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Die Pilgerreise als politisches Instrument?

Aussenminister Steinmeier trifft im Nahen Osten auf lauter Akteure, die es aus purer Not mit Pragmatismus versuchen wollen

Riad, 8. Mai
Wer in die Geburtskirche zu Bethlehem will, muss sich klein machen. Die winzige Pforte wurde einst von den Kreuzfahrern verkleinert, um die Basilika besser verteidigen zu können. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier passt gebückt so gerade noch durch – und schon hat seine siebte Nahost-Reise ein passendes Bild: Wer sich in die religiös aufgeladenen Konflikte dieses Teils der Welt einmischen will, übt sich besser gleich in Demut.

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Steinmeier in der Geburtskirche zu Bethlehem, links Kholoud Daibes, die Tourismusministerin der palästinensischen Einheitsregierung

Auf dem Platz vor der Geburtskirche haben sich ein paar erregte Demonstranten unter einem Plakat versammelt, auf dem in Arabisch und Englisch zu lesen steht, wer die Stadtverwaltung Bethlehems boykottiere, sei in der Geburtsstadt Jesu nicht willkommen. Der Bürgermeister der Stadt hatte vergeblich auf einen Händedruck des Aussenministers vor der Kirche gehofft. Er steht der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) nahe, die der EU als Terrororganisation gilt. Der verweigerte Händedruck wird in arabischen Medien empört zum „Boykott“ aufgeblasen.
Boykott? In Wahrheit versucht Steinmeier, jenen Teilen der palästinensischen Regierung aus der Isolation herauszuhelfen, die für einen Gewaltverzicht und die Anerkennung Israels stehen. Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch vor einem Monat noch jeden Kontakt mit der nationalen Einheitsregierung aus Fatah und Hamas gemieden. Steinmeier trifft als erster Emissär der Bundesregierung mit moderaten Regierungsmitgliedern zusammen – mit dem parteilosen Finanzminister Fajad, der ebenfalls parteilosen Tourismus-Ministerin Daibes, dem Informationsminister Barghouti, dem Aussenminister Amr und schließlich mit dem Präsidenten Mahmud Abbas.

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Das unfertige Arafat-Mausoleum in der Mukata (palästinenischer Regierungssitz in Ramallah)

Hinter diesem vorsichtigen Politikwechsel der Europäer – Steinmeier vertritt hier auch die Rastpräsidentschaft – steht die Einsicht, dass politische Isolation am Ende den islamistischen Radikalen in Hamas und Fatah hilft, weil sie die Handlungsmöglichkeiten von Mahmud Abbas einschränkt. Mit dem Finanzminister Fajad werde derzeit darüber verhandelt, so Steinmeier, die EU-Finanzhilfen an die Palästinenser wieder für Investitionen und öffentliche Gehälter freizugeben. Nach dem Hamas-Triumph bei den letzten Wahlen hatte Europa sich auf humanitäre Hilfe beschränkt. Steinmeier ist gekommen, um eine hilflose Politik zu beenden, die das wachsende Elend in den palästinensischen Gebieten alimentiert und gleichzeitig die Regierung politisch schwächt.
Steinmeier trifft Fajad in Bethlehem, im traumhaft schönen, aber menschenleeren Hotel Jacir Palace. Es liegt nur wenige Schritte von dem Sperrwall entfernt, der die palästinensischen Gebiete einschließt. Hier mit der gesamten Delegation zu übernachten – statt wie üblich in Jerusalem – , ist ganz ohne große Worte eine bewegende Geste für die zunehmend verelendenden Bewohner der Westbank. Die gespielte Aufregung um den Bürgermeister ist denn auch schnell vergessen. Dass der deutsche Aussenminister in dem Geister-Hotel absteigt – 6 Prozent Auslastung sind hier sonst üblich -, als wäre es schlichte Normalität, wird ihm so schnell nicht vergessen werden.
Denn Normalität ist in dieser leicht entflammbaren Region ein knappes Gut.

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Steinmeier vor der Mukata mit dem palästinensischen Aussenminister Ziad Abu Amr (rechts aussen)

Doch diesmal ist untergründig eine merkwürdige neue Dynamik der Vernunft am Werk. Steinmeier trifft auf lauter Akteure, die so tief in ihren selbstgeschaffenen Krisen stecken, dass sie schon aus reiner Not dem Pragmatismus eine Chance geben müssen. Darum klingen seine mantramässig wiederholten Appelle, man dürfe „den Gesprächsfaden nicht abreissen lassen“, man müsse „das historische Momentum nutzen“, man solle „den Annäherungsprozess konstruktiv begleiten“, keineswegs hohl.
Gerade die offensichtliche Zerbrechlichkeit der beiden Regierungen in Ramallah und Jerusalem macht Fortschritte im Friedensprozess für sie unverzichtbar. Sowohl Abbas wie auch Ehud Olmert und seine Aussenministerin Zipi Livni brauchen dringend Erfolge, um den berechtigten Verdacht zu widerlegen, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind.
Das Leitmotiv dieser Reise ist pragmatische Vernunft aus eingesehener Schwäche – von Scharm-El-Scheich in Ägypten über Palästina und Israel bis nach Riad in Saudi Arabien: Bei der Irak-Konferenz konnte Steinmeier eine bescheiden gewordene Condi Rice erleben, die sich nun auf einmal rühmte, in Scharm-El-Scheich 30 Minuten lang „produktiv“ mit dem syrischen Ausseminister Moallem über die Verbesserung der Sicherheit im Irak geredet zu haben. Seine eigene Syrienreise war vor wenigen Monaten von den Amerikanern noch als verrückte Idee abgetan worden. Steinmeier verkniff sich in Scharm-El-Scheich jedes Zeichen der Genugtuung.
Die arabischen Staaten sagen nicht nur Irak bei der Konferenz einen weitgehenden Schuldenerlass zu. Sie haben jetzt auch ihre Nahost-Friedensinitiative wiederbelebt, die fünf Jahre auf Eis lag. Beides nicht nur aus Idealismus: Sie stützen die Maliki-Regierung im Irak und den Präsidenten Abbas nicht zuletzt, weil sie sonst im Irak von den Iranern und in Palästina von der Hamas an den Rand gedrängt zu werden fürchten.
An den zwei vollgepackten Tagen, die Steinmeier in Israel verbringt, gibt es erste Zeichen dafür, dass die paradoxe Dynamik aus Schwäche tatsächlich wirkt. Die innenpolitisch angeschlagene Livni bekräftigt, sie werde noch in dieser Woche nach Ägypten fahren, um die Chancen einer Wiederbelebung des arabischen Friedensplans auszuloten. Und Abbas’ Sicherheitskräfte schliessen einen Waffenschmuggler-Tunnel an der Grenze Gaza-Ägypten. Damit erfüllen sie eine der Forderungen des neuen amerikanischen Plans zur Wiederbelebung des Friedensprozesses, der just während Steinmeiers Reise bekannt wird.
Das „Benchmarks“- Papier aus dem Aussenministerium setzt beiden Seiten einen klaren Zeitplan: Die Palästinenser müssen in Gaza gegen Waffenschmuggel und Raketenbeschuss vorgehen, die Israelis sollen dafür Blockaden und Checkpoints im Westjordanland entfernen und Reiseerleichterungen gewähren.
Zwischen den diplomatischen Kernterminen ist Steinmeier einen ganzen Tag fern der politischen Entscheidungszentren im Heiligen Land unterwegs. Eine Reporterin der katholischen Nachrichtenagentur will wissen, ob dies etwa eine getarnte Pilgerreise sei. Die Frage ist nicht unberechtigt: Steinmeier besucht nach der Geburtskirche auch noch die Brotvermehrungskirche, die Synagoge von Kapernaum und ein katholisches Pilgerheim am See Genezareth. Schließlich fährt er mit einem historischen Boot auf dem See, an dessen Ufern sich wesentliche Teile des Evangeliums zugetragen haben. Nein, gibt er dort lachend zu verstehen, er habe nicht vor, „die Pilgerreise als politisches Instrument“ zu rehabilitieren.

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Pilgerprogramm zwischen Religion, Geopolitik und Ökologie: Steinmeier auf dem See Genezareth

Auf dem See Genezareth läßt er sich denn auch nicht über das Evangelium vom Gang Jesu über das Wasser aufklären, sondern über Wasserknappheit als politischen Faktor in Zeiten globaler Erwärmung. Die kommenden Konflikte werden hier nicht nur um Glauben und Land geführt werden, sondern immer mehr auch um die Ressource Wasser. Steinmeiers Pilgerprogramm ist also eine Exkursion in die untrennbare Verschlingung von Religion, Geopolitik und Ökologie im Heiligen Land.
Pathetische Reden über den Dialog der Religionen liegen dem trockenen Protestanten Steinmeier nicht. Er hat, statt Reden zu halten, lauter Orte ausgesucht, an denen die Politisierung der Religion sich als Fluch erwiesen hat – und an denen es doch auch Beispiele für die „gelebte Aussöhnung“ gibt. So etwa in der evangelischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala westlich von Bethlehem, wo Christen und Muslime, Mädchen und Jungen trotz allem zusammen lernen.

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Steinmeier in der evangelischen Mädchenschule „Talitha Kumi“ („Mädchen steh auf“) in der Westbank bei Beit Jalla

In der Basilika bei Kapernaum, in der das Wunder der Brotvermehrung verehrt wird, erläutert Pater Jeremias Marseille dem Aussenminister, dies sei ein multireligiöser Ort des Durchgangs gewesen, auf dem die erschöpften Reisenden, die aus den Wüsten Mesopotamiens ans Mittelmeer kamen, Kühle, Ruhe und Erfrischung gefunden hätten. Für ihn, so der Pater, sei damit auch die Atmosphäre des Evangeliums beschrieben. Das hat Steinmeier offenbar gefallen. Im Besucherbuch ist nachher zu lesen, er sei gerne zum „Ruhen und Rasten gekommen“. Und am Ende sagt er gar, „dass ein wenig christliche Zuversicht auch für unser Geschäft notwendig ist“.

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Der Aussenminister beim Ausstrahlen christlicher Zuversicht in Kapernaum. Alle Fotos: Lau

Wie wahr das ist, zeigt sich noch am gleichen Tag: Hamas läßt verlauten, man werde alles daran setzen, dass der amerikanische Benchmarks- Plan niemals implementiert werden könne. Drei Kassam-Raketen aus Gaza schlagen auf israelischem Gebiet ein.

 

Zufallsbegegnungen in Scharm-El-Scheich

Scharm El-Scheich, 4. Mai

Es ist nicht leicht, Zufälle zu inszenieren, zumal bei einer internationalen Konferenz von solcher Dichte, bei der sich die Aussenminister ohnehin in den Gängen des Kongresscenters auf die Füsse treten. 60 Nationen sind in Scharm El-Scheich zugegen. Es ist schwierig, unter solchen Umständen Zufallsbegegnungen zu vermeiden. Wie viel schwerer aber, eine sorgsam kalkulierte Begegnung so zu dramatisieren, dass sie ungeplant und unverbindlich aussiseht.
In Scharm El Scheich traf die amerikanische Aussenministerin Condolezza Rice auf den iranischen Aussenminister Mottaki, den die geschickten Zufallsregisseure beim Essen in der Nähe von Rice plaziert hatten. Man tauschte Höflichkeiten aus. Es ging dem Vernehmen nach um die unterschiedlichen Verfahren zur Herstellung von Speiseeis in Iran und Amerika.
Für den syrischen Aussenministerkollegen Walid Moallem hatte Rice sich sogar eine halbe Stunde Zeit genommen. Das Gespräch wurde nachher als professionell und „business-like“ bezeichnet. Rice hob hervor, weder habe sie den syrischen Kollegen „belehrt“, noch umgekehrt er sie. Das sind, hoffen Beobachter, vorsichtige erste Schritte in einem neuen Gesprächsprozess. Und vielleicht stehen sie gar für einen Paradigmenwechsel: Die Politik des Regime Change gegenüber den beiden Schurkenstaaten ist damit auf unspektakuläre Weise beendet.
Wenn die amerikanische Aussenministerin sich bemüht, den syrischen und iranischen Kollegen zu treffen, ist das ein Eingeständnis, dass die Amerikaner den Irak auf eigene Faust nicht so weit befrieden können, dass ein geordneter Rückzug möglich wird. Mit dem Syrer hat Rice vor allem über die Schließung der irakisch-syrischen Grenze für Dschihadisten gesprochen.

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Bundesaussenminister Steinmeier in Scharm-El-Scheich. Foto: Lau

Bundesaussenminister Steinmeier, der die EU-Ratspräsidentschaft bei der Konferenz vertritt, ist sehr bemüht, keine vorschnelle Euphorie aufkommen zu lassen – wie es seinem Naturell entspricht. Von einem „Durchbruch“ mag er nicht reden: Aber „die direkte Begegnung der Amerikaner mit den Syrern und Iranern ist immerhin ein kleines Zeichen der Hoffnung“, so Steinmeier heute in Scharm-El-Scheich.
Auch die EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner stimmte ein: „Allein die Anwesenheit von Syrien und Iran bei dieser Konferenz ist enorm wichtig.“

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Ferrero-Waldner. Foto: Lau

Für die Europäer, und speziell für die Deutschen, gibt es Grund zur Genugtuung: Steinmeiers Versuche, Syrien in den Nahostprozess einzubeziehen, wurden vor Monaten noch mit grosser Skepsis gesehen. Jetzt haben die Amerikaner selbst einen Gesprächskanal eröffnet.

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Rice nach dem Politikwechsel in Scharm-El-Scheich. Foto: Lau
Auch die Demokraten in Washington werden diesen Schritt mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin im Kongress, hatte sich vor einem Monat noch heftige Kritik für ihre Reise nach Damaskus gefallen lassen müssen. Jetzt folgt Rice der Politik der Oppositionsführerin. Das Dementi des Regierungssprechers Tony Snow, es handele sich nicht um einen Politikwechsel, wirkt wenig überzeugend angesichts der vorherigen ideologischen Verhärtung gegenüber direkten Kontakten mit Syrien und Iran, die sich auf einmal in Nichts aufgelöst zu haben scheint.
Für die Iraker hängt viel am Erfolg der Konferenz über den Compact. Sie treten hier erstmals als Akteure auf der diplomatischen Weltbühne auf. Sie haben die Einladungsliste und die Konferenzagenda bestimmt, und sie hoffen, mit ihrer ehrgeizigen Selbstverpflichtung die Nachbarstaaten und die internationale Gemeinschaft stärker in den Wiederaufbau des Landes einzubinden: Entwaffnung der Milizen, nationale Versöhnung, Verfassungsreform, Stärkung der Menschenrechte durch Aufbau eines Rechtsstaates, gerechte Verteilung der Öleinnahmen unter Sunniten, Schiiten und Kurden sind die wichtigsten innenpolitischen Elemente des Fünf-Jahres-Plans namens Iraq Compact.
Ein weitgehender Schuldenerlass von 80 Prozent, in Aussicht gestellt bei weiteren internen Reformen des Iraks, scheint zu signalisieren, dass die Maliki-Regierung sich im Prinzip auf die Unterstützung der arabischen Staaten berufen kann. Saudi-Arabien hat auf der Konferenz zwar keine Zahlen genannt, aber doch signalisiert, substantiell helfen zu wollen. Nur die Kuweitis lehnen einen Schuldenerlass weiterhin ab – eingedenk der Zerstörungen bei der Invasion durch Saddam Husseins Truppen.
Die Saudis drückten bei der Konferenz allerdings auch grosse Skepsis gegenüber der Entschlossenheit der Maliki-Regierung aus, Sicherheit und nationale Versöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen voranzubringen. Für eine abschliessende Einigung sei es noch zu früh, sagte der saudische Entsandte Prinz Saud. Die Saudis wollen sich offenbar stärker im Irak engagieren, um den Teheraner Einfluss im Land zu begrenzen. Sie machen ihr Engagement aber von deutlichen Fortschritten bei der Sicherheit und bei der Formierung eines „nationalen Konsenses“ abhängig. Die schiitisch geführte Maliki-Regierung wird weiter unter Druck gehalten, die Sunniten stärker an der Macht und den Ressourcen des Landes zu beteiligen.
Ob man an schon an einen veritablen Paradigmenwechsel der Amerikaner glauben darf? Immerhin ist die Politik der Isolation gegenüber Syrien und Iran stillschweigend beendet worden. Der saudische Druck in Richtung auf innere Reformen des Irak und die vorsichtige amerikanische Öffnung gegenüber den Nachbarstaaten sind mehr als „kleine Hoffnungszeichen“.
Aussenminister Steinmeier reist unterdessen weiter in die palästinensischen Gebiete und nach Israel. Mitten hinein in eine israelische Regierungskrise, die zarte Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses für lange Zeit zunichte machen könnte.

 

Her mit den Kopftuchträgerinnen!

Wird denn nun bald eine Kopftuchträgerin zur Deutschen Islamkonferenz gehören? Und warum ist nicht längst eine dabei?
Diese prickelndste Frage wussten die Teilnehmer des zweiten Plenums unter Vorsitz von Innenminister Wolfgang Schäuble nicht zu beantworten. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der heute selbst durch Abwesenheit glänzte, hatte sie aufgeworfen, indem er seinen Sitz einer „Neomuslima“ zur Verfügung stellte, die „das Schamtuch“ trägt, wie der Autor vornehm formulierte.
Sein Sitz blieb leer, und die Frage, wo denn die Kopftuchträgerinnen sind, wanderte hinüber zu Ayyub Axel Köhler, dem Sprecher des neuen „Koordinationsrates der Muslime“. Warum bietet seine Organisation, die immerhin beansprucht, die Mehrheit der Muslime zu vertreten, keine Frau, gerne mit Kopftuch, als Repräsentantin auf? Oh, man habe tatsächlich viele Frauen im Zentralrat, dem er vorstehe, so Köhler. Aber ein schweres Amt wie das eines Sprechers bringe ja viele Reisen mit sich, und da müsste eine Frau ja ihre Familie vernachlässigen…
Danke, Herr Köhler, keine weiteren Fragen.

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Ayyub Axel Köhler und Wolfgang Schäuble
McDougall/AFP/Getty Images

Die Deutsche Islamkonferenz zeigte sich auch nach der zweiten Plenarsitzung als Glücksfall: Nicht etwa, weil nun schon sehr viele konstruktive Ideen vorgestellt werden konnten, wie die Einbürgerung des Islams in Deutschland (und ins deutsche Staatskirchenrecht) gelingen könnte. Es wäre auch sehr viel erwartet, nach diesen 6 Monaten, die 40 Jahre der Verleugnung aufzuarbeiten haben.
Das Gute liegt nicht in einem Konsens, den man kaum erwarten kann, sondern vielmehr im Streit.
Es geht nämlich vielmehr um die Dekonstruktion all der eingefleischten Ideen und Vorurteile, die nicht nur Nichtmuslime über den Islam hegen. Erst dann kann etwas Neues entstehen. Herrn Köhlers Frauenbild wird denn wohl auch nicht unwidersprochen bleiben bei den nächsten Sitzungen.
Unter den Muslimen, die sich an dem Prozess beteiligen, ist eine lebhafte Debatte entbrannt, wer sich mit Recht Muslim nennen darf, wer für welche anderen Muslime sprechen darf – und wer für die sprechen darf, die manchem nicht mehr als Muslime gelten und trotzdem Muslime bleiben wollen.
Säkulare Menschen, die aus muslimischen Ländern kommen, wollen mitreden über den Islam. Das ist sehr gut so: Denn die Säkularen, die sich der islamischen Kultur und Geisteswelt verbunden fühlen, machen Gebrauch von einer Freiheit, die sie nur im Westen haben – den Islam im Lichte ihrer Erfahrungen zu verändern.
Oft wird das mit dem Argument abgewehrt, die Kirchen würden auch nicht mit Ungläubigen über den Glauben verhandeln. Das ist eine schiefe Analogie, weil der Islam sehr viel mehr auch Politik, Kultur und Sitte ist als unser heutiges Christentum, das durch Jahrhunderte der Säkularisierung tendenziell zur „reinen Religion“ geworden ist (obwohl wir die Reinheit unseres Säkularismus auch oft genug unterschätzen).
Es ist also sehr berechtigt, den Begriff des Islam für eine solche Konferenz weit zu fassen und nicht nur mit den organisierten Veränden zu reden.
In der Religionsfreiheit des Westens kann auf diese Art – durch die Debatten wie in der Islamkonferenz – ein Islam entstehen, der Freiheit, Individualität und Innerlichkeit nicht nur anerkennt, sondern sich auch zueigen macht.
Der deutsche Staat kann sich diesen Islam nicht backen. Er kann ihm nur ein Forum bieten, und das ist die Islamkonferenz.
Dies wurde am Ende der Pressekonferenz mit dem Innenminister sehr deutlich, als die im KRM zusammengeschlossenen Verbände Anspruch darauf erhoben, auch die Aleviten bei sich zu repräsentieren. Der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, Toprak, liess sich das nicht bieten, und beharrte auf der Eigenständigkeit seines Glaubens gegenüber Sunniten und Schiiten.
Der Binnenpluralismus des Islam – Orthodoxe, Säkulare, Frauen, Männer, Türken, Konvertiten, Araber, anatolische Aleviten – wird unabweisbar deutlich. Manchmal geradezu zum Erstaunen für die islamischen Vertreter, die sich selbst noch daran gewöhnen müssen. Kein geringes Verdienst der Islamkonferenz, wenn auch ein paradoxes, denn seit langer Zeit hat man gefordert, es solle eine Vertretung her, die auch mit einer Stimme spricht.
Schäuble verteidigte abermals seine Entscheidung, mit vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen wie Milli Görüs zu reden: „Wir wollen diese Organisationen – oder die Menschen darin – für unsere Ordnung gewinnen.“
Und Ayyub Axel Köhler forderte eine Road Map für die kommenden Sitzungen. Man müsse „konkrete Ziele“ ins Auge fassen. Den Verbandsvertretern ist der streitbeladene Prozess unangenehm: Sie müssen wie noch nie mit ihren Kritikern zusammen sitzen und mit Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, selber zu definieren, was der Islam für sie bedeutet.
Sie würden die Sache verständlicher Weise gerne abkürzen, sich am liebsten gleich den Status als Religionsgemeinschaft abholen und weiterhin in Ruhe gelassen werden. So wird es zum Glück nicht laufen, und am Ende werden die Verbandsvertreter feststellen, dass das auch für sie gut ist.

 

Ist der iranische Tugendterror eine Ablenkungsaktion?

Der immer kluge iranische Journalist Omid Memarian schreibt auf Rooz Online über den Tugendterror in Teheran. Er hat ein interessantes Zitat des Präsidenten aus dem Wahlkampf 2005 gefunden:

On the eve of the 2005 presidential elections, Mahmoud Ahmadinejad made these remarks in a campaign video aired from the national television network: “Really, is the problem of our people now the youth’s hairstyle? People can style their hair however they want; this is none of your business or mine! You and I have to think about our country’s real problems. The government must set the economy in order, restore peace, create a secure psychological environment, support the public – people have diverse preferences, diverse traditions, diverse ethnicities, diverse groups, diverse styles – the government is at everyone’s service. Why do we belittle people? We really belittle people so much so that now the important problem of our youth is to pick their hairstyle, and the government doesn’t let them?! Is this the worth of government? Is this the worth of our people? Why do we underestimate people? Our country’s problem is that some girl wore some dress? Is this our country’s problem? Is this our people’s problem?”

In reality, that part of Ahmadinejad’s speech where he says that this is not our people’s worth is right. But apparently, the worth of the government is just what we see. Now one has to ask the same questions from our forgetful president. Is our country’s problem the way women dress? Are the problems of poverty, inflation and mismanagement not of primary priority? Are unemployment, drug addiction and rampant corruption in state institutions not our problems? What about foreign threats?

Our forgetful president must really answer this question: is he confronting a real problem, or is he trying to take people’s focus and attention away from other things that are happening in the country? Is the supreme leader’s decision to give Ali Larijani full authority in initiating negotiations with the United States and solving Iran’s nuclear crisis part of those other things that are happening?

 

Grosses islamisches Zentrum in Bern geplant

Bei Bern soll eines der größten islamischen Zentren Europas entstehen, wie die NZZ berichtet.
Es soll 23.000 Quadratmeter umfassen, ein 4 Sterne-Hotel mit Hamam, ein Tagungszentrum, ein Museum und eine Moschee umfassen und etwa 60 bis 80 Millionen Franken kosten.
Der Betreiber des Projekts, der Berner Moscheeverband Umma, zielt dabei einerseits auf den Schweizer, der sich über den Islam informieren will, aber auch auf den saudischen Kunden, der islamisch korrekt wohnen möchte, wenn er sich um seine Finanzen kümmert.
Im Sommer wird entschieden, ob das Projekt von den Berner Behörden einen Zuschlag bekommt.
Die Schweiz hat etwa fünf Prozent muslimische Bürger. Nur zwei Moscheen im Lande sind im traditionellen Stil mit Minaretten verziert. Das neuen Zentrum soll nach Bekunden der Betreiber eine Fusion von schweizerischer Moderne mit muslimischen Elementen bieten.

 

Bilder von neuen Tugendterror im Iran

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(Anmerkung: Ich bin leider aus rechtlichen Gründen gezwungen, die Bilder auf diesem Blog auszutauschen. Man kann die von mir hier ursrünglich kommentierten Bilder auf www.iranian.com finden. Siehe den ersten Link im Text.)

Die neue Welle des Sitten-Terrors im Iran trifft nicht nur Frauen. Sie richtet sich auch gegen junge Männer, die sich der islamischen Korrektheit widersetzen. Dieses Foto (mehr unter dem Link) mit den beiden mittelalten Herren, die den Jungen angrabschen, bringt sehr schön auf den Punkt, welche Ressentiments sich dabei austoben dürfen. Das Dorf gegen die Stadt, alt gegen jung, bärtig gegen rasiert, puritanisch gegen libertär, und nicht zu vergessen: Unterschicht gegen Bürgertum (wie es in allen totalitären, kulturrevolutionären Regimen gerne gemacht wird). Sexualneid dürfte auch eine kleine Rolle spielen.

Mit ihrer (im Verständnis des Regimes) nachlässigen Art, den Hidschab zu tragen, zeigen die jungen iranischen Frauen, dass sie sich nur an die islamische Korrektheit halten, weil das Regime sie sonst mit Gewalt und Freiheitsentzug bedroht.

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Nun zeigt ihnen das Regime, dass es auch noch mit dieser Frechheit vorbei ist. Nicht pro forma Anpassung ist gefragt, sondern totale Unterwerfung.

Was sagen unsere islamischen Freunde aus den Kommentarspalten dazu. Was mag wohl Ajatollah Christina davon halten? (Das Regime hilft den Jugendlichen doch bloss, sich der Vereinnahmung durch die westliche Warenwelt und ihre Fetischisierung des Körpers zu entziehen…?)

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Und ich wiederhole meine keineswegs nur sarkastisch gemeinte Aussage, dass dies alles zwar auch sehr frauenfeindlich und patriarchal ist. Aber Frauen sind, siehe diese Bilder, auch sehr eifrig auf der Täterseite mit dabei. Sie haben einen besonderen Spass daran, anderen Frauen, die sie um Freiheiten und Privillegien beneiden, das Leben zu ruinieren. Oder sie sind einfach ehrlich überzeugte Fanatiker der guten Sache.

 

Neuer Tugendterror im Iran

Im Iran sind 117 Frauen wegen unkorrekter islamischer Kleidung verhaftet worden, wie Roozonline berichtet.

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Es läuft offenbar seit Samstag Tagen im ganzen Land eine neue Kampagne zur Verteidigung der „öffentlichen Sicherheit“.

1347 Frauen sind nach Auskunft des Teheraner Polizeichefs verwarnt worden. 20 Läden wurden geschlossen, 79 Autos eingezogen, weil die Fahrer „unangemessen“ gekleidet waren. Dies alles am ersten Tag der Massnahmen.

Es wäre total unfair (und islamophob), diese wohlwollenden staatlichen Massnahmen zur Tugendverbesserung als frauenfeindlich zu geisseln: Denn bald schon sollen auch die neuen Massregeln für Männer verkündet werden.

Colonel Hosseini von den Teheraner Behörden:

Hosseini also claimed, “The drive to confront inappropriately-dressed males will begin very soon, and our guidelines will be announced very soon as well.”

Hosseini also spoke about the goals of this drive in these terms: “Our main goal is to carry out this operation so that people feel safe in their streets and houses, and for the protection of their private spheres.”

Der Schutz der Privatsphäre ist das wahre Ziel, na klar.

 

Italien: Werte für die Einwanderungsgesellschaft

Italien hat seit dieser Woche eine „Charta der Werte, der Bügerschaft und der Integration“. Der italienische Inneminister Giuliano Amato stellte das Dokument am Montag in Rom vor.

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Giuliano Amato

Die Charta soll gemeinsame Werte für eine Einwanderungsgesellschaft definieren. Migrantenorganisationen waren an der Formulierung beteiligt.

Sie versteht sich als Angebot an Neu-Italiener, denen sie einen Weg zur Erlangung der Staatsbürgerschaft in Aussicht stellt. Es werden aber auch Forderungen formuliert, wie etwa Grundkenntnisse der italienischen Sprache sowie der italienischen Geschichte, Politik und Kultur.

Die Charta betont die sozialen Rechte der Migranten und die Funktion der Bildung dabei, die Bürger einer Einwanderungsgesellschaft mit den nötigen Kenntnissen übereinander zu versorgen.

Alle religiösen Meinungen sollen im Bildungswesen unparteiisch mit Respekt behandelt werden, heißt es.

In Familiendingen wird betont, dass Gewalt und Zwang unvereinbar mit dem italienischen Werten sind, und die Charta spricht sich auch gegen jede Separation der Geschlechter aus, weil sie mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sei.
Gesichtsverhüllung und Polygamie werden als unvereinbar mit den italienischen Werten definiert.

Es finden sich noch weitgehende Bekräftigungen der Religionsfreiheit und Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit in internationalen Konflikten.

Insgesamt erscheint mir das ein interessanter Ansatz, ganz ähnlich wie die deutschen Versuche, per Integrationsgipfel und Islam-Konferenz zu einer neuen gemeinsamen Verbindlichkeit zu kommen.

Interessanter Weise schnurrt die 7 Seiten lange Charta in der Berichterstattung von Islamonline auf zwei Punkte zusammen: die Ablehnung der Verhüllung und der Polygamie.

 

Ein freier Kopf

Neidvoll blicken wir heute auf die Kollegen der WELT, die einen sehr bewegenden und erhellenden Text von Emel Abidin-Algan, der Tochter des Gründers von Milli-Görüs Deutschland, dokumentieren. Frau Abidin Algan schildert ihre Erfahrungen mit dem Ablegen des Kopftuchs und mit der Entwicklung eines neuen, innerlich freien Gottesbezugs.

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Emel Abidin-Algan

Das Ablegen des zur Selbstverständlichkeit gewordenen Kopftuchs war nicht einfach, weil ich damit ein Selbstbild entwickelt hatte, das mit moralischen Werten verknüpft war. Es hat mich zwei Jahre des Forschens und Experimentierens gekostet, bevor ich mich davon trennen konnte, weil ich jemand bin, der keine halben Sachen macht. Mein Leben ohne das Kopftuch ist jetzt nicht etwa besser geworden, weil es schon immer gut war, es ist vielmehr ganz anders geworden, aufregender und vielseitiger. Die Freiheiten, die ich jetzt habe, denen bin ich auch jetzt erst gewachsen. Vor allem hat sich meine Wahrnehmung meinen Mitmenschen gegenüber verändert. Kein Kopftuch mehr zu tragen bedeutet in der Praxis für mich zunächst: nicht mehr aufzufallen und keinem Verhaltensdruck mehr ausgesetzt zu sein, mehr Bewegungsfreiheit im Kennenlernen der Welt von Männern zu haben und keinen möglichen Einschränkungen mehr auf dem Arbeitsmarkt ausgeliefert zu sein.

Sie beharrt aber darauf, dass dies ein freiwilliger Prozess ohne Druck sein muss. Ihre Tochter, sagt sie, fühle sich derzeit mit der Verhüllung wohl.

Zugleich bestreitet sie, dass die religiöse Begründung des Kopftuchs heute noch Bestand habe:

Eine wichtige Erfahrung war festzustellen, dass der Koran im historischen Kontext verstanden werden kann. Heute zum Beispiel, im Gegensatz zur damaligen Zeit des Propheten, braucht kein Mann mehr ein Unterscheidungsmerkmal wie eine Verhüllung, um Frauen nicht zu belästigen. Interessanterweise war gerade das einer der Gründe für die Bedeckungsverse im Koran. Das Problem mit der Verhüllung heute wäre auch einfach gelöst, wenn Männer über ihre Wahrnehmungen reden würden. Denn um die Männer geht es ja, wenn sich eine Frau verhüllt.