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„Afghanistan war kein Irrtum“

War der Afghanistan-Krieg  ein Irrweg? Was sind die Kriterien, nach denen Deutschland sich in Auslandseinsätze begibt – oder nicht? Was sind die Folgen eines Nicht-Einsatzes?

Zusammen mit meinem Kollegen Peter Dausend habe ich den Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zu Deutschlands Auslandseinsätzen und den Folgen des 11. September befragt. Aus der ZEIT Nr. 37 vom 8. September, S. 9

DIE ZEIT: Herr de Maizière, nach dem 11. September bestimmte die Idee vom Kampf der Kulturen die Politik des Westens. Jetzt befreien sich die Araber selbst. Verändert die arabische Rebellion unseren Blick auf den Islam?
Thomas de Maizière: Hoffentlich. Noch ist nicht entschieden, ob die Verhältnisse demokratisch und stabil bleiben. Aber es sieht positiv aus. Am 11. September sahen wir zunächst eine kriminelle, terroristische Bande, die den Namen des Islam missbrauchte. Das war die erste Phase. In der zweiten erlebten wir schon fast einen Kampf der Kulturen. Zehn Jahre danach haben wir ein aufgeklärteres Bild: Die islamische Welt ist viel differenzierter, als wir das in den ersten beiden Phasen wahrgenommen haben. Der Terrorismus bleibt zwar eine dauerhafte Herausforderung für die Welt. Wir erkennen aber nun die Vielfalt einer großen Weltreligion, von einem aufgeklärten bis zu einem menschenverachtenden Verständnis.
ZEIT: Ist die Welt sicherer nach dem Sturz der Tyrannen? Oder unsicherer?
de Maizière: (zögert lange) Es gab in der Geschichte demokratische Aufbrüche, die zu stabilen demokratischen Verhältnissen geführt haben, und solche, die zu neuen autoritären Regimen geführt haben, weil nur Personen ausgewechselt wurden. Ich habe gezögert, weil ich mich frage, was gehört eigentlich alles zur Sicherheit? Beherrschen von Bedrohungen? Vorhersehbarkeit? Freiheit?
ZEIT: Stabilität?
de Maizière: Stabilität ist kein Wert an sich. Veränderung kann kurzfristig mehr Unsicherheit bringen. Aber dauerhafte Stabilität braucht demokratische Strukturen.
ZEIT: Nordafrika liegt vor der europäischen Haustür, nicht vor der Amerikas. Haben wir erkannt, dass der Wandel dort unsere Sache ist?
de Maizière: Das ist begriffen, hoffe ich. Die erste Reaktion auf die Revolutionen war eine fast schon zynische: Hauptsache, es kommen keine Flüchtlinge durch – und deshalb hat Europa ein Interesse an Nordafrika. Jetzt blicken die Europäer aber anders dorthin. Sie haben hoffentlich gelernt, dass demokratische Stabilität im Norden Afrikas für alle gut ist. Nur sie verhindert am Ende auch Migrationsströme.
ZEIT: Nach dem 11. September haben sich alle deutschen Regierungen zum Afghanistan-Einsatz bekannt. Heute gehen selbst führende Politiker, die den Einsatz mit beschlossen haben, auf Distanz. War der Krieg doch ein Irrweg?
de Maizière: Nein, Afghanistan war kein Irrtum. Es ärgert mich, wenn heute diejenigen, die auch die Dimensionierung dieses Einsatzes verantwortet haben, plötzlich sagen, im Nachhinein war das alles nicht richtig – und uns dann die Folgen überlassen.
ZEIT: Aber auch Ihre Regierung rüstet doch nach zehn Jahren mehr und mehr die Erwartungen ab.
de Maizière: Der Einsatz dauert schon so lange wie Erster und Zweiter Weltkrieg zusammen. Die überzogenen Erwartungen an das Ziel des Einsatzes mussten zurückgeschraubt werden. Wir wollen nur noch erreichen, dass erstens von Afghanistan kein Terror exportiert werden kann und dass zweitens dort hinreichend stabile Sicherheitsstrukturen mit afghanischem Gesicht entstehen. Das ist das Ziel der neuen Strategie. Wir sind alle mit Illusionen da hineingegangen.
ZEIT: Was folgern Sie daraus?
de Maizière: Es kann sich rächen, der Versuchung nachzugeben, die Zustimmung der Bevölkerung zu einem Einsatz durch moralische Überhöhung zu bekommen. Kurzfristige Zustimmung wird dann womöglich mit langfristiger Abneigung erkauft. Zwar braucht man eine politisch-moralische Begründung für einen Einsatz. Aber man muss genauso den möglichen Blutzoll und die Kosten nüchtern abwägen.
ZEIT: Wird man dann aber nicht immer sagen: lieber ohne uns? Geht es ganz ohne Idealismus?
de Maizière: Aus Idealismus sollte man nie Soldaten in fremde Länder schicken, das muss ich so hart sagen. Man muss bereit sein, ein Risiko einzugehen. Man muss auch Zuversicht haben. Und ein militärischer Einsatz muss moralisch legitimiert sein. Wenn er nur aus moralischen Gründen stattfindet, ohne dass er pragmatisch, militär-fachlich, ökonomisch abgesichert ist, dann trägt er nicht.
ZEIT: Afghanistan soll seine Sicherheit selbstständig organisieren – für solch ein pragmatisches Ziel sollen deutsche Soldaten töten und sterben?
de Maizière: Mit einem solchen Ziel sind wir nicht nach Afghanistan gegangen, und es hätte als Begründung wohl auch nicht gereicht. Aber jetzt ist es die richtige Strategie, um rauszugehen. Wenn man einmal drin ist, darf man in dem Land kein Chaos hinterlassen. Ein Afghanistan, das seine Sicherheit selbst gewährleisten kann, macht es uns möglich, uns zurückzuziehen.
ZEIT: Wir haben Sie immer so verstanden, dass Sie allgemeingültige Kriterien für die künftige Beteiligung der Bundeswehr vorlegen wollten …
de Maizière: Keine Kriterien, sondern Maßstäbe. Es gibt keinen Kriterienkatalog, den ein Verteidigungsminister, eine Regierung abarbeiten kann, um zu entscheiden, ob wir uns beteiligen oder nicht. Die Maßstäbe heißen erstens, nationale Sicherheit, zweitens internationale Verantwortung und drittens – das muss hinzukommen – die Umstände: Sind wir durch andere Einsätze gebunden? Wie lang wird es dauern? Haben wir das geeignete Gerät? Wie ist das Ansehen Deutschlands in der betroffenen Weltregion?
ZEIT: Wir sind seit dem Kosovo-Krieg 1999 in Kampfeinsätzen. Die breite Ablehnung zeigt, dass die Politik deren Sinn nicht vermitteln kann.
de Maizière: Für die meisten Deutschen bedeutet Auslandseinsatz Kämpfe in Afghanistan. Sie übersehen die Vielzahl von Stabilisierungs- und Beobachtungsmissionen wie etwa im Sudan, Kongo oder vor der Küste Libanons. Wir müssen die Breite dieser Einsätze stärker ins Bewusstsein heben, dann wird auch die Zustimmung steigen. Afghanistan ist nicht die Folie künftiger Einsätze.
ZEIT: Also doch: nie wieder Afghanistan?
de Maizière: Nein. Aber der Sturz einer Regierung, das Besetzen eines Landes sind denkbar schwerste Eingriffe. Sie müssen besonders gut begründet, besonders gut rechtlich abgesichert werden und dürfen nie auf Dauer angelegt sein. Keine Regierung, das ist unsere Botschaft, darf sich darauf verlassen, dass immer andere für ihre Sicherheit sorgen. Fördern und fordern gilt auch hier. Das Land, das man durch einen Eingriff gefördert hat, muss gefordert werden, die Ursachen dieser Intervention selbst zu beseitigen.
ZEIT: Sie reden gern von Solidarität als Grundprinzip der internationalen Politik.
de Maizière: Lieber rede ich von Verantwortung.
ZEIT: Zur Solidarität in der Nato war die ­Bundesregierung aber in der Li­byen-Frage nicht fähig. Ist Schwarz-Gelb zu schwach,
um einem weiteren Auslands­einsatz zuzustimmen?
de Maizière: Mitnichten. Natürlich wären wir fähig gewesen, in Libyen dabei zu sein. Wir haben uns politisch anders entschieden.
ZEIT: Ohne Blick auf die öffentliche Meinung?
de Maizière: Vor allem aus militär-fachlichen Gründen, aus damaliger Sicht. Ich sage aber: Die Anfragen an Deutschland werden zunehmen. Und wir können nicht immer Nein sagen.
ZEIT: Sie haben gewarnt, es gebe auch »Folgen eines Nicht-Einsatzes«? War da Libyen gemeint?
de Maizière: Ich wollte auf etwas Grundsätz­liches hinaus: Auch die Entscheidung, nichts zu tun, kann politisch-moralische Folgen haben. Denken Sie nur an Ruanda oder Darfur. Das Nichteingreifen im Süden von Somalia führt heute dazu, dass mehr Menschen durch eine Hungersnot sterben. Mit einem Nicht-Einsatz ist man nicht auf der ethisch sicheren Seite.
ZEIT: Nicht-Einsätze sind leichter zu vermitteln, besonders in Krisenzeiten, in denen die Deutschen sich auf sich selbst zurückziehen möchten.
de Maizière: Ich glaube, es gibt zwei konkurrierende Mentalitäten hierzulande: Die einen sagen, wir sind in der Welt zu Hause, wir sind ein wichtiges Land in Europa, wir tragen Verantwortung für das Klima, das Finanzsystem und auch für die gemeinsame Sicherheit. Andere sagen, das ist uns zu komplex, zu gefährlich, zu teuer, das verstehen wir nicht. Wäre es nicht besser, wir zögen uns auf uns selbst zurück und steckten den Kopf in den Sand? Deutsche Innerlichkeit aber ist weder politisch noch moralisch noch ökonomisch eine Option. Unser Reichtum entsteht nicht durch Selbstgenügsamkeit. Wir zählen mit unseren 85 Millionen nicht viel, wenn wir unter uns bleiben. Ich erkläre das überall und kann über mangelnde Zustimmung nicht klagen.
ZEIT: Zusammen mit Frank-Walter Steinmeier sind Sie der populärste deutsche Politiker. Und das frei von Glamour, wo gestern alle Guttenberg zujubelten? Wie kommt’s?
de Maizière: Das weiß ich auch nicht, ist vielleicht auch nicht von Dauer. Dass harte Arbeit und Substanz sich auf Dauer auszahlen, darauf setze ich. Ich könnte aber eh nicht anders.
ZEIT: Vom 11. September bis zur heutigen Krise gesprungen: Sind Schulden und dubiose Finanzprodukte für die Stabilität des Westens gefährlicher als Terrorismus und schmutzige Bomben?
de Maizière: Das sind nun aber wirklich Äpfel und Birnen. Beides ist schlecht. Dass wir die demokratiegefährdende Wirkung von Schulden seit den siebziger Jahren unterschätzt haben, ist leider wahr.

 

Was von 9/11 bleibt

Wir haben noch keinen Namen für die Epoche nach dem 9/11. Ich dachte vor 10 Jahren, hier begänne etwas, das uns für die nächsten Jahrzehnte beschäftigen würde – vielleicht ähnlich dem Kalten Krieg.

Aber es war wohl nur ein Intermezzo – zwischen Amerikas „unipolarem Moment“ nach dem Fall des Kommunismus und dem „Aufstieg des Rests“ (der neuen Mächte China, Brasilien, Indien, Südafrika etc.).

Die Vorstellung eines „globalen Krieges gegen den Terror“ (schon damals ein merkwürdiger Begriff) ist zu Recht stillschweigend fallen gelassen worden. Heute ist der Kampf gegen den Terrorismus wieder in den Händen der Geheimdienste, der Polizei, der Spezialkräfte – wo er hingehört. Die Wahnidee, ihn mit den Mitteln des Militärs zu führen, war eine teure Verirrung. Der britische Reporter Jason Burke beziffert die Opfer der 9/11-wars auf mindestens 250.000.

Osama bin Laden ist tot, Al Kaida bleibt uns erhalten, aber als ein lästiges Epiphänomen, das man in Schach halten muss, nicht als Signatur einer Epoche. Mohammed Bouazizi war vielleicht die wichtigere Figur im Licht der kommenden Geschichte: eine Selbstverbrennung hat mehr bewirkt als alle die Selbstmordattentate der Al-Kaida. Der Sturz der Tyrannen geschieht nicht durch Terror, sondern durch einen Volksaufstand.

Wir haben die Massenvernichtungswaffen gefunden. Sie waren nicht in einem Bunker in Bagdad, sondern in unseren eigenen Depots. Credit Default Swaps sind gefährlicher für den Westen als IED’s. Schulden sind für die westlichen Staaten eine größere Überlebensbedrohung als die schmutzige Bombe. Die größte geopolitische Herausforderung der USA sind die Schulden bei den Chinesen und die Konkurrenz mit China um  knapper werdende Ressourcen.

Die Vorstellung eines Kampfes der Kulturen hat getrogen, wie die arabische Rebellion beweist. Der Kampf um Freiheit und Würde geht mitten durch die Kulturen und Religionen. Anders Breivik und Arid Uka sind Brüder im Geiste.

Europa wird viele Jahre damit zubringen, die aufgetaute arabische Welt ans Weltsystem heranzuführen. Das wird ein konfliktreicher und schwieriger Prozess, genauso bedeutend wie die Wiedervereinigung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Er wird viel Energie binden, vielleicht aber auch zu einem neuen Kraftzentrum ums Mittelmeer herum führen.

Die maßlosen Kriege nach 9/11 haben den Blick auf die wahren geopolitischen Herausforderungen verstellt – den relativen Abstieg des Westens bei gleichzeitigem Aufstieg des Rests (der keineswegs in apokalyptischen Termini beschrieben werden muss, weil er Wohlstand und Freiheit für Milliarden Menschen auf der anderen Seite der Welt bedeutet).

Der Westen hat durch die Politik der Angst nach 9/11 seine eigenen Grundwerte kompromittiert. Die Freigabe der Folter bleibt eine Schande, ebenso die Lügen über die Kriegsgründe, die Aushebelung verfassungsmäßiger Rechte.

Amerika ist erschöpft nach zwei Kriegen, die (laut Financial Times) 1.000 Milliarden Dollar verschlungen haben – für ein recht zweifelhaftes Ergebnis. Die Vision von einer Hypermacht, die präventiv allein handeln kann, wann immer es ihr passt, ist passé. Afghanistan wird den Afghanen zurückgegeben werden. Die Taliban werden ein Teil der neuen Ordnung sein. Das Experiment des neuen Irak bleibt einstweilen offen. Es muß nicht scheitern, aber der Preis war zu hoch. In beiden Ländern genießt der Iran großen Einfluß, der auch durch die 9/11-wars zur regionalen Großmacht aufgestiegen ist und – wirklich – an Massenvernichtungsmitteln arbeitet. Was man tun kann, um das zu verhindern, weiß in Wahrheit kein Mensch.

Die arabischen Völker nehmen die Zukunft in ihre eigenen Hände – und sie scheren sich dabei weder um die Demokratievisionen der Neocons, noch um die Theokratie nach dem Geschmack der Kaida.

Die libysche Intervention der Nato führt den Westen zurück vor 9/11. Sie hat sehr viel mehr mit dem Engagement in Bosnien und Kosovo zu tun als mit den 9/11-wars. Hier wurde einer bedrängten Gruppe von Aufständischen gegen einen Autokraten geholfen. Die Nato mag ihr Mandat sehr weit ausgelegt haben  – die responsibility to protect blieb der Maßstab. Es gab regionale Unterstützung und ein Mandat der UNO. Nun wird die Nato sich zurückziehen. Das Zeitalter der Intervention ist also nicht vorbei – aber wir knüpfen an notwendige, begrenzte und legitimierte Interventionen wie vor 9/11 an. Wie dem auch sei: Schon die begrenzte Aktion in Libyen hat die Nato an den Rand der Erschöpfung gebracht. Sehr viel länger hätte es nicht dauern dürfen. Auch darum werden Kriege vielleicht künftig vorsichtiger angegangen werden, selbst wenn sie unvermeidlich sind.

Und das ist ja mal keine schlechte Sache.

 

Bin Laden, die Burka und die Pornos

Dass Osama bin Laden nach amerikanischen Berichten „große Mengen“ pornographischen Materials in seinem Schlafzimmer gehabt haben soll, kann niemanden überraschen, der die Geschlechterkämpfe in der arabischen Welt in den letzten Jahren mitverfolgt hat. Natürlich ist die Bigotterie augenfällig: der große Kulturkämpfer gegen den dekadenten Westen offenbar ein heimlicher Handwerker vor dem Herrn. Wundern würde es einen ja nicht mal mehr, wenn es amerikanische Pornos waren. Der Terrorpate, munter fiddelnd zu Pamela Anderson, während die Gerechtigkeit in Form der Navy Seals anklopft – das ist ja noch besser als die Dschihadi-Deppen aus „Four Lions“. Was wohl seine drei Frauen dazu sagen?

(Und selbst wenn er nicht selber der Konsument war, ist die Sache interessant: Sein Sohn oder die anwesenden Kuriere würden wohl auch von sich in Anspruch nehmen, dem Islam verpflichtet zu sein, für den der Chef steht.)

Aber dies ist nur die erste offensichtliche Pointe der Geschichte. Die inner-islamische Rückwirkung ist womöglich viel interessanter.

Seit vielen Jahren kommen die radikalen Islamisten (nicht nur die Dschihadis unter ihnen) immer weiter voran bei ihrem Kampf gegen die Selbstbestimmung der Frau. Das sichtbarste Zeichen dafür ist der Vormarsch der Nikabs in Ägypten, der Burkas in Afghanistan. Zugleich hat es eine Flut von gewaltsamen Übergriffen junger Männer auf Frauen gegeben. Nicht einmal mit Kopftuch und Nikab sind ägyptische Frauen an vielen Orten in Kairo vor extremen Formen der sexuellen Belästigung sicher.

Eine amerikanische Reporterin, Lara Logan von CBS, entkam während der Revolution knapp einer Massenvergewaltigung.

Diejenigen, die den Nikab und die Burka propagieren, sehen darin göttlich vorgeschriebene Mittel gegen die aufwühlende Wirkung der Frau in der (Männer-)Gesellschaft. Die Frau ist der Grund für den Kontrollverlust der Männer, darum muss sie aus der Öffentlichkeit verbannt werden – und wenn sie schon in der Öffentlichkeit auftritt, total verhüllt werden. Erst langsam kommt der innerislamische Kampf gegen diesen sexistischen Totalitarismus in Gang: Es gibt Gutachten der  Al-Azhar gegen den Nikab, der keine Vorschrift des Glaubens sei, sondern nur „ein Brauch“.

Das Opfer für die Tat zu beschuldigen, ist keine islamische Besonderheit. Erst vor wenigen Jahrzehnten haben wir im Westen Abschied genommen von dem Prinzip „blaming the victim“: Vergewaltigungsopfer konnte auch in unseren Gesellschaften lange keine Gerechtigkeit erwarten, es überwog der Verdacht, die Frau habe die Gewalt herausgefordert.

Der Wunsch, Pornographie anzuschauen, ist offensichtlich nicht nur ableitbar aus der Verhüllung der Frau in der Gesellschaft. Sonst wäre Pornographie

 

Pierre Vogel: Beten für bin Laden

Der deutsche Prediger Pierre Vogel möchte am Samstag in Frankfurt für Osama bin Laden beten. Das Thema wird sein: „Osama bin Laden wurde hingerichtet. War das wirklich Gerechtigkeit?“ Man muss sich die Einladung zu Gemüte führen. Es findet offenbar in der Salafistenszene eine scharfe Radikalisierung statt unter dem Eindruck der Tötung bin Ladens. Und Pierre Vogel möchte davon profitieren. Er gibt dem Affen Zucker.
Es gehe nicht um eine Verteidigung des 11. Septembers, sagt er eingangs, denn solche Taten seien „unislamisch“. (So wie auch die Tötung von „Zivilisten in Afghanistan“ durch Amerikaner vor Gericht gehöre, was ja nun auch geschehe.)
Bin Laden hätte die Chance verdient gehabt, zu den „Vorwürfen“, die ihm gemacht werden, Stellung zu nehmen. „Im Zweifel für den Angeklagten“, fordert Vogel: Das bedeutet hier, man müsse darüber reden, „welche Beweise es gebe, dass Osama bin Laden hinter dem 11. September stecke“.
In anderen Worten: Vogel nährt die Verschwörungstheorien über die ungeklärte Urheberschaft des Anschlags. Seine Distanzierung und Verurteilung der Anschläge hat er damit selbst als bloßes Lippenbekenntnis entlarvt.

Die Tötung bin Ladens, so viel steht offenbar schon fest, sei eine ganz grobe Ungerechtigkeit. Je größer die Ungerechtigkeit, desto eher die Revolution, sagt Vogel, dabei kurioser Weise Friedrich Engels zitierend.
Bin Laden habe doch „nur einen Terroranschlag gutgeheißen“ (und das Band mit seinem Bekenntnis war aber auffällig zusammengeschnitten) – also wie könne man diesen Menschen als schuldig betrachten?
Ihn mitten in der Nacht mit seiner Frau zu erschießen! Und Barak Obama und die anderen Mitglieder der Sicherheitsteams schauen sich das auch noch an – „pervers wie sie sind“ (Vogel). Dann geht es in dem zunehmend wirre Vortrag um die „2000 Vergewaltigungen pro Tag“ in Amerika – und „diese Leute nehmen sich heraus, den Weltpolizisten zu spielen“. In ihm hingegen „brenne die Wahrheit“, so Vogel, und die müsse raus. Dazu dient das Frankfurter Happening. Die Amerikaner, sagt er, hingegen haben die Neigung, solche Leute, in denen die Wahrheit brennt, zu eliminieren:
„Diese Leute (bin Laden und seine Entourage, JL) sind als Muslime gestorben, und sie haben verdient, dass man für sie betet.“

Das Band ist ein erstaunliches Dokument: Wenn Pierre Vogel den Sicherheitsbehörden Gründe liefern wollte, seinen Auftritt zu verbieten, dann war diese Ankündigung ein voller Erfolg.

 

Ist bin Ladens Tod kein Grund zum Jubeln?

Auf dem Weg zur Arbeit die Presseschau des Deutschlandfunks. Darin folgender Kommentar aus der Ulmer Südwestpresse. Er steht für einen merkwürdig verhaltenen und verdrucksten Ton, der viele deutsche Analysen bestimmt:

Zwar dürfe

die Nachricht vom gewaltsamen Ende des Top-Terroristen in Pakistan auch in der Bundesrepublik mit Erleichterung aufgenommen werden.

Für Jubel oder Triumphgefühle freilich gibt es keinen Anlass. So schrecklich bin Ladens Regime war, so zwingend verbietet es sich für jeden zivilisierten Menschen, Freude darüber zu empfinden, wenn Leben ausgelöscht werden, und sei es, um künftiges Blutvergießen an anderer Stelle zu verhindern. Selbst menschenverachtender Terrorismus darf uns nicht dazu bringen, angesichts von Todesopfern zur Tagesordnung überzugehen oder unser Gewissen allzu rasch mit dem Hinweis zu beruhigen, ein offen bekennender Massenmörder habe seiner gerechten Strafe eben nicht entkommen dürfen.

Für Deutschland bedeutet der Schlag gegen den Kopf von Al-Kaida keine grundlegende Veränderung der allgemeinen Sicherheitslage. Die Bundesrepublik bleibt im Visier der Terroristen, allen Fahndungserfolgen zum Trotz. Die über 100 „Heiligen Krieger“, die nach Erkenntnis der Behörden mitten unter uns leben, werden nun umso mehr auf eine Chance lauern, bin Ladens Tod zu vergelten.

Ich muß sagen, dass mich etwas an diesem Ton sehr aufwühlt. Was ist es? Der eitle Appell an die zivilisierten Gefühle, an das Gewissen im Angesicht des Untergangs eines Massenmörders, der ja implizit unterstellt, die „jubelnden und triumphierenden Amerikaner“ hätten dergleichen eben nicht? Das Herunterreden des Erfolgs von fast einem Jahrzehnt Geheimdienstarbeit?

Obama hat die riskante Strategie gewählt, ein Kommando zu schicken um bin Laden zu fangen. Er hätte enden könne wie Jimmy Carter nach der gescheiterten Geiselbefreiung von Teheran oder wie Clinton in Somalia (Black Hawk Down) – ein Hubschrauber ist ja auch tatsächlich abgestürzt. Es gab jedoch keine zivilen Opfer, wie sie vielleicht bei einem Drohnenangriff geschehen wären. Aber der deutsche Kommentator badet sich im Gefühl seiner überlegenen Gewissenhaftigkeit. Verzeihung, aber da kommt mir die Suppe hoch. Übrigens: Ulm, war da was? Multikulturhaus? Mohammed Atta? Said Bahaj? Fritz G.? In Deutschland hat die Sache angefangen. Aber die Deutschen schreiben über deren Ende, als wären sie bloss Rezensenten des Geschehens – und geben Noten in Zivilität. Wie kommen wir denn dazu?

Noch etwas: Das Unverständnis für die Wichtigkeit eines symbolischen Siegs gegen die fürchterlichste Ideologie der Jetztzeit, die uns über ein Jahrzehnt lang schon in Krieg und Zerstörung gerissen hat, ist niederschmetternd. Niemand muss alles gut heißen, was nach dem 11. September entschieden wurde. Seit Jahren bereits tobt berechtigter Weise die Debatte über Sackgassen und Dilemmata der Antiterrorpolitik. Aber ohne den Druck gegen Al-Kaida in Afghanistan – und auch gegen die Filiale im Irak, nachdem man einmal dort war! – hätte man bin Laden nicht fangen können. Aus Guantanamo kamen offenbar wichtige Hinweise. Das sollte uns eine gewisse moralische Bescheidenheit nahelegen, einen Sinn für unauflösliche Zwangslagen in einem asymmetrischen Kampf. Selbstverständlich wäre es besser gewesen, ihn früher zu fangen. Aber was hilft das jetzt?

Al-Kaida hat eine Geschichtsphilosophie. Bin Laden hatte ein historisches Projekt – die Wiedererrichtung des Kalifats. Er lockt als Figur des „Widerstands“ gegen alles, was uns heilig ist – die Ordnung der Menschenrechte, der Demokratie, der individuellen Freiheit – junge Leute in einen irrsinnigen apokalyptischen Kampf. Immer noch, wie die Festnahmen in Deutschland von letzter Woche zeigen! Es ist entscheidend, dass durch seine Niederlage gezeigt wird, dass diese aberwitzige Weltsicht des Dschihadi-Salafismus keine Chance hat.Dass sie eine historische Verliererstrasse ist.

Der arabische Frühling hat schon aufgezeigt, dass die Menschen in den arabischen Ländern heute mehrheitlich andere Formen des Widerstands gegen die Tyrannei dem apokalyptischen Wahn bin Ladens bevorzugen. Sie wollen kein Kalifat und auch keine andere Theokratie, sondern ein Leben in Würde, mit individuellen Rechten und demokratischen Freiheiten – und Chancen auf Wohlstand und Fortkommen. Der Tod des Massenmörders ist Wasser auf ihre Mühlen: Neben den Tyrannen und Autokraten wird nun noch ein Fluch von der islamischen Welt genommen – die Gegen-Tyrannei des religiösen Faschismus bin Ladens.

Wie kann man darüber keine Freude empfinden? Wie kann man darüber nicht jubeln? Das hat doch nichts mit Blutrunst zu tun. Der Tod dieses Mannes öffnet Möglichkeiten für eine sicherere und friedlichere Welt.

Der „Friedensbeauftragte“ meiner eigenen Kirche vermag das allerdings nicht zu sehen:

Der Tod des Terroristenführers Osama bin Laden kann nach Auffassung des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, kein Grund zur Freude sein. „Ich würde es nicht mal als Erfolg bezeichnen“, sagte der leitende Bremer Theologe am Montag in einem epd-Gespräch. Es sei immer richtig gewesen, Bin Laden zur Rechenschaft ziehen zu wollen, betonte Brahms. Dies könne aber nur mit rechtsstaatlichen Mitteln geschehen.

„Ich würde es nicht mal als Erfolg bezeichnen“? Sicher. Man hätte einfach Islamabad bitten sollen, dass die pakistanischen Behörden den internationalen Haftbefehl vollstrecken – nach all den Jahren. Dann hätten die Pakistaner bin Laden an die USA ausliefern können. Obwohl: Hätten wir Deutschen dagegen nicht protestieren müssen, weil ihm ja wahrscheinlich in den USA die Todesstrafe droht?

 

Osama, Feind der Muslime

Wie hier schon mehrfach betont, tötet Al-Kaida vor allem Muslime. Eine Studie des Combating Terrorism Center der US-Militärakademie in West Point kam 2009 (nach Auswertung ausschließlich arabischer Quellen) zu folgenden Zahlen:

The results show that non‐Westerners are much more likely to be killed in an al‐Qa’ida attack. From 2004 to 2008, only 15% percent of the 3,010 victims were Western. During the most recent period studied the numbers skew even further. From 2006 to 2008, only 2% (12 of 661 victims) are from the West, and the remaining 98% are inhabitants of countries with Muslim majorities. During this period, a person of non‐Western origin was 54 times more likely to die in an al‐Qa’ida attack than an individual from the West.
The overwhelming majority of al‐Qa’ida victims are Muslims living in Muslim countries, and many are citizens of Iraq, which suffered more al‐Qa’ida attacks than any other country courtesy of the al‐Qa’ida in Iraq (AQI) affiliate.

Die Studie findet sich hier.

 

Teheran, Gaza, Berlin: Muslime reagieren auf bin Ladens Tod

Interessant die Teheraner Reaktion auf den Tod bin Ladens: Nun könnten die Amerikaner ja abziehen aus der Nachbarschaft, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. In anderen Worten: Die Amerikaner hatten guten Grund, dort zu sein.

Nach dem Tod des Terroristenführers Osama bin Laden sind US-Militäreinsätze in der Region nach Ansicht Teherans nicht länger gerechtfertigt. «Der Vorwand der USA und des Westens, ihr militärisches Vorgehen in der Region diene der Bekämpfung des Terrorismus, ist heute nicht mehr gültig», teilte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Ramin Mehmanparast, am Montag in Teheran mit.

Der Vorfall zeige, dass eine dermaßen gewaltige Militäroperation wie in den vergangenen zehn Jahren nicht nötig gewesen wäre, «um einer einzelnen Person entgegenzutreten», sagte Mehmanparast. Er hoffe, dass der Krieg und das Töten unschuldiger Menschen nunmehr beendet und Frieden und Stabilität in der Region ermöglicht würden.

Auch dies ist eine implizite Billigung der Kommandoaktion. Der Teheraner Kommentar lässt sich so deuten: Hättet ihr bloss von Anfang an auf gezielte Tötungen gesetzt! (So macht es der Iraner selbst am liebsten.) Nun möchte man gerne in der ausgerechnet durch den großen Satan USA von Teherans ärgsten Feinden gesäuberten Region (Taliban, Saddam, Osama) alleine gelassen werden und ein bisschen Hegemon spielen.

(Meine Prognose: No way!)

Unfasslich die Hamas, die ein rhetorisches Selbstmordattentat begeht:
Der politische Hamas-Führer im Gazastreifen, Ismail Hanija, verurteilte die Tötung Bin Ladens als «Mord»: „Wir verurteilen die Ermordung eines arabischen Heiligen Kriegers.“ Die US-Kommandooperation auf pakistanischem Boden sei «eine Fortsetzung der amerikanischen Politik der Gräueltaten», sagte der islamistische Politiker am Montag in Gaza-Stadt.

Das war’s dann mit der Fatah-Hamas-Versöhnung. Dieses drohende neue palästinensische Einheitsregime kann niemand unterstützen. (Unfasslich das Ganze auch deshalb, weil Al-Kaida Hamas längst abgeschrieben hatte – als viel zu moderat und demokratisch.)

Und wie äußern sich die offiziellen Sprecher der deutschen Muslime? Ayman Mazyek trifft den rechten Ton:

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland zeigt sich erleichtert über den Tod des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. Der «Bild»-Zeitung (Dienstag) sagte Mazyek: «Mit einer Mischung aus Erleichterung und Überraschung, dass bin Laden überhaupt noch lebte, haben viele Muslime seinen Tod aufgenommen. Durch seinen gewaltsamen Tod kann er nicht mehr vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Bei einer Verurteilung hätten die Opfer des 11. Septembers den Tätern so ins Gesicht schauen können. Die Seebestattung ist intelligent gewählt worden, so kann aus seiner Grabstätte später keine extremistische Kultstätte entstehen.»

 

Osama in Pakistan

Am 26.9.2006 hatte Jon Stewart den pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf zu Gast. Ich muss sagen, mir stockte der Atem, als Stewart nach 1.30 min die entscheidende Frage stellte: Wo ist Osama bin Laden? Die Antwort spricht für sich selbst.

Nun ist Osama bin Laden in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt – in einer Garnisonsstadt – gefunden und erschossen worden. Die pakistanischen Geheimdienste sind in jedem Fall bis auf die Knochen blamiert: Entweder haben sie bin Laden geschützt und gedeckt. Oder sie hatten keine Ahnung, dass er nicht etwa im unzugänglichen Stammesgebiet versteckt war, sondern mitten in Pakistan, in einem großen gesicherten Anwesen. Oder, schlimmste Möglichkeit: Beides in Folge.

 

Bin Laden ist tot! (Bouazizi lebt.)

Die Nachricht vom Tod bin Ladens passt in den arabischen Frühling. Al-Kaida hatte seit Monaten Schwierigkeiten, die arabischen Revolten für sich zu vereinnahmen.

Zwar ist es sehr im Sinn des Netzwerks, die Autokraten stürzen zu sehen, die mit dem Antiterrorkrieg kooperiert haben. Auch dass die Herrscherhäuser wanken, die die Kriege der Amerikaner gegen Saddam Hussain gestützt und „ungläubige Truppen“ auf heiligem Boden geduldet haben, kommt Al-Kaida entgegen.

Doch der Wunsch der arabischen Völker nach Demokratie traf die Jihadi-Salafisten im Mark: Denn ihr Projekt war die Theokratie in einem wieder zu errichtenden Kalifat. Und jede Form der Herrschaft von Menschen widerspricht dem salafistischen Islam. Um eben diese geht es aber in den Aufständen gegen die Tyrannei von Marokko bis Damaskus.

Mit den Aufständen ist eine Alternative zu dem antihumanen, antiwestlichen, antisemitischen Dschihadismus entstanden: Eine andere Möglichkeit der arabischen Völker, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Auch andere Formen des terroristischen Kampfes als der Dschihadi-Salafismus (Hisbollah, Hamas) sind nun unter Druck, seit Syriens Regime schwankt: Der arabische Frühling hat die Selbstverbrennung an die Stelle des Selbstmordattentats gesetzt – ein historischer Moment in der arabischen Kultur.

Dazu passt, dass nun der schlimmste Feind der friedliebenden Muslime weltweit tot ist. Er war ein Feind der Menschheit, aber vor allem ein Fluch für die islamische Welt. Niemand hat so viel Elend über Afghanistan, Irak und Pakistan gebracht wie Osama bin Laden. Zu befürchten ist, dass seine mörderische Ideologie seinen Tod noch eine Weile überleben wird. Mit Racheakten ist zu rechnen. Aber der Tod des Führers könnte doch ein entscheidender Schlag sein. Die Amerikaner haben ihn auf See bestattet, nach islamischem Ritus, wie inoffizielle Quellen betonen. Es ist vorbei.

Al-Kaida hat versucht, sich in Marokko durch ein schändliches Attentat in einem Café wieder ins Spiel zu bringen (und offenbar in Deutschland durch die Planungen, die am Wochenende durch die Verhaftungen vereitelt wurden). Solche Taten führen nirgendwohin. Sie machen den Menschen nur klar, wie sich die Bewohner Israels während der zweiten Intifada gefühlt haben, als die Diskotheken und Cafés mit Bomben angegriffen wurden. Solche Taten können eine freie Gesellschaft nicht besiegen, und sie könne eine Tyrannei nicht zum Einsturz bringen.

Eine Selbstverbrennung hat die Diktatur besiegt. Möglich ist immerhin, dass freiere Gesellschaften daraus entstehen.

Es lebe Mohammed Bouazizi. Osama bin Laden ist tot.

 

Terry Jones ignorieren lernen

Absolut meine Meinung zu Terry Jones, der endlich den beabsichtigten Erfolg hat mit seiner Koranverbrennung – es ist Blut geflossen. Malte Lehming kommentiert:

„Anders als der dänische Karikaturist Kurt Westergaard, der den Propheten Mohammed mit einer Bombe als Turban gezeichnet hatte, war sich Jones über die potenziell todbringenden Folgen seiner Aktion im Klaren. Der Hass, den er säte, ging auf in jenen islamischen Freitagspredigern, die die Gläubigen aufstachelten. So verstärken sich Schreie und Widerschreie wie in einem Echo, das immer lauter wird, statt zu verhallen. Und gegen die Vernunft hat Jones sich imprägniert. Die gewalttätigen Reaktionen auf die Koran-Verbrennung wertet er als Beweis dafür, mit seiner Verurteilung des Islams recht gehabt zu haben.

In den USA ist es erlaubt, den Koran zu verbrennen. Es ist erlaubt, Kreuze oder die US-Fahne zu verbrennen. Es ist erlaubt, bei Beerdigungen von im Irak gefallenen Soldaten Schilder in die Luft zu halten, auf denen „Gott sei Dank für tote Soldaten!“ und „Gott sei gedankt für den 11. September 2001!“ steht. Das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung wird weiter ausgelegt als in allen anderen Staaten der Welt. Amerikaner sind stolz darauf. Durch aggressive Worte, Gesten und Symbole verletzt zu werden: Das gehört für sie zu den Zumutungen einer echten freiheitlichen Gesellschaft. Von Jones und dessen Missetaten haben sich alle entschieden distanziert – Präsident, Opposition, religiöse Organisationen. Nur Ignoranten oder Böswillige können behaupten, der radikale Kirchenmann repräsentiere mehr als sich selbst.

Nach Afghanistan und in den Irak sollte die Demokratie gewaltsam exportiert werden. In Tunesien und Ägypten ist das Volk dabei, sie aus eigener Kraft zu erkämpfen. Erst wenn man hier wie dort begreift, dass eine Gesellschaft auch Meinungsäußerungen, Blasphemien und künstlerische Freiheiten dulden muss, die ihr elementar zuwider sind, erst wenn man versteht, dass Gewalt nie gerechtfertigt ist, auch nicht bei Apostasie, erst dann werden die großen historischen Umwälzungen jene zivilisatorische Reife hervorbringen, die wirklich Mut macht. Wer Terry Jones verachtet, beachte ihn möglichst wenig.“