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Spiel, Satz, Sieg: Obama

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Gestern abend war ich auf Einladung der dort wohnenden Studenten im Lowell House, dem schönsten Studentenwohnheim („dorm“) Harvards. Zu etwa 120 sahen wir im überfüllten Junior Commons Room die erste Debatte der beiden Kandidaten. Man sitzt in gemütlichen Ledersesseln in einem holzgetäfelten Raum, der  dem Vorbild des englischen Cambridge nachstrebt. Die Studenten sind eine bunt gemischte Truppe aus all american boys und girls, vielen Asiaten und einer ansehnlichen Zahl Schwarzer.

Cameron Van Peterson, der Tutor im Lowell House, der mich eingeladen hat, ist einer von ihnen.  Die Atmosphäre gleicht einem public viewing bei der Fussball WM. Man isst Pizza und trinkt Ginger Ale dazu (kein Alkohol bei öffentlichen Studentenveranstaltungen).

Nach der Debatte sollte ich eine Einschätzung „aus europäischer Sicht“ abgeben. Na ja.

Mir sind folgende Dinge aufgefallen: McCain wirkte sehr unwohl in seiner Haut. Ständig grinste er angespannt, wenn Obama redete. Während Obama den Senator aus Arizona öfter als „John“ anredete, kam McCain „Barack“ nie über die Lippen. Nicht einmal konnte McCain es über sich bringen, Obama ins Auge zu sehen. Obama wollte sich offenbar als ein Insider darstellen, der mit McCain per Du ist, McCain wollte Obama auf Distanz halten als jemanden, der unerfahren ist, keine Ahnung hat und eigentlich nicht mit ihm auf einem Podium diskutieren sollte.

Immer wieder betonte McCain, Obama „versteht offenbar nicht, dass…“ Für sich selbst nahm er lange Erfahrung in Anspruch („I have a record“). Und zugleich stellte er sich selbst als „Maverick“ dar, als Unangepaßten. Das tut man eigentlich nicht. Das Urteil überläßt man dem Zuschauer. „Ich bin ein Unangepaßter“ – irgendwie peinlich, sowas.

Obama war recht forsch. Sehr viel aggressiver als gegenüber seiner Rivalin Clinton. Er erntete große Lacher in unserem Saal, als er auf McCains Forderun nach „prudence“ (Besonnenheit) konterte: Ja, das sei zweifellos richtig.Aber diese Forderung habe doch einen schrägen Klang, wenn sie von jemandem komme, der Nordkorea mit Auslöschung bedroht und öffentlich ein Lied über die Bombardierung Irans angestimmt habe.

Insgesamt schien mir, daß McCain auf seinem Feld, der Aussenpolitik, nicht den erwarteten Sieg erzielen konnte. Sicher wird er manchen Zuschauer mit seiner Erfahrung beeindruckt haben – er zählte wichtige Entscheidungen auf, an denen er beteiligt war, vo, ersten Golfkrieg über Bosnien, Kosovo und Afghanistan bis zum Irakkrieg.

Aber oft wirkte er eben doch als sehr sehr alter Mann – wenn er etwa Roosevelt über die Invasion in der Normandie zitierte, als wäre er dort auch schon selbst dabei gewesen.

Den Namen des iranischen Präsidenten verhaute er – Ahmadamadinedschad äh Ahmadinedschad. Beim Thema Iran wurde er richtig wach, während er zuvor über die Finanzkrise nur Unfug verbreiten konnte. (Er will die Krise überwinden, indem er die Ausgaben radikal kürzt – für alles ausser das Militär! – und zugleich stimmt er der größten Staatsausgabe aller Zeiten zu, dem 700 Milliarden-Dollar-Paket der Regierung. Die Bush-Regierung, die er selbst als Senator gestützt hat, hat das Land in ein Riesendefizit gewirtschaftet – doch die Finanzkrise an der Wall Street hat mit den Staatsausgaben herzlich wenig zu tun.)

Beim Thema Iran war McCain voll da: Immer wieder beschwor er die Szene herauf, dass Obama sich mit Ahmadinedschad an einen Tisch setzen werde – und damit dessen Position zu Israel aufwerten werde. Obama widersprach – Gespräche ohne Vorausbedingungen seien keine Anerkennung der Gegenposition und „kein Teetrinken“. Aber McCain schlug immer wieder in die gleiche Kerbe.

Man konnte hier eine klare Alternative in der Aussenpolitik sehen: McCain glaubt, er könne eine „Liga der Demokratien“ zusammenbringen, die ausserhalb der UN (und ohne Russen und Chinesen) die westlichen Politikvorstellungen erzwingen könne. (Das Problem ist nur, dass die Länder, die er dabei im Blick hat – Frankreich, Deutschland, Grossbritannien – dies allesamt für eine Schnapsidee halten.)

Obama hat erkannt, dass die Zeit für solche Hegemonieträume vorbei ist und setzt auf Diplomatie selbst gegenüber Schurken. Der alte Weg, den McCain weitergehen möchte, habe gegenüber Iran nichts gebracht, sagt er. Naiv hat er sich dabei nicht gezeigt. Wenn wir direkten Gesprächen eine Chance geben, sagt Obama, und diese scheitern, sind wir in einer sehr viel besseren Position, harte Sanktionen mit allen beteiligten Mächten durchzudrücken, als heute.

Schlauer Weise beruft Obama sich dabei auf Henry Kissinger, der länger schon eben diesem Strategiewechsel das Wort redet. Obama würde nicht sofort selber mit dem Präsidenten Irans am Tisch sitzen, sondern die Aussenminister zunächgs sprechen lassen. McCain konnte nur wütend zischend behaupten, „mein Freund“ Kissinger  sei nicht für Gespräche ohne Vorbedingungen. Stimmt aber nicht. Punkt Obama.

An diesem Punkt dachte ich: Wenn die Aussenpolitik McCains starke Seite ist, dann war das hier ein Desaster.

Obama war sehr stark in puncto Irakkrieg: Während McCain immer wieder betonte, der „surge“ wirke und man werde den Krieg gewinnen, konterte Obama, der „surge“ sei erst nötig geworden, weil man den Krieg jahrelang falsch geführt habe. Und im übrigensei der Irakkrieg selbst  eine „Ablenkung“ von der wahren Front im Kampf gegen den Terrorismus, die in Afghanistan verlaufe. Osama bin Laden ist immer noch auf freiem Fuß, und die Gefahr eines nuklearen Anschlags auf Amerika sei nicht gebannt, weil Pakistan und Afghanistan aus dem Blick geraten seien wegen des unnötigen Kriegs im Iran.

Obama sagte, er werde mehr Truppen (aus Irak) nach Afghanistan schicken, damit dieser vergessene Krieg nicht verloren gehe. Ich halte das für richtig und klug. Und ich weiß, daß unsere Regierung es genau so sieht. Für Merkel wie für Steinmeier, die sich hier absolut einig sind, wäre es großartig, jemanden im Weissen Haus zu haben, der diese Sicht teilt und damit ihre eigene Position zuhause leichter machen würde.

Als ich den Studenten diese europäische Sicht auf das Thema erklärte, fand ich weitgehend Zustimmung. Eine Studentin fragte mich, wie ich mir die Tatsache erkläre, dass Obama in Europa überwältigend vorne liege, während er hier in Amerika immer noch ungefähr gleichauf mit McCain bewertet werde.

Darauf antwortete ich mit einer Episode aus meinem Besuch in Los Angeles vorige Woche, wo ich mit einem sehr netten Republikaner über Obama debattiert hatte. Peter fragte mich, wie ich mir die 200.000 Zuhörer für Obama in Berlin erkläre: „Are they anti-american?“ Ich mußte schlucken, denn Peter meinte das ernst. Nein, gab ich zurück: das sind Leute, die sich das gute Amerika zurückwünschen. Leute, die Amerika lieben und es satt haben, immer wieder Dinge verteidigen zu müssen, die man nicht verteidigen kann. Im übrigen, und das war meine Schlussbemerkung, hat schon Winston Churchill gesagt: „The Americans will always do the right thing. After they’ve exhausted the alternatives.“ Es gab freundlichen Applaus.

Ja, man wird hier derzeit als Europäer sehr nett behandelt. Es gibt eine neue Nachdenklichkeit über das amerikanische Modell – im Zeichen der Finanzkrise, die eine sehr viel tiefere Krise in sich bereithält. Und im Zeichen des Niedergangs der amerikanischen Macht, deren Zeichen nur einer der Kandidaten zu lesen bereit ist. Was nicht bedeuten muß, dass die Leute ihn darum auch wählen werden.

Amerika ist durch die Bush-Regierung innen wie aussen unerhört geschwächt worden. Obamas Versprechen ist, diese Situation zu verstehen (statt sie wie McCain zu leugnen) und das ANSEHEN Amerikas wieder herzustellen. Ich habe den Eindruck, er hat seinen Anspruch darauf glaubhaft machen können. John McCain war ein ehrenhafter Mann, bis er vor seiner Partei in die Knie gegangen ist und auf eine unfaßlich zynische Weise die bisher unfähigste Person seit Bestehen der amerikanischen Demokratie für das Vizepräsidentenamt nominiert hat. (Dan Quayle war ein Gigant dagegen!) Und so etwas von einem Mann, der sich etwas auf seine Erfahrung und Urteilskraft zugute hält!

Mein Eindruck ist: Die Sache ist gelaufen. Obama „knocked the ball out of the ballpark“, wie man hier sagt. Wenn das mal nicht wieder typisch europäisches Wunschdenken ist.

 

Links-Aussen

Die LINKE debattiert vor ihrem ersten Parteitag über Israel, Afghanistan und Menschenrechte. Erkundungen zur Aussenpolitik der Linkspartei
(aus der ZEIT vom 21. Mai 2008)

Von Cottbus aus werden am kommenden Wochenende Botschaften in weit entlegene Weltgegenden ergehen. Antrag G 26 zum ersten Parteitag der Linken preist den Erdöl-Autokraten Hugo Chávez – der Angela Merkel gerade mit Hitler verglich – als Pionier eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Antrag P 29, eingebracht von der »Cuba Sí AG« in der Linken, feiert die Castro-Diktatur für ihre »fünfzigjährige Erfahrung im Kampf um eine sozialistische Ge­sell­schafts­per­spek­ti­ve«. Mehrere Anträge verlangen die Auflösung der Nato, die Verhinderung des EU-Reformvertrages von Lissabon und den »sofortigen und unbedingten Abzug aus Afghanistan«. So weit, so bekannt: Sympathiebekundungen für Diktatoren (sofern sie sich links geben), die Forderungen, Deutschland aus dem westlichen Bündnis und der EU zu lösen und die Afghanen ihrem Schicksal zu überlassen – so präsentiert sich die Außenpolitik der Linken.
Gut möglich, dass sich noch einmal das linksradikale Antiwestlertum mit allerlei schrillen Redebeiträgen austoben wird. Parteitage sind schließlich in erster Linie Veranstaltungen zur geistigen Heimatpflege. In der Außenpolitik hatte die Linke mangels Machtperspektiven im Bund die Lizenz zum freien Schwadronieren. Auch für die SPD war das recht bequem, es machte die Distanzierung leicht: Mit einer Partei, die so zu Afghanistan, EU und Nato steht, kann man im Bund einfach nicht zusammenarbeiten, wurden Kurt Beck und Frank-Walter Steinmeier denn auch nicht müde zu betonen.
Es könnte allerdings sein, dass die Abgrenzung der SPD eine paradoxe Wirkung entfaltet. Seit die Sozialdemokraten die Außenpolitik zur Demarkationslinie erklärt haben, beginnen bei den Linken Tabus zu fallen, und vormals Unaussprechliches tönt von den Podien.
Nun, da sich mit den Erfolgen im Westen eine Macht­per­spek­ti­ve auch im Bund auftut, dämmert den klügeren unter den Außenpolitikern der Linken, dass die schlichten Parolen nicht mehr tragen. Eine Partei, die in die Regierungsverantwortung hineinwill, kann nicht immer nur »Raus!« (aus Nato, EU und Afghanistan) schreien.
Gregor Gysi hat den bisher gewagtesten Schritt getan. Vor einigen Wochen hielt er eine bemerkenswerte Rede über »Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel«. Darin findet sich der Satz: »Gerade in parlamentarischen Aktivitäten sollten wir nur Forderungen formulieren, von denen wir überzeugt sind, dass wir sie, wenn wir in einer Bundesregierung wären, auch tatsächlich umsetzten.« Pragmatisch kühl räumt Gysi mit der linken Israelfeindschaft auf. Er nimmt die verlogene Haltung der DDR zum Nahostkonflikt auseinander, die sich als »antifaschistischer« Staat aus der deutschen Verantwortung für Israel gestohlen hatte. In einem Konflikt Israels mit seinen Feinden könne Deutschland – und auch die Linke – nicht »neutral« sein, so Gysi. Der Antizionismus müsse aufgegeben, das Existenzrecht Israels anerkannt werden. Mehr noch: Gysi rät der Linken, zu akzeptieren, »dass die Solidarität mit Israel ein moralisch gut begründbares Element deutscher Staatsräson« sei. Staatsräson? Er hat es wirklich benutzt, dieses Wort, das so verdächtig nach finsteren Kapitalinteressen riecht. Und darum tobt nun auch eine heftige Debatte um Gysis Rede.
Wer die maßgeblichen außenpolitischen Köpfe der Linken aufsucht, trifft auf skeptische Verwunderung. Man ist nicht gewohnt, auf diesem Feld ernsthaft befragt zu werden. Wolfgang Gehrcke, als DKP-Veteran eine schillernde Figur der Westlinken und heute Obmann der Partei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, vermeidet zwar das Wort Staatsräson im Bezug auf Israel. Er betont, Deutschland sei durch die NS-Verbrechen nicht nur den Juden, sondern auch den Palästinensern verantwortlich. Aber auch er lässt in seiner Entgegnung auf Gysi keinen Zweifel aufkommen, »dass der Zionismus (…) eine angemessene Antwort auf das fundamentale Bedürfnis des über Jahrhunderte verfolgten jüdischen Volkes nach Sicherheit war«. Gehrcke kennt die zerrissene westdeutsche Linke zu gut, als dass er eine schnelle Regierungsbeteiligung für realistisch hielte. Die Partei müsse sich erst zusammenrütteln. Dennoch hat er mit seiner Rede schon einmal einen Pflock an sensibler Stelle eingeschlagen.
Die Abgeordnete Monika Knoche, Leiterin des Arbeitskreises Internationale Politik, ist auf Einladung der Bundeskanzlerin mit nach Israel gereist. Von Merkels Knesset-Rede war sie enttäuscht, weil die Kanzlerin die israelische Besatzung und den Mauerbau nicht einmal erwähnte, wozu Merkel »doch gerade als Ostdeutsche« einen Zugang haben sollte. Wenn Monika Knoche jedoch beschreibt, wie Merkel auf ihren Reisen Deutschland vertritt und wie sie auch oppositionelle Abgeordnete einbezieht, schwingt durchaus Respekt mit. Knoche hat 2001 wegen des Afghanistankrieges die Grünen verlassen. Fragt man sie als Feministin, was ein sofortiger Rückzug für die Frauen in Afghanistan bedeuten würde, kommt sie ins Stocken. Man wolle das Land ja nicht sich selbst überlassen, »Afghanistan ist uns nicht egal«. Man müsse die Rechtskultur wiederbeleben, die Gleichstellung der Frauen in der Stammesversammlung Loya Jirga durchsetzen. Wie das alles ohne Präsenz ausländischer Truppen gehen soll, kann Knoche nicht erklären. Die Truppen müssten ja nicht alle auf einmal gehen, deutet sie an. Den Wählern der Linken teilt man diese Differenzierungen lieber noch nicht mit. Wenn die Linke aber nur einen graduellen Rückzug für möglich hält, weil alles andere Afghanistan ins Chaos stürzen würde: Müsste sie dann nicht für die Präsenz von Truppen stimmen, die zivile Helfer so lange schützen, bis die Afghanen das selbst können? Sie weicht aus. Wichtig sei erst einmal der Einstieg in den Ausstieg: die Rücknahme der rot-grünen »Militarisierung der deutschen Außenpolitik«, ein erster Schritt zu einem rein zivilen Engagement. Die SPD, stellt sie klar, müsse von der Linken lernen, nicht umgekehrt. Einen Kurswechsel der SPD zu erzwingen scheint einstweilen wichtiger zu sein als die Detailfragen eines konkreten Rückzugs.
Was »raus aus Afghanistan« eigentlich bedeutet, ist jedenfalls sehr viel weniger klar, als es auf den Plakaten der Linken erscheint. Auch im Gespräch mit Lafontaines Co-Parteichef Lothar Bisky wird das deutlich. Was der militärische Einsatz denn gebracht habe, fragt er zu Recht. Wenn man jedoch Genaueres über den Abzug der deutschen Truppen wissen will, flüchtet er sich in Floskeln über die Unmöglichkeit einer rein »militärischen Lösung« – an die allerdings selbst die Nato nicht glaubt. Es klingt ein wenig schuldbewusst, wenn Lothar Bisky aufzählt, was die Linke alles für die »afghanische Zivilgesellschaft« tut. Er setze sich persönlich dafür ein, dass Künstlerinnen aus Kabul ihre Bilder in Berlin zeigen könnten, fügt er hinzu. Der erfahrene Bisky weiß, dass die Außenpolitik der Linken in Gefahr ist, vom hohen moralischen Podest (»einzige Antikriegspartei«) in den Zynismus des reinen Ohnemicheltums abzustürzen. Afghanistan den Taliban kampflos zu überlassen mag populär sein. Als emanzipatorische Politik könnte man es kaum verkaufen.
Was heißt eigentlich Internationalismus heute – in Zeiten der Globalisierung? Bisky gerät ins Grübeln: Die alte Internationale sei tot, und zwar zu Recht. »Eine neue ist noch nicht definiert.«
Auf dem Parteitag wird es einzelne Versuche in dieser Richtung geben: Ein Antrag aus Freiburg beschäftigt sich mit der Tibetfrage, zu der die
Parteiführung aus alter Solidarität mit der KP lange peinlich geschwiegen hat. Bei den Menschenrechtsverletzungen in China, heißt es in Antrag G 02, dürfe die Linke ebenso wenig zuschauen wie bei jenen der Besatzermächte in Afghanistan und im Irak.

 

Afghanistan – Verbot für Jeans und Makeup geplant

Wer braucht noch Taliban, wenn er ein solches Parlament hat?
Kanishk Tharoor weist in Opendemocracy auf eine anstehende Entscheidung des afghanischen Parlaments hin. In Kabul wird ein Gesetzentwurf beraten – gegen Make-Up, Jeans für Männer, langes Haar und Paare, die sich in der Öffentlichkeit unterhalten. Wenn sich solche Nachrichten häufen, wird es immer schwerer werden zu begründen, warum wir mit unseren Truppen in diesem Land sind und bleiben sollen:

„The Taliban don’t need to recapture Kabul for their puritan and parochial values to recapture the public stage. Afghan lawmakers – part and parcel of the new, democratic government installed since the toppling of the Taliban in 2001 – are edging towards reintroducing strict bans on supposedly un-Islamic cultural forms. After six years of uncertainty, corruption, carnage and waning confidence, Afghanistan may be sliding right back to where it didn’t want to be.

Parliamentarians this week are considering a law „to ban makeup, men’s jeans, long hair and couples talking in public“. The measure comes fast on the heels of an earlier move to suspend the broadcast of popular Indian soap operas that have dominated Afghan airwaves and TV screens since the opening of the media in 2001. Following a consultation with the Council of Clerics – the country’s top body of ulema – Abdul Karim Khurram, the minister for information and culture, deemed the serials to be out of sync with „Afghan religion and culture“ and issued a deadline for private TV channels to cut the programmes‘ transmission. So much for the tired notion that the Muslim world lives in perpetual fear of western culture – in Afghanistan’s case, it’s Bollywood that’s the bigger bogeyman.“

Mehr hier.

 

Student in Afghanistan zum Tod verurteilt – weil er sich für Frauen einsetzte

Ein Student ist dafür zum Tode verurteilt worden, dass er einen Text aus dem Internet heruntergeladen hat. In diesem Text wird behauptet, dass die islamischen Gelehrten, die die Unterdrückung der Frau aus dem Koran ableiten, die Sichtweise des Propheten verfälschen.
Sayed Pervez Kamabaksh, ein Student des Journalismus, hat diesen Text an seine Komillitonen verteilt und wollte damit eine Debatte anregen.
Das Oberhaus des afghanischen Parlaments hat die Todesstrafe für seine „Blasphemie“ unterstützt.
Der Independent schreibt:
The fate of Sayed Pervez Kambaksh has led to domestic and international protests, and deepening concern about erosion of civil liberties in Afghanistan. He was accused of blasphemy after he downloaded a report from a Farsi website which stated that Muslim fundamentalists who claimed the Koran justified the oppression of women had misrepresented the views of the prophet Mohamed.

Mr Kambaksh, 23, distributed the tract to fellow students and teachers at Balkh University with the aim, he said, of provoking a debate on the matter. But a complaint was made against him and he was arrested, tried by religious judges without – say his friends and family – being allowed legal representation and sentenced to death.

Und dafür sollen unsere Soldaten sterben? Sind wir deshalb in Afghanistan? Ist es das, was wir in diesem Land erreichen wollen?

 

Schwule Taliban?

Aus Anlass unserer Debatte hier eine Erinnerung an den sensationellen Fund des Magnum-Fotografen Thomas Dworzak in Kandahar:

 

Afghanistan auf der Kippe – der Bundestag entscheidet

Aus der ZEIT Nr. 42 vom morgigen Donnerstag, S. 11:

Am vergangenen Freitag rühmten sich die Taliban in afghanischen Medien, sie hätten »viele Kreuzritter getötet«. In Wahrheit waren drei deutsche Soldaten noch einmal mit dem Schrecken davongekommen, als ein Selbstmordattentäter sich vor ihren gepanzerten Wagen warf. Doch schon am Sonntag wurde das deutsche Militärcamp mit Raketen angegriffen. Und am Montag tauchte ein weiteres Video des entführten Ingenieurs Rudolf B. auf, der erneut die Bundesregierung anflehte, alles für seine Freilassung zu tun. Offenbar ist eine gezielte Kampagne gegen die Deutschen im Gange: Die Aufständischen in Afghanistan haben die Bundestagssitzung an diesem Freitag im Blick, bei der über die Fortsetzung der Mandate für Isaf und die Tornados abgestimmt wird.

Kurzfristig werden sie das Gegenteil von dem erreichen, was sie sich erhoffen. Sie haben dem abgenutzten Mantra der Regierung, »Deutschland darf der Gewalt nicht weichen« (Verteidigungsminister Jung) unverhofft neue Plausibilität verschafft. Das ist das Paradox der Lage: Mehr Chaos in Afghanistan führt zu mehr Disziplin im deutschen Parlament. Die Mandate werden unter dem Druck von Terror und Erpressung noch ein bisschen glatter durchgehen, als es ohnehin zu erwarten gewesen wäre.

Das hat etwas Irreales: Weil sich die Situation in Afghanistan immer weiter zuspitzt, wird es im deutschen Parlament schwerer, die wirklichen Probleme des Landes anzusprechen. Im Süden herrscht in weiten Teilen ein asym­me­trischer Krieg, der an den Irak erinnert. Die Drogenproduktion, die ihn am Laufen hält, ist auf einem Rekordstand seit der Befreiung des Landes von der Taliban-Herrschaft. Doch in der Union wird es nur einzelne Gegenstimmen geben, wie schon zuletzt. Die SPD-Fraktion wird ziemlich geschlossen zu Isaf und Tornados Ja sagen und allenfalls bei der Abstimmung über die Antiterrormission Enduring Freedom im November ihr Unbehagen ausdrücken. Die Linkspartei wird sich durch die Taliban-Offensive bestätigt fühlen.

So wird es wohl einzig bei den Grünen in­te­res­sant: Die Bundestagsfraktion ist bei dem Kunststück zu beobachten, einerseits dem Basisgeist von Göttingen durch eine ausreichende Zahl von Nein-Stimmen Ausdruck zu geben, andererseits aber mit einer passablen Anzahl von Ja-Stimmen prinzipielle Zustimmung zu Isaf und Verantwortung für Afghanistan zu signalisieren, ohne jedoch die Tornados mitzumeinen. Um es richtig kompliziert zu machen, das ist jedenfalls der Plan, signalisieren die Grünen dann noch mittels einer soliden Basis von Enthaltungen der Regierung das Missfallen an der bisherigen Afghanistanpolitik und fordern sie zu einem Strategiewechsel auf: Mehr Geld in den zivilen Aufbau, zugleich möglichst klare Trennung des Nation-Building vom Kampf gegen die Taliban. Ach ja, Frau Merkel soll endlich nach Afghanistan fahren.

So berechtigt die letzte Forderung ist: Ob im fernen Kabul die dialektische Feinheit des grünen Abstimmungsverhaltens entschlüsselt werden kann? Der Afghanistan­experte der Frak­tion, Winfried Nachtwei – er will sich selbst enthalten –, sieht durchaus »das Risiko der schlechten Botschaft nach Afghanistan«. So wird man vielleicht am Ende zwar die kriegsmüde Basis be­schwich­tigt und die Regierung kritisiert haben – und doch nach Kabul signalisieren: Wir geben euch auf.

Nun ließ der Grüne Tom Koenigs in der Woche der Bundestagsentscheidung wissen, dass er zum Jahresende sein Amt als UN-Sondergesandter für Afghanistan aufgeben wird. Mag sein, dass seine wiederholten Appelle, den Aufstand durch einen politischen Prozess und sogar durch Gesprächsangebote an Trittbrettfahrer der Taliban zu spalten, in den USA nicht gern gehört wurden. Koenigs hatte zwar immer den amerikanischen Einsatz gelobt, aber vor der Hoffnung auf einen rein militärischen Sieg gegen die Taliban gewarnt. Es wird nun spekuliert, dass hinter seiner Demission amerikanischer Druck steht, mit dem Ziel, ein Nachfolger könne den zivilen Wiederaufbau und das Militär stärker miteinander verknüpfen. Aus der Luft gegriffen ist die Deutung nicht, dass eine stärkere Militarisierung des Afghanistankonflikts beabsichtigt ist, wie etwa die neue amerikanische Initiative zur afghanischen Antidrogenstrategie zeigt.

Die Amerikaner versuchen, die Regierung Karsai zu bewegen, die Opiumernte mit Herbiziden und durch Einsätze bewaffneter Rodungskommandos zu vernichten. Die Rekord­ernte dieses Jahres – mit teilweise 50-prozentigen Steigerungen in den unsichersten Provinzen des Südens – schwemmt frisches Geld in die Kriegskasse der Taliban. Karsai aber will einen offenen »Krieg gegen die Drogen« nicht riskieren, weil er befürchtet, die Bauern noch weiter in die Arme der Taliban zu treiben. Karsais Idee von einem politischen Prozess mit den gesprächsbereiten Taliban – für die auch Tom Koenigs geworben hatte – wäre damit tot.

Es könnte also sein, dass der angekündigte Abgang des deutschen Grünen in Kabul einen ganz anderen Strategiewechsel signalisiert als den von seiner Partei ersehnten.

 

Nicht alle Grünen sind durchgedreht, unsolidarisch und naiv

Nein, auch wenn der Afghanistan-Sonderparteitag diesen Eindruck vermitteln konnte. Es gibt noch einen Grünen, der den Afghanistan-Krieg verteidigt. Er lebt in Kabul und ist Aussenminister jenes Landes, das seine Partei offenbar langsam abschreibt. Darum hat er auch schon mal ein Austrittsgesuch fertig gemacht. Rangin Dadfar Spanta, der 20 Jahre in Aachen lebte, bevor er 2006 Aussenminister in Kabul wurde, redet in der taz Klartext über Afghanistan:

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taz: Die grüne Basis hat das Primat des Zivilen betont und für eine Verdopplung der Entwicklungshilfe votiert.

Das sind doch leere Phrasen. Wir benötigen eine umfassende Antiterrorstrategie. Das heißt: Entwicklungshilfe, Stärkung der staatlichen Organe und Antiterrorkampf. Die These, man könne ein Element davon isolieren, ist absolut falsch. Die Terroristen werden nicht auf einmal friedlich, nur weil wir sie bitten, mit uns zu diskutieren. Es reicht nicht, Schulen zu bauen, solange Kinder ermordet werden, weil sie diese Schulen besuchen. Wir müssen kämpfen und gleichzeitig Schulen bauen.

taz: Der Unmut der grünen Basis spiegelt den Unmut der Mehrheit der deutschen Bevölkerung über den Einsatz in Afghanistan wider.

Das ist nicht nur fatal für Afghanistan, sondern auch für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Jeder, der nicht hilft, den Terrorismus in Afghanistan mit zu bekämpfen, läuft Gefahr, diesen Terrorismus früher oder später in Deutschland zu erfahren. Ich habe deshalb schon vor dem Parteitag in einem Brief an die Teilnehmer appelliert, das deutsche Engagement weiter zu unterstützen.

taz: Gegen eine Bombardierungsstrategie, die auch zivile Opfer fordert, richtet sich auch der Unmut vieler Afghanen.

Die gängige Rhetorik vom „guten Europäer“, der Wiederaufbau macht, und dem „bösen Amerikaner“, der nur bombardiert, ist Blödsinn. Was die Amerikaner hier machen, ist die beste Antiterrorstrategie. Es ist wahr, es hat Kollateralschäden und Fehleinschätzungen gegeben. Das muss durch bessere Vorbereitung der Einsätze verhindert werden. Ich bin kein Kriegstreiber. Ich bin lange in der Friedensbewegung aktiv gewesen und würde gerne jederzeit wieder an Friedensdemos teilnehmen. Aber in Afghanistan muss der Frieden auch mit der Waffe verteidigt werden.

taz: Es stimmt also nicht, dass die Afghanen ausländische Soldaten zunehmend als Besatzer wahrnehmen.

Nein. Natürlich sind die Afghanen gegen Bombardierungen. Auf die Frage, ob sich die ausländischen Soldaten aus Afghanistan zurückziehen sollen, antworten 82 Prozent mit „Nein“. Der verfrühte Abzug der internationalen und vor allem der amerikanischen Truppen würde die Rückkehr der Taliban und al-Qaida bedeuten. Und die Rückkehr Afghanistans zum Terrorzentrum der Welt.

taz: Die schwindende Unterstützung der militärischen Einsätze ist dennoch den mangelnden Erfolgen auf dem zivilen Gebiet geschuldet.

Das stimmt. Der Wiederaufbau muss besser koordiniert werden. Doch es gilt auch, aus Fehlern zu lernen und nicht zu sagen: Ich verliere das Interesse und ziehe mich zurück. Die Polizeireform muss zum Beispiel radikal vorangetrieben werden. Da muss auch von den Europäern mehr getan werden. Wenn wir sagen, wir brauchen 2.000 Ausbilder und die EU schickt nur 180, dann haben wir natürlich ein Problem.

taz: Was sollte Deutschland konkret tun?

Zunächst einmal braucht die afghanische Bevölkerung das Bekenntnis, dass Deutschland seine Verpflichtungen für die Stabilität des Landes erfüllt. Das schließt die Fortführung von Isaf, Tornados und der Beteiligung an OEF ein. Und der Polizeiaufbau muss fortgesetzt werden.

taz: Kritiker monieren, dass die USA wenig Verständnis für einen Strategiewechsel zeigen und in puncto Drogen die Vernichtung der Mohnfelder propagiert statt Alternativen zu suchen.

Auch was das betrifft, ist der Beschluss des Grünen-Parteitags absolut falsch. Der Drogenanbau ist vor allem in den Gegenden angestiegen, wo die Terroristen sehr stark sind. Es gibt direkte Verbindungen zwischen Drogenmafia und Terrormafia.

taz: Sollte diese Verstärkung, von der sie sprechen, auch den Einsatz der Deutschen im umkämpften Süden einschließen?

Das ist eine Nato-interne Diskussion. Was für mich als Außenminister wichtig ist, ist, dass nicht der Eindruck entsteht, von Deutschland alleingelassen zu werden. Es macht keinen Sinn, Brücken zu bauen, und diese dann nicht zu beschützen.

 

Steinmeier: Wir müssen in Afghanistan mehr tun

Gespräch mit dem deutschen Aussenminister Frank-Walter Steinmeier aus der ZEIT von heute (Auszug. Mehr in der Print-Ausgabe und demnächst auf ZEIT online):

ZEIT: Der UN-Beauftrage Tom Koenigs hat im Interview mit der ZEIT befürchtet: Wenn die Amerikaner aus dem Irak abziehen, wird dies die Extremisten in der Region ermutigen, aber auch in Afghanistan. Ist an dieser Befürchtung etwas dran?

Steinmeier: Das ist nicht nur eine Befürchtung, die Tom Koenigs hat. Auch im Baker/Hamilton-Vorschlag, der im Dezember letzten Jahres veröffentlicht worden ist, wurde ein übereilter Rückzug abgelehnt, weil er das Gefährdungspotenzial erhöht. Stattdessen wurde ein Rückzug in Stufen und in Abhängigkeit von der Entwicklung der Sicherheitslage vorgeschlagen.

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Frank-Walter Steinmeier Foto: JL

ZEIT: In Basra haben nach dem Rückzug der Briten Schiiten auf Schiiten geschossen.

Steinmeier: Ich habe nicht ohne Not gesagt, dass Entscheidungen über den Rückzug in Abhängigkeit von der Sicherheitslage zu treffen sind. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Diejenigen, die militärisch interveniert haben, tragen auch besondere Verantwortung für die Gestaltung eines Rückzugs.
ZEIT: Welche Rückwirkungen wird dies auf Afghanistan haben – und damit auf deutsche Soldaten?

Steinmeier: Zweifellos hat die irakische Situation Einfluss auf Afghanistan, vermutlich ist die erhöhte Zahl von Selbstmordattentaten in Afghanistan auch eine Konsequenz der Auseinandersetzung im Irak. Trotzdem rate ich zur Vorsicht. Ich bezweifle, dass das Nachdenken über Rückzug im Irak notwendigerweise eine Ermutigung für die regierungsfeindlichen Kräfte in Afghanistan bedeuten muss. Viel wichtiger ist doch, wie entschlossen die internationale Staatengemeinschaft an ihrer Präsenz in Afghanistan festhält und möglicherweise sogar ihr Engagement zur Stabilisierung des Landes erhöht.

ZEIT: Das bedeutet: Wenn die Amerikaner rausgehen, müssen wir noch stärker reingehen?

Steinmeier: Ich habe von Engagement gesprochen. Das war nicht beschränkt aufs Militärische.

ZEIT: Die Propaganda der Dschihadisten wird sein: »Wir haben Irak befreit«. Und daraus folgt: Das muss in Afghanistan fortgesetzt werden.

Steinmeier: Es gibt nicht die Zwangsläufigkeit, die Sie mit Ihrer Frage unterstellen. Niemand kann es den Menschen hierzulande verdenken, dass sie fragen, welchen Umfangs, welcher Dauer unser Engagement in Afghanistan sein wird. Wir müssen immer wieder selbstkritisch überprüfen, wie weit wir mit unserem Engagement in Afghanistan gekommen sind. Gemessen an unseren übernommenen Selbstverpflichtungen, sage ich: Wir müssen eher mehr als weniger tun. Das gilt für den Auf- und Ausbau der afghanischen Polizei, in noch größerem Umfang aber für Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Armee – und erst recht für den zivilen Wiederaufbau.

Interview: Brigitte Fehrle, Jörg Lau, Bernd Ulrich

 

Islamisten sehen sich als Sieger

Aus einem Interview mit dem Grünen Tom Koenigs, Leiter der UN-Mission in Afghanistan, das ich zusammen mit Bernd Ulrich für die heutige ZEIT gemacht habe:

Koenigs: Zu einer erfolgreichen Aufstandsbe­wegung gehören drei Dinge: ein charismatischer Führer, eine attraktive Ideologie und ein Hinterland. Der Taliban-Führer Mullah Omar aber ist ein Obskurant. Er stellt sich nicht an die Spitze der Bewegung. Die Aufstandsideologie ist schwammig. Ist es eine lokale oder weltweite Bewegung? Will sie die Regierung stürzen oder nur destabilisieren? Sie sind radikale Islamisten, da­rüber hinaus haben sie kein Programm.
ZEIT: Das ist ja schon mal was.
Koenigs: Der Islamismus verbindet sie mit einer Bewegung, die sich im ganzen Orient verbreitet. Vor allem aber haben sie ein Hinterland in Pakistan. Dort breitet sich eine Dschihadisten-Kultur aus, deren Ziel Afghanistan ist. Dort ruft man zum Heiligen Krieg auf, dort wähnt man sich auf der Seite der Sieger der Geschichte. Dieses Gefühl ist eine gefährliche Droge. Schon wer sich an diesem Kampf beteiligt, fühlt sich als Sieger.
ZEIT: Wer die Menschen derart mobilisieren kann, ist doch nicht schwach!
Koenigs: Taliban-Propaganda sagt, Afghanistan sei besetzt von einer Armee der Ungläubigen. Die Zustimmung zu diesem Satz liegt bei 10 Pro­zent im ganzen Land, im Süden vielleicht bei 20. Wir wissen das aus Meinungsumfragen. Die Menschen wollen die Taliban nicht zurück.
ZEIT: Warum macht dann der Aufstand den internationalen Truppen solche Schwierigkeiten?
Koenigs: Als Taliban kämpfen sehr verschiedene Gruppen. Das sind die Veteranen der Bewegung, wie Mullah Omar und seine Umgebung. Hinzu kommen die fanatisierten Schüler der Me­dres­sen. Sie bilden den ideologischen Kern. Dann gibt es den großen Kreis von entfremdeten Stämmen. Nicht zu unterschätzen ist die Zahl der Söldner, die dabei sind, weil die Taliban besser zahlen als die Polizei. Dann sind da noch bewaffnete Banden, die den Opiumhandel sichern. Manche Aufständische sind Opportunisten. Sie schauen nach Gaza und Irak und sagen sich: Die Islamisten sind die Sieger der Geschichte, da machen wir besser mit. Und dann gibt es schlichte Kriminelle, die von der Unsicherheit profitieren.

Der Rest ist in der Print-Ausgabe zu lesen.