer schon, dass meine Lieblingsserie den Schlüssel zur Weisheit enthält:

 

„Krieg gegen den Terrorismus“ ist zuende

Jedenfalls der Gebrauch des Begriffs. Das sagte die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton Reportern auf dem Flug nach Den Haag, wo sie heute an der Afghanistan-Konferenz teilnimmt.

Es gebe keine Direktive zum Wortgebrauch. Die Obama-Regierung habe einfach aufgehört, das Wort zu benutzen.

Gut so. Es war von Anfang an eine dumme Idee, einen Krieg gegen eine Methode zu führen.

Und dann kam noch hinzu, dass die Phrase für die Propaganda zur Vorbereitung des Irak-Krieges gebraucht wurde. Und der Krieg gegen Saddam Hussein hatte mit dem internationalen Terrorismus nun wirklich gar nichts zu tun.

Ironie der Lage: Während uns die Worte ausgehen, um den Konflikt zu beschreiben, wird die Lage immer dramatischer, vor allem in AfPak. Der „lange Krieg“ ist noch lange nicht vorbei: 

Replying to a question on the plane bringing her to The Hague, Clinton declared: „As you said, the administration has stopped using the phrase, and I think that speaks for itself, obviously.“

The secretary of state, who was to take part in an international conference on Afghanistan in the Dutch administrative capital, said of the phrase: „I haven’t heard it used. I haven’t gotten any directive about using it or not using it. It’s just not being used.“

The Bush administration that preceded Obama in the White House used the „war on terror“ to justify its intervention in Iraq, as well as its imprisonment of detainees at Guantanamo in Cuba and secret CIA prisons abroad.

 

Afghanistan aufteilen?

Hassan Haidar von Al Hayat glaubt, die Amerikaner seien an dem Versuch, einen Zentralstaat in Afghanistan aufzubauen, verzweifelt und bereiteten insgeheim die Aufteilung des Landes in kleine Einheiten vor. Bei dem jetzt von Obama angekündigten Truppenaufbau gehe es nur um den Schutz der Wahlen, die im August stattfinden werden – und schließlich um den geordneten Rückzug: 

The Obama administration is convinced  that the attempts that have marked modern history for establishing a strong central state in Afghanistan with foreign support have all failed. The country fell each time in the trap of chaos, corruption, divisions, local wars, and tribal rivalries, thus affecting internal stability and threatening neighboring countries. The administration is also convinced that a „decentralized“ solution must lead this time to a system that meets the needs of the center and the peripheries alike. This would take place within a balance that preserves the rights of citizens and tribes, and their role in drafting decisions and sharing resources – especially that demographics in Afghanistan support this objective: the country consists of human settlements separated by empty regions. Such a trend also corresponds to Iran’s desire to see its allies, such as Gulbuddin Hekmatyar and Shia Hazaras, enjoy a special status within the Afghan structure.

For this reason, there is much talk these days about a potential dialogue with moderate Taliban leaders and a potential replication of the ‚awakening councils‘ experience in Iraq. Criticism against President Karzai abounds. He is accused of corruption; failure to have provided the necessary aid to the needy areas; nepotism (he appointed relatives as leaders of the areas and sole supervisors of money distribution). He is seen as having encouraged local inhabitants and figures to ask Taliban for help, because he did not offer any alternative. In fact, perhaps the coming weeks will reveal an American desire to change Karzai, who is also viewed as a ‚Bush legacy.‘

Hence, the new US strategy is based on avoiding the mistakes made by previous occupiers such as the British and the Soviets, who tried to build a central state which would subject the whole country to the capital and its army. This would ultimately lead to the collapse of the country if the capital collapses. Instead, the new strategy is based on ‚dividing‘ Afghanistan into a series of small independent areas that would rely for funding and armament on the Americans and their allies. Each would have leaders linked to specific interests and ready to fight for them, and hence it would be difficult for one single political or military force to subject them all to its authority.

Washington believes that finding a new reality would allow it a peaceful withdrawal from Afghanistan, while maintaining assistance and advisors for a specific period of time. Will it really succeed in this, or will the withdrawal decision lead to a collapse similar to that of previous experiences?

 

Der mit dem Talib spricht

 

Der kanadische Journalist Graeme Smith von der Zeitung Globe and Mail hat vor einem Jahr bereits getan, was nun westliche Regierungen erwägen: Mit den Taliban sprechen. Er drückte einem afghanischen Reporter mit Nähe zu den Aufständischen eine Kamera in die Hand und gab ihm eine Liste von Fragen mit – und so entstanden 42 Video-Interviews mit durchschnittlichen Taliban-Kämpfern.

Sie sind alle im Original mit englischen Untertitel auf der Website des Globe abzurufen. Es bietet sich ein ernüchterndes Bild einer Gruppe von entschlossenen Kämpfern, die gegen die „Nichtmuslime“ aufstehen, die ihr Land besetzt haben – ohne die leiseste Idee von diesen Besatzern und ihren Heimatländern. (Nicht einmal „Nato“ sagt den meisten etwas.)  Sie wollen einen islamischen Staat in Afghanistan. Sie sind keine globalen Dschihadisten, die ihren Kampf weiter tragen wollen als über ihren Lebensraum. Viele von ihnen sind in den Drogenanbau verwickelt, ein Drittel ist betroffen (oder behauptet dies) von Militäraktionen der multinationalen Kräfte, die man rächen will. Selbstmordaktionen, die einst noch skeptisch gesehen wurden (weil sie keine ehrenwerte Form des Kampfes seien), werden heute von den meisten bejaht. 

Auszug aus der Website: 

The typical Taliban foot soldier battling Canadian troops and their allies in Kandahar is not a global jihadist who dreams of some day waging war on Canadian soil. In fact, he would have trouble finding Canada on a map.

Screenshot: JL

A survey of 42 insurgents in Kandahar province posed a series of questions about the fighters‘ view of the world, and the results contradicted the oft-repeated perception of the Taliban as sophisticated terrorists who pose a direct threat to Western countries.

 

Faced with a multiple-choice question about Canada’s location, only one of 42 fighters correctly guessed that Canada is located to the north of the United States, meaning the insurgents performed worse than randomly.

 

None of them could identify Stephen Harper as the Prime Minister of Canada, and they often repeated the syllables of his name — „Stepheh Napper,“ „Sehn Hahn,“ „Steng Peng Beng,“ „Gra Pla Pla“ — that reflected their puzzlement over a name they had never heard.

 

Nor did they seem to associate the word „Canada“ with anything except, in some cases, the soldiers now serving in Afghanistan. Most could not distinguish between the French- and English-speaking rotations of troops.

 

The results show the depth of ignorance among front-line insurgents in Kandahar. In a previous visit to the tribal areas of Pakistan, a reporter for The Globe and Mail personally met with more sophisticated Taliban who demonstrated a keen grasp of politics and appeared to know the latest news of the war. But those politically astute Taliban were hundreds of kilometres away from the battlefields, and it remains unclear how much control such organizers exert over the day-to-day operations of the insurgency.

 

The Taliban became synonymous with ignorance during their years in government, banning media such as television that might bring foreign ideas into the country. As insurgents, however, they’ve shown a newfound flair for technology, distributing video propaganda and sending press statements via text message to reporters‘ mobile phones.

 

„Those [insurgents] making decisions are more sophisticated than those you are interviewing, so there is some chance of this being plausible,“ the expert said. „But I think they’re working to their own calendar, not ours.“ Three fighters in the survey didn’t recognize the name of U.S. President George W. Bush, and another mispronounced his name as „Bukh,“ suggesting he wasn’t familiar with the word.

 

Those who had heard of the U.S. President often gave responses that revealed more of their parochialism. He was called a „Jew,“ and „King of America.“ Sometimes, amid the errors, the Taliban showed their simplistic view of world politics.

 

„He is the son of George W, [and] he is the son of Clinton W, and he is American, and is a serious enemy of Islam,“ said one fighter in his description of Mr. Bush.