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Wende? Vatikan sagt ja zum EU-Beitritt der Türkei

Der konservative Figaro berichtet von einer möglichen Kehrtwende des Vatikan in der Türkeifrage.

Der Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hat am vergangenen Dienstag bei einer Pressekonferenz in Rom klar Ja zu einer Einbindung der Türkei in Europa gesagt – bis hin zu einer Mitgliedschaft in der EU.

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Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Foto: Wikimedia


Bertone, Chefdiplomat des Vatikans (Kardinalstaatssekretär) und rechte Hand des Papstes (seit kurzem auch Camerlengo, also Kämmerer), sagte dem Figaro:

« Il y a des évolutions, les positions sont naturellement très différentes », a-t-il reconnu, mais « avec les peuples et les gouvernements qui respectent les règles fondamentales de la cohabitation, on peut dialoguer et construire ensemble le bien commun dans la sphère européenne et aussi dans la communauté mondiale ». « Y compris jusqu’à une entrée dans l’Europe ? », lui ont demandé les journalistes. « Y compris », a répondu le secrétaire d’État.

Ein weiterer Prälat aus dem Vatikan fügt hinzu:

La Turquie n’est plus « l’ennemi héréditaire » de l’Europe chrétienne, souligne aujourd’hui un prélat, rappelant que jusqu’au XVIIe siècle l’horizon politique des papes était de fédérer l’Europe dans une croisade contre les Turcs. Entre l’Islam et la chrétienté, selon ce prélat, la Turquie est « une marche frontière » qu’il faut « intégrer plutôt que de la rejeter brutalement ».

Der Figaro weist darauf hin, dass dies eine 180-Grad-Wendung bedeutet im Vergleich zu der Position Kardinal Ratzingers von 2005, als er einen möglichen Beitritt der Türkei als einen „historischen Fehler“ bezeichnete.

Es bewegt sich etwas, seit Regensburg und der Türkeireise. Nur der Papst selbst hat noch nicht gesprochen.

 

Saudischer Intellektueller: Palästinenser sind selbst schuld an ihrer Lage

Turki Al-Hamad, der saudische Romancier und Essayist schreibt in der arabischen Tageszeitung Asharq Alawsat:

Here, the Fatah-Hamas relationship is not as important as raising a direct question that has to do with the neglected issue: Where were we, where are we now and who is to blame for the critical situation that the Palestinians are living − especially the average Palestinians, and us with them?

There may be numerous causes that together brought about the present situation, but the bigger share of blame lies on the Palestinians themselves. From Amman – we do not want to mention what happened earlier – to Beirut, Madrid and Oslo, the Palestinians, or rather their leaders, have missed out on chances that most likely could have changed the situation.

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Turki Al-Hamad

Today, they are pointing their guns at one another and shedding their own blood, disregarding the Mecca Declaration and forgetting their oaths in the vicinity of the Grand Mosque for the sake of an ideological difference. They are fighting for a fragile authority or over a cabinet portfolio or a handful of bloody dollars − and then they wonder how their blood is cheap for the enemy even though it already cheaper among themselves. The cause became insignificant because those entitled with it made it so by not living up to the responsibility. For some, this cause even ended up as a profitable trade that is bought and sold for the lowest prices.

The Quran says, “Allah changeth not the condition of a folk until they (first) change that which is in their hearts” (13: 11), and the Bible tells us that God does not help those who do not help themselves. And here lies the gist of the issue… and of everything else.

 

Die neue iranische Konfrontations-Ideologie

Wer sich fragt, warum derzeit im Iran durch Verhaftungen von Oppositionellen und durch Repression gegen junge Frauen der Druck erhöht wird, findet eine Antwort bei dem Cheftheoretiker der Revolutionsgarden, Hasan Abbasi.

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„Die US-amerikanische Hauptstrategie ist die sanfte Methode des Umsturzes des Iran. Sie sagen, dass der iranische Boden nicht ihr Ziel ist, aber der iranische Bürger. Die sanfte Bedrohung will die Herzen und Köpfe erobern. Diese Strategie umfasst verschiedene Themen, wie den Hass gegen den Islam, den Hass gegen das Iranertum, sarkastische Erniedrigung der Verantwortlichen der Islamischen Republik, Hass gegen die politischen Führer des Islam gehören zu ihrer Strategie.“

Rooz online berichtet über einen Vortrag, in dem Abbasi die Konfrontation zwischen Iran und Amerika in Analogie zu den Wettrennen amerikanischer Jugendlicher beschreibt, die mit ihren Autos aufeinander zurasen, bis der ausweicht, der am meisten Angst hat. Das „Chicken-Spiel“ nennt Abbasi dies. Sein Vortrag offenbart, wie sicher das Regime sich heute fühlt:

Heute ist die Bush-Regierung schwächer denn je zuvor und kann den Iran nicht angreifen. Überhaupt ist die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes auf den Iran immens gesunken, denn es ist eine strategische Frage. Wir brauchen eine Außenpolitik, die unsere innenpolitischen Interessen berücksichtigt. Aber man hat begonnen nebensächliche Spielereien zu betreiben. Beispielsweise die Holocaustgeschichte hat Raum für andere Themen geschaffen. Sie waren dann mit dem Holocaust beschäftigt, der Druck ging dann in die Richtung und der Iran bekam neue Handlungsspielräume. Manchmal diskutiert man auch über den Dialog der Zivilisationen. Alles nebensächliche Probleme.“

Man wirft uns also „den Holocaust“ oder den „Dialog“ hin wie einem Hund ein paar alte Knochen, damit er was zu spielen hat, während hintenrum die strategischen Hauptinteressen weiterverfolgt werden?
Auch interessant dieser Satz:

„[…] Der iranische Bürger muss gegen die New Yorker Influenza geimpft werden. Der iranische Bürger muss lernen, die Modernität zu hassen.

Kompletter Text hier.

Und was, wenn Abbasi Recht hat? Gestern berichtete der Sunday Telegraph, Bush habe ein Dokument unterzeichnet, das geheime CIA-Operationen gegen Iran genehmigt:

President George W Bush has given the CIA approval to launch covert „black“ operations to achieve regime change in Iran, intelligence sources have revealed.

Details have also emerged of a covert scheme to sabotage the Iranian nuclear programme. Iran was sold defective parts on the black market.

Mr Bush has signed an official document endorsing CIA plans for a propaganda and disinformation campaign intended to destabilise, and eventually topple, the theocratic rule of the mullahs.

Der Telegraph schliesst daraus:

Authorisation of the new CIA mission, which will not be allowed to use lethal force, appears to suggest that President Bush has, for the time being, ruled out military action against Iran.

Bruce Riedel, until six months ago the senior CIA official who dealt with Iran, said: „Vice-President [Dick] Cheney helped to lead the side favouring a military strike, but I think they have concluded that a military strike has more downsides than upsides.“

 

Europäer, setzt euch für Haleh Esfandiari ein!

Reuel Marc Gerecht, Iran-Experte des American Enterprise Institute, gibt in der New York Times folgendes zur Verhaftung von Haleh Esfandiari zu bedenken:

It is undoubtedly the Hamilton connection and her marriage with an Iranian-born Jew — a sin under Islamic law for a Muslim woman — that made Mrs. Esfandiari such an irresistible target for a regime fond of taking hostages to intimidate its enemies.

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Reuel Gerecht

Hamilton-Connection: Haleh Esfandiari arbeitet beim Wilson Center, dessen Präsident Lee Hamilton ist – der wiederum mit James Baker den Iraq Study Group Report verfasst hat. Gerecht deutet die Verhaftung von Frau Esfadiari als bewussten Schlag ins Gesicht der Kräfte, die sich für die diplomatische Einbeziehung Irans in die amerikanische Nahostpolitik stark machen.

Gerecht meint, die Mullahs würden bewusst auf Kräfte zielen, die Brücken bauen wollen und auf Diplomatie als Mittel im Nuklearkonflikt setzen. (Ihm selbst kommt das sehr zupaß, weil er seit eh und je als Hardliner gegen die europäische Strategie des „kritischen Dialogs“ argumentiert hat. Gerecht glaubt, die Iraner verstünden nur brutale Gewalt. Ich habe ihn vor kurzem bei einem Hintergrundgespräch im Auswärtigen Amt in Berlin erlebt, wo er deutsche Vertreter des kritischen Dialogs geradezu zur Raserei brachte.)

Ich glaube nicht, dass Gerechts Strategie – letztlich läuft es auf eine Bombardierung hinaus wie bei Podhoretz – vertretbar ist. Was er aus seinem Bild ausschließt, ist folgendes Faktum: Jede Bombe, die die Amerikaner in den letzten Jahren im Nahen Osten geworfen haben, hat Teheran gestärkt. Bushs bleibende Leistung ist es, Iran zur Mittelmacht bombardiert zu haben, indem man seine Feinde zur Rechten und zur Linken eliminierte.
Die amerikanische Strategie des Disengagements in Kombination mit Gewalt ist in Wahrheit ebensowenig eine Antwort auf die iranische Herausforderung wie die europäische Strategie des kritischen Dialogs (der weder kritisch noch ein Dialog ist).

Aber Reuel Gerechts Schlussworten schließe ich mich uneingeschänkt an:

If the Europeans are wise, they’d ensure that no discussion with the Iranians on any subject occurred without highlighting the plight of Mrs. Esfandiari. She indefatigably made European arguments about the need and effectiveness of soft power; they should just as indefatigably defend her.

Neither the Europeans nor the Americans will find any common ground with the clerical regime as long as Mrs. Esfandiari languishes in prison. Until she is freed, it will remain clear that the regime understands nothing other than brute force.

Die Unterstützerseite für Haleh Esfandiari findet sich hier.

Und hier kann man sie in ihren eigenen Worten hören:

 

Bombardiert Iran!

Norman Podhoretz, führender Neocon der ersten Generation, weiss einen Ausweg aus dem Irak-Krieg und aus dem Dilemma um die iranischen Atomanlagen. Er rät dem Präsidenten in einem umfangreichen Essay in Commentary:

„As we know from Iran’s defiance of the Security Council and the IAEA even while the United States has been warning Ahmadinejad that “all options” remain on the table, ultimatums and threats of force can no more stop him than negotiations and sanctions have managed to do. Like them, all they accomplish is to buy him more time.

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Norman Podhoretz (rechts) mit einem befreundeten Ehepaar

In short, the plain and brutal truth is that if Iran is to be prevented from developing a nuclear arsenal, there is no alternative to the actual use of military force—any more than there was an alternative to force if Hitler was to be stopped in 1938.

Since a ground invasion of Iran must be ruled out for many different reasons, the job would have to be done, if it is to be done at all, by a campaign of air strikes. Furthermore, because Iran’s nuclear facilities are dispersed, and because some of them are underground, many sorties and bunker-busting munitions would be required. And because such a campaign is beyond the capabilities of Israel, and the will, let alone the courage, of any of our other allies, it could be carried out only by the United States.“

 

Müssen wir lernen, den Nahostkonflikt zu ignorieren?

Edward Luttwak, nonkonformistischer Militärstratege und Sicherheitsberater, ist immer wieder für einen irritierenden Zwischenruf gut.

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Luttwak Foto: CSIS

In der Titelgeschichte der stets lesenswerten Zeitschrift Prospect ruft er dazu auf, die Überschätzung der Bedeutung des Nahostkonflikts und des gesamten Nahen Ostens endlich zu beenden:

Strategically, the Arab-Israeli conflict has been almost irrelevant since the end of the cold war. And as for the impact of the conflict on oil prices, it was powerful in 1973 when the Saudis declared embargoes and cut production, but that was the first and last time that the „oil weapon“ was wielded. For decades now, the largest Arab oil producers have publicly foresworn any linkage between politics and pricing, and an embargo would be a disaster for their oil-revenue dependent economies.

(…) Humanitarians should note that the dead from Jewish-Palestinian fighting since 1921 amount to fewer than 100,000—about as many as are killed in a season of conflict in Darfur.

Nicht nur, dass die strategische Bedeutung übtertrieben wird, auch die Hoffnungen, ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern würde bei anderen Konflikten Schlüsselfunktion haben, ist falsch:

Yes, it would be nice if Israelis and Palestinians could settle their differences, but it would do little or nothing to calm the other conflicts in the middle east from Algeria to Iraq, or to stop Muslim-Hindu violence in Kashmir, Muslim-Christian violence in Indonesia and the Philippines, Muslim-Buddhist violence in Thailand, Muslim-animist violence in Sudan, Muslim-Igbo violence in Nigeria, Muslim-Muscovite violence in Chechnya, or the different varieties of inter-Muslim violence between traditionalists and Islamists, and between Sunnis and Shia, nor would it assuage the perfectly understandable hostility of convinced Islamists towards the transgressive west that relentlessly invades their minds, and sometimes their countries.

Arab-Israeli catastrophism is wrong twice over, first because the conflict is contained within rather narrow boundaries, and second because the Levant is just not that important any more.

Dannn geisselt Luttwak lustvoll das „Mussolini-Syndrom“ der Überschätzung der militärischen Stärke nahöstlicher Regime. Nasser wurde masslos überschätzt und in Nullkomma nichts geschlagen. Saddam passierte dasselbe gleich zweimal. Und nun:

Now the Mussolini syndrome is at work over Iran. All the symptoms are present, including tabulated lists of Iran’s warships, despite the fact that most are over 30 years old; of combat aircraft, many of which (F-4s, Mirages, F-5s, F-14s) have not flown in years for lack of spare parts; and of divisions and brigades that are so only in name. There are awed descriptions of the Pasdaran revolutionary guards, inevitably described as „elite,“ who do indeed strut around as if they have won many a war, but who have actually fought only one—against Iraq, which they lost. As for Iran’s claim to have defeated Israel by Hizbullah proxy in last year’s affray, the publicity was excellent but the substance went the other way, with roughly 25 per cent of the best-trained men dead, which explains the tomb-like silence and immobility of the once rumbustious Hizbullah ever since the ceasefire.

Then there is the new light cavalry of Iranian terrorism that is invoked to frighten us if all else fails. The usual middle east experts now explain that if we annoy the ayatollahs, they will unleash terrorists who will devastate our lives, even though 30 years of „death to America“ invocations and vast sums spent on maintaining a special international terrorism department have produced only one major bombing in Saudi Arabia, in 1996, and two in the most permissive environment of Buenos Aires, in 1992 and 1994, along with some assassinations of exiles in Europe.

It is true enough that if Iran’s nuclear installations are bombed in some overnight raid, there is likely to be some retaliation, but we live in fortunate times in which we have only the irritant of terrorism instead of world wars to worry about—and Iran’s added contribution is not likely to leave much of an impression. There may be good reasons for not attacking Iran’s nuclear sites—including the very slow and uncertain progress of its uranium enrichment effort—but its ability to strike back is not one of them. Even the seemingly fragile tanker traffic down the Gulf and through the straits of Hormuz is not as vulnerable as it seems—Iran and Iraq have both tried to attack it many times without much success, and this time the US navy stands ready to destroy any airstrip or jetty from which attacks are launched.

Es gebe auch keineswegs die immer wieder beschworene „nationale Einheit“ der iranischen Bevölkerung angesichts des Atomprogramms. Die Wirklichkeit des Landes sei vielmehr von wachsenden ethnischen Spannungen gezeichnet, und selbst in der persischen Elite zeigten sich tife Risse im Blick auf das Nuklearprogramm.

Der größte Fehler aller so genannten Nahostexperten – und zwar der Hardliner wie der Softies – sei

the very odd belief that these ancient nations are highly malleable. Hardliners keep suggesting that with a bit of well-aimed violence („the Arabs only understand force“) compliance will be obtained. But what happens every time is an increase in hostility; defeat is followed not by collaboration, but by sullen non-cooperation and active resistance too. It is not hard to defeat Arab countries, but it is mostly useless. Violence can work to destroy dangerous weapons but not to induce desired changes in behaviour.

Softliners make exactly the same mistake in reverse. They keep arguing that if only this or that concession were made, if only their policies were followed through to the end and respect shown, or simulated, hostility would cease and a warm Mediterranean amity would emerge. Yet even the most thinly qualified of middle east experts must know that Islam, as with any other civilisation, comprehends the sum total of human life, and that unlike some others it promises superiority in all things for its believers, so that the scientific and technological and cultural backwardness of the lands of Islam generates a constantly renewed sense of humiliation and of civilisational defeat. That fully explains the ubiquity of Muslim violence, and reveals the futility of the palliatives urged by the softliners.

Das bringt Edward Luttwak zu der trockenen Feststellung: „Backward Societies must be left alone.“
Denn:

With neither invasions nor friendly engagements, the peoples of the middle east should finally be allowed to have their own history—the one thing that middle east experts of all stripes seem determined to deny them.

That brings us to the mistake that the rest of us make. We devote far too much attention to the middle east, a mostly stagnant region where almost nothing is created in science or the arts—excluding Israel, per capita patent production of countries in the middle east is one fifth that of sub-Saharan Africa.

Gefällt mir ganz gut, dieser Ton – als Korrektiv zu unserer gelegentlichen Überaufgeregtheit (auch hier in diesem Blog). Aber wenn ich dann so was lese, kommen mir doch Zweifel, ob es so geht, wie Herr Luttwak es sich vorstellt.

 

Die Pilgerreise als politisches Instrument?

Aussenminister Steinmeier trifft im Nahen Osten auf lauter Akteure, die es aus purer Not mit Pragmatismus versuchen wollen

Riad, 8. Mai
Wer in die Geburtskirche zu Bethlehem will, muss sich klein machen. Die winzige Pforte wurde einst von den Kreuzfahrern verkleinert, um die Basilika besser verteidigen zu können. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier passt gebückt so gerade noch durch – und schon hat seine siebte Nahost-Reise ein passendes Bild: Wer sich in die religiös aufgeladenen Konflikte dieses Teils der Welt einmischen will, übt sich besser gleich in Demut.

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Steinmeier in der Geburtskirche zu Bethlehem, links Kholoud Daibes, die Tourismusministerin der palästinensischen Einheitsregierung

Auf dem Platz vor der Geburtskirche haben sich ein paar erregte Demonstranten unter einem Plakat versammelt, auf dem in Arabisch und Englisch zu lesen steht, wer die Stadtverwaltung Bethlehems boykottiere, sei in der Geburtsstadt Jesu nicht willkommen. Der Bürgermeister der Stadt hatte vergeblich auf einen Händedruck des Aussenministers vor der Kirche gehofft. Er steht der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) nahe, die der EU als Terrororganisation gilt. Der verweigerte Händedruck wird in arabischen Medien empört zum „Boykott“ aufgeblasen.
Boykott? In Wahrheit versucht Steinmeier, jenen Teilen der palästinensischen Regierung aus der Isolation herauszuhelfen, die für einen Gewaltverzicht und die Anerkennung Israels stehen. Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch vor einem Monat noch jeden Kontakt mit der nationalen Einheitsregierung aus Fatah und Hamas gemieden. Steinmeier trifft als erster Emissär der Bundesregierung mit moderaten Regierungsmitgliedern zusammen – mit dem parteilosen Finanzminister Fajad, der ebenfalls parteilosen Tourismus-Ministerin Daibes, dem Informationsminister Barghouti, dem Aussenminister Amr und schließlich mit dem Präsidenten Mahmud Abbas.

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Das unfertige Arafat-Mausoleum in der Mukata (palästinenischer Regierungssitz in Ramallah)

Hinter diesem vorsichtigen Politikwechsel der Europäer – Steinmeier vertritt hier auch die Rastpräsidentschaft – steht die Einsicht, dass politische Isolation am Ende den islamistischen Radikalen in Hamas und Fatah hilft, weil sie die Handlungsmöglichkeiten von Mahmud Abbas einschränkt. Mit dem Finanzminister Fajad werde derzeit darüber verhandelt, so Steinmeier, die EU-Finanzhilfen an die Palästinenser wieder für Investitionen und öffentliche Gehälter freizugeben. Nach dem Hamas-Triumph bei den letzten Wahlen hatte Europa sich auf humanitäre Hilfe beschränkt. Steinmeier ist gekommen, um eine hilflose Politik zu beenden, die das wachsende Elend in den palästinensischen Gebieten alimentiert und gleichzeitig die Regierung politisch schwächt.
Steinmeier trifft Fajad in Bethlehem, im traumhaft schönen, aber menschenleeren Hotel Jacir Palace. Es liegt nur wenige Schritte von dem Sperrwall entfernt, der die palästinensischen Gebiete einschließt. Hier mit der gesamten Delegation zu übernachten – statt wie üblich in Jerusalem – , ist ganz ohne große Worte eine bewegende Geste für die zunehmend verelendenden Bewohner der Westbank. Die gespielte Aufregung um den Bürgermeister ist denn auch schnell vergessen. Dass der deutsche Aussenminister in dem Geister-Hotel absteigt – 6 Prozent Auslastung sind hier sonst üblich -, als wäre es schlichte Normalität, wird ihm so schnell nicht vergessen werden.
Denn Normalität ist in dieser leicht entflammbaren Region ein knappes Gut.

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Steinmeier vor der Mukata mit dem palästinensischen Aussenminister Ziad Abu Amr (rechts aussen)

Doch diesmal ist untergründig eine merkwürdige neue Dynamik der Vernunft am Werk. Steinmeier trifft auf lauter Akteure, die so tief in ihren selbstgeschaffenen Krisen stecken, dass sie schon aus reiner Not dem Pragmatismus eine Chance geben müssen. Darum klingen seine mantramässig wiederholten Appelle, man dürfe „den Gesprächsfaden nicht abreissen lassen“, man müsse „das historische Momentum nutzen“, man solle „den Annäherungsprozess konstruktiv begleiten“, keineswegs hohl.
Gerade die offensichtliche Zerbrechlichkeit der beiden Regierungen in Ramallah und Jerusalem macht Fortschritte im Friedensprozess für sie unverzichtbar. Sowohl Abbas wie auch Ehud Olmert und seine Aussenministerin Zipi Livni brauchen dringend Erfolge, um den berechtigten Verdacht zu widerlegen, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind.
Das Leitmotiv dieser Reise ist pragmatische Vernunft aus eingesehener Schwäche – von Scharm-El-Scheich in Ägypten über Palästina und Israel bis nach Riad in Saudi Arabien: Bei der Irak-Konferenz konnte Steinmeier eine bescheiden gewordene Condi Rice erleben, die sich nun auf einmal rühmte, in Scharm-El-Scheich 30 Minuten lang „produktiv“ mit dem syrischen Ausseminister Moallem über die Verbesserung der Sicherheit im Irak geredet zu haben. Seine eigene Syrienreise war vor wenigen Monaten von den Amerikanern noch als verrückte Idee abgetan worden. Steinmeier verkniff sich in Scharm-El-Scheich jedes Zeichen der Genugtuung.
Die arabischen Staaten sagen nicht nur Irak bei der Konferenz einen weitgehenden Schuldenerlass zu. Sie haben jetzt auch ihre Nahost-Friedensinitiative wiederbelebt, die fünf Jahre auf Eis lag. Beides nicht nur aus Idealismus: Sie stützen die Maliki-Regierung im Irak und den Präsidenten Abbas nicht zuletzt, weil sie sonst im Irak von den Iranern und in Palästina von der Hamas an den Rand gedrängt zu werden fürchten.
An den zwei vollgepackten Tagen, die Steinmeier in Israel verbringt, gibt es erste Zeichen dafür, dass die paradoxe Dynamik aus Schwäche tatsächlich wirkt. Die innenpolitisch angeschlagene Livni bekräftigt, sie werde noch in dieser Woche nach Ägypten fahren, um die Chancen einer Wiederbelebung des arabischen Friedensplans auszuloten. Und Abbas’ Sicherheitskräfte schliessen einen Waffenschmuggler-Tunnel an der Grenze Gaza-Ägypten. Damit erfüllen sie eine der Forderungen des neuen amerikanischen Plans zur Wiederbelebung des Friedensprozesses, der just während Steinmeiers Reise bekannt wird.
Das „Benchmarks“- Papier aus dem Aussenministerium setzt beiden Seiten einen klaren Zeitplan: Die Palästinenser müssen in Gaza gegen Waffenschmuggel und Raketenbeschuss vorgehen, die Israelis sollen dafür Blockaden und Checkpoints im Westjordanland entfernen und Reiseerleichterungen gewähren.
Zwischen den diplomatischen Kernterminen ist Steinmeier einen ganzen Tag fern der politischen Entscheidungszentren im Heiligen Land unterwegs. Eine Reporterin der katholischen Nachrichtenagentur will wissen, ob dies etwa eine getarnte Pilgerreise sei. Die Frage ist nicht unberechtigt: Steinmeier besucht nach der Geburtskirche auch noch die Brotvermehrungskirche, die Synagoge von Kapernaum und ein katholisches Pilgerheim am See Genezareth. Schließlich fährt er mit einem historischen Boot auf dem See, an dessen Ufern sich wesentliche Teile des Evangeliums zugetragen haben. Nein, gibt er dort lachend zu verstehen, er habe nicht vor, „die Pilgerreise als politisches Instrument“ zu rehabilitieren.

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Pilgerprogramm zwischen Religion, Geopolitik und Ökologie: Steinmeier auf dem See Genezareth

Auf dem See Genezareth läßt er sich denn auch nicht über das Evangelium vom Gang Jesu über das Wasser aufklären, sondern über Wasserknappheit als politischen Faktor in Zeiten globaler Erwärmung. Die kommenden Konflikte werden hier nicht nur um Glauben und Land geführt werden, sondern immer mehr auch um die Ressource Wasser. Steinmeiers Pilgerprogramm ist also eine Exkursion in die untrennbare Verschlingung von Religion, Geopolitik und Ökologie im Heiligen Land.
Pathetische Reden über den Dialog der Religionen liegen dem trockenen Protestanten Steinmeier nicht. Er hat, statt Reden zu halten, lauter Orte ausgesucht, an denen die Politisierung der Religion sich als Fluch erwiesen hat – und an denen es doch auch Beispiele für die „gelebte Aussöhnung“ gibt. So etwa in der evangelischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala westlich von Bethlehem, wo Christen und Muslime, Mädchen und Jungen trotz allem zusammen lernen.

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Steinmeier in der evangelischen Mädchenschule „Talitha Kumi“ („Mädchen steh auf“) in der Westbank bei Beit Jalla

In der Basilika bei Kapernaum, in der das Wunder der Brotvermehrung verehrt wird, erläutert Pater Jeremias Marseille dem Aussenminister, dies sei ein multireligiöser Ort des Durchgangs gewesen, auf dem die erschöpften Reisenden, die aus den Wüsten Mesopotamiens ans Mittelmeer kamen, Kühle, Ruhe und Erfrischung gefunden hätten. Für ihn, so der Pater, sei damit auch die Atmosphäre des Evangeliums beschrieben. Das hat Steinmeier offenbar gefallen. Im Besucherbuch ist nachher zu lesen, er sei gerne zum „Ruhen und Rasten gekommen“. Und am Ende sagt er gar, „dass ein wenig christliche Zuversicht auch für unser Geschäft notwendig ist“.

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Der Aussenminister beim Ausstrahlen christlicher Zuversicht in Kapernaum. Alle Fotos: Lau

Wie wahr das ist, zeigt sich noch am gleichen Tag: Hamas läßt verlauten, man werde alles daran setzen, dass der amerikanische Benchmarks- Plan niemals implementiert werden könne. Drei Kassam-Raketen aus Gaza schlagen auf israelischem Gebiet ein.