Lesezeichen
 

Antisemitische Hetze von Islamisten gegen Boualem Sansal

Ich hatte im letzten November von einem Gespräch mit Boualem Sansal, dem algerischen Schriftsteller, berichtet. Sansal hatte zuvor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.

In Algerien, so hatte Sansal mir berichtet, wurde er nach der Preisverleihung auf übelste Art von Islamisten angegriffen, die ihn als „Zionisten“ denunzierten. Die antisemitische Hetze wird durch eine Fotomontage komplettiert, auf der Sansal mit dem Hut und den Schläfenlocken ultraorthodoxer Juden gezeigt wird. Sansal hatte mit von dem Bild erzählt, nun hat es der Börsenverein im Anschluß an meinen Post veröffentlicht. Der Autor möchte es so, weil er sich von der Öffentlichkeit Schutz verspricht.

Der Börsenverein zitiert weitere Hetze gegen Boualem Sansal:

Einige der Blogs mit der Abbildung, bei der das Wort ‚algerisch‘ durchgestrichen wurde, sind im Internet frei zugänglich und offenbaren die Argumentationskette der Islamisten. So wird Boualem Sansal in einem französischsprachigen Blog als „Boualem la saleté“ (etwa: „Boualem, der Dreck/die Unanständigkeit“) bezeichnet, der anti-islamisch, anti-arabisch und anti-algerisch sei, dabei schlimmer als Ayaan Hirsi Ali, Taslima Nasrin und Salman Rushdie handele, mit denen er gemeinsam mit intellektueller Bettelei und mit blasphemischen Äußerungen der „Kosher Nostra“ in die Hände spiele. Durch seine Schriften und Erklärungen, so der Autor, der unter dem Pseudonym wah fikr schreibt, unterstütze Sansal mit Geist und Körper die Lobrede auf die Kanonen und Pfeiler des modernen ‚Talmudismus‘: der Schoah und der jüdische Vorherrschaft: „B. Sansal s’est investi corps et âme, par ses écrits et déclarations, dans l‘éloge des canons et piliers du talmudisme moderne : Shoah et suprématisme juif“ (nachzulesen auf reflexionsetcommentaires.blogspot.com).

Ich hoffe, dass der Börsenverein und die deutsche Regierung diesen Fall im Auge behalten. Wenn die deutsche Öffentlichkeit einen solchen Autor zum Preisträger kürt, übernimmt es eine Verantwortung für sein Wohlergehen. Die algerischen Behörden müssen gedrängt werden, die Sicherheit von Sansal zu garantieren, und das heißt auch: gegen antisemitische Hetze vorzugehen.

 

Emanzipation und Islamismus in Ägypten

Ein Artikel der New York Times über die beklagenswerte Lage der Frauen – auch nach der Revolution – in Ägypten bringt eine notwendige Differenzierung. Der Sieg der Muslimbrüder und der Salafisten ist ohne Zweifel kein Hoffnungszeichen. Es gibt praktisch keine Frauen in den führenden Rängen der MB, und die Salafisten lehnen die öffentliche politische Betätigung von Frauen direkt ab. Beide Parteien sind reaktionär, was das Rollenverständnis der Geschlechter angeht.

Aber: Die schlimmsten Akte sexueller Gewalt wurden von seiten der Sicherheitskräfte des alten Regimes verübt. Man denke nur an die Frau mit dem blauen BH und an die „Jungfräulichkeitsstests“ während der Proteste, die letztlich nichts anderes waren als politsch motivierte Vergewaltigung.

Die junge Frau, Samira Ibrahim, die nun vor Gericht das Verbot solcher „Tests“ durchsetzen konnte, ist die Tochter eines islamistischen Aktivisten, der unter Mubarak selber gefoltert worden war. Die ägyptischen Medien haben nichts für sie getan. Auch nicht die liberalen Aktivisten, die sich für Frauenrechte kaum interessieren. Ibrahims Vater aber hat seine Tochter ermutigt, es auf den Prozeß ankommen zu lassen. Viele säkular-liberale Väter hätten dies nicht getan, um „die Schande“ nicht noch an die große Glocke zu hängen.

Das Elend der patriarchalen Verhältnisse wird in Ägypten zwar durch den Islam gestützt, aber es geht weit über diesen hinaus. Auch unter den säkular-liberalen Kräften findet sich kaum jemand, der die unfasslich hohe Zahl von Genitalverstümmelungen in Ägypten (96%!) anprangert.

Und manchmal kann es durchaus sein, dass ein Schritt der Emanzipation innerhalb des islamistischen Spektrums geschieht, wie im Fall der mutigen Samira Ibrahim geschehen.

 

Islamistischer Kulturkampf in Ägypten?

Die Tatsache, dass das islamistische Lager bei den Wahlen in Ägypten einen Zweidrittelsieg davonzutragen scheint, ist für alle Beobachter (innen wie außen) frappierend. Mit einem so eindeutigen Ergebnis hatte kaum jemand gerechnet. Die Muslimbrüder würden sehr gut abschneiden, das war klar. Aber dass die Salafisten auch derartig abräumen würden, hatten die wenigsten auf der Rechnung.

Nun sind zwei wichtige Fragen zu klären: Gibt es ein islamistisches „Lager“ – und ist das Ergebnis tasächlich so eindeutig? Mit anderen Worten: Um welche Art von Mandat des Wählers handelt es sich? Beziehungsweise: Wie werden die siegreichen Parteien es auslegen?

Die Muslimbruderschaft steht vor einer Wahl, die sie sich so wohl auch nicht vorgestellt hatte. Man war darauf eingestellt, nun endlich den Lohn für Jahrzehnte der Untergrundarbeit einzuheimsen und den Sieg über die verhassten Säkularen einzufahren. Das ist zwar einerseits gelungen, aber die Freude ist getrübt durch das erfolgreiche Abschneiden der Salafisten, die die MB gesellschaftspolitisch locker in allen Belangen rechts überholen. Die MB wird also überhaupt keine Zeit haben, sich als konservativer Anker der islamischen ägyptischen Gesellschaft zu profilieren. Sie wird sich von Anfang an als Partei der Mitte profilieren müssen – analog zu den konservativen christlichen Parteien Europas.

Oder: Sie macht gemeinsame Sache mit den Salafisten und rückt entschieden nach extrem rechts. Das würde aber möglicherweise ihre Stellung als Partei der konservativen Aufsteiger gefährden (der Ärzte, Ingenieure und Studenten), die schon aus eigenem wirtschaftlichem Interesse keine Isolation Ägyptens im Zeichen der langen Bärte und Pumphosen wünschen.

Wie sich die MB entscheidet (und ob sie das tut), wird die eigentliche Zukunftsfrage Ägyptens werden. Das gute Abschneiden der Extremisten zu ihrer Rechten ist für die Muslimbrüder jedenfalls eine hoch ambivalente Angelegenheit. Einerseits bestätigt es das eigene Weltbild von Ägypten als einem zutiefst islamisch geprägten Land. Andererseits zwingt es die MB zur Präzisierung ihrer politischen Vorstellungen im Kontrast zum Salafismus – und nicht zu denen der säkularen Kräfte, wie man es gewohnt war. Das kann unangenehm werden, denn nichts scheut man unter islamistischen Brüdern so sehr wie eine offene Debatte über den rechten Weg.

Einen Vorgeschmack kommender Kulturkämpfe im islamistischen Lager liefern die Vorgänge um die selbst ernannte religiöse Sittenpolizei junger Salafisten. Diese Komitees, die sich an den saudischen Moralwächtern orientieren, haben begonnen, Inhaber von Geschäften zu terrorisieren. Natürlich geht es gegen den Verkauf von Alkohol, gegen Glücksspiel und dergleichen. Aber auch Schönheitssalons sind schon ins Visier der Bärtigen geraten. In der Stadt Benha im Nildelta ist eine Truppe von Sittenwächtern von den Frauen verprügelt worden, wie Bikyamasr berichtet:

„when they burst into a beauty salon in the Nile delta town of Benha this week and ordered the women inside to stop what they were doing or face physical punishment, the women struck back, whipping them with their own canes before kicking them out to the street in front of an astonished crowd of onlookers. (…)

In addition to invading shops, the ‚morality police‘ also smashed Christmas trees and decorations in front of stores and malls, declaring the celebration of Christmas ‚haram‘ or forbidden. Salafi sheiks have also banned the sending of Christmas greetings, prompting the more moderate Muslim Brotherhood to broadcast messages of Christmas cheer to their Christian brethren.“

Eine interessante Situation ergibt sich daraus auch für die Al-Azhar-Universität, die vom ägyptischen Staat kooptierte und kontrollierte, viel zitierte „höchste sunnitische Autorität“. Genau wie die MB muss sie nun eine Haltung zu den Salafisten finden, die sich anschicken, den reinen Islam nach ihrem Verständnis mit Straßenterror und Einschüchterung per Bambusrute durchzusetzen.

„Sunni sheiks from Cairo’s respected Al Azhar mosque and university called an emergency meeting January 4 to discuss the problem, and declared that the Salafi morality police had no legitimate or legal authority on the street, according to Ahramonline.

Two days later, Egyptian former mufti Nasr Farid who was once responsible for issuing religious edicts or fatwas based on Sharia law agreed, stating that the young vigilantes were usurping state authority and did not have the jurisdiction to impose their concept of religious law.

In response, the group pointed to the al Nour party’s recent election triumph in which they won nearly 30 percent of parliament seats, as giving them a mandate to enforce Sharia law. They claimed they not only had the backing of members of Al Nour’s leadership council, but that al Nour leadership had in fact provided the funding to mobilize young volunteers.

The Al Nour party’s Facebook page however denied financing the group.

In a desperate effort to gain control of their public message, Al Nour party officials have tried to control the actions of their followers and silence individual Salafi sheiks, like Abdel Moneim el Shahat in conservative Alexandria, who has suggested covering the “obscene” figures on Egypt’s ancient monuments with wax.

The young members of the morality police held their first meeting this week, according to a report in the Al Masry Al Youm newspaper, ‚to determine the tasks and geographical jurisdictions of the first volunteers, who would monitor people’s behavior in the street and assess whether they contradicted God’s laws. Volunteers would wear white cloaks and hold bamboo canes to beat violators and later would be provided with electric tasers‘.“

Wie auch immer der Machtkampf im islamischen Lager ausgeht, eines scheint fest zu stehen: Für Ägyptens Frauen, für religiöse Minderheiten und säkular gesinnte Bürger kommen harte Zeiten.

 

Neue islamistische Gewalt gegen Christen und Jeziden im Irak

Aus dem irakischen Norden, der bisher ein sicherer Hafen für die bedrängten Christen im Irak zu sein schien, erreichen mich beunruhigende Berichte. Der Autor, der mir persönlich bekannt ist, will aus Gründen der persönlichen Sicherheit nicht genannt werden. Die erwähnten Ereignisse wurden auch von der Gesellschaft für bedrohte Völker berichtet. In deutschen Medien fanden sie bisher kaum Erwähnung (hier ein Bericht des Guardian). Im folgenden dokumentiere ich den Text meines Bekannten:

Christians and Yezidis in Kurdistan Region (KR) in Iraq were stunned on Friday 2 Dec 2011, by attacks on their businesses, religious and social institutions.

The attacks began by an apparently small demonstration by young men who, incited by a Mosque Imam, soon turned violent and went on the rampage destroying and burning cosmetic and make-up shops, hotels, alcohol shops belonging to Christian and Yezidi owners downtown the city of Zakho on the Iraqi Turkish borders.

The demonstration soon swelled into a huge angry crowd that headed to the Christian Quarter in the town destroying alcohol shops and other properties belonging to Christians under the watching eyes of hundreds of angry and defiant onlookers.

Once perhaps the only safe haven for the Christian community and other ethnic minorities in Iraq in the aftermath of the last regime change, Kurdistan Region (KR) was swept away by the tides of violence against this indigenous community in Iraq.

There were similar attacks in the city of Duhok the centre of Duhok Governorate, Sumeil the site of the 1933 massacre of Christians, the Christian village of Sheuz about 10km to the north west of Duhok, and other villages in what seemed to be coordinated and well-planned attacks.

Following many years of relatively peaceful coexistence in KR, the ethnic minorities in the region are once again caught in between political bickering and a growing extremist theocratic ideology as has always been the case throughout its history in Mesopotamia.

It was shocking to see footage of films and pictures run on the local TV stations showing young men causing havoc with no one to keep them at bay.
The recent and unprecedented sudden upsurge in violence against Christians and Yezidis in (KR) has sent the shivers down the spine of the members of these communities.

More shocking and surprising still was the ease and freedom with which the attacks were carried out – questioning the future of the values of a fledgling democracy, tolerance and coexistence in the region.

The village of Sheuz was attacked by some 400 men in private cars who destroyed and set to fire alcohol warehouses belonging to Christians in the village.
“After destroying and burning the stores, attackers loaded their cars with undamaged containers of alcohol and drove away”, said an eye-witness.

For such attacks to happen in KR raises the questions as to who is behind mobilizing and inciting such big multitudes of young men and what is really happening behind doors and how are the defenseless and peaceful ethnic communities in the region to face such situations.

The prospect of the total disappearance of this already endangered ethnic community along with other non-Muslim ethnic communities such as Yezidis and Sabaites, from the social fabric of the Iraqi society seems to be looming large.

It was not clear why it took the local authorities quite some time to bring the situation under control.

During President Barzani’s visit to the town, and in a defiant gesture, leaflets were given out to people in Zakho threatening, “ if you ever reopen, we will kill you and let your defenders come to your rescue”. Others, meanwhile, attacked other Christian villages in the village of Derabun.

„We hereby caution all alcohol-shop owners that anyone who re-opens will have only to blame themselves, for this action will be coupled with death.“

Strict security measures were later taken to protect Christians in Kurdistan ahead of Christmas celebrations.

However, an aura of anxiety and fear haunts the minds and hearts of the non-Muslim ethnic communities living in the region.

It remains to be seen for how long can these communities survive and go on about their ordinary lives under government protection.

The Christian community political parties and organizations have been demanding an autonomous region in (KR) whose draft constitution (article 35) has provided for the creation of such an autonomous region, as well as a governorate in areas of the Plain of Nineveh where there is a majority of non-Muslim ethnic communities.

The question is if such demands will ever be realized on the ground before the last Christian leaves Iraq in the foreseeable future.

 

Freiheit für den ägyptischen Blogger Maikel Nabil!

 

Brutale Gewalt gegen Demonstranten in Kairo

Kristin Jankowski, freie Mitarbeiterin des Goethe-Instituts in Kairo, schickt mir soeben folgenden Bericht von den Ausschreitungen in der ägyptischen Hauptstadt:

Die Blutspur zieht sich über den Tahrir-Platz. Es ist das Blut eines Demonstranten, der bei den gewalttätigen Ausschreitungen mit den ägyptischen Sicherheitskräften ums Leben kam. Am vergangen Freitagmorgen wurde ein Sitzstreik vor dem Parlament von der Polizei brutal aufgelöst. Seitdem zeigt das ägyptische Regime, wie es mit denjenigen umgeht, die eine zivile Regierung und Freiheit in ihrem eigenen Land fordern.
Es wird mit Schlagstöcken auf wehrlose Frauen eingeschlagen, es wird mit Stiefeln auf Demonstranten eingetreten, die bereits verletzt am Boden liegen. Es werden Straßenkinder festgenommen und geschlagen. Es wird scharf geschossen. Es sind Bilder, die nicht nur Gänsehaut und Schauer erregen. Es sind Bilder, die Tränen in die Augen treiben.

In diesem Video sieht man die ungeheure Brutalität der Sicherheitskräfte.

Am vergangen Freitag standen Männer in ziviler Kleidung und Soldaten auf dem Dach des Parlaments. Sie hatten mit Steinen und Glas auf die Demonstranten geworfen, die unter ihnen auf der Straße standen. Auf Fotos ist zu sehen, wie diese Männer lachen und johlen, während sie wehrlose Menschen verletzten und töten. Die Demonstranten trugen Helme, schützten sich mit herbei getragenden Gegenständen, die sie vor ihre Körper hielten. Es flogen sogar Molotov-Cocktails von den Dächern. Die Demonstranten, meist junge Männer oder sogar Kinder, warfen zurück, versuchten das Parlament anzuzünden. Auf der Straße tobte die Wut gegen die Militärregierung, die seit dem Rücktritt von Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 die Macht über das Land am Nil besitzt.

„Ich wurde festgenommen, als die Polizei heute morgen den Sitzstreik auflöste“, sagte eine junge Demonstrantin am Nachmittag. Ihre schwarze Wimperntusche war verschmiert, ihre Augen weit aufgerissen. „Sie haben mich immer wieder in den Bauch und in den Unterleib geschlagen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich schwanger bin. Ich hatte gehofft, dass sie aufhören werden.“ Sie schnappte nach Luft. „Aber dann haben sie weiter auf mich eingedroschen. Immer mehr in den Unterleib. Sie haben mich schwer beschimpft. Schlampe, haben sie zu mir gesagt.“

Sie lächelte:„ Aber es geht mir gut. Ich stehe ja wieder hier.“ Dann verschwand sie in der Menschenmenge.

„Kommt doch runter“, rief ein junger Demonstrant den Männern auf dem Dach zu. Und winkte. „Kommt runter, damit wir euch endlich töten können.“ Er war aufgebracht, winkte ständig mit den Händen. Er nahm einen Stein und versuchte auf das Dach zu zielen. Aber es war zu hoch.

Immer wieder brachen einige Demonstranten zusammen, die von den Steinen oder von dem Glas getroffen wurden, die von oben runterflogen.
In Eile und Panik wurden sie davon getragen und zu dem Lazarett getragen, das sich in der Seitenstraße befand.
Auf den Wolldecken lagen meist Männer mit schweren Kopfverletzungen. Blutend. Weinend. Zitternd. Und schimpfend.

In den Abendstunden versammelten sich immer mehr Menschen auf dem Tahrir-Platz. Es roch nach Feuer. Das Parlament liegt nur einige hundert Meter entfernt. Eine Menschenmasse stand neugierig vor den Ausschreitungen. Sie applaudierten, wenn wieder neue Molotov-Cocktails auf die Sicherheitskräfte geworfen wurde. Das Hass gegen das Regime schien ungehalten zu sein.

„Ich bin am Samstagmittag schon wieder festgenommen worden“, sagte die selbe junge Frau, die am Freitag von den Sicherheitskräften verprügelt wurde. „Sie sind mir hinterher gelaufen. Irgendwann haben sie mich geschnappt. Sie haben mich auf den Boden geworfen“, erzählte sie weiter. Ihr rechter Arm war in einem weißen Verband eingewickelt. Sie humpelte. „Sie haben mir die Kleidung vom Körper gerissen. Ich war nackt. Und dann haben sie mich überall begrapscht und mich geschlagen.“
Es war am späten Samstagabend, als sie von dem Übergriff sprach. „Sie haben mich immer wieder gefragt, warum ich nicht weinen würde. Ich habe diese Hunde einfach nur beschimpft.“

Sie setzte sich auf eine der Verkehrsinseln und zündete sich eine Zigarette an. Auf dem Boden lagen Steine, Glassplitter. Einige Demonstranten hatten eine Barrikade in der Strasse gebaut, die zum Parlament führt. Vor ihnen standen große Betonklötze, die am Morgen herbeitransportiert wurden. Dahinter standen die Sicherheitskräfte.
Sogar Lichter hatten die Demonstranten herbeigebracht, um sie später an den Ampeln zu befestigen.
„Schaut“, rief ein ältere Mann. „Da kommen wieder Molotov-Cocktails.“ Er zeigte auf eine Gruppe von jungen Männern, die sich durch die Menge drängelten. „Die werden sie jetzt gleich über die Mauer auf die Polizei werfen“, sagte er johlend. Und klatschte in die Hände.

Seit den letzten Tagen häufen sich die Bilder von Schwerverletzten. Blutende Schädel, geschwollene Augen. Schussverletzungen. Tote.
Insgesamt hat es mehrere Hunderte Verletzte gegeben. Das ägyptische Gesundheitsministerium behauptet, es hätten bis jetzt 12 Menschen ihr Leben verloren.

In den Morgenstunden des vergangen Montags hatten ägyptische Sicherheitskräfte brutal den Tahrir-Platz geräumt. Es war gegen halb vier Uhr morgens, als sie kamen. Es wurde wieder geschossen. Trotzdem versammelten sich am Montag wieder tausende Menschen in Kairos Stadtmitte. Am Dienstag morgen stürmten die ägyptischen Sicherheitskräfte erneut auf den Tahrir-Platz. Rund zwei Stunden lang waren Schüsse zu hören.

„Sie haben den Bruder meines Freundes getötet“, erzählt ein junger Demonstrant weinend. „Er war so mutig. Sie haben ihm einfach in den Nacken geschossen.“

Die ägyptische Zeitung „Al Shorouk“ zitierte am Montag den General Abdel Moneim Kato. Er sagte, die Demonstranten sollten in „Hitlers Ofen geworfen werden.“

 

Tahrir in Berlin

Deutsche Ägypter unterstützen die Demokratiebewegung

(Wer einen bekannten Autor erkennt, bekommt 100 Punkte.)

 

Mona Eltahawy misshandelt von der ägyptischen Polizei

Mona Eltahawy, eine meiner Heldinnen auf diesem Blog seit vielen Jahren, ist in Kairo brutal von der Polizei misshandelt worden. Sie wurde bei den Demonstrationen am Tahrir-Platz von Polizisten aufgegriffen, auf eine Wache verbracht, dort geschlagen und sexuell belästigt.

Das Ergebnis sieht man auf diesen Twitter-Bild: eine gebrochene Hand und ein gebrochener Arm. 

Mona Eltahawy, gestern in Kairo (in einem T-Shirt von Sandmonkey)   Foto: TWITTER

Weil Mona Eltahawy während ihrer gesamten Zeit in Kairo stets getwittert hat, konnte ihren Freunden auffallen, dass irgendetwas nicht stimmte. Erst setzten die Tweets aus, dann kamen sie von anderen Accounts aus. Monas Schwester schlug Alarm, sie befürchtete, dass der Account gehackt worden war. Aber irgendwie war es Eltahawy gelungen, mit Hilfe von anderen weiter Botschaften aus der Haft zu schicken.

Am Donnerstag morgen kam dann die Erleichterung. Mona Eltahawy twitterte: „I am free.“

Der Guardian fasst die Ereignisse zusammen:
Eltahawy was arrested on Wednesday night near Mohamed Mahmoud Street, the narrow street near Tahrir that has been the scene of some of the worst clashes between protesters and security forces.
Around 11pm GMT she wrote: „Pitch black, only flashing ambulance lights and air thick with gas.“
She then described the violence occurring around the gates of the American University in Cairo. „Can’t believe it. A cacophony of sirens, horns, flashing ambulance lights.“
In a penultimate tweet, she appeared to write „Beaten arrested in interior ministry.“
A series of dramatic tweets on Thursday morning began with the words: „I am free.“ A few minutes later she reported: „12 hours with interior ministry bastards and military intelligence combined. Can barely type – must go xray arms after CSF pigs beat me.“
As she would discover later, they had broken her left hand and her right arm, leaving one hand so badly swollen she could not close it.
Eltahawy continued: „Five or six surrounded me, groped and prodded my breasts, grabbed my genital area and I lost count of how many hands tried to get into my trousers. Yes, sexual assault. I’m so used to saying harassment but [they] assaulted me.“

Es scheint eine Rolle gespielt zu haben, dass Eltahawy neben der ägyptischen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt. Als ihr amerikanischer Pass auffiel, ließen die Beamten ab von ihr.
Man kann sich entsprechend vorstellen, was mit einheimischen Frauen passiert, die den Sicherheitskräften in die Hände fallen. Sexuelle Belästigung als Mittel der politischen Repression ist spätestens seit den so genannten „Jungfrauentests“ bekannt, bei denen Demonstrantinnen im Frühjahr von Sicherheitskräften misshandelt worden waren. Mona Eltahawy gehört zu den international bekanntesten Kritikerinnen dieser besonders perfiden Form von Übergriffen.
Hier ein Clip von ihr aus dem Frühjahr als Gast bei Bill Maher:

 

CR-Gas gegen Demonstranten: Ärzte vom Tahrir-Platz erheben schwere Vorwürfe

Ein zweiter Augenzeugenbericht von Kristin Jankowski aus Kairo:

„Er spricht nicht“, sagt die junge Ärztin Hend Khattab. Vor ihr sitzt ein Mann, eingewickelt in eine Wolldecke. „Er hat einen Schock“, spricht die 26-Jährige weiter. Er verdreht die Augen, zittert. Hend Khattab zählt zu den Ärzten, die die verwundeten Demonstranten in dem Stadtzentrum in Kairo versorgen. Die Omar Makram Moschee, die sich hinter dem Tahrir-Platz befindet, wurde zu einem Lazarett umgebaut. An der Wand stehen acht Liegen. Am Ende des Raumes liegen Handschuhe, Spritzen, Flaschen. Medikamente. Sogar kleine Milchpakete und Schokolade. „Das sind alles Spenden“, erklärt die Ärztin Nermeen Refaat Ayad. Sie trägt eine Atemschutzmaske um den Hals. „Ich habe schon fünf Männer sterben gesehen. Jeden Tag kommen rund 500 Patienten zu uns.“

Plötzlich wird das Zittern des jungen Mannes, der vor den beiden Ärztinnen sitzt, immer stärker. Er schließt die Augen. Seine Beine schlagen gegeneinander. Ärzte kommen hastig angelaufen, greifen ihn und tragen ihn zu einer Liege. Sie drehen ihn zur Seite, hauen ihm auf den Rücken. Er bekommt eine Injektion. „Das kommt von dem Tränengas“, kommentiert Hend Khattab und schüttelt den Kopf. „Wir bezahlen gerade den Preis dafür, dass wir 30 Jahre lang leise waren. Und das Regime einfach akzeptiert haben.“

Nermeen Refaat Ayad zieht Hend Khattab am Ärmel: „Wir gehen jetzt.“
Gemeinsam mit zwei weiteren Ärzten verlassen die beiden Frauen das Lazarett. Sie tragen Atemschutzmasken, Schutzbrillen, Helme, weiße Handschuhe.

Hend Khattab und Kristin Jankowski gestern abend in Kairo  Foto: privat

 

Ahmed Khattab, der Cousin der Ärztin Hend Khattab, folgt ihnen. Er sammelt Spenden für das Lazarett. Nun begleitet er das Team zu den Ausschreitungen in den Seitenstraßen. Der Ingenieur ist müde. Er hatte die Nacht zuvor nicht geschlafen. „Und ich muss heute Nacht noch weitere Spenden abholen“, sagt Ahmed Khattab. Das Team geht durch die Massen auf dem Tahrir-Platz. Sie stoppen an einem weiteren Lazarett, das sich am Rande des Platzes befindet. Sie tauschen sich mit ihren Kollegen aus.

Nur einige Meter weiter reiben sich die Menschen die Augen. Sie husten, beugen sich nach vorne. Tränengasangriff. Einige der Demonstranten fallen einfach in sich zusammen. Hend Khattab und Nermeen Refaat Ayad atmen durch die Atemschutzmasken. Ihre Augen sind trotz Schutzbrille gerötet. Starkes Husten ist zu hören. „Das ist der Horror“, sagt Hend Khattab.

Das Team macht sich auf den Weg zu den Ausschreitungen am Falaky-Platz. Am Straßenrand befindet sich Müll, kleine Feuer sind gelegt. „Wir gehen direkt zu den Ausschreitungen“, fordert Nermeen Refaat Ayad das Team auf.
Sie gehen in die enge und dunkle Straße hinein. Nur einige Meter weiter stehen die ägyptischen Sicherheitskräfte. Auf der Straße werfen Demonstranten mit Steinen. Molotowcocktails.

Die Polizei verschießt Tränengas. Die jungen Ärzte stellen sich schützend an den Rand. Doch die Wirkungen sind zu intensiv. Sie müssen fliehen, drängen sich durch die Menge, halten sich die Atemschutzmasken dicht an den Mund. Sie rennen davon, da das Atmen kaum möglich ist. Herzrasen.

Nach rund 300 Metern können sie endlich stehen bleiben, nehmen sich die Masken vom Gesicht und atmen tief ein. „Das ist CR-Gas„, sagt Nermeen Refaat Ayad. „Das wird auch als chemische Waffe eingesetzt“, fügt ein junger Arzt aus Alexandria hinzu. „Das Gas ist ganz merkwürdig hier. Wir brauchen unbedingt internationale Beobachter, die das Zeug überprüfen“, fordert Hend Khattab.

Die Ärzte sind bereits wieder auf dem Weg zu den Ausschreitungen. Um die Straßenecke taumelt ihnen ein junger Mann entgegen, er hustet, spuckt auf den Boden. Er wird von Demonstranten gestützt, die Ärzte nehmen ihn entgegen. Er bricht zusammen. Nermeen Refaat dreht den Mann zur Seite, fühlt seinen Puls. Er würgt. „Huste, huste!“ fordert sie ihn auf. Er beginnt an zu zittern. Immer mehr. Dann verliert er das Bewusstsein.
„Motorrad, Motorrad“ ruft die 31-Jährige. Sie dreht sich um. Männer kommen angelaufen. Sie heben ihn auf den Sitz eines Motorrades, das den Bewusstlosen zu einem Lazarett fahren wird.

„Das ist ein Verbrechen!“ sagt Hend Khattab. Und sieht das Motorrad davon fahren.

 

Mut der Verzweiflung auf dem Tahrir-Platz

Diesen Augenzeugenbericht von den heutigen Ereignissen auf dem Tahrir-Platz schickt mir Kristin Jankowski, die in Kairo lebt und arbeitet:

Er beugt sich nach vorne, hustet kräftig. Er spuckt auf den Asphalt. Und hustet noch einmal. Er schaut nach vorne, reibt sich ein Taschentuch über die Augen.

Vor ihm schießen die ägyptischen Sicherheitskräfte mit Tränengas. Ein weiterer Demonstrant kommt hastig anglaufen, greift ihm an die Schulter und reibt ihm Essig ins Gesicht.

Es ist ein Junge, nicht älter als 12 Jahre, der mit den Wirkungen des Tränengases kämpft. Seine Hose ist dreckig, seine Augen stark gerötet. Er lacht kurz auf und rennt wieder davon. Mitten in die Menge hinein. Dort wo gekämpft wird. An die Front. Es ist lebensgefährlich.

Seit Samstag mittag riecht es nach Tränengas in den Straßen von Kairo Downtown. Auf dem Tahrir-Platz sammeln sich immer mehr Menschen. Muslime, Kopten, Atheisten, Liberale ,Linke, Frauen und Männer. Kinder. Mehr Arme als Reiche. Trotz der angeblichen Unterschiede haben sie meist nur eines im Sinn: Den Sturz des Feldmarschalls Hussein Tantway, der nach dem Sturz von Hosni Mubarak das Land am Nil regiert. Gemeinsam mit dem Militärrat.

„Wir haben es satt“, sagt ein junger Mann, der auf einer Wiese eine kurze Pause macht. Seine Augen sind gerötet. „Wir wollen endlich in Freiheit leben. Und wir bleiben so lange hier, bis wir frei sind.“Er sieht optimistisch aus. Trotz des Chaos, das sich nur einige Meter vor ihm abspielt. Ärzte haben ein Lazarett aufgebaut, Decken sind auf dem Boden ausgelegt. Sie tragen weiße Kittel, sie reagieren in Windeseile auf die zahlreichen Verletzten, die angetragen werden. Demonstranten haben sich schützend aufgestellt um den Weg für die Motorräder und Mofas frei zu machen, die die Verletzten von der Front zu den Ärzten bringen. Im Sekundentakt rasen sie hupend durch die Menge. Meist sitzen drei Personen auf dem Sitz. Der Verletzte befindet sich in der Mitte. Oft blutend im Gesicht oder am Kopf. Oder bewusstlos vom Tränengas.

Doch die Gefahr scheint viele Demonstranten nicht abzuhalten gegen die Sicherheitskräfte zu kaempfen. Mit Steinen und Molotov-Cocktails lassen sie ihrer Wut freien Lauf. „Mir ist es egal, ob ich sterbe“ behauptet eine junge Frau. „Die Regierung tritt uns seit Jahren in den Arsch. Nun ist es Zeit, dass wir alle zurücktreten“, sagt sie. Lächelnd.

Und das obwohl sie am Samstag morgen von Sicherheitskräften verprügelt wurde. „Ich hatte sie als Arschlöcher bezeichnet und dann haben sie mich mit ihren Stöcken verdroschen. Aber ich bin stark. Ich kämpfe weiter“.

Nicht nur die politischen Forderungen scheinen die Menschen auf dem Tahrir-Platz derzeit zu vereinen. Es ist ein unbeschreiblicher Mut, der die Demonstranten auf die Strassen treibt. Sie haben von den vergangen Protesten im Januar und Februar gelernt. Diesmal tragen viele von ihnen Taucherbrillen, oder sie haben sich Motorradhelme aufgesetzt um sich vor Tränengas und Gummigeschossen zu schuetzen. Auf dem Tahrir-Platz wird nicht nur Tee und heiße Kartoffeln verkauft, es gibt sogar Atemschutzmasken im Angebot. Die mit einem Schutzfilter gibt es für 10 Pfund. Und die mit zwei Filtern sind für zwanzig Pfund erhältlich.

Es scheint so, als ob sich die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und den Seitenstraßen auf einen langen Kampf eingestellt haben.

Kristin Jankowski Foto: privat