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Warum nur Muslime den Salafismus besiegen können

Im folgenden dokumentiere ich einen beeindruckenden Beitrag von Ahmad Mansour, seit Herbst 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Projekt „Astiu“ (Auseinandersetzung mit Islamismus und Ultranationalismus) beim „Zentrum demokratische Kultur“.  Voher hat er sich bereits als Gruppenleiter bei dem Projekt „Heroes“ engagiert, das sich gegen „die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung“ einsetzt.

Ahmad Mansour ist Palästinenser und studierte in Tel Aviv Psychologie, Soziologie und Anthropologie. Seit 8 Jahren lebt er in Berlin und beendete sein Studium 2009 an der HU als Diplom-Psychologe. Mansour ist Mitbegründer des 2010 entstandenen Netzwerkes europäischer liberaler Muslime für Demokratie und Menschenrechte.

Hier sein Aufruf:

 

„Vorab möchte ich etwas klar stellen: Ich bin Muslim, aber Salafisten sind nicht meine Brüder, und ich bin auch kein Teil von irgendeiner imaginären, weltweit unterdrückten muslimischen Gemeinde, der so genannten Umma. Salafismus repräsentiert mich als Individuum und als Menschen nicht. Sie repräsentieren den Islam nicht – nicht wie ich ihn verstehe! Im Gegensatz zu ihnen sind für mich Meinungsfreiheit, Demokratie, Menschenrechte und Toleranz keine Einbahnstraße und kein Instrument, um hierzulande Hass frei zu verbreiten!

 

Es wurde viel über den Salafismus geschrieben und berichtet. Leider habe ich in dieser aktuellen Debatte die muslimischen Stimmen vermisst! Vereine und Verbände erkennen die Gefahren des Salafismus nicht und handeln aus sehr eingeschränkter Sicht. Manche versuchen das Problem zu verharmlosen. Manche stehen sogar mit Salafisten auf einer Bühne – wie der Rat der Muslime in Bonn – während Polizisten angegriffen und schwer verletzt werden und wundern sich, dass es ihnen nicht gelingt, diese Gewalt zu stoppen. Und für manche sind Salafisten Brüder und Schwestern im Islam!

 

Das ist keine Überraschung: Denn Salafismus ist letztendlich nur die Zuspitzung von Inhalten, die für viele muslimischen Vereine, Verbände und Mitbürger Teil ihres Glaubens sind.

 

Auch wenn die salafistische Szene sehr gespalten ist, und auch wenn die so genannten Dschihadisten, die zum bewaffneten Kampf aufrufen und ihn legitimieren, die Minderheit bei den Salafisten ausmacht, bin ich der festen Überzeugung, dass der Salafismus als Ideologie im Widerspruch zu unserem Rechtsstaat steht. Gewalt fängt nicht erst da an, wo Menschen im Namen der Religion auf andere schießen. Für mich sind Polygamie, Geschlechtertrennung, Exklusivitätsanspruch, die Ablehnung der Demokratie und des demokratischen Rechtssystems, sowie der Glaube, Menschen vor ihrem gotteslosen und elenden Leben retten zu müssen, schon eine Form der Gewalt, welcher Einhalt geboten werden muss.

 

Um dem Salafismus Einhalt gebieten zu können, müssen wir die Gründe für die rasante Verbreitung solchen Gedankenguts und der Gewaltexzesse der letzten Wochen verstehen. In den letzten Jahren haben sich immer mehr gewaltbereite und gewaltverherrlichende Menschen dieser Strömung angeschlossen. Der Salafismus bot ihnen eine Bühne, auf der sie ihre Aggressionen politisch und religiös ausleben können. Jene Anhänger, die sich immer gern als Beleidigte und Entrechtete darstellen, haben sich über die Provokation der Pro NRW gefreut. Für sie war dies die große Chance, ihre vom Opferstatus geprägte Weltanschauung zu bestätigen und sich und ihren Anhängern noch einen Grund zu liefern, gegen diese Gesellschaft zu rebellieren.

 

Wir müssen begreifen, wieso das salafistische Gedankengut insbesondere auf manche Jugendliche eine magnetische Anziehungskraft ausübt. Es liegt nicht nur an der gescheiterten Integration, wie manche gerne behaupten, um die Schuld von der eigenen Community weg zu schieben. Wir Muslime müssen vielmehr die Gründe in unseren eigenen Reihen suchen. Der Salafismus hat schließlich nichts Neues erfunden, sondern ein weit verbreitetes Islamverständnis in eine extreme Form gegossen.

 

Ausgrenzung, Entfremdung, die Pflege der Opferrolle, Aufwertung der eigenen Anhänger und Abwertung aller anderen, die Behauptung, die absolute und einzige Wahrheit zu besitzen, das Verbot, Aussagen zu hinterfragen, die Ablehnung neuer zeitgemäßer oder wissenschaftlicher Islaminterpretationen, die Tabuisierung der Sexualität, eine einschüchternde Pädagogik, die die Angst vor der Hölle über alles setzt, der Anspruch, auf alles eine Antwort zu haben und das Leben des Propheten buchstäblich nachahmen zu müssen – das alles sind Aspekte, die bei den Jugendlichen sehr gut ankommen. Der Salafismus bietet ihnen den Schein der Sicherheit durch eine glasklare Unterscheidung zwischen richtig und falsch. Was die Sache schwierig und zugleich dringlich macht: Es geht hier um Aspekte, die auch zentrale Bestandteile des Islamverständnisses eines „Mustafa-Normal-Muslims“ sind. Kontroll-orientierte Erziehungsmethoden, die auf Kollektivität und Respekt vor Autorität abzielen, wirken hier als Verstärker und begründen die Anfälligkeit von Jugendlichen für die Argumentationen der Salafisten. Mit ihren klaren Verhaltensvorgaben geben sie Halt und erleichtern scheinbar das Leben.

 

Um solchem Gedankengut Einhalt zu gebieten, brauchen wir starke und überzeugende islamische Vorbilder, die in der Lage sind, die Debatte über islamische Werte jenseits von Opferrolle und Diskriminierung zu führen. Wir brauchen eine mutige und zeitgemäße Islaminterpretation mit klaren Positionen im Hinblick auf unsere demokratischen Werte und unser Grundgesetz. Wir brauchen eine Islaminterpretation, die kritikfähig und in der Lage ist, einen demokratiefähigen Islam theologisch zu begründen!

Wo sind diese Vorbilder?“

 

 

Können Islamisten Liberale sein?

Der türkische Kolumnist Mustafa Akyol (Hürriyet, Star), stellt in der New York Times die Frage der Zeit:

Even the ultra-Orthodox Salafis now have deputies sitting in the Egyptian Parliament, thanks to the ballots that they, until very recently, denounced as heresy.

For those concerned about extremism in the Middle East, this is good news. It was the exclusion and suppression of Islamists by secular tyrants that originally bred extremism. (Ayman al-Zawahri, Al Qaeda’s leading ideologue, was a veteran of Hosni Mubarak’s torture chambers.) Islamists will become only more moderate when they are not oppressed, and only more pragmatic as they face the responsibility of governing.

But there is another reason for concern: What if elected Islamist parties impose laws that curb individual freedoms — like banning alcohol or executing converts — all with popular support? What if democracy does not serve liberty?

 

Die drängendste Frage, so Akyol, sei nicht, ob Islam mit Demokratie vereinbar ist – sondern mit Liberalismus – mit einer freiheitlichen Ordnung, in der die Rechte der Individuen garantiert sind:

The real debate, therefore, is whether Islam is compatible with liberalism.

The main bone of contention is whether Islamic injunctions are legal or moral categories. When Muslims say Islam commands daily prayers or bans alcohol, are they talking about public obligations that will be enforced by the state or personal ones that will be judged by God?

Akyol zitiert das ambivalente  Beispiel der Türkei, in der die AKP lange Zeit viel für die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit getan hat. Nun aber scheint sie immer stärker den Staat, den sie beherrscht, als Werkzeug zu begreifen, der Gesellschaft die eigenen Werte aufzuzwingen.

Darum gebe es auch in der Türkei, meint Akyol, „reasons to worry that illiberal democracy could emerge. For Turkey still suffers from a paranoid nationalism that abhors minority rights, a heavy-handed judiciary designed to protect the state rather than its citizens, and an intolerant political culture that regards any criticism as an attack and sees provocative ideas as criminal.

These obstacles to liberal democracy are unrelated to religion though; they are the legacy of years of secular but authoritarian politics. But the A.K.P., which has been in power for almost a decade and has introduced important liberal reforms, has lately let its progressivism wane. The party has absorbed some of the traditional illiberalism of the establishment in Ankara, the capital, that it now fully dominates. It has not been too Islamic; it is just proving to be too Turkish.“

Die Herausforderung der AKP, darin gewissermaßen die Avantgarde der islamisch geprägten Parteien, die in der Region nun an die Macht kommen, besteht darin, den Staat nicht als Instrument der tugendhaften Volksmassage zu betrachten. Sie müsse die bürgerlichen Freiheiten verteidigen, darin eingeschlossen die „Möglichkeit zur Sünde“, statt die Staatsgewalt zur Verbreitung ihrer Werte zu benutzen.

And as new questions about religion and public life emerge — Should schools promote Islam? Should alcohol sales be restricted? Should the state instruct private TV channels to uphold “moral values”? — the government must protect civil liberties, including the “freedom to sin,” and constrain those who seek to use state power to impose their values on others.

 

Anders Breivik, Multikulturalist

Interessantes Stück von Brendan O’Neill in Novo, das Motive enthält, die ich hier auch schon einmal angeschlagen hatte (und auch hier, unter dem Aspekt „Multikulti von rechts“):

Die dunkle Ironie hinter den von Anders Behring Breiviks im Gerichtssaal vorgetragenen Tiraden gegen den Multikulturalismus ist, dass seine eigene Weltauffassung ebenfalls mit dieser spalterischen Ideologie durchsetzt ist. (…) enthüllt sowohl sein Aufruf, „seine Kultur“ [2] zu respektieren als auch die paranoide Überzeugung, „seine Kultur“ sei von gefühllosen Funktionären und dem ungehobelten Pöbel bedroht, dass er selbst dieser multikulturellen Perspektive anhängt. Die Selbstwahrnehmung als Angehöriger einer bedrohten Kultur, sein widerliches Selbstmitleid, seine Paranoia darüber, dass seine Traditionen von anderen mit Füßen getreten werden: All diese hanebüchenen Ideen entspringen letztlich der Ideologie des Multikulturalismus.
(…) Diese Besessenheit mit der eigenen kulturellen Identität und der Wunsch, einen Schutzschild um sie herum zu errichten, so dass sie bloß nicht von externen Kräften bedroht wird, ist reiner, unverfälschter Multikulturalismus. Es ist das gleiche Denken, das auch die moderne multikulturelle Maschinerie und deren Protagonisten motiviert, Respekt gegenüber verschiedenen „Identitäten“ durchzusetzen.
Breivik ist eindeutig durch Identitätspolitik und nicht durch altmodische religiöse Überzeugungen motiviert. (…) Grundlegend für seine Besessenheit ist die Idee einer immanenten „Identität“ mit festen kulturellen Merkmalen, wie man sie auch von Mainstream-Multikulturalisten kennt. Auch hier findet sich eine „Identitätsideologie“, nämlich die Überzeugung, jeden Menschen in vorgefertigte und nie veränderbare kulturelle Schubladen quetschten zu können – Weiß, Moslem, Schwarz – und das jede dieser Schubladen vor Spott und Respektlosigkeit geschützt werden müsse.
Eine andere Sache, die Breivik mit den Multikulturalisten teilt, ist ein mächtiges Gefühl kultureller Paranoia: Er glaubt, „seine Kultur“ befinde sich in einem Belagerungszustand. Normalerweise kämen nur Multikulturalisten auf die Idee, dass Minderheitskulturen, wie z.B. die islamische, durch Wellen von Islamophobie und allgemeiner Ignoranz bedroht seien. Für Breivik hingegen ist es die Mehrheitskultur – die weiße christliche Identität – die diesmal durch die „islamische Kolonisierung Europas“ und auch wieder durch die Ignoranz der breiten Öffentlichkeit bedroht sei [6] (die Durchschnittsbürger werden seiner Meinung nach durch die Medien in die Irre geführt). Dies sind zwei verschiedene Versionen der gleichen kulturellen Panik, die durch die multikulturelle Perspektive befördert werden. Tatsächlich ist es bemerkenswert, wie viel Breivik mit den von ihm so verachteten Islamisten gemein hat. Wo Islamisten, auch unter dem Einfluss des Multikulturalismus, behaupten, ihre kulturelle Identität sei durch „Neue Kreuzzüge“ des Westens gegen den Islam bedroht, sieht auch Breivik seine kulturelle Identität durch Kreuzzüge aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung bedroht – durch die von Osten kommende „Islamisierung“. So werden beide Gruppen gleichermaßen völlig paranoid gemacht, indem sie ermutigt werden, ein obsessives Verhältnis zu ihren angeblich fragilen Identitäten zu entwickeln.
Breivik ist nicht der unerbittliche Feind des Multikulturalismus, als den er sich selbst gerne darstellt, er ist vielmehr dessen Produkt. Er ist ein monströses Geschöpf des Multikulturalismus. (…)

 

Breiviks Prozess als Zerrspiegel der „Islamkritik“

Dröhnendes Schweigen aus der Islamhasserszene begleitet den Breivik-Prozess. Verständlich. Denn was der Massenmörder da zur Begründung seiner Taten ausbreitet, enthält so viele Grundüberzeugungen der Szene, dass es einem den Atem verschlägt.

Das „Manifest“ Breiviks konnte man noch abtun. Aber jetzt steht da dieser Mensch und legt seine Überzeugungen dar, die den Mord an 77 Menschen und noch mehreren, wenn es denn die Gelegenheit gegeben hätte, rechtfertigen sollen. Man möchte nun gerne glauben, das sei doch alles beliebig. Es hätten auch ganz andere Überzeugungen sein können und dann eben andere Opfer. Es findet sich immer ein Grund zum Morden! Und dass dieser Mensch seine Morde mit diesen Überzeugungen begründet, das sagt dann am Ende doch gar nichts über deren Richtigkeit oder Falschheit aus!
Merkwürdig nur: Wenn das gleiche über die Taten islamistischer Attentäter gesagt wird – dass der Islam nur eine Scheinlegitimation für Mordlust aus anderen Motiven hergebe -, dann setzt das große Hohngelächter ein: Nein, diese Leute vollstrecken bloss den Islam, sagen die Islamhasser. Die haben ganz genau verstanden, welche Botschaft sich im Koran verbirgt. Und wer das bestreitet oder relativiert, der macht sich der Verharmlosung schuldig. (Ich bin der  Meinung, dass es falsch und verharmlosend ist, „den Islam“ als Motivationsfaktor auszunehmen, wie ich des öfteren geschrieben habe, ohnde dass eine Referenz auf „den Islam“ per se erklären kann, was Al Kaida ist und will.)

Was Breivik getan hat, soll nun aber überhaupt nichts mit der Hasspropaganda gegen den Islam zu tun haben, die sich in einschlägigen Internetforen ausgebreitet hat? Auch in Kommentaren zu diesem Blog war schon zu lesen, da blähe sich halt ein kranker Narziss auf, der sich eine Wahnwelt aus beliebigen Teilen gebaut habe. Ist sozusagen Pech für die „Islamkritik“: Sie ist Breiviks ärgstes Opfer. Und schon wird gewarnt, jetzt werde die Redefreiheit über „den Islam“ noch mehr eingeschränkt, weil jeder Islamkritiker nun in die Nähe Breiviks gerückt werde. Das stimmt zwar nicht. Aber es zeigt, wie sehr dieser Prozess diesen Teil der „Islamkritik“, der in Wahrheit kaum kaschierter antimuslimischer Rassismus ist, in die Defensive bringt. Breiviks Aussage entstellt den Geist dieser Szene zur Kenntlichkeit.

– Wie oft hat man mir hier schon die Phantasie eines kommenden Bürgerkriegs vor Augen gestellt, der durch die islamische Einwanderung unabweisbar werde?
– Wie selbstverständlich wird immer wieder suggeriert, die Kriminalität jugendlicher Täter mit islamisch geprägtem Migrationshintergrund sei in Wahrheit bereits ein Teil dieser Auseinandersetzung „des Islams“ mit „dem Westen“?
– Geradezu zum guten Ton gehört in all diesen Auseinandersetzungen das Geschimpfe gegen die linksgrünen Gutmenschen („Gutis“), die als nützliche Idioten der Machtergreifung des Islams in Europa vorarbeiten. Auch mir ist schon wie anderen Kollegen am Internet-Pranger „Nürnberg 2.0.“ vorgeworfen worden, ich betriebe „Lobbyarbeit für eine fremde Macht“.
– Das Feindbild Multikulturalismus als gezielt betriebene Selbstaufgabe des Westens ist ein ideologischer Kernbestandteil der Islamhasserszene.
– Die Stilisierung „des Islams“ zur völkermörderisch totalitären Ideologie, gegen die Widerstand geleistet werden müsse – das ist die zentrale Botschaft der Wilders, Spencer, Geller und Stürzenberger.
– All das kommt einem nun aus dem Osloer Gericht entgegen in verdichteter Form und zugespitzt mit der Pointe – um eine deutsche Theoretikerin der Entgrenzung zu zitieren – „natürlich kann geschossen werden„.  Kann? Muss. Das sollen wir Breivik am Ende abnehmen.

Ich habe es schon früher geschrieben und bleibe dabei: Breivik hat sich die Legitimationsgrundlage seiner Taten nicht herbeihalluziniert, er konnte sie im Netz zusammenbasteln. Er praktiziert in seinem Manifest einen Copy-und-Paste-Faschismus auf über 1.000 Seiten.

Wenn Breivik aufgrund seines apokalyptischen Weltbildes – in dem es gilt, einem alles verschlingenden Multikulturalismus auch mit Waffengewalt zu wehren – psychotisch ist und an paranoider Schizophrenie leidet, dann bewegen sich viele, die ihr Gift in den entsprechenden Foren verspritzen, ebenfalls am Rande der Geisteskrankheit.

Der Blick in den Gerichtssaal von Oslo ist der Blick in einen Zerrspiegel.

 

Ulema, hört auf mit dem Schwanz zu denken!

Hakan Turan, schon öfter Gast auf diesem Blog, hat einen berechtigten Wutanfall angesichts der frauenfeindlichen Edikte afghanischer Islamgelehrter (der ganze Essay ist wert, gelesen zu werden):

Eheliche und sonstige Gewalt insbesondere an Frauen gibt es auch in westlichen Ländern, und auch hier in Deutschland.

Jedoch gibt es hier auch ein staatliches System und ein Gesetz, das der Frau umfassenden Schutz zusichert und dem Täter gebührende Strafe zukommen lässt. Darum geht es mir hier – und nicht etwa um eine unhaltbare Verallgemeinerung islamischer Gesellschaften als schlecht und westlicher Gesellschaften als gut.

Ferner kann und werde ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass meine Religion als theoretische Rechtfertigung dazu verwendet wird um ungerechte und unmoralische Machstrukturen zu legitimieren. Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, dass Probleme und patriarchale Entartungen in der Lebenspraxis mancher meiner Glaubensbrüder unmittelbar aus einer unbefangenen Koranlektüre resultieren würden (dieses absurde Szenario ist das Islamszenario der Islamkritiker – sie tragen die Beweislast). Ich bin der Überzeugung, dass in den meisten Fällen bereits bestehende oder erwünschte Machtgefälle nachträglich mit passenden Koranpassagen unterstützt oder legitimert werden. Der umgekehrte Weg (vom Koran zur Praxis) ist selten und erfüllt meist demonstrative und strategische Zwecke. 
Dennoch behaupte ich, dass das noch lange nicht gelöste Problem der staatlichen oder gesellschaftlichen Billigung ungerechter Strukturen und ehelicher Gewalt unter Berufung auf den Koran von uns Muslimen nicht vernachlässigt und unserem ungehemmten Pragmatismus geopfert werden darf. Schuld an diesen Missständen ist nämlich weder der Westen, noch eine etwaige jüdische Weltverschwörung, sondern an erster Stelle rückständige Patriarchen, die zu Unrecht im Namen deiner und meiner Religion im Wesentlichen dem Gesellschaftsmodell vormoderner Zeiten huldigen.

Ferner geht es hier auch um die Glaubwürdigkeit und logische Kohärez des Islams als theologische und moralische Theorie überhaupt. Diesen intellektuellen Kampf aufzunehmen und zu bestreiten ist aus meiner – freilich subjektiven Sicht – für Gegenwart und Zukunft des Islams viel essenzieller als viele andere der Dauerthemen in muslimischen Kreisen. Außerdem gilt gerade auch für den praktizierten Islam, dass nichts praktischer ist als eine gute Theorie (und nichts riskanter als ein in Schieflage geratenes und immunisiertes Weltbild).

Darum werte ich es jedes Mal erneut als Skandal, wenn ein „Gelehrter“ aufsteht und voller Inbrunst wiederholt „Keine Religion hat die Frau so gut behandelt wie der Islam – aber dennoch darf der muslimische Mann seine ungehorsame Frau (leicht) schlagen“ und anschließend erwartet, dass die muslimischen Jugendlichen ergeben folgen, und dass die Nichtmuslime verblüfft werden von soviel islamischer Überlegenheit gegenüber all den menschengemachten Systemen. Einfach zum Fremdschämen.

(…)

Ich jedoch glaube: Der Koran kam herab zu Menschen mit Vernunft, zu Menschen die Gottes Gedenken im Sitzen, Liegen und Stehen. Zu Menschen, die über die Schöpfung des Universums nachdenken, zu Menschen, die wissen, dass kein Fünkchen von guten und schlechten Taten verloren gehen wird.

Hier ist nicht alles Vernunft, aber ohne Vernunft verkümmert alles irgendwann zu nichts.

Der Koran kam herab um die blinde Huldigung der „Religion der Väter“ zu beseitigen und zu ersetzen durch eine in vollem Bewusstsein erschlossene, inbrünstig gelebte und von der Vernunft beglaubigte Gotteshingabe. Der Islam definierte Moral, den Dienst am Menschen und die Verpflichtung zur Wahrheit vor Eigennutz und Vereinsmeierei zur universellen und höchsten Instanz des Handelns. Jenseits aller historischen Besonderheiten des frühen Islams ist dies das prägende und universelle Wesen unserer Religion.

Wenn der andalusische Rechtsgelehrte Shâtibî aus dem 14. Jahrhunderte feststellt, dass die Endzwecke des islamischen Gesetzes Schutz von Religion, Leben, Eigentum, Nachkommenschaft und Vernunft lauten, dann haben wir allen Recht die heutigen Vertreter des Islams danach zu befragen, ob ihr Einsatz die hier besagten Werte eher fördert, oder sie eher unterläuft.

Die koranische Kritik an der blinden Loyalität gegenüber der Religion der Väter verstehe ich heute vor allem auch als unmittelbare Kritik an den Muslimen selbst. Die Religion der Väter, sprich die Islamauffassung von echten oder scheinbaren Autoritäten, ist nicht von sich aus heilig, sondern bedarf einer stetigen Kontrolle und Kritik der gesamten Gemeinschaft der Muslime. Die Voraussetzung hierzu ist das Streben nach Wissen, Weisheit, Gottesfurcht und Moral. Neben der allgemeinen Lebenserfahrung sind die wichtigsten Quellen des Muslims hierzu die Vernunft und die Offenbarung. Die fundamentalen Triebfedern dieses Strebens sind die stetige und rastlose Sehnsucht nach Wahrheit und das bedingungslose Pochen auf Gerechtigkeit – eine Gerechtigkeit, die der Koran als prinzipielle Grundhaltung fordert. Ein wichtiger Prüfstein für diese islamische Haltung ist der Mut aufzustehen und Nein zu sagen, wenn die Schwachen von den Mächtigen gestoßen und getreten werden, und sei es von den Hohepriestern aus den Reihen der eigenen Glaubensbrüder. So sehe ich das, und man möge mich korrigieren, wenn ich hierin falsch liege.

Es ist alarmierend, dass der Koran in der regelmäßig im Gebet rezitierten Sure Mâ’ûn (Sure 107) als „Leugner der Religion“ jene identifiziert, die die Waisenkinder, – sprich: die Schwächsten der Gesellschaft – zurückstoßen und die Armen nicht speisen. Ferner wird diese Gruppe beschrieben als Menschen, die ohne Herzblut beten, und dabei nur gesehen werden wollen um von „elâlem“ (türkisch: das allgemeine Umfeld) für fromm befunden zu werden. Zugleich stünden diese Personen jeglicher Hilfe für die Schwachen im Wege. Hat irgendjemand den Mut zu behaupten, dass nicht all diese Eigenschaften der in der Sure als „Leugner der Religion“ bezeichneten Menschen heute auf einen spürbar großen Teil von Muslimen zutreffen, die mit äußeren Darstellungen des Glaubens prahlen, die nicht verinnerlicht werden, und zugleich nicht im Traum daran denken sich selbstlos für die Schwachen einzusetzen? Wie oft drehen organisierte Gruppen bei irrelevanten Beleidigungen des Islams durch, während sie eine unglaubliche Geduld mit Brudermorden und anderen Fanatismen in den Reihen der Muslime an den Tag legen? Ja: Wie oft rezitieren wir diese Sure Mâ‘ûn, ohne auch nur ein Fünkchen von Erschütterung in unserem Herzen zu spüren?

Ich behaupte derweil nicht, dass ich das hier Gesagte selbst annähernd würdig umsetzen würde – jedoch möchte ich mir genau dies aber zum Lebensziel machen, so wie sehr viele andere Muslime auch, die aber zu höflich und zurückhaltend sind, um all diese Gedanken niederzuschreiben. Aber sie leiden nicht weniger als ich unter der Flut an Irrsinn, die tagtäglich über unseren Köpfen hinwegfegt und von den Medien begierig verstärkt wird.

Aus all diesen Gründen nehme ich so scheinheilige Stellungnahmen wie das Edikt des Ulema-Rates sehr ernst und zugleich auch sehr persönlich und werte es im vollen Wortsinn als Angriff auf meine Religion. Denn sie sprechen dem Islam nicht nur seine inhärente Vernunft, sondern letztlich auch jede moralische Glaubwürdigkeit ab.

Und sie machen deine und meine Religion instrumentalisierbar für archaische Machtstrukturen, mit denen ich nicht nur nichts zu tun haben möchte, sondern die ich auch im Sinne der Unterdrückten und Entrechteten gerne geradestoßen würde. Denn abermals: „Islamische“ Legitimationen von Unrecht sind und bleiben ein Verrat an Vernunft und Moral, und an den höheren moralischen Zwecken des Islams. 

Um konkreter zu werden: Wie wenn nicht Verrat an Vernunft soll ich es denn sonst nennen, wenn behauptet wird, dass nach dem Willen Gottes, dem weisen Schöpfer des Universums, dem Herren über Raum und Zeit und den Naturgesetzen bei Streitpunkten in Ehen zu allen Zeiten und an allen Orten unabhängig vom kulturellen Umfeld, der Bildung und der Lebenserfahrung der Partner das letzte Wort nicht etwa bei demjenigen Partner mit der entsprechenden themenbezogenen Kompetenz, Weisheit und Erfahrung liegen sollte, sondern bei demjenigen, der den Penis hat?

Bei der Lektüre ihrer Patriarchatshuldigungen frage ich mich immer wieder, mit welchem Organ die überzeugten Patriarchen unter den Ulema des Islams eigentlich denken: mit ihrem Gehirn, oder mit ihrem Fortpflanzungsorgan?

Ich habe genug Frauen erlebt, neben denen die angeblich zum Führen geborenen Männer wie pubertierende Halbstarke dastehen. Es gehört zu den großartigen Errungschaften der westlichen Welt eine solche Bildung und Erziehung für Frauen institutionalisiert zu haben. Davon profitieren hier Menschen aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen.

Und nun würde ich gerne von den besagten Ulema wissen:

Warum brauchen Musliminnen das System der von manchen unserer Ulema als „Kuffar“ verachteten Menschen des Westens um einen umfassenden Rechtsschutz vor dem Übergriff von Männern zu erhalten?

Warum müssen Musliminnen um sich der emanzipatorischen Seite des Islams erfreuen zu können erst außerhalb der Reichweite eures angeblich islamischen Rechtssystems kommen?

Was ist euer Beitrag gegen der frappierenden Analfabetismus in eurem Einflussbereich?

Was ist eure Antwort darauf?

Darüber sollte sich der Ulema-Rat Gedanken machen. Und nicht darüber, welche Frauenrechte man als nächstes abschaffen könnte.

In den Ländern der von euch als „Kuffar“ verachteten Menschen gibt es muslimische Professorinnen, exzellente muslimischen Schülerinnen und Studentinnen, Pädagoginnen, Beraterinnen, Managerinnen etc. etc. Wie klein werden manche Männer in Gegenwart dieser Generation von Frauen, die selbst die typischen Männeraufgaben irgendwann besser und gewissenhafter erledigen als verzogene Paschas und Machos.

Und was soll ich erst davon halten, wenn ihr behauptet, dass besagte Penisbesitzer aller Zeiten und Kulturen der Einsicht ihrer bockigen Frauen nicht etwa mit Argumenten und Geduld, sondern mit Schmerz erzeugenden und demütigenden Schlägen nachhelfen sollen, deren pädagogische wie psychologische Wirkungen nachweislich verheerend sind? Was nützt mir der Sieg in einem banalen Streit mit einem erwachsenen und gebildeten Menschen, wenn ich ihn nicht etwa mit überzeugenden Argumenten, sondern mit dem Einsatz von Muskelkraft gewinne? Ist es einen solchen Sieg wert, wenn dafür jemand, mit dem ich sonst auf Augenhöhe stehe, und mit dem ich mein Leben verbringe, und der sich vielleicht tagein und tagaus um meine alltäglichen Bedürfnisse kümmert, leiden und Demütigung ertragen muss?

Sorry, nein, ich bin da nich dabei…

Mir egal ob mit einem Hölzchen, einem Tuch oder mit der bloßen Hand: Ein solches Problemlösungsverfahren hat in unserer heutigen Zeit der Bildung, der Verhandlung und der möglichen finanziellen Unabhängigkeit auch von Frauen nichts mehr zu suchen. Punkt!

Aber Moment mal…

Aber Moment mal… Stehen all die Dinge, die ich hier kritisiere, nicht alle genauso im Koran? Ist das denn nicht islamischer Konsens seit Urzeiten des Islams? Kann ich als Moslem denn Ansichten, die doch nur denen des Gelehrtenmainstreams entsprechen, derart dreist widersprechen?

Ja, und ob ich das kann!

Und ich tue dies als gläubiger und praktizierender Muslim, der überzeugt davon ist hierin die universelle Vernunft und den gut verstandenen Koran auf seiner zu Seite haben.  (…)

 

Der Islam und die Zukunft der Linken

Sam Harris hat auf seiner Website einen Essay zum Thema „Der Islam und die Zukunft der Linken“ veröffentlicht, den ich bemerkenswert finde. Harris ist ein prominenter Vertreter des kämpferischen Säkularismus, ein Religionskritiker, der  keinen Glauben auslässt.

Dass unter allen Religionen der Islam heute das größte Problem für die Menschenrechte und die Freiheit darstellt, sagt er dennoch in aller Deutlichkeit. Er sagt es ohne Islamophobie und ohne sich von dem möglichen Vorwurf, der Islamophobie Vorschub zu leisten, beeindrucken zu lassen.

Er wendet sich gegen diejenigen, die jede Kritik am Islam unter diesem Label einordnen – ebenso wie gegen diejenigen, die unter dem Deckmatel der Islamkritik „Rassismus, christlichen Faschismus oder beides“ verstecken. Und er nimmt die Linke („liberals“), der er sich selbst zugehörig fühlt, hart ran für ihre Weigerung, den religiös motivierten, genozidalen Faschismus der Hamas-Charta ernst zu nehmen.

Of course, millions of Muslims are more secular and are eager to help create a global civil society. But they are virtually silent because they have nothing to say that makes any sense within the framework of their faith. (They are also afraid of getting killed.) That is the problem we must keep in view. And it represents an undeniable difference between Islam and Christianity at this point in history. There are also many nefarious people, in both Europe and the U.S., who are eager to keep well-intentioned liberals confused on this point, equating any criticism of Islam with racism or “Islamophobia.” The fact that many critics of Islam are also racists, Christian fascists, or both does not make these apologists any less cynical or sinister.

The only way to know which way is up, ethically speaking, is to honestly assess what people want and what they believe.  We must confront the stubborn reality of differing intentions: In every case it is essential to ask, “What would these people do if they had the power to do anything they wanted?”

Consider the position of Israel, which is so regularly vilified by the Left. As a secularist and a nonbeliever—and as a Jew—I find the idea of a Jewish state obnoxious. But if ever a state organized around a religion was justified, it is the Jewish state of Israel, given the world’s propensity for genocidal anti-Semitism. And if ever criticism of a religious state was unjustified, it is the criticism of Israel that ceaselessly flows from every corner of the Muslim world, given the genocidal aspirations so many Muslims freely confess regarding the Jews. Those who see moral parity between the two sides of Israeli-Palestinian conflict are ignoring rather obvious differences in intent.

My fellow liberals generally refuse to concede that the religious beliefs of groups like Hamas merit any special concern. And yet the slogan of Hamas, as set forth in Article 8 of its charter, reads: “Allah is its target, the Prophet is its model, the Koran its constitution: Jihad is its path and death for the sake of Allah is the loftiest of its wishes.” If this is insufficient to establish this group as a death cult of aspiring martyrs, consider the following excerpts from the charter:

  • [T]he Islamic Resistance Movement aspires to the realisation of Allah’s promise, no matter how long that should take. The Prophet, Allah bless him and grant him salvation, has said:
  • “The Day of Judgement will not come about until Muslims fight the Jews (killing the Jews), when the Jew will hide behind stones and trees. The stones and trees will say O Muslims, O Abdulla, there is a Jew behind me, come and kill him. Only the Gharkad tree would not do that because it is one of the trees of the Jews.” (related by al-Bukhari and Muslim). (…)
  • There is no solution for the Palestinian question except through Jihad. Initiatives, proposals and international conferences are all a waste of time and vain endeavors. (…)
  • It is necessary to instill in the minds of the Muslim generations that the Palestinian problem is a religious problem, and should be dealt with on this basis. (…)“

Whether or not every Palestinian believes these things is not the point. The point is that many do, and their democratically elected government claims to. It is only rational, therefore, for Israel to behave as though it is confronted by a cult of religious sociopaths. The fact that much of the world, and most Western liberals, cannot see the moral imbalance here only makes the position of Israel more precarious, leaving it increasingly vulnerable to overreacting to Palestinian provocations. If the rest of the world were united in condemnation of Hamas, and of Islamism generally, Israel could afford to be slower to reach for its guns.

 

 

Was Mohammed Merah mit dem Islam zu tun hat

Das hat nichts mit dem Islam zu tun.

Man kann es nicht mehr hören. Die Mutter des Attentäters war Salafistin, er wurde „streng islamisch“ erzogen. Er war in Ausbildungslagern in Afghanistan und Pakistan. Er fühlte sich durch seinen Glauben berechtigt, nein genötigt, Juden zu ermorden, auch Kinder. Und zuvor schon hatte er Glaubensbrüder ermordet, weil sie sich für den Krieg gegen den Islam hergegeben hatten, als den er die Intervention in Afghanistan empfindet.

Nun soll das Internet stärker zensiert werden, weil dort auf islamistischen Seiten Hass gesät wird. Schön. Wissen wir denn schon, dass der Mann sich am Computer radikalisiert hat? Und ist das Problem im Griff, wenn man den Dschihadisten ein Propaganda-Instrument aus der Hand schlägt? Nein. Es ist richtig, dass Internet zu überwachen und vielleicht auch Seiten abzuschalten, sofern das möglich ist. Aber am Ende bleibt das eine Ersatzhandlung angesichts dessen, was sich in Toulouse abgespielt hat.

Alle diejenigen, die sich schon vor Tagen zu irgendwelchen Thesen haben hinreißen lassen, die französische Fremdenfeindlichkeit sei schuld (und es sei wahrscheinlich ein Täter vom rechten Rand), stehen jetzt etwas belämmert da. Sarkozy klopft in der Tat manchmal Sprüche, die degoutant sind, und von Frau Le Pen brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Das alles ist aus anderen Gründen zu kritisieren. Aber hier hat eben nicht ein Täter die Xenophobie einer imaginierten schweigenden Mehrheit ausagiert. (So etwas kann es geben, aber man sollte sich schon über die Hintergründe der Tat sicher sein, bevor man derart weitreichende Thesen aufstellt.)

Hier wurde etwas anderes ausagiert, und das hat eben wohl etwas mit dem Islam zu tun. Die deutschen Islamverbände sind bisher nahezu unfähig gewesen, sich angesichts von Terror im Namen des Islam mit der Tatsache auseinander zu setzen, dass die Täter ihre Inspiration aus der Religion ziehen wie sie sie eben verstehen. Sie haben seit 10 Jahren hauptsächlich auf Abwehr geschaltet – nicht um die Täter damit zu schonen oder zu entschuldigen, sondern um ihren Glauben zu verteidigen (auch gegen die Dschihadisten). Sie stellen also kurzerhand den Täter außerhalb des Glaubens, außerhalb des „wahren Islams“ des Friedens.

Diese Verteidigungsstrategie wirkt selbst für diejenigen, die keine finsteren Motive unterstellen mittlerweile fatal, weil sie am Ende den Dschihadisten die Offensive lässt. Es ist schlichtweg zu einfach, den wahren und den falschen Glauben einander gegenüber zu stellen. Es wirkt irgendwann einfach nur hilflos, wenn die „Islam-ist-Frieden“-Formel gebetsmühlenhaft wiederholt wird.

Wie es auch anders gehen könnte, zeigt jetzt ein Beitrag auf Islam.de von Muhammad Sameer Murtaza. Der Ort der Publikation ist interessant: die Website des Zentralrats der Muslime, der leider selber immer wieder in die Haltung der apologetischen Nichtauseinandersetzung zurückfällt. Mohammed Sameer Murtaza will das nun durchbrechen, und er tut es auf dem Forum des Zentralrats. Das ist bemerkenswert. Die historische Tiefe seiner Auseinandersetzung mit dem Wahhabismus und seinen Wurzeln, mit dem islamischen Antisemitismus und seiner Inspiration durch den völkischen Antisemitismus Europas, und schließlich mit den Ideologien der Muslimbruderschaft und den zeitgenössischen Salafisten (bis zu Pierre Vogels Präsenz in den deutschen Gemeinden) ist beeindruckend. Vor allem aber ist es wohltuend, dass jemand hier die intellektuelle und religiöse Herausforderung durch den Terrorismus annimmt, statt nur abzuwehren:

Menschen neigen dazu in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Bevor also jemand zu einem „Der Islam ist Frieden“ ansetzt, sollten wir vielleicht einen Augenblick innehalten und uns klar machen, was geschehen ist. Ein junger Mann, arabischer Herkunft, der den Namen des Propheten trägt, hat gezielt und kaltblutig drei Kinder jüdischen Glaubens und einen jüdischen Religionslehrer per Kopfschuss hingerichtet. Die Namen der Kinder lauteten Gabriel, Arieh und Myriam. Sie waren vier, fünf und sieben Jahre alt. Der Name des 30-jährigen Lehrers und Vaters der beiden erstgenannten Kinder war Jonathan. Zuvor tötete der Mörder drei französische Soldaten Abel Chennouf (25), Mohammed Legouade (23) und Imad Ibn Ziaten (30), letzere beiden waren Muslime.

Es heißt im Qur’an: Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Israels angeordnet, dass wer einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen oder Unheil im Lande angerichtet hat, wie einer sein soll, der die ganze Menschheit ermordet hat. Und wer ein Leben erhält, soll sein, als hätte er die ganze Menschheit am Leben erhalten. (5:32) 

Dieser Text steht im Qur’an im Anschluss an die Erzählung der beiden Söhne Adams, Kain und Abel. Er erteilt den Gläubigen die Weisung: Du sollst nicht töten! Oder positiv formuliert: Hab Ehrfurcht vor dem Leben!   Mohammed Mehra kennt diese Ehrfurcht nicht. Im Gegenteil, bedauert er doch, dass er nicht noch mehr Menschen getötet hat. Bevor nun aber jemand in alte Gewohnheiten zurückfällt und das Argument vorbringen möchte, dass Mohammed Mehra gar kein Muslim sei, da er entgegen dem oben genannten Qur’anvers handelte und Muslime so etwas eben nicht tun, sollte er lieber schweigen. Seit dem 11. September bringen Muslime Argumente dieser Art vor, wenn irgendwo irgendetwas Schlimmes im Namen des Islam geschieht. Es ist eine bequeme Distanzierung, die es den Muslimen erspart, sich inhaltlich mit den Wurzeln der Gewalt im Namen Gottes zu beschäftigen. Menschen wie Mohammed Merah legitimieren ihre Akte der Barbarei im Namen des Islam und sie berufen sich auf den Qur’an, weil sie glauben, ein gottgefälliges Werk zu verrichten, das ihnen Eingang in das Paradies verschafft. Sie sehen sich als gläubige Muslime an und sind damit Teil der Umma und somit Teil einer unausgesprochenen innerislamischen Krise.

Seit dem 11. September haben Muslime sich verpflichtet gefühlt, den Islam zu verteidigen, indem sie die Täter außerhalb des Islam stellten. Da also religiöse Motive im Zusammenhang mit den Gräuel nicht herangezogen werden durften, um die Religion vor jeglichen Makel zu bewahren, versuchte man psychologisch Motive ins Feld zu führen. Mohammed Mehra verfährt ebenso. Er begründet seine Taten dadurch, dass er den gewaltsamen Tod palästinensischer Kinder rächen und ein Zeichen gegen die französische Militärpräsenz in Afghanistan setzen wollte.

Was bei alledem auffällt, bis heute hat sich die Mehrheit der Muslime davor gesträubt in das Herz der Finsternis vorzustoßen und eine religionsgeschichtliche Erklärung für den Terror im Namen des Islam vorzulegen. „Die“ Muslime sind keine Terroristen. Aber Terroristen, die sich auf den Islam berufen, gehören in der Regel dem Wahhabismus an. Ist es also nicht längst an der Zeit, sich kritisch mit dieser islamischen Strömung auseinanderzusetzen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen? (…)

Bald schon stand dem arabischen Leser eine Flut antisemitischer Lektüre zur Verfügung, die ausnahmslos christlichen, europäischen und amerikanischen Ursprungs war.   In dieser ersten Phase wurden antisemitische Anklagen – allerdings unter Ausschluss des Rassengedankens – einfach wiederholt. Die Muslime wurden mit dem Bild des Juden als Freimaurer, als Großkapitalist, als Kommunist, als Umstürzler und als Verschwörer mit dem Ziel der Weltherrschaft vertraut gemacht.   Dann, in der zweiten Phase, wurden diese Vorstellungen verinnerlicht, assimiliert und islamisiert. Dieser islamisch verbrämte Antisemitismus zieht sich durch die meisten Werke des Muslimbruders Sayyid Qutb und erhält durch seine sechsbändige Exegese des Qur’an fi zilal al-Qur’an (Im Schatten des Qur’an)  eine „heilige“ Legitimation. Nach Qutb beginnt die Feindschaft zwischen Juden und Muslimen mit ihrer Auflehnung gegen den Prophet Muhammad in Medina. Seit die Juden militärisch geschlagen wurden, würden sie sich ununterbrochen bemühen aus dem Schatten heraus mit ihren Eigenschaften der List und der Verschlagenheit den Islam zu zerstören. So stände hinter den christlichen Kreuzzügen, die mit dem europäischen Kolonialismus ihre Fortsetzung fänden, und dem Kommunismus, der nach Qutb eine jüdische Erfindung ist, das Weltjudentum. Ziel der Juden sei die Weltherrschaft, an deren Ende nur das Judentum selber überleben soll. Der Kampf gegen die Juden sei daher zum Wohle der gesamten Menschheit.

Dieser verbrämte islamische Antisemitismus muss von Muslimen auf das Schärfste bekämpft werden. Unverständlich ist, dass Moscheen immer noch die Hass geschwängerten Werke Qutbs in den Bücherregalen stehen haben oder diese auf Büchertischen zum Verkauf angeboten werden. Aber die wohl grundlegendste Herausforderung dürfte es sein, die innere Dimension des Islam neu zu beleben. Zu sehr ist diese Religion zu einer reinen gehorsam fordernden Gesetzesreligion verkommen, die sich in den Begriffen Halal und Haram erschöpft. Der Extremismus der Wahhabiten ist ein deutliches Beispiel dafür, was passiert, wenn Religion nur noch blindes Handeln bar jedem Humanen, jeder Barmherzigkeit und jeder Vernunft ist.   Sicherlich, können die Muslime Attentate wie jenes in Toulouse nicht grundsätzlich verhindern, aber sie können sie entschiedener, nämlich theologisch und religionsgeschichtlich, verurteilen und präventive Maßnahmen ergreifen.  (…)

Ein bisschen schade ist es, dass der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek offenbar die Website seiner Organisation nicht liest. Denn seine Äußerung atmet den Geist der bequemen Vermeidung, dem Muhammad Sameer Murtaza hier etwas entgegensetzen will: „In Richtung Medien appelliert Mazyek (…), nicht den Fehler zu begehen und auf der Basis der extremistischen Propaganda des Mörders die Tat zu erklären, ‚dies verhöhne zusätzlich die Opfer und kränke die Muslime weltweit‘.“

Echt jetzt? Die Opfer verhöhnt man, indem man nichts über die massenmörderische Ideologie wissen will, die ihnen das Leben gekostet hat. Und wenn die Muslime nicht mehr „gekränkt“ werden durch diejenigen, die im Namen ihres Gottes morden als durch diejenigen, die darauf hinweisen, dann ist ihnen nicht zu helfen.

 

Die Türken gehören zu uns

Thierry Chervel vom Perlentaucher wirft in der Jüdischen Allgemeinen interessante Fragen auf, was die mediale Wahrnehmung der NSU-Terrorserie betrifft.

 

 Angela Merkel hat für die Regierung um Entschuldigung gebeten. Von einer vergleich- baren Zerknirschung in den Medien war nichts zu spüren. Inzwischen machen investigative Journalisten auf Reportageseiten und in Politikmagazinen hervorragende Arbeit. Aber wären nicht auch ein paar Fragen zu stellen, die gut ins Feuilleton passen?

VERDRÄNGUNG Wie kommt es eigentlich, dass auch die Medien vor der bestürzenden Nachricht keine Sensibilität für den Zusammenhang zwischen den Morden aufbrachten? Warum wurden die Thesen der Behörden einfach nachgebetet? Gab es nicht einmal die Arbeitshypothese Rechtsextremismus? Warum sind so wenige Journalisten auf Rechtsextremismus spezialisiert? Wie genau muss das Umfeld beschaffen sein, das über Jahre hinweg solche Taten möglich macht? Nicht nur das engere, sondern gerade auch das weitere?

Es könnte an mangelnder Empathie mit den Opfern liegen. Anders als Breiviks Tat zielten die Morde der Zwickauer Nazis nicht auf eine Institution dieser Gesellschaft, sondern auf die »anderen«. Die Morde nahmen ein Muster wieder auf, das schon nach dem Mauerfall für verlangsamte Wahrnehmung gesorgt hatte.

Es hatte auch nach Hoyerswerda, Rostock und Solingen monatelang gedauert, bis sich die Zivilgesellschaft zu Lichterketten zusammenschloss. Man hatte sich zunächst nicht zuständig gefühlt. Im Gegenteil: Vor diesen Pogromen hatte es aus den Mündern von Politikern aller Parteien höchst problematische Äußerungen in der Frage der Asylpolitik gegeben. Lange Zeit hatte sich das ganze Boot ziemlich voll gefühlt. Helmut Kohl achtete bis zum Schluss darauf, sich nicht mit den Opfern blicken zu lassen. Erst Richard von Weizsäcker handelte.

REIZ-REAKTIONS-SCHEMA Die Mordserie der Zwickauer Nazis lief auch deshalb unter der Wahrnehmungsschwelle, weil die Türken auch von großen Teilen der Mehrheitsgesellschaft – trotz des stets ängstlich beschworenen »Respekts vor dem Islam« – nicht als dazugehörig betrachtet werden. Diese Taten sind die extreme Zuspitzung einer verbreiteten Mentalität.

Daraus wäre zu lernen, dass nicht in erster Linie »der Islam«, sondern die Türken und die Deutschen türkischer Herkunft zu Deutschland gehören. Die Zwickauer Nazis haben ihre Opfer nicht erschossen, weil sie anders an Gott glauben, sondern weil sie schlechterdings andere waren. Auch dies nimmt ein Muster der Pogrome und Morde nach dem Mauerfall auf, die auf alle zielten, die anders waren, Türken, Asylbewerber, Vietnamesen, Schwarze, Behinderte, Obdachlose.

Daran anschließend ließe sich fragen, ob Wulff besser hätte sagen sollen: „Auch die Deutschtürken gehören mittlerweile zu uns .“ Es ist tatsächlich ein Problem, dass wir die Fragen von Inklusion und Exklusion, Zugehörigkeit und Anderssein fast ausschließlich über das Thema der Religion verhandeln.

 

Wem gehört die Al-Azhar?

Noch ein Beispiel aus der Reihe Paradoxien der Befreiung, die sich gerade vor unseren Augen in der arabischen Welt abspielt. Die Al-Azhar-Universität, die wichtigste theologische Autorität im sunnitischen Islam, gerät in die Mühle der befreiten ägyptischen Politik.

Bisher wurde der Scheich Al-Azhar vom Präsidenten ernannt, und zwar auf Lebenszeit. Das gab dem Regime außerordentliche Macht über diese Autorität in Glaubensfragen. Der ägyptische Islam hatte die Form einer Staatskirche, mit dem Großscheich von Gnaden des Präsidenten (ähnlich dem Erzbischof von Canterbury als vom König bestellten Kopf der anglikanischen Kirche).
Nun ist das wohl kaum mehr zeitgemäß. Starke Kräfte dringen auf die „Befreiung“ der Azhar vom Staat. Ganz vorneweg dabei die Muslimbrüder und die Salafisten der Nour-Partei, die den derzeitigen Großscheich ablehnen wegen dessen Nähe zu Mubarak – und die sich erhoffen, in einer „befreiten“ Al-Azhar mehr Einfluß zu haben. So könnte die paradoxe Folge der Befreiung dieser Institution sein, dass dort demnächst ein (noch) sehr viel mehr rigider, sehr viel mehr politischer Islam gelehrt wird, wie die Washington Post berichtet:
In the aftermath of the revolution, there is widespread agreement among politicians in Egypt that al-Azhar needs greater independence. The question is whether that also means a lurch toward a more rigid and less tolerant school of Islam to match the increasingly doctrinaire mood of the Egyptian people.

There is evidence that such a shift is underway and that it could go much further.

Members of Egypt’s two main Islamist groups — the Muslim Brotherhood and the Salafist Nour party — control between them an overwhelming majority in Egypt’s new parliament. Seated in January, they are already working on legislation that would strip the grand sheik of his lifetime appointment and that could give them a major say in picking a successor.

The current grand sheik, Ahmed el-Tayib, is a Sorbonne-educated scholar who emphasizes interfaith dialogue and is known for his relatively progressive fatwas, the religious pronouncements that carry the weight of law when issued by al-Azhar. But he was also a committee member in Mubarak’s hated National Democratic Party and was appointed by Mubarak himself.

Just days before the new parliament was sworn in, Egypt’s ruling generals approved a law that would authorize a committee of scholars to choose the grand sheik but that would effectively allow Tayib to pick the committee.

Politicians from Nour and the Brotherhood, who have been reluctant to challenge the nation’s military rulers on many issues, say they will fight on this one. They argue that Tayib is too closely tied to the old regime to lead an organization that will pass judgment on the religious merits of everything Egypt’s new government tries to do.

“Liberating state institutions like al-Azhar is even more critical to us than the presidential election or rewriting the constitution,” said Mohammed Nour, the Nour party’s spokesman. “Ensuring the independence of the institution that determines what is and is not Islamic is extremely important.”

Nour said the only way to guarantee genuine independence is to open up the grand sheik position to an election — one in which all al-Azhar University graduates get to vote, or even all Egyptians.

Ein Beweis dafür, dass die Azhar sich bereits voll im Modus der Radikalisierung befindet, sieht die Post in dem Auftritt des Hamas-Führers Ismail Hanije in Kairo. Der wäre vor 12 Monaten noch undenkbar gewesen. Doch nun erhielt Hanije rauschenden Applaus für seine leidenschaftliche Ansprache:

The Brotherhood’s newfound influence was on full display Feb. 24, when Ismail Haniyeh, the prime minister in Hamas-run Gaza, spoke at al-Azhar after Friday prayers. Just over a year ago, Haniyeh’s presence would have been unthinkable. Hamas, the militant Palestinian group, and the Brotherhood are part of the same Islamic movement, and both were banned under Mubarak, whose government upheld a peace treaty with Israel.

But on that day, al-Azhar gave Haniyeh a rapturous welcome. As he proclaimed from the pulpit that Hamas would “liberate” Jerusalem, home to the revered al-Aqsa mosque, the Brotherhood-dominated crowd of worshipers chanted back, “From al-Azhar to al-Aqsa we will march, millions of martyrs.”

 

 

Islamisten an der Macht – und Menschenrechte?

Eine wichtige Debatte findet auf den Seiten des New York Review Blogs statt. Einige feministische Organisationen greifen Human Rights Watch für deren letzten Report an, der eine freundlich-offene Haltung zu den demokratischen Machtwechseln in der arabischen Welt empfiehlt – auch wenn dort islamistische Kräfte ans Ruder kommen.

Ich kann hier nicht alle Argumente wiedergeben- aber beide Seiten machen gute Punkte.

Die Kritikerinnen sagen:

In your desire to “constructively engage” with the new governments, you ask states to stop supporting autocrats. But you are not a state; you are the head of an international human rights organization whose role is to report on human rights violations, an honorable and necessary task which your essay largely neglects.

You say, “It is important to nurture the rights-respecting elements of political Islam while standing firm against repression in its name,” but you fail to call for the most basic guarantee of rights—the separation of religion from the state. Salafi mobs have caned women in Tunisian cafes and Egyptian shops; attacked churches in Egypt; taken over whole villages in Tunisia and shut down Manouba University for two months in an effort to exert social pressure on veiling. And while “moderate Islamist” leaders say they will protect the rights of women (if not gays), they have done very little to bring these mobs under control. You, however, are so unconcerned with the rights of women, gays, and religious minorities that you mention them only once, as follows: “Many Islamic parties have indeed embraced disturbing positions that would subjugate the rights of women and restrict religious, personal, and political freedoms. But so have many of the autocratic regimes that the West props up.” Are we really going to set the bar that low? This is the voice of an apologist, not a senior human rights advocate.

Nor do you point to the one of the clearest threats to rights—particularly to women and religious and sexual minorities—the threat to introduce so-called “shari’a law.” It is simply not good enough to say we do not know what kind of Islamic law, if any, will result, when it is already clear that freedom of expression and freedom of religion—not to mention the choice not to veil—are under threat. And while it is true that the Muslim Brotherhood has not been in power for very long, we can get some idea of what to expect by looking at their track record. In the UK, where they were in exile for decades, unfettered by political persecution, the exigencies of government, or the demands of popular pressure, the Muslim Brotherhood systematically promoted gender apartheid and parallel legal systems enshrining the most regressive version of “shari’a law”. Yusef al-Qaradawi, a leading scholar associated with them, publicly maintains that homosexuality should be punished by death. They supported deniers of the Holocaust and the Bangladesh genocide of 1971, and shared platforms with salafi-jihadis, spreading their calls for militant jihad. But, rather than examine the record of Muslim fundamentalists in the West, you keep demanding that Western governments “engage.”

Western governments are engaged already; if support for autocrats was their Plan A, the Muslim Brotherhood has long been their Plan B. The CIA’s involvement with the Muslim Brotherhood goes back to the 1950s and was revived under the Bush administration, while support for both the Muslim Brotherhood and Jamaat e Islaami has been crucial to the “soft counter-terror” strategy of the British state. Have you heard the phrases “non-violent extremism” or “moderate Islamism?” This language is deployed to sanitize movements that may have substituted elections for bombs as a way of achieving power but still remain committed to systematic discrimination.

Dagegen halt Human Rights Watch, dass die Trennung von Religion und Staat nun wohl kaum ein Grundrecht sein kann (so sehr man sie für politisch wünschenswert halten möge): siehe viele Beispiele aus der westlichen Welt, in denen Staatskirchen existieren. Das ist aber ein Nebenschauplatz, denn es geht ja wohl eigentlich um Religionsfreiheit als Grundrecht, inklusive der negativen Religionsfreiheit (also Freiheit zu Agnostizismus, Areligiosität und zum Atheismus). Über die muss man sich nun wahrlich sorgen machen, vor allem in Ägypten, wo die Kopten unter Druck stehen.

HRW schlägt vor, dass die Wahlergebnisse zu akzeptieren seien, auch da, wo sie Islamisten an die Macht bringen – dass jedoch der Kampf für individuelle und universelle Rechte davon unbenommen fortgehen müsse:

As rights activists, we are acutely aware of the possible tension between the right to choose one’s leaders and the rights of potentially disfavored groups such as women, gays and lesbians, and religious minorities. Anyone familiar with the history of Iran or Afghanistan knows the serious risks involved. However, in the two Arab Spring nations that have had free and fair elections so far, a solid majority voted for socially conservative political parties in Egypt, and a solid plurality did so in Tunisia. The sole democratic option is to accept the results of those elections and to press the governments that emerge to respect the rights of all rather than to ostracize these governments from the outset. As Roth wrote:

Wherever Islam-inspired governments emerge, the international community should focus on encouraging, and if need be pressuring, them to respect basic rights—just as the Christian-labeled parties and governments of Europe are expected to do. Embracing political Islam need not mean rejecting human rights, as illustrated by the wide gulf between the restrictive views of some Salafists and the more progressive interpretation of Islam that leaders such as Rashid Ghannouchi, head of Tunisia’s Nahdha Party, espouse. It is important to nurture the rights-respecting elements of political Islam while standing firm against repression in its name. So long as freely elected governments respect basic rights, they merit presumptive international support, regardless of their political or religious complexion.

The signatories of the above letter disagree. In their view, Islamic political parties that come to power “remain committed to systematic discrimination.” We, too, are deeply concerned about that possibility and have been spending a great deal of time monitoring the conduct of Islamic parties, pressing them to respect all rights, and condemning any conduct that falls short. Human Rights Watch has a long history of standing up to governments founded on political Islam that discriminate against women, gays and lesbians, and religious minorities. But we would not reject the possibility that a government guided by political Islam might be convinced to avoid such discrimination.