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Von Rosa Parks zu Najla Hariri

In manchen Gesellschaften kann es von Mut zeugen, aus dem Bus nicht auszusteigen. In anderen, in ein Auto einzusteigen und durch die Stadt zu fahren. Rosa Parks hat die Bürgerrechtsbewegung der USA inspiriert, weil sie sich als Schwarze in einem segregierten Bus im Süden der Vereinigten Staaten weigerte, ihren Platz einem weißen Fahrgast zu räumen. Parks wurde verhaftet, und die Empörung darüber wurde zu einem Funken der Bewegung.

Najla Hariri hat sich in Jeddah, Saudi-Arabien, ans Steuer eines Autos gesetzt und ist mit ihren Kindern durch die Stadt gefahren, mitten in der Rush Hour. Auf ihrem Twitter-Account hat sie darüber berichtet. Nun ist sie in einem Land, das Frauen immer noch das Fahren eines Autos verbietet, zur Heldin geworden. Wie bizarr das ist: Ausgerechnet das Land, das der ganzen Welt den Stoff liefert, der unbegrenzte Mobilität ermöglicht, knastet seine Frauen de facto ein, indem es ihnen das Selbstfahren eines Autos verbietet.

Hariri will gar keine Heldin sein, was die Sache erst recht zu einem Politikum macht. Najla Hariri hatte es einfach satt, ihr Leben von dem System der Geschlechter-Apartheid definieren zu lassen, das skandalöser Weise im Land der „zwei heiligen Moscheen“ immer noch herrscht:

You have made me a leader and an icon, when I am not any of that. I am just a mother who found herself in need to do something, so I did what I’ve done without looking for heroic acts or achievements.

So fangen Revolutionen an. Irgendjemand macht den Unfug nicht mehr mit, den sich die Herrschenden ausgedacht haben. Jemand hört auf, den Gessler-Hut zu grüßen. Es sind meist nicht die Intellektuellen oder die institutionalisierte Opposition, die so ausscheren. Viel stärker ist die Wirkung, wenn normale Menschen ohne ein oppositionelles Projekt einfach nicht mehr mitmachen.

Najla Hariri macht offenbar weiter. Die Website Arabia Today schreibt, sie habe schon vier mal ihre Kinder zur Schule gefahren und zitiert Hariri so:

Najla said: ”I’m not afraid of being stopped because I’m a role model for my daughter and for my friends. I will be remembered by my generation and I’m prepared to give driving lessons to those who want to drive.” Hariri who is married and in her thirties added: ”Saudi women should be allowed to drive, there is no law which prevents women from driving. ”

Hariri continued: ” Some say that Saudi women are like Queens because men offer her their services. This is a big lie, we are always under the mercy of men. “

Najla Hariri hat ihre Kinder zur Schule gefahren. Vielleicht wird man darin eines Tages den Anfang vom Ende des Wahhabismus sehen.

Rosa Parks (Wikimedia Commons) und Najla Hariri (von ihrem Twitter-Account)

 

Ägypten verurteilt Blogger: auf dem Weg zur Militärdiktatur?

Fällt Ägypten zurück in die Tyrannei der Mubarak-Ära – ausgerechnet im Moment, in dem Mubarak vor Gericht gestellt wird?
Am Sonntag ist ein bemerkenswerter junger Mann in Abwesenheit zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Maikel Nabil Sanad ist ein 26jähriger Blogger und Aktivist, der zu den Revolutionären vom Tahrir-Platz gehörte. Wenn die ägyptische Revolution eine Facebook-Revolution war, dann ist Maikel Nabil Sanad der erste Facebook-Gefangene der neuen Zeit.

Maikel Nabil Sanad

Das Militärgericht hat ihn nämlich wegen eines Blog-Artikels und seiner Facebook-Kommentare verurteilt, in denen er Menschenrechtsverletzungen des Militärs angeprangert hat. Das zeigt, wie eng die Grenzen des Sagbaren in Ägypten jetzt gezogen werden, wenn es um die wahren Machthaber im Lande geht: die Militärs.

Maikel Nabil Sanad ist ein erstaunlicher Mann: von Ausbildung her Tierarzt, hat der Kopte vor 2 Jahren eine Gruppe begründet, die das Recht auf Kriegsdientsverweigerung einklagt. Er selbst hat aus Gewissensgründen den (obligatorischen) Dienst an der Waffe verweigert. Außerdem hat er sich immer für Israel ausgesprochen, eine wahrhaft mutige Tat in Ägypten. Zwar hat er die gegenwärtige israelische Regierung auf Facebook auch für ihr Verschleppen des Friedensprozesses kritisiert, aber dennoch hat er immer Israel als eine Demokratie verteidigt. (Wow, dDer Junge ist wirklich ein Gefahrensucher.) Während der Proteste auf dem Tahrir ließ er sich vom isarelischen Fernsehen interviewen und bat die israelische Öffentlichkeit um Solidarität mit der Demokratiebewegung. Mubaraks außenpolitische Instrumentalisierung des Friedens mit Israel, kombiniert mit antizionistischer Propaganda daheim, hat er stets kritisiert.

Passt so ein Querkopf nicht ins neue Ägypten?

Die westlichen Regierungen, die beim  Aufbau der Demokratie in Ägypten helfen wollen, müssen seine Verhaftung aufs schärfste verurteilen und auf seine sofortige Freilassung dringen.

Maikel war bereits während der Demonstrationen im Februar verhaftet worden. Er hat über die Tage in Haft einen Bericht verfasst. Dieser Bericht sollte Warnung und Ansporn an die Demonstranten sein, nicht nachzulassen, weil sonst allen das gleiche Schicksal drohen würde. Nun ist Maikel vielleicht sein Mut zum Verhängnis geworden.

In dem Bericht heißt es:

I’m writing this time not to take revenge, but to let people know what would happen to them if this revolution failed. Our revolution will protect us from these actions to be repeated against me and all of you.

War das eine flüchtige Hoffnung?

p.s. Maikel hat aus der Haft eine Note an Mideast Youth schmuggeln können. Ich ziehe meinen Hut vor diesem Geist:

In oppressive countries, the noble persons dwell behind the bars. Don’t grieve my friends, I’m in the normal place!

I’ve made a mistake when I was in Hisham Mubarak Law Center once, and declared my intention to write a sequel to my article “The army and the people were never one hand.” However, when I get detained in order not to write a specific article, it becomes the most valued testimony I could ever receive in my lifetime!

This is the seventh time to get detained; Two times in Syria, two times at the hands of the Egyptian police, and three times at the hands of the Egyptian military. How many times are required before I can live free?!

In Mubarak’s era, detentions were issued by administrative decisions. But nowadays, blessed with the Military Council, detentions pass through military court rulings!

Yesterday, Saturday 9th April 2011, I’ve commemorated the second anniversary of No for Compulsory Military Service Movement by drinking juice and eating some pieces of chocolates. O’ Egypt! Why do you always steal our joy deliberately?!

I’m reminiscing Mubarak and State Security days now! At least, I have never been sent to prison, and neither beaten by a state security officer, nor sexually harassed!

Weirdly enough, on the walls of the opposite cell, some prisoner has inscribed “This is from the favour of my Lord.*” Is this your favour, Lord? Do You really bless those who kill and torture our brothers?!

 

Deutschlands libysche Connection

Tja, auch wer zu früh kommt, wird manchmal vom Leben bestraft. Dies ist die neue Ausgabe der Mitteilungen des „Nah- und Mittelost-Vereins„, einer Lobbyorganisation der in der Region aktiven deutschen Wirtschaft. Schwerpunkt im Januar-Heft: „Exzellente deutsch-libysche Wirtschaftsbeziehungen“.

Die Broschüre war leider schon gedruckt, als der Mann, den jetzt alle einen Diktator nennen, sein eigenes Volk zu bombardieren begann.

Und immer vorneweg: der lupenreine Freund aller Autokraten, H.E. Gerhard Schröder:

 

Auf einmal ist es cool, Araber zu sein

„Hallo, ich bin Araber, und ich habe zwei Diktatoren in zwei Monaten gestürzt.“
Mona Eltahawy feiert, und sie hat es sich verdient. Ein neuer Tweet von ihr gefällt mir besonders:

@monaeltahawy Mona Eltahawy
I’m at bookshop. Middle East sections are, finally, utterly and obviously, irrelevant and obsolete. #Jan25

 

Let my people go

 

Kareem Amer: Meine Erlebnisse im Folterknast des ägyptischen Militärs

Kareem Amer, den ich hier vor einer Woche gefeiert habe, war unterdessen wieder fast eine Woche in Haft. Auf  „Daily Beast“ beschreibt er, was er und sein Freund mitgemacht haben – in den Händen des Militärs, das nun immer mehr zum entscheidenden Faktor in der Krise des Landes wird:

On February 7, a group of thugs attempted to confiscate his friend’s videotapes after they left Tahrir Square. The thugs handed the blogger and filmmaker over to military police for having violated the curfew. Amer spent one day in a local prison and was later shipped to an army jail in what he described as „the middle of the desert.“

I asked Kareem if the prison was similar to Borj Al Arab, the jail where he spent the last four years for having criticized the Egyptian dictator and „insulted“ Islam. „No way,“ he said. „This prison was like a trash-can. The cell was tiny and the bathroom was disgusting. They did not allow us to shower even once since we were arrested. People were treated harshly and severely tortured on a daily basis. They were tortured in front of our eyes–water-boarded, beaten with sticks, and electrocuted.

(…)

How could the Egyptian army commit such violations given that they claim to be neutral or even on the side of the people? „What neutrality?“ Amer responded angrily. „They are on the side of the regime. They are humiliating the people. You would not have believed what we saw in this short period in prison.“

On Friday, all the prisoners Kareem was with were suddenly and unexpectedly freed. „Thousands of prisoners were released, even those who had killed soldiers,“ Amer said. „They abandoned us in the middle of the night on a desert highway that connected Suez City with Cairo. We were stopped by a military tank that almost opened fire on us. But when they found out we had been in a military prison, they let us go. A truck was stopped and it took us to Cairo.“

Kareem and Samir’s experience is a microcosm of the brutality of the Egyptian regime. Thousands are being held in prison and torture is commonplace. Tens of journalists have been arrested by army intelligence and they are apparently targeting those who work with foreign and American media outlets.

While the army has gone to great lengths to protect the headquarters of state security, they failed to protect the people of Egypt as they were beaten and killed in the streets by thugs on horseback and camelback. (…)

 

Wael Ghonims Tränen

Wael Ghonim ist eine der wichtigsten Figuren der Demokratiebewegung. Er ist ein Manager für Google im Nahen Osten und er gehört zu denjenigen, die die Jugend vernetzt und organisiert haben, die seit zwei Wochen den Tahrir-Platz besetzt.
Für 10 Tage war Ghonim verschwunden. Er war von den Sicherheitskräften des Regimes verhaftet worden. Gestern abend ging über Twitter die Nachricht herum, dass er freigelassen wurde. (Mehr hier.)
In Dream TV, einem Privatsender, gab er gestern ein Interview. Die Moderatorin konfrontiert ihn mit Bildern der ermordeten Demonstranten. Wael Ghonim bricht zusammen und entschuldigt sich bei den Eltern der jungen Leute: Es war nicht unsere Schuld, es ist die Schuld derjenigen, die ihre Ämter nicht verlassen wollen.
Ein bewegender Moment der ägyptischen Freiheitsbewegung. (Hier mit englischen Untertitel.)

 

Antisemitismus im Dienst des Mubarak-Regimes

Die oppositionelle Zeitung Al-Masry Al-Youm legt in diesem instruktiven Bericht die Legende bloß, das ägyptische Regime sei Israels bester Freund in der Region. In Wahrheit ist unter Mubarak die „Israeliphobie“ zum geduldeten Element der nationalen Identität geworden. Und dieser Tage benutzen Elemente des zerfallenden Regimes das Propagandainstrument des Antisemitismus, um die Demonstranten als Agenten einer fremden Macht zu diskreditieren. Das müsste doch in Israel die Frage aufwerfen, ob es nicht ein Fehler war, Mubarak und seine Garde für Garanten der Sicherheit des jüdischen Staates zu halten:

Sherif Younis, a historian, attributes the dissemination of the rumors to a group of National Security Services members, secret police, NDP members, businessmen and media agencies–both government-owned and self-claimed independents–whose interests are tied to the existing political regime.

Some of these groups might have been previously critical of the regime. “Times of uprisings are nevertheless critical ones and people need to clearly decide which camp they support,” said Younis.

“With anti-Mubarak protestors’ success in demolishing the security apparatus last Friday, many institutions sided with the regime,” Younis said.

Various tactics were developed to turn the public against the uprising. Some newspapers praised the demonstrators for achieving so much progress toward democracy. This was however, immediately followed by a quick condemnation of violence and chaos with the anti-Mubarak protestors taking the blame.  This approach was even used by President Mubarak, according to Younis.

The media has been spreading a culture of fear among the Egyptian public, highlighting events of vandalism, looting and violence due to the absence of security forces. “Protect Egypt” has become a recurring slogan across various TV stations.

Last week, the Muslim Brotherhood was accused of organizing the protests. When this narrative failed to gain popular support, the recurring scenario of Israel emerged, said Younis.

For decades, Israel has been blamed as the root cause of all evil in Egypt. Despite the 1979 peace accords, the public continues to perceive it as a “symbol of evil or even Satan,” explained Younis. Egyptian media has been nurturing this narrative for years, with Egyptian cinema and TV showing Israelis as villains in various scenarios regardless of the genre of the movie.

Conspiracy theories are commonly accepted in Egypt, Younis said. Accusations of conspiring with Israel are common among opposition parties as well as the regime, he adds. The allegation was even used during sectarian strife earlier this year.

In his first official comments on the uprising in Egypt, Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu stated last Sunday that Israel is „anxiously monitoring“ the anti-government protests. The Israeli government has also been actively advocating Western governments to support political stability in Egypt to preserve Israel’s security.

“The uprising is a threat and the regime needs to justify its actions during the last ten days,” said Younis. Therefore the regime sent its supporters to Tahrir Square to clash with the anti-Mubarak demonstrators. The government has announced casualties on both sides and has been emphasizing calls for Jihad at Tahrir, he adds.

Some people are unfortunately buying into this due to a certain level of naivety or due to discomfort caused by protestors and the paralysis of the country, according to Younis. He believes the poor have come to accept the status quo and fear change and are mainly concerned with feeding their families as they have no stable income.

“Israeli-phobia” has become a characteristic of Egyptian national identity, which the state has been building over the past decades, said Younis.

Peaceful relations with Israel remain unacceptable to the majority of the Egyptian public, something acknowledged by the Israeli government in WikiLeaks documents released last year to the Jerusalem Post. Despite Israel’s unpopularity in Egypt, however, the Mubarak’s regime has remained one of its main supporters.