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Bushs Kehrtwende in Annapolis

Annapolis – Bescheidenheit war bisher keine Tugend der Bush-Regierung. Doch vor der Nahost-Friedenskonferenz in Annapolis waren der Präsident und die Aussenministerin manchmal bemüht, den Anspruch so weit herunterzudefinieren, dass es schon fast ans Absurde grenzte. Von einem „Gipfel“ durfte längst nicht mehr die Rede sein. Annapolis, hieß es, sei nur ein „Meeting“.
Das kontrastierte merkwürdig mit der Tatsache, dass Monate damit verbracht worden waren, jene Delegationen aus 49 Ländern nach Washington einzuladen, die am Montag und Dienstag das politische Leben und den Verkehr in der amerikanischen Hauptstadt lahmlegten.
Hinter der strategischen Bescheidenheit steckte die allzu berechtigte Angst vor einem Scheitern auf offener Bühne. Bis zuletzt war unter Druck von Condoleezza Rice an einer gemeinsamen Erklärung der Israelis und der Palästinenser gearbeitet worden. Zugleich bemühten sich die Spin Doctors des Weissen Hauses, die Erwartungen an eine solche Erklärung so weit wie möglich herunterzuschrauben.
Sie ist dann doch gelungen, zu allgemeinem Erstaunen, denn sie enthält eine Festlegung beider Seiten, auf die schon nicht mehr zu hoffen war. Am Dienstagmittag trat Präsident Bush sichtlich erleichtert und stolz mit Abbas und Olmert vor die Kameras und verkündete die Bereitschaft beider Seiten zu sofortigen Verhandlungen über „alle offenen Fragen“ – also Terrorismus, israelische Siedlungen, Grenzen eines palästinensischen Staates, Status Jerusalems und Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge – und zwar in der Absicht, bis zum Ende 2008 eine Übereinkunft zu erreichen. Die Steuerungskomittees aus beiden Parteien soll schon am 12. Dezember 2007 zum ersten Mal tagen. Olmert und Abbas umarmten sich zwar nicht, aber es gab doch einen herzlichen Händedruck.
Das taktische Erwartungsmanagement der Amerikaner ist aufgegangen. Dass es zu einer gemeinsamen Erklärung gekommen ist, die ein Datum nennt, an dem der Prozeß sich wird messen lassen müssen, ist „zwar noch kein Durchbruch“, wie Aussenminister Steinmeier in Washington sagte, „aber eine gute Grudlage für die schwere vor uns liegende Arbeit“. Es gibt nun zwar keinen klaren Zeitplan, aber doch ein Limit für Verhandlungen, das durch das Ende der Amszeit Bushs gegeben ist. Die Israelis waren vor Annapolis strikt gegen eine solche Festlegung.
In Annapolis ist kein einziges Problem des Friedensprozesses auch nur in Umrissen gelöst worden, wie alle Beteiligten zugestehen. Vielleicht war es aber auch weise, das gar nicht erst zu versuchen. Denn weder Abbas noch Olmert wären stark genug, ihren Völkern jetzt schon die schmerzhaften Zugeständnisse abzuverlangen – Aufgabe des Rückkehrrechts hier, Aufgabe eines Teils Jerusalems und vieler Siedlungen dort – , ohne die ihr Einverständnis am Ende null und nichtig wäre. Eine substantiellere gemeinsame Erklärung als die in Annapolis gefundene Formel – so paradox ist die Lage – könnte beide gefährden, weil sie dann von ihren jeweiligen Extremisten zuhause als Verräter und Ausverkäufer abgestempelt würden.
Die Riesen-Inszenierung von Annapolis drehte sich nicht um die strittigen Endstatusfragen, sondern eigentlich nur um ein Commitment für kommende Verhandlungen. So bot sich das seltsame Schauspiel einer Konferenz mit Rekordbeteiligung – von der arabischen Welt bis nach Senegal, Griechenland und Brasilien – von der alle Beteiligten eifrig versicherten, sie selbst sei gar nicht so wichtig wie der durch sie angestoßene Prozeß.
Annapolis aber war, wie es jetzt scheint, keineswegs nur eine Art Meta-Ereignis, eine Konferenz über die Unmöglichkeit einer Konferenz. So hatten es abgebrühte Beobachter wie jener israelische Delegierte erwartet, der Annapolis sarkastisch zur „Mutter aller Gruppenfotos“ erklärte. Zweifellos sei es auch darum gegangen, die finstere Nahost-Bilanz von Bush und Rice aufzuhellen, war in der deutschen Delegation zu hören. Aber die verbreitete zynische Lesart der Konferenz laufe Gefahr, betonten deutsche Diplomaten, dass ein veritabler Politikwechsel durchs Wahrnehmungsraster falle.
Noch vor wenigen Monaten, sagte der deutsche Aussenminister Steinmeier in Washington, wäre es undenkbar gewesen, dass Olmert und Abbas auch nur diesen ersten Schritt gehen würden. Nun haben sie Verhandlungen eröffnet, flankiert und unterstützt von „Staaten, die nicht einmal diplomatische Beziehungen miteinander unterhalten“ (Steinmeier). Steinmeier machte sich in Washington für den „Post-Annapolis-Prozess“ stark. Am Dienstagnachmittag gelobte er in seiner Rede für die deutsche Seite Unterstützung bei der Gestaltung des „Follow-Up“.
Annapolis, so sieht es Steinmeier, hat sich schon im Vorfeld der Konferenz positiv ausgewirkt. Das zeige die Freilassung palästinensischer Gefangener durch Israel und „eine spürbare aber noch nicht ausreichende Verbesserung in den palässtinensischen Gebieten“. „Noch nie habe ich so viel Willen zum Erfolg gesehen wie hier“, sagte Steinmeier in Washington. Deutschland will helfen, die palästinensischen Sicherheitskräfte besser auszustatten und auszubilden. Die Deutschen prüfen bereits Wirtschaftshilfe-Maßnahmen für die palästinensischen Gebiete, wie etwa die Entwicklung eines Industrieparks im nordpalästinensischen Dschenin.
Neben der überraschenden Einigung in letzter Minute regt vor allem die Teilnahme der Syrer die politische Phantasie an, noch so eine Undenkbarkeit, die in letzter Minute kurzerhand umgestoßen wurde.
Steinmeier verfolgt seit Jahren das Ziel, Damaskus einzubinden und hat sich dafür harsche Kritik eingefangen. Wenn er die Einladung der Syrer nach Annapolis als Sieg der pragmatischen Vernunft über die Freund-Feind-Logik der früheren Bush-Politik lobt, dann ist darin auch ein wenig Eigenlob enthalten. Steinmeier kann sich durch die Wende der Amerikaner zu Recht bestätigt fühlen, hat er doch schon für die Einbeziehung Syriens plädiert, als dies noch tabu war. Aus Washington – und auch aus dem Kanzleramt – hatte es seinerzeit massive Kritik an seiner Reisediplomatie nach Damaskus gegeben. Er sei aber „niemals naiv“ an die Syrer herangegangen, sagt er heute mit sichtlicher Genugtuung. Die deutschen Damaskusbesuche waren keine Umarmungsstrategie, sondern Tests der syrischen Bereitschaft, Teil einer Lösung des Nahostkonflikts statt nur Teil des Problems zu sein, heißt es in der deutschen Delegation. Die Entsendung des syrischen Vizeaußenministers nach Annapolis wird als Zeichen gedeutet, dass Damaskus immerhin darüber nachdenke, „ob sein Glück auf Dauer an der Seite Teherans liegen kann“, sagt ein deutscher Diplomat. Der Aussenminister liest die syrische Gesprächbereitschaft auch als Signal an die Hamas, dass die Putschisten von Gaza sich ihrer syrischen Freunde nicht allzu sicher sein sollen.
Für Steinmeier hat es auch einen innenpolitischen Nebeneffekt, dass die Amerikaner nun die syrische Karte spielen wollen – er sieht in dem Umdenken von Rice und Bush einen Beleg für die Richtigkeit seiner Haltung, dass die Aussenpolitik „mehr dürfen und mehr versuchen“ muss, Gespräche mit „schwierigen Partnern“ inklusive. Ein Schelm, wer darin ein Echo der Debatte zwischen Steinmeier und Merkel um den Umgang mit Chinesen und Russen erkennt.
Es sei bei den arabischen Teilnehmern sehr positiv aufgenommen worden, sagte Steinmeier an der Kaimauer der Naval Academy, daß Olmert nicht nur zum eigenen Volk geredet habe, sondern „sehr verständnisvolle Worte für das Leiden der Palästinenser gefunden“ habe. Es könnte „ein Signal der Hoffnung für die Region ausgehen“, sagt der Aussenminister. Für den geborenenen Pathos-Feind Steinmeier ist das schon hart an der Grenze: Von einem wirklichen Durchbruch, schiebt er denn auch gleich nach, könne man aber erst dann reden, „wenn wir bei den Grundproblemen echte Fortschritten auf beiden Seiten sehen“.
In Wahrheit aber ist Annapolis ein höchst riskanter Versuch, dieses Kalkül hinter sich zu lassen. Die nach Syrien ausgestreckte Hand ist ein Indiz dafür. Ein anderes liegt darin, dass an die Stelle jener unerfüllbaren Vorbedingungen – „totales Ende des Terrors“, „völliger Baustop in den Siedlungen“, die beiden Seiten immer wieder als bequeme Ausrede fürs Nichtstun dienen konnten, jetzt sofortige, voraussetzungslose Verhandlungen über die Kernfragen treten sollen. George W. Bush hat in letzer Minute etwas Erstaunliches getan: Er hat sein politisches Schicksal mit einem neuen Friedensprozess verbunden, der mit der Logik seiner bisherigen Nahostpolitik bricht.

 

Jetlag

Liebe Mitblogger!
Die Ruhe auf diesem Blog ist dem Umstand geschuldet, dass ich bei dem Nahost-Treffen in Annapolis war, um einen Artikel für die heutige Print-Ausgabe zu schreiben. Es war keine Zeit, zwischendruch etwas zu bloggen. Die meiste Zeit verbrachte man in Flugzeugen, Bus-Shuttles, an Sicherheitsschleusen und todmüde in Hotelzimmern.
So langsam ist der Kopf wieder frei vom Jetlag, und dann geht’s hier weiter. Toll, dass die Besucherzahlen praktisch nicht runtergehen, wenn ich ein paar Tage weg bin. (Oder heißt das etwa, ich werde hier eigentlich nicht gebraucht? Schluck.)

 

300 Worte sind nicht genug

Mitbloggerin Stefanie meint:
Hallo in die Runde,

sich um die Sprache des Landes zu bemühen, in welchem man lebt, ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ohne die Sprache zu beherrschen kann man sich einfach nicht einleben. Ohne mit den Menschen sprechen zu können, wird man keine Kontakte knüpfen können und immer eine Fremde/ein Fremder bleiben. Jeder von uns weiß aus Urlauben wie das, wenn man die Sprache nicht beherrscht. Man ist hilflos bei Kleinigkeiten.

Es ist traurig, dass es überhaupt nötig ist, gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, welche den Willen Deutsch zu lernen quasi ersetzen müssen. Es ist trauig, dass man Menschen welche hier leben wollen zwingen muss, sich für die Sprache zu interessieren. Dass Menschen hier herkommen wollen und von vornherein vor haben, sich nicht zu integrieren, denn ohne die Sprach kann man sich nicht unter Menschen mischen, sondern wird immer ein Frmdkörper bleiben.

Tragisch ist es, wenn es sich um Frauen handelt, die keine Chance bekommen, die Sprache zu erlernen. Das ist kein Einzelfall. Frauen werden hier her geholt aus fremden Ländern und isloliert gehalten. Die Ehemänner verbieten ihnen, Deutsch zu lernen. Diese Frauen leben hier, wissen nicht um ihre Rechte und drüfen rein gar nichts. Alles hängt von der Erlaubnis des Mannes ab und diese Frauen müssen sich alles gefallen lassen. Behördengänge etc., alles macht der Mann und wenn gesagt wird, das geht nicht, wie müssen auch ihre Frau sprechen, dann sitzt der Mann wie ein Wachhund daneben und wenn verlangt wird, man möchte die Frau allein sprechen, ist es die Regel, dass man sie nie zu Gesicht bekommen wird.

Sprechen Sie mal mit Gruppen, welche sich um diese Frauen kümmern. In dem Moment, indem die Frau gegenüber dem Mann versucht, nicht mehr alles hinzunehmen, darf die Frau diese Gruppen nicht mehr aufsuchen.

Ist die Frau so mutig und hat sie herausgefunden, es gibt Frauenhäuser und ist sie dort vielleicht hingeflohen, sind die Probleme für sie nicht gelöst. Geht die Ehe kaputt, stellt das für ihre zu Hause ein Problem dar. Der Frau kann es passieren, dass die Familie sie verstößt und sie keine Chance mehr hat, in die Heimat zurück zu gehen. Diese Frauen hängen hier dann einsam und isoliert in Deutschland und gehen dann doch lieber wieder zum Mann zurück, vor allem wenn Kinder da sind.

Das sind keine Einzelfälle. Diese werden aber nie in die Gesellschaft integriert werden können, abgesehen von dem Leid, welches sie zu ertragen haben.

Ich gehe daher weiter, 300 Worte können zu müssen, reichen nicht. In den Test sollten die Frauen zu ihren Rechten befragt werden. Frauen die hier hin kommen müssen wissen, der Mann darf sie nicht einsperren. Sie hat ein Recht sich weiter zu bilden und Deutschkurse zu besuchen.

Von einer Berufsausbildung rede ich gar nicht erst. Was denken sie, wie viele Frauen hier leben, den die Männer verbieten sich so zu bilden, dass sie ein Beruf ausüben könnten. Diese Frauen wissen nicht einmal, dass sie dazu ein Recht haben.

Das Problem wird durch Beschränkungen bei der Einreise nur insofern behandelt, als dass es vielleich dazu führt, dass nicht noch mehr Frauen hier unter solch tragischen Umständen leben müssen. In den Heimatländern haben sie wenigstens noch Familienanbindung. Die Frauen, welche hier ein solches Leben führen müssen, denen muss auch geholfen werden. Ich bin daher dafür, dass diese Frau auch unter gesetzlichem Druck Einrichtungen besuchen müssen, welche ihnen die Sprache UND Ihre Rechte vermitteln. Das gesetzlich dafür gesorgt wird, dass die Männer dies nicht verhindern können.

Und noch einmal, dass sind keine Fälle, die man an zwei Händen abzählen kann. In unserem Lande werden Frauen gefangen gehalten, ihrer Rechte beraubt und allein gelassen damit. Unter uns leben Frauen, für die Menschenrechte nicht gelten. Der Staat beschneidet sie nicht, dass sind ihre Männer und wir gucken alle dabei zu. Das geschieht nicht nur weit weg, das geschieht auch in unserem Lande.

Ich finde es verantwortlungslos diesen Frauen gegenüber zu sagen, es sei Rassismus zu versuchen, ihre Lage zu verbessern. Es ist Rassismus zu sagen, wir nehmen deren Schicksale billigend in Kauf. Denn so sagt man, Menschen aus bestimmten Traditionen müssen diese halt aushalten und haben kein Recht, dass man versucht, dass auch ein selbstbestimmtes Leben führen können. Das ist Rassismus, wenn man benachteiligte Menschen weiter ohne die allgemein gültigen Rechte leben lassen will.

Gruß

 

Erdogan: Deutschland diskriminiert türkische Bräute durch Sprachkurse

Der türkisch-deutsche Pressedienst Europress berichtet, dass nahezu alle in Deutschland erscheinenden türkischen Zeitungen heute einen Aufmacher über das Treffen Ministerpräsident Erdogans mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung haben. Maria Böhmer ist derzeit auf einer Reise durch die Türkei.
Dabei sei Böhmer von Ministerpräsident Erdogan wegen des Zuwanderungsrechts stark angegriffen worden, der von einer „diskriminierenden und spaltenden“ Rechtspraxis gesprochen habe.

„Das Zuwanderungsrecht tut weh“, betitelt die eher liberale MILLIYET ihre heutige Ausgab. Eine „Ermahnung an Merkel aufgrund der Bräute“, will die SABAH aus dem Gespräch herausgehört haben, während die national-islamische TÜRKIYE fordert: „Lasst die Bräute nicht weinen.“
Lasst die Bräute nicht weinen! Das ist mein Lieblingsspruch!
Die Bräute weinen also, weil sie Deutsch lernen müssen.
Sie weinen, weil man sie in Zukunft nicht mehr so umstandslos als sprachlose Dummerchen importieren kann.
Sie weinen, weil die deutsche Bundesregierung ihnen ein Minimum an Selbständigkeit mit auf den Weg geben will, indem es sie zum Sprachenlernen schickt.
Die Bräute weinen, weil der deutsche Staat sie diskriminiert, indem er ihnen grundlegende Sprachkenntnisse abfordert, damit sie in der Begleitung ihrer Kinder und in der Verfolgung ihres eigenen Weges souveräner werden.

Diese türkische Kampagne gegen das neue Zuwanderungsrecht ist ein Hohn!

Hintergrund ist die Tatsache, dass mit dem neuen Zuwanderungsrecht nachziehende Ehepartner aus der Türkei bereits vor einer Abreise nach Deutschland einen Deutschkurs erfolgreich bestehen müssen. Zudem wird Erdogan in der SABAH mit den Worten zitiert: „Sollen wir jetzt auch bei deutschen Ehegatten die gleiche Praxis einführen?“

Erdogan ist ja noch einigermassen gemässigt in seinem Furor. Claudia Roth zieht locker an ihm vorbei:

„DAS NEUE ZUWANDERUNGSRECHT IST RASSISTSISCH GEGENÜBER TÜRKEN!“

Mit diesen Worten macht die HÜRRIYET ihre heutige Ausgabe auf und zitiert dabei die Parteivorsitzende der Grünen. Das „familienspaltende“ neue Recht vertrage „sich nicht mit den Antidiskriminierungsgesetzen“, verlange „von Bürgern der Türkei den Nachweis von Deutschkenntnissen, bevor sie nach Deutschland einreisen, während Bürger anderer Staaten dies nicht leisten müssen“. Dies sei „regelrechter Rassismus“, so Roth, die sich wünsche, dass das neue Zuwanderungsrecht, vor dem Bundesverfassungsrecht verhandelt werde. Sie könne „die Wut und die Enttäuschung der Türken“ gut verstehen.
Frau Roth sieht sich als Feminstin. Dieser haarsträubende Versuch, mit einem Rassismus-Verdacht ein Gesetz anzugreifen, das in Wahrheit eben nicht nur Türken betrifft (die stellen bloss die größte Gruppe beim Ehegattennachzug). Die Erfordernis des Sprachnachweises betrifft alle als Ehegatten nachziehenden Ausländer, die der Visumpflicht unterliegen. Ausgenommen sind EU-Ausländer und Ausländer, die kein Visum brauchen. Hier die Anwendungshinweise des Innenministeriums zu geänderten Nachzugsrecht.
WIE KOMMT EINE BUNDESTAGSABGEORDNETE UND PARTEIVORSITZENDE DARAUF, DIESE REGELUNG ALS RASSISTISCH ZU BEZEICHEN?
Soeben flattert eine Pressemitteilung von Frau Böhmer auf den Tisch:
Böhmer betont, die Regelung zum Spracherwerb gelte für die große Mehrzahl aller Länder. Die Staatsministerin warb bei der türkischen Regierung dafür, nachzugswillige Ehepartner beim Spracherwerb in der Türkei zu unterstützen.
Vorwürfe, das Gesetz diskriminiere die Betroffenen oder verletze sie gar in ihren Menschenrechten, wies Böhmer auch in Gesprächen mit Vertretern des türkischen Parlamentsausschusses für Menschenrechte klar zurück „Der Begriff der Diskriminierung ist hier völlig fehl am Platz. Bildung ist ein Bürgerrecht, keine Menschenrechtsverletzung“, betonte Böhmer. Zugleich ermutigte sie die Parlamentarier, sich auch in der Türkei weiterhin für eine Verbesserung der Menschenrechtslage einzusetzen.
Sehr gut, die Frau.

 

Der Dschihad für die schwule Liebe

Der indisch-amerikanische Filmemacher Parvez Sharma hat eine erstaunliche Dokumentation geschaffen – über Menschen, die das Pech haben, zugleich homosexuell und gläubige Muslime zu sein.

Sharma – selbst ein frommer schwuler Muslim – ist durch viele Länder gereist und hat homosexuelle Muslime interviewt. Viele von ihnen kämpfen mit der Verdammung ihrer Art zu lieben durch die religiösen Autoritäten.

Manche lesen die islamischen Quellen neu und suchen nach einer Interpretation, die mit ihrem Leben vereinbar ist. Manche haben sich für ein Exil im Westen entschieden. Aber auch dort bleibt der Stachel, dass ihre Weise nzu lieben von der offiziellen Religion ihrer Väter und Mütter verdammt wird. Oftmals führt das zu dem Wunsch, die eigene sexuelle Identität ablegen zu können, sich durch Kasteiungen und Enthaltsamkeit „gesundbeten“ und normalisieren zu können.

Das ist beileibe kein rein islamisches Thema. (Man denke etwa an Tony Kushners großartiges Stück (und Filmepos) „Angels in America“, in dem solche Konflikte unter schwulen Juden und konservativen Christen im New York der Achtziger dramatisiert werden.) Aber endlich ist es zum Thema geworden.

Die sexuelle Revolution im Islam hat begonnen.

Sie wird nicht morgen oder übermorgen siegen. Auch bei uns hat sie fast siebzig Jahre gebraucht – von der Veröffentlichung der „Traumdeutung“ (1899) bis zur Aufhebung des Chatterley-Banns (1960).

Hier ein Ausschnitt. Hier ein Bericht in der Herald Tribune.

 

Das System Achmadinedschad

Abbas Milani von der Hoover Institution in Stanford hat das definitive Achmadinedschad-Stück geschrieben. Ein langer Essay über das System Achmadinedschad, des „frommen Populisten“. Wer den Konflikt mit Iran verstehen will, muss es lesen.

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Abbas Milani 

 

Türkische Experten: Israelische Grabungen am Tempelberg sind gegen den Islam gerichtet

Mitblogger Rafael macht auf folgende Entwicklung aufmerksam:

„Vor einigen Monaten hat Jörg Lau dieses hier über die Grabungen am Tempelberg geblogt.

Er fand die Beteiligung türkischer Experten an den Grabungen auf dem Tempelberg eine gute Idee, weil:Zitat Jörg Lau: Und wenn Israel durch türkische Fachleute entlastet wird, steht es doch sehr gut da – überhaupt nicht “geleimt”.

Darauf Mitblogger lebowski: Glauben Sie wirklich, die türkischen Fachleute werden Israel entlasten? Die werden nur das sagen, was ihnen Erdogan souffliert. Wette machen?
Und was passiert, wenn die türkischen Fachleute Israel nicht entlasten?

Nun ist es soweit. Eine türkische Expertengruppe hat umstrittene israelische Bauarbeiten am Tempelberg scharf kritisiert und deren Einstellung gefordert. Die Bauarbeiten seien Teil eines geplanten und systematischen Vorgehens, mit dem die Israelis Spuren islamischer Kultur in Jerusalem zerstörten, heißt es in dem Bericht einer Untersuchungskommission, aus dem die türkische Tageszeitung «Zaman» am Freitag zitierte. Quelle

Natürlich gaaanz zufällig an dem Tag, an dem Olmert vor dem türkischen Parlament gesprochen hat. Ein Schelm wer da denkt, die AKP sendet einerseits Signale in die westliche Welt, andererseits gegenteilige in die muslimische. Das werden die doch nicht machen, dass sind doch unsere, die Guten…

Vielleicht könnte man das Thema wieder aufnehmen?“

Danke fürs Aufpassen!

 

Iranischer Dissident: Kampf der Geschlechter-Apartheid im Iran

Der große Akbar Gandschi hat wieder einen richtungsweisen Essay geschrieben über die Unterdrückung der Frau im Iran als Symptom der Krise des Systems. Zitate:

Most secular intellectuals see Iran’s gender apartheid as an integral part of the country’s general system of apartheid. Iranian apartheid is based on a particular interpretation of Islam that divides society into “insiders” and “outsiders.” The class of insiders includes the coterie of the ruling Court, but extends beyond that to encompass all of the pious. This pervasive privileging of the rulers’ ideology ends up creating gender apartheid, because every time the rulers increase inequalities between men and women, they receive the approbation of the traditionalists. The rulers have on occasion shown some flexibility and have even made some adaptations in their ruling ideology. And they have no qualms about suspending beliefs considered foundational to the faith, such as the sanctity of the mosque; the country’s former supreme leader, Ayatollah Khomeini, once temporarily suspended belief in the oneness of Allah. But they have never wavered in their belief in the natural superiority of men over women, and its concomitant idea that women are less capable than men of using reason and bearing responsibility.

As secular intellectuals have emphasized, the ruling ideology conceives of society as analogous to a family, whose members are uninformed minors in need of supervision. This notion of guardianship is intimately connected to the traditional belief in Islamic jurisprudence, which maintains that among minors women are the most minor of all, that among the uninformed women are the most uninformed of all.

Many secular intellectuals believe that devaluing and humiliating women is not only in itself despicable, but that it also degrades the entire society. … Every time the rulers want to intimidate their opponents, they increase their attacks on women. Their suppression of women today in fact signals their weakness. …

… The official ideology in Iranian society betrays a male inferiority complex that is unleashed on women. A litany of humiliations contributes to this inferiority complex, including the one resulting from historical backwardness compared with the West.

In the secular intellectuals’ approach to the question of women, cultural critique is central. They point out that humiliating and insulting women, viewing them as sexual objects, and subjecting them to policies that institutionalize these views have contributed to the deterioration of men’s attitude toward women. Iranian culture, they say, has regressed much in this area since the advent of the Islamic Republic. Criticism of women’s subjugation, they stress, must not be confined to politics and law. Rather, fundamental cultural change is needed: a democratic re-education of the entire society, which requires imbuing men with the spirit of freedom and equality.

When we talk of secular intellectuals, we must bear in mind that not all of them are anti-religion, although they accuse religious intellectuals of a vain search for modern progressive ideas in religion. It is possible to have faith, even Islamic faith, and yet believe in secularism, in the separation of church and state, and in the potential of reason to assess and explicate the affairs of this world. In the West, there are many thinkers who hold religious beliefs but are secular in their approach and offer radical critiques of the religious tradition.

Mehr hier.

 

Wie unsere Kinder uns erziehen

Der Blogbetreiber gibt in aller Bescheidenheit zur Kenntnis, dass ihm morgen in München ein Anerkennunsgpreis im Rahmen des Medienpreises der ELKB (Evangelisch-Lutherische Kirche Bayern) verliehen wird.
Der preisgekrönte Text ist im Magazin der ZEIT (Nr.40 vom 27.09.2007, S.27) erschienen und wird im folgenden dokumentiert, obwohl er nicht recht zu den üblicher Weise hier verhandelten Themen passt.

Wie unsere Kinder uns erziehen

Von Jörg Lau

Vor Kurzem fand ich zu Hause auf meinem Schreibtisch ein allerliebstes rosa Herz, verziert mit bunten Blumen. Auf der Rückseite stand geschrieben: Lieber Papa. Wen du mir nicht 1 Kegs apgipst. Dan Ferschteke ich. Deine Unter Hosen. Deine Anna. Anna hat natürlich ihren Keks bekommen, obwohl ich mir geschworen hatte, die leckeren Cookies für mich zu behalten. Wie hat sie bloß von meinem Süßigkeitendepot Wind bekommen? Woher weiß sie das mit den Unterhosen?

Und was mache ich jetzt?

Erziehungsberechtigte sind auch Gegenstand von Erziehung, und zwar von Anfang an. Im Rückblick auf ein Jahrzehnt als Vater scheint mir, dass die pädagogischen Bemühungen meiner Kinder mindestens so viel bewirkt haben wie meine eigenen. Womöglich sogar mehr.

Kinder verfügen ziemlich früh über ein ganzes Arsenal von Kniffen, mit denen sie uns steuern. Es wird ständig ausgebaut und verfeinert. Es reicht vom ersten Abwenden und Brei-Ausspucken über die knallharte Drohung (Ich mal dir keine Bilder mehr!) bis zur schamlosen Schmeichelei (Du bist der beste Papa der Welt!). Auch moralische Appelle sind ein Standardmittel: Es ist ungerecht, dass du immer mit den anderen zuerst liest. Und sogar korrumpierende Angebote erweisen sich oft als wirkungsvoll: Ich mache vier Wochen lang Küchendienst!

Bestimmt. Richtig kniffelig wird es, wenn rationale Argumente hinzukommen und man dauernd bei Selbstwidersprüchen ertappt wird: Warum dürfen wir eigentlich nicht Fernsehen, wenn du selbst jeden Abend glotzt? Und natürlich lernen Kinder auch das lebenswichtige Ausspielen verschiedener Autoritäten gegeneinander: Aber Mama (Oma, die Lehrerin, mein Trainer, Lisas Vater) hat gesagt…

Meine erste Umerziehung datiert schon aus den frühesten Tagen meines Vaterseins. Ein Geständnis vorweg: Ich bin einer dieser Väter, die gleich nach der Geburt ihres ersten Kindes mehr gearbeitet haben als zuvor. Es ist mir peinlich. Aber leugnen lässt es sich nicht, dass ich damals so viele Aufträge angenommen habe wie noch nie zuvor. (Ich war freier Autor.) Dieses Verhalten gilt heute als Inbegriff fehlgeleiteter Männlichkeit, die zu überwinden ist.
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