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Der saudische Autor Turki Al-Hamad muss freigelassen werden!

Turki Al-Hamad ist schon seit vielen Jahren einer meiner Lieblingsautoren. Lange vor dem so genannten Arabischen Frühling hat der saudische Liberale – ja, sowas gibt es – fulminante Plädoyers für eine kulturelle, religiöse und politische Öffnung gehalten. Immer war die Notwendigkeit einer arabischen Selbstkritik sein Thema. Seine Romane über die Entwicklung des Helden Hisham Al-Abir gehören zu den aufregendsten der arabischen Gegenwartsliteratur. Leider konnte ich nur die ersten beiden aus seiner Trilogie lesen, die es auch auf Englisch gibt (der erste – „Adama“ ist sogar mal ins Deutsche übersetzt worden, eine Schande, dass die beiden anderen nicht folgten).

Turki

Ich habe vor Jahren auch einmal versucht, Kontakt aufzunehmen und Turki Al-Hamad als Autor zu gewinnen. Leider kam keine Reaktion. Ich schloss daraus, dass die Lage vielleicht zu heikel war. Es ist eines, die Situation in der arabischen Presse zu kritisieren, die ja vielfach auch aus saudischen Quellen finanziert wird. Und ein anderes, das in ausländischen Medien zu tun.

Nun ist Turki Al-Hamad verhaftet worden. Am 24.12.2012 haben die saudischen Behörden ihn festgenommen. Es gibt keine öffentliche Anklage. Aber man muss annehmen, dass eine Reihe von Tweets den Hintergrund der Verhaftung abgeben. Qantara.de berichtet:

Nicht zuletzt wandte sich al-Hamad in seinen Tweets gegen die in seiner Heimat dominierende, extrem strikte wahhabitische Doktrin: „Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab“, lautete eine seiner Botschaften, eine andere, noch wesentlich brisantere postulierte: „So wie unser geliebter Prophet einst gekommen ist, um den Glauben Abrahams wieder ins Lot zu bringen, ist nun die Zeit gekommen, da wir jemanden brauchen, der den Glauben Mohammeds wieder ins Lot bringt.“

Provokation und politische Herausforderung für das saudische Herrscherhaus: „Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab“, ließ Turki al-Hamad per Twitter verlautbaren. Anderweitig hatte al-Hamad sich scharf über den Aufstieg islamistischer Parteien in der arabischen Welt geäußert: „Ein neues Nazitum erhebt sein Gesicht über der arabischen Welt, und sein Name ist Islamismus. Aber die Zeit des Nazismus ist vorüber, und im Osten wird wieder die Sonne aufgehen.“

Die Bundesregierung ist dabei, dem saudischen Königshaus bei der Aufrüstung zu helfen. Sie sollte deutlich machen, dass solche Geschäfte der deutschen Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sind, wenn das Land die Menschenrechte mit den Füßen tritt.

Klingt naiv? Ich denke, der vermeintliche „Realismus“ der Stabilitätspolitik hat sich in den letzten Jahren als naiv erwiesen. Im Nahen Osten steht kein Stein mehr auf dem anderen, weil wir auf die falschen Stabilisatoren gesetzt haben.

Da diese Regierung das freiwillig natürlich nicht tun wird, muss die Öffentlichkeit ihr klar machen, dass es nicht gleichgültig ist, ob Autoren wie Turki Al-Hamad mundtot gemacht werden. Das ist eine Lektion zwei Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings: Man kann Bücher verbieten, Twitterer wegsperren und Dissidenten foltern. Am Ende nützt es nichts.

p.s. Wer sich über den Autor und seine öffentlichen Interventionen ein Bild machen will, guckt hier.

 

Ein Preis für Pussy Riot?

(Ich finde: Ja. Und werde das gleich im Radio verteidigen. Nach dem schändlichen Gerichtsurteil von gestern mehr denn je.)

Do 11.10.2012 12:07 – 14:30 Uhr

KULTURRADIO AM MITTAG

Verdient die russische Punk-Band Pussy Riot einen Preis? (12.10 h Hörerstreit)

Hans Ackermann

12:10 Hörerstreit

Verdient die russische Punk-Band Pussy Riot einen Preis?

Im Studio: Jörg Lau, Redakteur bei der Zeit

Für zwei der drei Musikerinnen der russischen Punkband Pussy Riot bleibt es dabei: Sie müssen für zwei Jahre in ein Straflager. Das hat gestern ein Berufungsgericht in Moskau bestätigt. Sie wurden wegen „Rowdytums aus religiösem Hass» verurteilt, nachdem sie im Februar in der Christi-Erlöser-Kathedrale gegen Präsident Wladimir Putin demonstriert hatten – mit einem Punkgebet. Für ihre Zivilcourage ist die Band Pussy Riot nun für zwei Preise nominiert: für den Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit des Europaparlaments und den Luther-Preis „Das unerschrockene Wort“. Der Theologe Friedrich Schorlemmer findet diesen Vorschlag empörend.
Eine Lutherstadt dürfe keine „Gotteslästerung“ ehren. Mit seiner Kritik steht er nicht allein. Vor allem Kirchenvertreter wehren sich gegen diese Nominierung. Alle zwei Jahre wird mit dem Lutherpreis Persönlichkeiten geehrt, die im Sinne des Reformators Luhter Zivilcourage gezeigt haben.

Verdient die russische Punkband Pussy Riot einen Preis? Wenn ja, auch einen kirchlichen Preis wie den des „unerschrockenen Wortes“?
Diskutieren Sie mit – in unserem heutigen Hörerstreit.  Tel.-Nr.: 030/30 20 00 40  !!!!

 

Worum es (mir) in der Beschneidungsdebatte geht

Noch ein paar unsystematische Gedanken zu einer längst nicht abgeschlossenen Debatte:

Wer sich gegen das Verbot eines elementaren Rituals ausspricht, sieht sich dieser Tage leicht als „religiöser Eiferer“ angegriffen, wie ein bekannt und bekennend agnostischer Kollege mir erstaunt erzählte, der das Kölner Urteil in einem Artikel kritisiert hatte. Er hatte noch nie so viele wütende Leserbriefe bekommen.

Vielleicht muss man das noch einmal klarstellen: Das Recht auf die religiös begründete (Vorhaut-)Beschneidung zu verteidigen bedeutet nicht, diese Praxis für „gut“ oder gar „für alle Zeiten bindend“ zu erklären. In meinem persönlichen Fall möchte ich in Anspruch nehmen, dass meine Haltung zu diesem Brauch (würde ich es durchführen lassen, bin ich selber beschnitten – ja, dergleichen wird derzeit gerne erfragt) absolut irrelevant für meine Position ist. Es kommt darauf an, ob man erstens die Sache als schädlich für die Betroffenen betrachtet und ob man anderen Leuten abnimmt, dass es für sie ein wichtiges, unverzichtbares Ritual ist, eine Glaubenspflicht. Erstes ist m.E. nicht der Fall (Komplikationen notwithstanding), zweites ist der Fall, und darum glaube ich, dass die Knabenbeschneidung weiter erlaubt sein soll.

Darf der Gesetzgeber dabei Vorgaben machen? Natürlich. Darf er es verbieten, wie manche fordern: Nein.

Es ist völlig legtitim, ja es ist begrüßenswert, wenn nun Menschen, die sich durch die Beschneidung geschädigt fühlen, das Wort ergreifen. Das gilt für Stimmen wie den hier in Kommentaren bereits zitierten Ali Utlu, der das Ritual als schmerzhafte Demütigung erinnert und von Beeinträchtigungen danach spricht. Und es gilt auch für Eltern – muslimische, aber auch jüdische – die das Ritual als Belastung empfinden und es ihren Söhnen am liebsten ersparen wollen. Necla Kelek hat damit in der muslimischen Community angefangen, ich hatte in meinem ersten Beitrag darauf hingewiesen, und für die jüdische Seite lässt sich auch feststellen, dass es bei nicht-traditionalistisch lebenden jungen Leuten oft Unbehagen gibt und einen Wunsch nach neuen Lösungen. Die Darstellung eines solchen Gewissenskonflikts markiert übrigens das Ende meiner letzten größeren Reportage über Juden in Deutschland.

Was mich nach wie vor, oder sagen wir lieber, jeden Tag mehr, entsetzt ist die Unfähigkeit oder wenigstens der Unwille weiter Teile der Debattierenden, diese beiden Elemente zusammenzudenken: Respekt für Religionsfreiheit UND Offenheit für Bedenken, Änderungswünsche, Klagen. Warum soll das nicht zusammen möglich sein? Es ist, glaube ich, NUR in Kombination machbar. Nur wer sich nicht kriminalisiert fühlt, wird offen debattieren können.

Statt dessen erleben wir Tag für Tag, dass die Beschneidung als „barbarisches Ritual“ in Kommentaren und Leitartikeln vorgeführt wird. Den einsamen Höhepunkt hat für mich Volker Zastrow von der FAS erreicht, der es schaffte, auf subtile Weise Beschneidung in einen Zusammenhang mit Pädophilie und Kindesmißbrauch zu rücken. Dass es das Gleiche sei, sagt er zwar nicht rundheraus, aber dass, wer sich gegen diese Formen „sexueller Gewalt“ wende, eben auch die Beschneidung verbieten müsse, ist die Pointe des Leitartikels.

So sehen sich nun Beschnittene mit einer Kampagne konfrontiert, die sie zu einer neuen Opfergruppe definieren will. Wer nicht einsehen will, dass er traumatisiert ist, wie etwa Hanno Loewy hier in der „Jüdischen Allegemeinen“, für den stehen Kronzeugen der Anklage bereit, die das Gegenteil bezeugen. Wer dann noch verstockt darauf besteht, er sei zufrieden mit seinem in den Augen der Mehrheit verstümmelten Penis, bestätigt damit nur, wie tief das Trauma sitzen muss.

Die Orgasmusfähigkeit ganzer Bevölkerungsgruppen wird in Abrede gestellt, und kaum einer findet das schräg. Ich muss dieser Tage viel an Tisa Farrows unsterblichen Satz in Woody Allens „Manhattan“ denken: „Ich hatte endlich einen Orgasmus, aber mein Doktor sagt, es sei der falsche.“ So geht es heute Juden und Muslimen: Da stehen sie mit ihren unbemützten Schlongs, und der wohlmeinende Doktor beugt sich drüber: Tut uns leid, mag sein, dass ihr mit diesem Ding Orgasmen habt, aber es sind nicht die richtigen. Wir haben euch außerdem im Verdacht, dass eure Selbstbefriedigung abendländisch-christlichen Maßstäben nicht genügt. Und das alles kommt im Ton einer heiligen Mission daher, den semitischen Penis vor dem Messer zu retten. White man’s (rsp. woman’s) burden, neu verstanden.

Politisch interessant ist die Klärung der Fronten im „islamkritischen“ Lager zwischen PI und DADG. Bei PI ist man wütend auf die Juden, die es einem unmöglich machen, auf die Muslime einzudreschen. DADG distanziert sich zunehmend von dem islamophob-antisemitischen Diskurs. Infolge dessen emanzipiert sich die radikaler werdende rechtspopulistische Szene von der „proisraelischen“ Haltung (die ich immer für ein Fake gehalten habe). Wenn die Juden dem Moslembashing im Wege stehen, müssen sie eben auch dran glauben. Für „so etwas“ gibt es hier keinen Platz, das ist die Botschaft.

„So etwas“? Juden und Muslime finden sich durch diese Debatte im selben Boot, in den Augen der Mehrheit zwei Varianten derselben patriarchalisch-„barbarischen“ Wüstenreligion, die einfach nicht sublimieren will und stur weiter das Blut ihrer Söhne vergießt. Bei der Frage des Schächtens wird sich diese Konstellation wiederholen, dann anhand des Leids der Tiere. Interessant zu sehen, was daraus folgt für den Dialog.

Vorerst überwiegt eine tiefe Verunsicherung. Und das auch bei den nicht besonders Frommen, ja sogar bei den am wenigsten Frommen am meisten. Die Frommen wissen ja eh immer schon woran sie sind und beobachten die Mehrheit mit Verdacht. Am meisten getroffen sind aber diesmal viele moderne, moderate, ja sogar areligiöse Juden und Muslime.

Mir geht es auch so. Ich bin fassungslos über die Wut dieser Debatte.

Ich habe keinen Hund in diesem Kampf, wie man so sagt. Ich habe zum Besten an der Religion ein Verhältnis ähnlich dem eines Opernliebhabers, der selber kein Instrument spielt, und doch die Musik verehrt. Das weiß Gott viele Schlechte an der Religion, das oft genug auf diesem Blog Thema ist, wer wollte es leugnen? Darum geht es nicht. Religionsfreiheit ist in unserer Welt eine Frage, die oft genug über Krieg und Frieden, Leben und Tod entscheidet. Sie sollte auch für religiös Unmusikalische etwas Heiliges sein.

Es wäre eine bizarre Pointe, wenn Deutschland seine Lektion aus der eigenen totalitären Geschichte dahin treiben würde, Menschen- und also Kinderrechte derart zu definieren, dass jüdisches und muslimisches Leben hier unmöglich würde. Ist bei der Reeducation etwas schief gegangen?

 

(Korrektur, 28.7.2012: Es war nicht Mia, sondern Tisa Farrows, die in Manhattan den oben zitierten Satz sagt. Danke für die Hinweise darauf. Der eigentlich passende Satz kommt von Woody Allen in der Replik: „Ich hatte nie falsche Orgasmen. Auch die schlechtesten waren Volltreffer.“ JL)

 

 

Die Komiker-Nation Deutschland debattiert Beschneidungen

«Ich will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben können. Wir machen uns ja sonst zur Komiker-Nation.»
Das hat die Kanzlerin mal was richtig erkannt.

Die Muslime hätte sie allerdings gerne einbeziehen können. Tut sie aber bezeichnender Weise nicht. Denn Ausgangspunkt der Debatte war ja der Fall eines vierjährigen Muslims. Dass die Oberstaatsanwältin, die den Fall in Köln vor Gericht brachte, auch gegen einen weißbärtigen Mohel vorgegangen wäre, kann ich mir nicht vorstellen. Noch fällt es schwer, sich auszumalen, dass wir demnächst wegen Körperverletzung einen Rabbiner in der Synagoge verhaften.

Nein, wohl eher nicht. Aber einem syrischstämmigen Arzt kann man eben schon mal die Instrumente zeigen. Es fällt in Deutschland einfach leichter, Muslime über ihr „Barbarentum“ zu belehren als Juden.

Jedenfalls noch.

Nun hat man es aber mit der Rabbinerkonferenz und dem Zentralrat der Juden in schönster Einheit mit den islamischen Verbänden zu tun bekommen, und da hört dann der Spaß auf. Eine rechtliche Klärung muss nun her, um Juden das Verbleiben hier zu ermöglichen. Recht hat sie, die Kanzlerin.

Davon dürfen dann die Muslime, die den Anlass für das irre Theater gegeben haben, gerne mit profitieren, ohne dass die Kanzlerin sich nun freilich als deren Schutzpatronin erwischen lassen will.

Deutschland. Zum Auswandern schön.

Ich habe mich lange gegen die Auffassung gewehrt, Islamophobie und Antisemitismus hätten bedeutende Überschneidungsflächen (no pun intended). Ich gebe hiermit offiziell auf. Es ist ein und das Gleiche.

Heute morgen im Deutschlandfunk hören zu müssen, wie wohlmeinende deutsche Ärzte gleich zwei Weltreligionen freundliche Angebote machen, sich endlich bitte, bitte auf das zivilisatorische Niveau des Kölner Landgerichts hinaufhieven zu lassen, das war dann doch sehr erhellend. Jüdische Teilnehmer verwahrten sich gegen die Unterstellung, sie seien traumatisiert. Es half nichts. Der deutsche Therapeut wußte es besser.

Leserbriefschreibern und Kommentatoren quillt der gesunde Menschenverstand aus den Tasten, dass es keine, aber auch gar keine akzeptable Begründung für die „Verstümmelung“ von Knaben durch Vorhautentfernung gebe.

Religiöser Analphabetismus wird mit erstaunlichem Stolz als Common Sense spazieren geführt. Irre, was man so alles an Vergleichen hört: Abtreibung, Ohrfeige, kosmetische Ohrenkorrektur… Das großmütige Angebot, man könne Beschneidung verbieten, aber straffrei lassen, wie eben die Abtreibung. Und dem Vorschlagenden fällt gar nicht mehr auf, dass damit eine Ritualhandlung aufgrund eines religiösen Gebots, die der Aufnahme eines neuen Lebens in die Gemeinschaft dient (und der Feier des Bundes mit Gott), auf die gleiche Stufe mit der Beendigung menschlichen Lebens gestellt wird. Und wie das wohl bei den Betroffenen ankommt, dass ihre Handlung mit einer Tötung verglichen wird.

Ach was, es geht womöglich gar nicht um die Juden und die Muslime. Es ist wieder einmal eine – diesmal knisternd pornographisch aufgeladene –  Orgie der Selbstbestätigung ausgebrochen. Der faszinierte Blick auf den beschnittenen Schlong lässt uns in Gewissheit erstarren, dass wir aufgeklärten Mehrheitsmenschen den Längsten haben.

Mit heiligem Ernst beschäftigt sich ein Land wie Deutschland zwei Wochen lang mit anderer Leute Geschlechtsorganen. Man fasst es nicht. Andererseits: Deutsche wollen die Unversehrtheit jüdischer und muslimischer Penisse per Gesetz garantieren. Irgendwie ein Fortschritt, oder? Wäre da nicht die peinliche Pointe, dass zu diesem Zweck die Eltern und die Ärzte, die an „barbarischen Bräuchen“ festhalten, kriminalisiert werden.

Alle sollen so werden wie wir. Darum gehts es letztlich. Ja, warum auch nicht: Es gibt ja nun wirklich keinen Grund, anders zu sein oder anderes zu glauben, denn wir sind das zwar nicht das auserwählte, aber das aufgeklärte Volk. Indem wir ihre Religion kriminalisieren, geben wir den Juden und den Muslimen eine Chance, sich endlich nach Jahrtausenden von ihren archaischen Praktiken zu distanzieren.

Wir Deutschen sind die Guten: Eine Komiker-Nation im Einklang mit sich selbst.

Komisch nur, dass keiner lacht.

 

 

Die Beschneidung der Religionsfreiheit

Wie um alles in der Welt sind wir denn bloß hierhin gekommen? Ein deutsches Landgericht urteilt, dass das Recht des Kindes auf Unversehrtheit über dem Recht der Eltern steht, aus religiösen Gründen die Beschneidung eines Sohnes vornehmen zu lassen – und innerhalb von Wochen ist von einer der „vielleicht schwersten Attacken auf jüdisches Leben in Europa in der Post-Holocaust-Welt“ die Rede – so der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz Pinchas Goldschmidt.

Dabei war der Fall eines muslimischen Jungen der Anlass für die Rechtssprechung gewesen. Ein Kölner Arzt hatte im November 2010 den vierjährigen Sohn eines aus dem Irak stammenden Paares beschnitten. Es war, wie Yassin Musharbash in der ZEIT dargelegt hat, zu (durchaus üblichen) Nachblutungen gekommen. Die Mutter war dadurch in Panik geraten, hatte in verwirrtem Zustand um Hilfe gerufen und war mit ihrem Sohn in die Notaufnahme gekommen, wo die kaum des deutschen mächtige Frau Angaben machte (oder so verstanden wurde), dass ihr Sohn „in einer Wohnung mit der Schere“ beschnitten worden sei. Es kam zur Anklage gegen den Arzt, die in erster Instanz niedergeschlagen wurde, in zweiter Instanz aber kam es dann zu dem Urteil mit den folgenschweren Sätzen über den Vorrang der Unversehrtheit.

Beschneidung als Körperverletzung: Aus einem Urteil in Sachen eines vierjährigen Muslims ist nun eine „Attacke auf das jüdische Leben“ geworden. Juden und Muslime erklären vereint, sie sähen ihre Religionsfreiheit gefährdet und gar die Zukunft jüdischen beziehungsweise muslimischen Lebens auf Messers Schneide, wenn dieser unpassende Wortwitz hier erlaubt sei. Aus einer Verkettung von Missverständnissen ist ein Kulturkampf geworden.

Ich glaube nicht, dass das Kölner Urteil Auswirkungen auf eine Jahrtausende alte Praxis haben wird, die konstitutiv für die beiden Religionsgemeinschaften ist. Allein die Anmaßung der treibenden Oberstaatsanwältin und des Landgerichts ist freilich atemberaubend. Das heißt eben nicht, dass es unter den Betroffenen keine Diskussion um diese Praxis gibt. Necla Kelek hat in ihrem Buch über türkische Männer eine extrem scharfe Kritik der Beschneidungsrituale in der Türkei formuliert. Ich teile nicht ihre Folgerungen, aber ihr Impuls, eine Debatte über Männlichkeitsriten anzuregen, ist berechtigt. Junge Juden, die nicht fest in der Orthodoxie verhaftet sind, machen es sich oft auch nicht leicht, wenn sie Eltern werden. Allerdings entscheiden sich die meisten doch für die Beschneidung als Zeichen für den Bund, als Zeichen dafür, dass die jüdische Geschichte weitergeht.

Es gibt übrigens eine eigene Tradition von jüdischen Beschneidungswitzen. Einen besonders drastischen von Oliver Polak habe ich schon einmal in der ZEIT zitiert: „Warum sind jüdische Männer beschnitten? Weil eine jüdische Frau nichts anfasst, was nicht mindestens um 20 Prozent reduziert ist.“ Berühmt ist auch folgende Episode aus der Comedy-Serie „Seinfeld„, in der die Bedenken gegen die Beschneidung auf geniale Weise thematisiert werden. (Allerdings wird auch hier das Kind dann eben doch beschnitten.)

Aber eine interne Debatte um das Für und Wider ist das eine. Und eine über Gerichte und Meinungsumfragen geführte Debatte der Mehrheit über die vermeintlich rückständig-barbarische Minderheit ist etwas anderes. In der deutschen Debatte, die durch das Kölner Urteil aufgekommen ist, irritiert der bierernste Ton der Belehrung und der herablassenden Umerziehung der „archaischen Religionen“, die einfach nicht bereit sind, ihre blutigen Rituale weiter symbolisch zu sublimieren. (Manchmal glaube ich einen Nachhall von dem protestantischen Zetern über die unbelehrbaren Katholen zu hören, die an die Wandlung von Wein zu Blut und Brot zu Fleisch glauben.)

Der aufgeklärte Vorbehalt gegen die Juden – und daraus abgeleitet auch gegen die in ihrer Ritualverhaftetheit verwandten Muslime – ist plötzlich wieder da. Wie anders ist zu erklären, dass breite Mehrheiten hierzulande das Kölner Urteil für richtig halten? Unser Recht soll also jüdische und muslimische Jungen vor einer barbarischen Praxis schützen, der sie ihre „verstockten“ Eltern unterwerfen? Wir kriminalisieren einen religiösen Ritus, der konstitutiv für die Zugehörigkeit zu den beiden abrahamitischen Bruderreligionen ist?
Abenteuerlich, und undenkbar in Gesellschaften, die nicht wie unsere derart vom Gespenst der religiös-kulturellen Homogenität heimgesucht werden. Undenkbar in den USA oder Kanada – Ländern, in denen es weit verbreitet war oder ist, Jungen auch ohne religiöse Gründe zu beschneiden. Dort wird diese Praxis zwar inzwischen in Frage gestellt, doch niemand käme auf die Idee, religiös begründete Beschneidungen zu kriminalisieren.
Es ist eine beängstigende Verspießerung unseres öffntlichen Lebens festzustellen, eine Verspießerung im Zeichen selbstgefälliger Pseudoaufgeklärtheit, die religiöses Anderssein unter der Flagge des Kinderschutzes und der Menschenrechte (im Fall Schächten/Halal: Tierschutz) zu erdrücken droht.
Die Rabbiner hätten nicht gleich das H-Wort bemühen müssen, aber im Kern haben sie recht: Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, ist jüdisches (und muslimisches) Leben in Deutschland bedroht. Schon jetzt ist Schaden entstanden: 70 Jahre nach der Schoah wird in Deutschland traditionelles jüdisches (und muslimisches) Leben kriminalisiert, und der Bürger nickt wohlgefällig mit dem Kopf dazu. Als wäre es nicht Aufgabe des Rechts, die Minderheit vor dem Absolutismus der Mehrheit zu schützen.

 

 

Keine Todesdrohungen gegen den iranischen Musiker Shahin Najafi !

(Günter Wallraff schickte heute folgenden Text, den ich hiermit dokumentiere.)
Einer Initiative des Grafikers Klaus Staeck, des Komponisten Manos Tsangaris und des Schriftstellers Günter Wallraff zur Unterstützung des vom Tode bedrohten iranischen Musikers Shahin Najafi haben sich mehr als 50 namhafte Künstlerinnen und Künstler als Erstunterzeichner angeschlossen.

Die Solidaritätsadresse dient dem Schutz Najafis und verlangt nach einer starken internationalen öffentlichen Verbreitung. Die verantwortlichen Großayatollahs und die sie stützenden staatlichen Institutionen müssen die Todesdekrete und das ausgesetzte Kopfgeld zurücknehmen.

Die Unterzeichnung des Aufrufs ist mit einer E-Mail oder einem unterschriebenen Fax an die Adressen huber@adk.de / Fax: (030) 20057 1525  oder guenter.wallraff@koeln.de / Fax: (0221) 952 1526 möglich.

Der Aufruf ist auf der Internetseite der Akademie der Künste veröffentlicht: www.adk.de

Ansprechpartnerin in der Akademie der Künste: Bettina C. Huber, Tel.: (030) 20057 1525, huber@adk.de

Und hier der Wortlaut des Solidaritätsaufrufs und die Liste der Erstunterzeichner:

15. Juni 2012

Solidarität mit Shahin Najafi

Der iranische Musiker Shahin Najafi, der seit 2005 im Exil in Deutschland lebt, wird mit dem Tode bedroht, weil er in einem Lied den im Jahr 869 verstorbenen zehnten Imam anruft, auf die Erde zurückzukehren. Sein Text übt mit Satire Kritik an dem diktatorischen Regime. Iranische Großayatollahs erklärten ihn zum Ketzer, der den Tod verdiene. Auf Shahin Najafi wurde ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt. Wir haben Respekt vor dem Mut von Shahin Najafi, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich weiterhin künstlerisch einzumischen. Denn Kunst muss frei sein. Kunst muss sich entfalten können und provozieren dürfen. Die Freiheit der Kunst ist ein universelles Menschenrecht. Todesdrohungen gegen Künstler und Andersdenkende sind der Tod dieser Freiheit.

Wir solidarisieren uns mit Shahin Najafi und fordern Öffentlichkeit und Politiker dazu auf, unseren Kollegen in jeder Form zu unterstützen und sich für seine Sicherheit einzusetzen.

Frank-Markus Barwasser • Sibylle Berg • Horst Bosetzky • Volker Braun • Fred Breinersdorfer • Campino • Frank Castorf • Pepe Danquart • Friedrich Christian Delius • Doris Dörrie • Andreas Dresen • Egotronic • Valie Export • Harun Farocki • Jürgen Flimm • Hans W. Geißendörfer • Jochen Gerz • Günter Grass • Hans Haacke • Nele Hertling • Klaus Hoffmann • Elfriede Jelinek • Necla Kelek • Navid Kermani • Barbara Klemm • Kirsten Klöckner • Wolfgang Kohlhaase • Uwe Kolbe • Sebastian Krumbiegel • Helmut Lachenmann • Jaki Liebezeit • Jan Josef Liefers • Udo Lindenberg • Frank Lüdecke • Terézia Mora • Björn Peng • Moritz Rinke • Robert Schindel • Volker Schlöndorff • Gerhard Schmidt • Ingo Schulze • Bertold Seliger • Smudo • Mathias Spahlinger • Tilman Spengler • Klaus Staeck • Gerhard Steidl • Johano Strasser • Uwe Timm • Frederik „Torch“ Hahn • Rosemarie Trockel • Manos Tsangaris • Andres Veiel • Nike Wagner • Günter Wallraff • Hannes Wader • Konstantin Wecker • Marius Müller-Westernhagen

 

Shahin Najafis falsche Freunde

Ich schätze den Kollegen Daniel Bax von der taz. Was er im Interview mit dem bedrohten iranischen Rapper Shahin Najafi getan hat, ist ein journalistischer Totalausfall.

Zur Erinnerung: Die taz hat sich vor 23 Jahren Ruhm erworben durch ihre Pionierleistung im Fall Salman Rushdies. Gemeinsam mit anderen internationalen Medien organisierte die taz die Solidaritätskampagne für den vom Ajatollah Khomeini mit dem Tod bedrohten Schriftsteller. Während große Verlage Angst vor den Konsequenzen hatten und vor einer Publikation der „Satanischen Verse“ zurückschreckten, ging die taz voran und organisierte die Solidarität mit dem Autor. Thierry Chervel, heute beim Internetmagazin „Perlentaucher“, war damals die treibende Kraft.

Najafi lehnt es selbst ab, sich mit Rushdie zu vergleichen. Allerdings sind die möglichen Parallelen allzu augenfällig. Und ihn könnte es, wie er im Interview mit Bax sagt, noch ärger treffen, denn als Musiker, der auf öffentliche Auftritte angewiesen ist, könnte seine Karriere durch die Drohungen beendet sein.

Daniel Bax fragt ihn in seinem Interview drei Mal, ob er denn nicht mit der Konsequenz habe rechnen müssen:

„Der Song ist ja recht provokant formuliert. War Ihnen nicht klar, dass er im Iran harsche Reaktionen provozieren würde?“

(…)

„Schon das Bild, das den Song im Internet illustriert, ist provokant: Es zeigt eine Moscheekuppel, die einer weiblichen Brust gleicht, und darauf ist die Regenbogenfahne der Homosexuellenbewegung gehisst. Was haben Sie sich dabei gedacht?“

(…)

„Auch normale Muslime könnten das als Provokation empfinden. Musste das denn sein?“

Vier Mal in einem kurzen Interview durch die Terminologie der Provokation zu suggerieren, der Künstler habe keine andere Reaktion erwarten können, das ist ein starkes Stück. Man muss an zum Glück vergangene Zeiten denken, in denen Vergewaltigte sich Hinweise auf zu kurze Röcke gefallen lassen mussten.

Zur Klärung: Ich finde, es ist in Ordnung zu fragen, ob der Künstler die Reaktion des Regimes nicht hätte erwarten müssen. Schließlich leben wir post Rushdie und post Westergaard. Ein Mal hätte allerdings gereicht, und auf den Ton kommt es an. Indem Bax vier Mal von Provokation spricht, entsteht der Eindruck, hier identifiziere sich ein Interviewer doch recht weitgehend mit der Perspektive des iranischen Zwangssystems und seiner Anmaßung, im Namen des Islams und der Muslime zu sprechen und zu urteilen. Übrig bleibt ein genervtes: „Musste das denn sein!“

Diese Tendenz wird auf die Spitze getrieben, wenn die Systemperspektive in der letzten oben zitierten Frage auch noch mit derjenigen der „normalen Muslimen“ ineins gesetzt wird.

Kein „normaler Muslim“ hatte irgendetwas gegen diesen Song geäußert, bis die Revolutionsgarden eine widerwärtige Kampagne inklusive Kopfgeld für den Künstler gestartet haben. Und nun liefert ein deutscher Journalist dazu durch Suggestivfragen eine ex post Legitimation? Ätzend.

Es gibt eine Art, den Islam verstehen zu wollen, die von Islamfeindlichkeit kaum zu unterscheiden ist – weil sie nämlich die vermeintlichen Reflexe „normaler Muslime“ mit den niedersten, dumpfesten Ressentiments gegen die Freiheit identifiziert.

Muslime können gar nicht anders, als sich durch ein solches Lied „provoziert“ fühlen (provoziert natürlich zu Mord und Todschlag)? Zigtausende iranische Facebook-Freunde von Shahin Najafi sehen es anders.

 

Youcef Nadarkhani darf nicht sterben!

Im folgenden dokumentiere ich einen Brief des Penzberger Imams Benjamin Idriz bezüglich des Falls des iranischen Pastors Youcef Nadarkhani:

Seine Eminenz

Ayatollah Seyyed Ali Chamenei

Führer der Obersten Rechtsgelehrten

Islamische Republik Iran

 

 

Appell zur Amnestierung und Freilassung von Pastor Youcef Nadarkhani

 

 

Eure Eminenz,

 

als Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg (IGP) und als Vorsitzender des „Zentrums für Islam in Europa-München“ (ZIE-M) in Deutschland muss ich Ihnen mitteilen, dass ich entsetzt und traurig bin über die Nachricht eines möglichen Vollzugs der Todesstrafe an dem iranischen evangelischen Pastor Youcef Nadarkhani.

 

Erlauben Sie mir, Eminenz, dazu eine Bitte auszusprechen:

 

Ich bitte Sie, im Einklang mit der islamischen Lehre Ihre Autorität voll auszunutzen um die Hinrichtung des Pastors zu verhindern und ihn nicht zur Rückkehr zum Islam zu zwingen.

 

Wie Sie ja wissen, sieht der Koran weder eine Strafe für denjenigen vor, der sich von der Religion abkehrt, noch zwingt er jemanden zum Islam. Es widerspricht dem Koran, die eigene Religion und Lebensweise anderen aufzuzwingen: »Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf der Erde sind, geglaubt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, Gläubige zu werden?« (10/99). Gott verweist mit dem Vers: »Für euch eure Religion und für mich meine Religion« (109/6) nicht nur auf die unbestreitbare Realität, dass es mehr als eine Religion gibt, sondern er stellt auch die Forderung auf, Menschen Freiheit im Glauben zu  gewähren.

Als Muslime dürfen wir die Freiheit, die wir uns selbst wünschen, nicht anderen vorenthalten. Es ist eine Doppelmoral, wenn wir unter uns die Freiheiten einschränken, während wir für uns von anderen absolute Freiheit fordern. Vor allem wir Muslime müssen die Freiheit anerkennen, anders zu glauben, zu denken und zu leben, die Unterschiede zu achten und zu akzeptieren. Mit dem Koranvers: »Es soll keinen Zwang geben in Sachen des Glaubens« (2/256) erlaubte Gott die freie Wahl des Glaubens und verbot den Zwang zu irgendeinem Glauben.

Auch nach unserer islamischen Religion bleibt dem Einzelnen die Entscheidung überlassen, ob er überhaupt glaubt oder nicht. Die Entscheidungsfreiheit zwischen Glauben und Nichtglauben unterstrich der Koran mit dem Vers: »Lasse denn an sie glauben, wer will, und lasse sie verwerfen, wer will« (18/29).  Darüber zu richten was falsch und was richtig ist, steht nicht dem Menschen, sondern Gott zu: »Gott wird zwischen euch am Auferstehungstag richten hinsichtlich all dessen, worüber ihr uneins zu sein pflegtet« (22/69).

Eure Eminenz,

 

die Würde des Menschen ist eine allen Menschen gemeinsame Eigenschaft, und man kann niemanden davon ausschließen. Aus diesem Grund bezeichnet der Koran den Schutz der Würde und das Leben eines einzelnen Menschen als das Bewahren der Würde aller Menschen:»Wenn jemand einem Menschen das Leben rettet, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben gerettet hat.« (5/32).

Die natürlichen Rechte des Menschen gründen in seiner Würde und menschlichen Natur. Religiöse, ethnische, oder andere Unterschiede z.B. das Geschlecht ändern nichts an dieser Tatsache. Der Mensch hat ein Recht auf Leben, weil er Mensch ist, und nicht weil er Muslim, Christ, Jude oder ohne Glaube ist. Die Ablehnung von Zwang und der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben impliziert das Recht auf Meinungsfreiheit, Redefreiheit und Religionsfreiheit des Einzelnen. Der Islam erkennt jedes dieser Bedürfnisse an, akzeptiert sie ausnahmslos und fordert vom Menschen unter keinen Umständen den Verzicht auf eines dieser natürlichen und essentiellen Bedürfnisse. Dafür hat Gott den Menschen mit Vernunft begabt, Propheten entsandt und Heilige Schriften offenbart und ihm die Freiheit der Zustimmung oder Ablehnung gewährt.

 

Ich bitte Eure Eminenz, dem Pastor zu vergeben und ihn freizulassen, weil Gott die liebt, die »…ihren Ärger unter Kontrolle halten und ihren Mitmenschen vergeben, weil Gott die liebt, die Gutes tun« (3/134),  und diejenigen die verzeihen: »Aber (gedenkt, dass ein Versuch,) Übel zu vergelten, auch ein Übel werden mag: darum, wer immer (seinem Feind) verzeiht und Frieden macht, dessen Lohn liegt bei Gott – denn, wahrlich, Er liebt nicht Übeltäter.« (42/40).

 

Ich will Eure Eminenz zum Schluss an ein Wort von dem von uns allen Muslimen, Sunniten und Schiiten, geachteten Kalif Imam Ali bin Abu Talib, Friede sei mit Ihm, erinnern, der gesagt hat: “Die besten und hochgeschätzten Menschen sind diejenigen, die, obwohl sie in der Lage sind zu bestrafen, verzeihen und amnestieren. Der Mächtige zeigt seine Macht, wenn er verzeiht.“ (Nahj al-Balagha, S. 674).

 

Ich bin überzeugt, dass Sie diese Weisheit von Imam Ali (a) umsetzen werden.

 

Als Gottes Prophet Muhammed, Friede sei mit Ihm und mit seiner Familie, der von denjenigen ausgegrenzt und vertrieben wurde, die keine Gedankenfreiheit duldeten, gestärkt nach Mekka zurück kam, verzichtete er auf Rache und sagte folgende richtungsweisende Worte: “Es wird keine Rache gegenüber euch ausgeübt. Gott möge es mir und euch verzeihen. Geht, wo ihr hinwollt, denn ihr seid frei!“

 

Wir als seine Nachfolger müssen versuchen, uns seine vorbildlichen Eigenschaften anzueignen und auch Zeichen der Versöhnung, Vergebung und Maß zu setzen und dies auszustrahlen. Denn diese Werte sind für die Menschen, sowohl für die Muslime wie für die Nicht-Muslime, im Osten wie im Westen wichtig und notwendig.

 

Ich hoffe, dass dieser Aufruf bei Ihnen ein verstehendes Ohr und Wirkung finden  möge.

 

Friede sei mit Ihnen und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.

 

Penzberg/München, 01.03.2012

 

 

Imam Benjamin Idriz

 

Islamisten an der Macht – und Menschenrechte?

Eine wichtige Debatte findet auf den Seiten des New York Review Blogs statt. Einige feministische Organisationen greifen Human Rights Watch für deren letzten Report an, der eine freundlich-offene Haltung zu den demokratischen Machtwechseln in der arabischen Welt empfiehlt – auch wenn dort islamistische Kräfte ans Ruder kommen.

Ich kann hier nicht alle Argumente wiedergeben- aber beide Seiten machen gute Punkte.

Die Kritikerinnen sagen:

In your desire to “constructively engage” with the new governments, you ask states to stop supporting autocrats. But you are not a state; you are the head of an international human rights organization whose role is to report on human rights violations, an honorable and necessary task which your essay largely neglects.

You say, “It is important to nurture the rights-respecting elements of political Islam while standing firm against repression in its name,” but you fail to call for the most basic guarantee of rights—the separation of religion from the state. Salafi mobs have caned women in Tunisian cafes and Egyptian shops; attacked churches in Egypt; taken over whole villages in Tunisia and shut down Manouba University for two months in an effort to exert social pressure on veiling. And while “moderate Islamist” leaders say they will protect the rights of women (if not gays), they have done very little to bring these mobs under control. You, however, are so unconcerned with the rights of women, gays, and religious minorities that you mention them only once, as follows: “Many Islamic parties have indeed embraced disturbing positions that would subjugate the rights of women and restrict religious, personal, and political freedoms. But so have many of the autocratic regimes that the West props up.” Are we really going to set the bar that low? This is the voice of an apologist, not a senior human rights advocate.

Nor do you point to the one of the clearest threats to rights—particularly to women and religious and sexual minorities—the threat to introduce so-called “shari’a law.” It is simply not good enough to say we do not know what kind of Islamic law, if any, will result, when it is already clear that freedom of expression and freedom of religion—not to mention the choice not to veil—are under threat. And while it is true that the Muslim Brotherhood has not been in power for very long, we can get some idea of what to expect by looking at their track record. In the UK, where they were in exile for decades, unfettered by political persecution, the exigencies of government, or the demands of popular pressure, the Muslim Brotherhood systematically promoted gender apartheid and parallel legal systems enshrining the most regressive version of “shari’a law”. Yusef al-Qaradawi, a leading scholar associated with them, publicly maintains that homosexuality should be punished by death. They supported deniers of the Holocaust and the Bangladesh genocide of 1971, and shared platforms with salafi-jihadis, spreading their calls for militant jihad. But, rather than examine the record of Muslim fundamentalists in the West, you keep demanding that Western governments “engage.”

Western governments are engaged already; if support for autocrats was their Plan A, the Muslim Brotherhood has long been their Plan B. The CIA’s involvement with the Muslim Brotherhood goes back to the 1950s and was revived under the Bush administration, while support for both the Muslim Brotherhood and Jamaat e Islaami has been crucial to the “soft counter-terror” strategy of the British state. Have you heard the phrases “non-violent extremism” or “moderate Islamism?” This language is deployed to sanitize movements that may have substituted elections for bombs as a way of achieving power but still remain committed to systematic discrimination.

Dagegen halt Human Rights Watch, dass die Trennung von Religion und Staat nun wohl kaum ein Grundrecht sein kann (so sehr man sie für politisch wünschenswert halten möge): siehe viele Beispiele aus der westlichen Welt, in denen Staatskirchen existieren. Das ist aber ein Nebenschauplatz, denn es geht ja wohl eigentlich um Religionsfreiheit als Grundrecht, inklusive der negativen Religionsfreiheit (also Freiheit zu Agnostizismus, Areligiosität und zum Atheismus). Über die muss man sich nun wahrlich sorgen machen, vor allem in Ägypten, wo die Kopten unter Druck stehen.

HRW schlägt vor, dass die Wahlergebnisse zu akzeptieren seien, auch da, wo sie Islamisten an die Macht bringen – dass jedoch der Kampf für individuelle und universelle Rechte davon unbenommen fortgehen müsse:

As rights activists, we are acutely aware of the possible tension between the right to choose one’s leaders and the rights of potentially disfavored groups such as women, gays and lesbians, and religious minorities. Anyone familiar with the history of Iran or Afghanistan knows the serious risks involved. However, in the two Arab Spring nations that have had free and fair elections so far, a solid majority voted for socially conservative political parties in Egypt, and a solid plurality did so in Tunisia. The sole democratic option is to accept the results of those elections and to press the governments that emerge to respect the rights of all rather than to ostracize these governments from the outset. As Roth wrote:

Wherever Islam-inspired governments emerge, the international community should focus on encouraging, and if need be pressuring, them to respect basic rights—just as the Christian-labeled parties and governments of Europe are expected to do. Embracing political Islam need not mean rejecting human rights, as illustrated by the wide gulf between the restrictive views of some Salafists and the more progressive interpretation of Islam that leaders such as Rashid Ghannouchi, head of Tunisia’s Nahdha Party, espouse. It is important to nurture the rights-respecting elements of political Islam while standing firm against repression in its name. So long as freely elected governments respect basic rights, they merit presumptive international support, regardless of their political or religious complexion.

The signatories of the above letter disagree. In their view, Islamic political parties that come to power “remain committed to systematic discrimination.” We, too, are deeply concerned about that possibility and have been spending a great deal of time monitoring the conduct of Islamic parties, pressing them to respect all rights, and condemning any conduct that falls short. Human Rights Watch has a long history of standing up to governments founded on political Islam that discriminate against women, gays and lesbians, and religious minorities. But we would not reject the possibility that a government guided by political Islam might be convinced to avoid such discrimination.

 

Die „Achse des Guten“ gegen schwule Parasiten

„Achse des Guten“ war einmal ein radikal liberales Blog, stolz darauf, sich keine Denkverbote auferlegen zu lassen und den mittigen Mainstream herauszufordern. Seit Jahren beobachte ich ein Abdriften in eine Ressentiment-Rhetorik – wenn ich denn mal einen Link zurückverfolge, den ich irgendwo finde. Ich vermeide es, diese Seite regelmäßig zu lesen, ebenso wie PI – es bringt einfach nichts. Man regt sich uff und hat nischt von, wie es in Berlin heißt.

Als ich diesen Text las, war ich einigermassen geschockt. Dass Tsafrir Cohens Einsatz für die Menschenrechte der Palästinenser von Broder nicht goutiert werden würde – geschenkt. Man kann auch durchaus der Meinung sein, Gruppen wie medico international, für die Tsfarir arbeitet, seien zu einseitig in ihrem Focus auf die Leiden der Palästinenser unter der Besatzung. Ich teile diese Kritik zwar nicht, aber sie ist natürlich legitim.

Henryk M. Broder aber nimmt nun merkwürdiger Weise eine Meldung von medico über palästinensische Menschrechtsverletzungen zum Anlass, gegen medico und andere NGOs zu polemisieren.

Zitat aus der Mail von medico, die auch Broder aufgreift:

„Erst vor einigen Tagen wurde der Menschenrechtsaktivist Mahmoud Abu Rahma von der medico-Partnerorganisation Al Mezan in Gaza von drei vermummten Angreifern mit Messern verletzt. Die Täter begründeten den Überfall mit einem jüngst von Abu Rahma veröffentlichten Artikel. Darin warnt er vor einem System der Rechtlosigkeit und der Willkür, das entstehe wenn Regierung und Widerstandsgruppen das Recht auf Meinungsfreiheit oder auf physische Unversehrtheit weiter mit Füßen treten.
Die Berichte aus dem Arbeitsalltag der Gazaer Menschenrechtsorganisation sind erschreckend. Sowohl Fatah wie auch Hamas setzen willkürliche Verhaftungen und Folter zur Einschüchterung des politischen Gegners im innerpalästinensischen Machtkampf ein. Al Mezan liegen Hunderte Fälle von Folter sowohl in der Westbank als auch Gazastreifen vor, die in mehreren Fällen mit dem Tod endeten. Die palästinensischen Quasiregierungen verweigern dazu Auskünfte und seriöse Untersuchungen.“

Man kann darauf mit der Retourkutsche reagieren: „Ach, das merkt ihr aber spät!“

(Auch wenn es nicht stimmt, dass medico auf die Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Regierungen nicht hingewiesen hat. Warum sonst sollte sie Al Mezan unterstützen? Zitat von der medico-Website vom Juli 2010:

„Zum anderen sind es aber auch die beiden palästinensischen Verwaltungen, deren despotische Tendenzen gegenüber der eigenen Bevölkerung zunehmen. Dabei werden Einschränkungen von Menschenrechten immer häufiger religiös begründet. Oder mit einem Fingerzeig auf den politischen Gegner. Der Zwist zwischen Fatah, die in der Westbank herrscht und der Hamas im Gazastreifen droht nicht nur die durch die israelische Trennungspolitik verursachte innerpalästinensische Spaltung zu zementieren, sondern führt dazu, dass die beiden palästinensischen ‚Regierungen‘ die Rechte des jeweiligen politischen Gegners mit ‚Sicherheitsgründen‘ begründen, um diese dann systematisch einzuschränken.“)

Dass Broders Darstellung der Arbeit von medico unfair ist – geschenkt.

Abstoßend ist Broders Wortwahl, wo es darum geht, Tsafrir Cohen zu disqualifizieren. Er läßt sich lange und eingehend über Tsafrirs Homosexualität aus. Man wird darüber informiert, dass Tsafrir vor langer Zeit einen Schwulen-Guide für Berlin geschrieben hat, bevor er vor einigen Jahren das medico-Büro in Ramallah übernahm. Was genau das über die politische Zuverlässigkeit Cohens oder medicos besgt, bleibt im Dunkeln. Der Text gipfelt schließlich in der höhnischen Bemerkung:

„Wo sich doch medico international und Hunderte anderer NGOs um die Not leidende Bevölkerung kümmern! Tag und Nacht, von vorne und von hinten.“

Und schließlich heißt es über die NGOs in den palästinensischen Gebieten: „So lange dieses parasitäre Pack nicht von seinem ‚Recht auf Rückkehr‘ Gebrauch macht, wird es keinen Frieden in Palästina geben.“

Der Gegner ist schwul und „parasitäres Pack“ – das ist eine rechtsextreme Rhetorik, die der Broder, den ich einmal kannte, einfach nur widerlich gefunden hätte.