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Tariq Ramadan, Reformer oder verkappter Islamist?

Ian Buruma hat das bisher ausführlichste und ausgewogenste Porträt des muslimischen Intellektuellen Tariq Ramadan geschrieben. Zu lesen hier auf der Website des New York Times Magazine.

(Hier mein eigenes Portrait aus der ZEIT zum Nachlesen – etwas skeptischer, aber mit einer ähnlichen Schlussfolgerung wie Buruma.)
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Tariq Ramadan

Schlüsselzitat:

What enrages former or current progressives is the apparent paradox that lies at the heart of Ramadan’s political rhetoric. On global capitalism he speaks like a 1968 left-wing student revolutionary, but on social affairs he can sound like the illiberal conservatives whom those students opposed. In American terms, he is a Noam Chomsky on foreign policy and a Jerry Falwell on social affairs.
….

This is the world in which Tariq Ramadan operates, an urban Western environment full of educated but frequently confused young Muslims eager to find attractive models they can identify with. I thought of the Somali-born Dutch activist Ayaan Hirsi Ali, as charismatic in her way as Ramadan. Having had her fill of controversies in the Netherlands (she wrote the film “Submission,” which led to the murder of the filmmaker Theo van Gogh by a Muslim extremist), she now works at the American Enterprise Institute in Washington. Her mission, too, is to spread universal values. She, too, speaks of reform. But she has renounced her belief in Islam. She says that Islam is backward and perverse. As a result, she has had more success with secular non-Muslims than with the kind of people who shop in Brick Lane.

Ramadan offers a different way, which insists that a reasoned but traditionalist approach to Islam offers values that are as universal as those of the European Enlightenment. From what I understand of Ramadan’s enterprise, these values are neither secular, nor always liberal, but they are not part of a holy war against Western democracy either. His politics offer an alternative to violence, which, in the end, is reason enough to engage with him, critically, but without fear.

 

Neue Klassenunterschiede

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Johanna, 2. Klasse. Foto: Jörg Fokuhl für DIE ZEIT

Ein Bericht von mir über die zunehmende soziale, ethnische und religiöse Segregation in unserem Schulsystem – und den heldenhaften Kampf einer Berliner Grundschule dagegen. Aus der aktuellen ZEIT, jetzt online hier.

 

Jeder dritte junge Muslim in England befürwortet die Scharia

Die Journalistin und Sozialforscherin Munira Mirza ist die Hauptautorin einer umfassenden neuen Studie, die Meinungen und Haltungen britischer Muslime untersucht. Download hier.
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Munira Mirza

Die Entfremdung vor allem der jungen Muslime in England ist höchst beunruhigend. Ein paar interessante Daten aus dem Bericht „Living Apart Together“ („Getrennt miteinander leben“) des britischen Thinktanks „Policy Exchange“, der auf der Studie beruht:

  1. 86 Prozent der Muslime sagen: „Religion ist das Wichtigste in meinem Leben“
  2. 62 Prozent der zwischen 16 und 24 jahre Alten sagen, sie haben mit Nichtmuslimen ebensoviele Gemeinsamkeiten wie mit Muslimen (bei den über 55 jährigen sind es immerhin 71 Prozent)
  3. 60 Prozent würden ihre Kinder lieber zu einer gemischten staatlichen Schule schicken, gegenüber 35 Prozent, die eine islamische Schule befürworten. Bei den Jüngeren sind es 37 Prozent, bei den Älteren (über 55 Jahre) nur 19 Prozent
  4. 59 Prozent würden lieber unter dem britischen Recht leben, 28 Prozent unter der Scharia. Auch hier bezeichnend der Altersunterschied: 37 Prozent der 16-24jährigen wollen die Scharia, gegenüber 15 Prozent der über 55jährigen
  5. 36 Prozent der 16-24jährigen glauben, die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion solle mit dem Tode bestraft werden, gegenüber 19 Prozent der über 55jährigen
  6. 7 Prozent „bewundern Organisationen wie Al-Kaida, die bereit sind, gegen den Westen zu kämpfen“. (13 Prozent der Jüngeren, 3 Prozent der Älteren)
  7. 74 Prozent der 16-24jährigen würden es bevorzugen, wenn Frauen das Kopftuch tragen, gegenüber 28 Prozent der über 55jährigen
  8. 21 Prozent der Muslime haben schon einmal Alkohol konsumiert
  9. 65 Prozent zahlen (islamisch verbotene) Zinsen auf einen Immobilienkredit
  10. 19 Prozent haben schon einmal Glücksspiele getrieben
  11. 9 Prozent geben zu, schon einmal Drogen genommen zu haben
  12. 41 Prozent nennen „Aussenpolitik wichtig“ für Muslime. Doch nur 18 Prozent kennen den Namen des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, 14 Prozent der Namen des Premierministers von Israel
  13. 84 Prozent sagen, trotz grosser Befürchtungen über „Islamophobie“, sie seien in der britischen Gesellschaft fair behandelt worden
  14. 75 Prozent finden es falsch, aus Angst vor Spannungen christliche religiöse Symbole zu vermeiden
  15. Auf die Frage, wer die Interessen der Muslime in Grossbritannien öffentlich vertrete, nannten nur 6 Prozent den „Muslim Council of Britain“, der sich selbst als zentraler Ansprechpartner versteht. 51 Prozent sagte, sie fühlten sich von keiner Organisation vertreten

Als ich kürzlich mit einem der Verantwortlichen für die Deutsche Islam Konferenz sprach und diese Studie erwähnte, bekam ich zu hören, dass die deutsche Regierung keine vergleichbaren Kenntnisse über Meinungen und Haltungen der deutschen Muslime hat. Warum nicht?

Ich möchte wetten, dass wir bei einer umfassenden Studie ähnlich überraschende Ergebnisse zu erwarten hätten.

Munira Mirza hat im Guardian eine eigene Deutung des Reports vorgelegt, die auch die vielen Überschneidungen zwischen der muslimischen Bevölkerung und der Mehrheit betont.

 

Britische Konservative justieren gesellschaftliches Leitbild

Eine sehr gute Rede des neuen Vorsitzenden der britischen Konservativen, David Cameron, über Multikulturalismus, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Patriotismus und Extremismus.

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Irgendwie schafft er es, die Verwechslung der Kopftuchfrage mit der Terrorismusabwehr zu geißeln, den falschen britischen Multikulturalismus anzuprangern, der die Gesellschaft spaltet, die Unterdrückung muslimischer Mädchen zu kritisieren und zugleich die Anti-Moslem-Stimmung als unbritisch zu beklagen: „Let’s not pretend we can bully people into feeling british. We have to inspire them.“

Und die radikalen Muslime, die die jungen Männer zum Hass auf ihre Heimat erziehen, verdammt er in einem Atemzug mit den Neonazis der BNP.

England führt eine immer interessantere Debatte über die Frage „Wer sind wir“. Gut zu wissen, denn die Zukunft des Islam in Europa wird sich auf der Insel entscheiden.

Wie weit der Weg ist, hier zu einem neuen Verständnis zu kommen, zeigt die reflexhafte Reaktion des Muslim Council of Britain, der die massvollen Bemerkungen „zutiefst enttäuscht“ zurückweist und als „neokonservativ“ abtut. Das ist schlicht falsch: Cameron distanziert sich doch gerade von jeder kulturkämpferischen Pose. Aber das ist auch wieder nicht recht. Im Vergleich zu den Briten geht es uns mit den organisierten Muslimen in Deutschland noch Gold.

 

Deutschtürken, kämpft selbst für eure Integration!

Ich empfehle allen geneigten Blog-Lesern, an diesem Donnerstag in die Print-Ausgabe unserer Zeitung zu schauen. Der Aufmacher im „Leben“ ist ein bewegender Aufruf des WDR-Journalisten Birand Bingül (32) an die Deutschtürken, das Jammern aufzugeben, aus der Schmoll-Ecke zu kommen und ihren „deutschen Traum“ endlich wahr zu machen.

Ich traf Birand Bingül letzten Herbst in Washington in der Lobby des Watergate-Hotels. Bei einem späten Whiskey gab er seinem Ungenügen an der Integrationsdebatte Ausdruck, in der die Deutschtürken sich allzu leicht in die Defensive drängen lassen.

Schreiben Sie’s auf, sagte ich ihm. Wir bringen das. Und so haben wir’s auch gemacht. An diesem Donnerstag auf Deutsch und Türkisch in der ZEIT.

p.s. Und nun hier online.

 

Berlin debattiert über Gewaltexzesse von türkischen und arabischen Jugendlichen

In Berlin-Lichtenrade haben am Wochenende schulfremde Jugendliche versucht, eine Party des Georg-Büchner Gymnasiums zu stürmen. Sie wurden zunächst von Büchner-Schülern und Eltern daran gehindert.

Als sich der Vater eines Schülers den Eindringlingen als Polizist zu erkennen gab, wurde er von einer Meute so schwer geschlagen, dass er tagelang im Krankenhaus behandelt werden musste. Mit Eisenstangen wurde auf den bereits am Boden Liegenden eingedroschen.

Umstehende waren sich einig: Diese Jugendlichen wollten den Polizisten töten.

Alle Beteiligten sind türkische oder arabische Deutsche: Eylem, Eren, Ahmet, Yahya, so heissen die Schläger.

Die Berliner Zeitungen diskutieren über diesen neuen Gewaltexzess von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. (Nur die taz erwähnt Namen und Herkunft der Verdächtigen nicht.)

Es ist höchste Zeit für diese Debatte: Denn während Jugendkriminalität (laut Berliner Gewaltstatistik 2005) insgesamt rückläufig ist, sind „männliche jugendliche Nichtdeutsche“ überdurchschnittlich hoch vertreten – und dies auch im letzten Jahr mit steigender Tendenz. Sie greifen häufiger zur Waffe und schlagen immer schlimmer zu.

In Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil sind nichtdeutsche Jugendliche

3 mal so häufig an Sexualdelikten,

7,5 mal so häufig bei Vergewaltigungen,

2 mal so häufig bei Straßenkriminalität,

3,4 mal so häufig bei Gewaltkriminalität,

3,1 mal so häufig bei gefährlicher Körperverletzung und

3,6 mal so häufig an Strassenraub-Delikten beteiligt.

Bei den Rohheitsdelikten (Körperverletzung) wurden in Berlin 2005 3225 deutsche Jugendliche ermittelt – das ist eine Abnahme um 6,7% gegenüber dem Vorjahr. Unter nichtdeutschen Jugendlichen wurden 1549 Tatverdächtige ermittelt, das ist eine Zunahme um 10%. Bei der Gewaltkriminalität ist die Zahl der nichtdeutschen Jugendlichen um 8,1% auf 1100 Tatverdächtige gestiegen.

Es ist gut, dass darüber endlich gesprochen wird. „Nichtdeutsch“ ist allerdings ein irreführender Ausdruck. Wir reden hier nämlich nicht über Vietnamesen, Portugiesen, Inder oder Iraner. Es geht nahezu ausschliesslich um Jungs aus türkischen und arabischen Familien.

 

Abschied von den Lebenslügen

Ich habe einen Leitartikel für die aktuelle Nummer der Bundestags-Zeitschrift Das Parlament geschrieben:


Auf einmal sagen es alle: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. Haben nun also diejenigen gewonnen, die diese Tatsache länger schon anerkannt haben – und diejenigen verloren, die viele Jahre mit ihrer Leugnung zugebracht haben? So einfach ist die Sache nicht. Es sind vielmehr die Lebenslügen beider politischen Lager an ihr Ende gekommen: Denn ohne Zweifel ist der naive Multikulturalismus mancher Linken gescheitert, die sich Integration als Selbstläufer vorstellten. Wir zahlen aber auch einen hohen Preis dafür, dass die Konservativen zwar einst die Anwerbepolitik in Gang setzten, zugleich aber den Menschen vorgaukelten, mit regelrechter Einwanderung hätte das nichts zu tun… Weiter„Abschied von den Lebenslügen“