Lesezeichen
 

Warum Deutschland keine Panzer an die Saudis verkaufen sollte

Mein Leitartikel aus der ZEIT von morgen:

Deutschlands Botschaft an den arabischen Aufstand ist 10,97 Meter lang, wiegt 67,5 Tonnen und hat 1500 PS. Die Bundesregierung hat die Ausfuhr von bis zu 200 Panzern des Typs Leopard an das saudische Königshaus genehmigt. »Leos« für Riad? Ausgerechnet jetzt?
Was wohl die fünf Frauen von dem Geschäft halten, die am Mittwoch vergangener Woche in der saudischen Hafenstadt Dschidda festgesetzt wurden? Ihr Vergehen: Sie hatten das Fahrverbot für Frauen missachtet. Am Sonntag erwischte es dann in der Hauptstadt Riad 20 Demonstranten. Sie hatten die Freilassung politischer Gefangener verlangt.
Was diese Menschen über den Panzer-Deal denken, wird man nicht erfahren: Wer im Golf-Königreich für Menschenrechte und gegen die Apartheid der Geschlechter kämpft, landet im Knast – schneller denn je übrigens, seit die Demokratiebewegung an den arabischen Thronen sägt. Aber nicht mehr alle in der Region sind so leicht mundtot zu machen.
In Blogs, auf Twitter und Face­book ist die Panzer-Botschaft so angekommen: Deutschland glaubt nicht an uns. Die Deutschen haben den Arabischen Frühling abgehakt. Es ist unvergessen, dass Deutschland sich im März weigerte, dem libyschen Diktator in den Arm zu fallen. Und jetzt Kampfpanzer für den geschworenen Gegner jeder Demokratisierung in der Region? Die Saudis haben dem tunesischen Tyrannen Ben Ali eine Heimstatt gegeben, sie standen bis zuletzt an Mubaraks Seite. Deutsche Waffen für die Herrschenden in Riad, das bedeutet, in Abwandlung eines deutschen Dichterworts: Krieg den Hütten, Friede den Palästen.

Nach dem Debakel der Libyen-Entscheidung hatten Merkel und Westerwelle betont, man fiebere mit den Rebellierenden und wünsche den Sieg der Demokratie. Den Saudis den besten Panzer zu verkaufen, den es auf dem Weltmarkt gibt, ist damit schwer zu vereinbaren. Mit Panzern wie dem »Leo«, heißt es in Berlin, könne man nicht gegen Demonstranten vorgehen, darum sei die Lieferung unproblematisch.
Sicher? Der Leopard in seiner neuesten Va­rian­te 2A7+ ist speziell für »asymmetrische Situationen« ausgerüstet. Weil die Zeit der Panzerschlachten zwischen Nationen vorbei ist, hat man den »Leo« für die Aufstandsbekämpfung umgebaut – mit Räumschaufeln und »nicht letalen Waffen«. Ein Bundeswehrvideo rühmt, dass schon »seine Präsenz lähmt und abschreckt«.
Die Saudis ließen Anfang März ihre Panzer nach Bahrain rollen, um dort der De­mo­kra­tie­bewe­gung den Garaus zu machen. Werden wir demnächst auf al-Dschasira das Spitzenprodukt der deutschen Rüstungsindustrie in Aktion sehen? 44 Exemplare sind bereits ausgeliefert.
Der Panzer-Deal ist ein Bruch mit den Prinzipien der deutschen Außenpolitik. In den »politischen Grundsätzen« der Bundesregierung für Waffenexporte wird der »Beachtung der Menschenrechte« im Bestimmungsland »besonderes Gewicht beigemessen«. Und im »Gemeinsamen Standpunkt« der EU verpflichtet sich Deutschland, »mit Entschlossenheit zu verhindern, dass Militärgüter ausgeführt werden, die zu interner Repression« eingesetzt werden können.
Dreißig Jahre lang hat Deutschland dem Drängen des Golfstaats nach dem »Leo« widerstanden. Zu Zeiten der Kanzlerschaft Helmut Schmidts wäre es fast zur Lieferung gekommen. Damals ging es um den Schutz der saudischen Ölquellen, während die Russen in den Irak und nach Afghanistan vordrangen. Weil die Saudis Feinde Israels waren, kam es nie dazu. Auch Helmut Kohl sagte Nein.
Warum gibt die deutsche Regierung die Zurückhaltung auf? Denkbar ist nur ein möglicher, geopolitischer Grund: Irans Aufstieg und seine Atomrüstung. Tatsächlich erhebt Israel angesichts dieses gemeinsamen Feindes jenseits des Golfs keine Einwände. Wer die Saudis aufrüstet, so die Logik, verhindert die Verschiebung des regio­na­len Gleichgewichts zugunsten der aufstrebenden Großmacht Iran.
Darum die deutschen Panzer? Als George W. Bush vor vier Jahren mit der gleichen Begründung Raketensysteme für 20 Milliarden Dollar an Riad lieferte, fielen Berliner Politiker von CDU und FDP über diese »primitive Form der Realpolitik« her. Merkwürdig, dass nun die schwarz-gelbe Regierung, die sich Abrüstung auf die Fahne geschrieben hat, der Bush-Doktrin folgt.
Für die deutsche Rüstungsindustrie ist das saudische Geschäft eine willkommene Gelegenheit, den Nachfragerückgang wegen der Bundeswehrreform und der Sparprogramme auszugleichen. Bisher galt, Beschäftigungspolitik dürfe nicht den Ausschlag für Rüstungsexporte geben. Gilt das noch? Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur weltweit, gleich nach Amerika und Russland. Der »Kultur der militärischen Zurückhaltung« (Westerwelle) spricht das Hohn.
Niemand weiß, ob der Arabische Frühling Erfolg haben wird. Das Scheitern der alten westlichen Stabilitätspolitik in der Region aber ist nicht zu übersehen. Die schlimmsten Kriege der vergangenen drei Jahrzehnte resultierten aus der Hybris der Gleichgewichtspolitik: die Feinde unserer Feinde aufzurüsten – Saddam gegen die Ajatollahs in Iran, die Taliban gegen die Russen. Am Ende führte der Westen stets gegen die Freunde von gestern Krieg. Das ist die Lektion unseres Scheiterns: Wer ein Land als Waffe betrachtet, muss darauf gefasst sein, dass sie sich dereinst gegen ihn selbst richtet.

 

Wie der Euro Deutschland rettet

Interessanter Artikel von Steven Rattner in Foreign Affairs. Rattner, ein Investmentbanker, war an der Rettungsaktion für die amerikanische Autoindustrie in der Krise beteiligt. Er schreibt über die Lektionen, die das neue deutsche Wirtschaftswunder für die USA bereithält.

Schröders Agenda kommt sehr gut weg durch die Kombination von Sozialreformen und Industriepolitik. Und danach wird die Kurzarbeiterregelung zur Nachahmung empfohlen, weil sie, anders als das hire and fire die kompetente Arbeiterschaft im Unternehmen hält und die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit minimiert. Deutschlands Mittelstand, der sich auf qualifizierte Produkte spezialisiert hat, statt den Wettbewerb über die Lohnkosten zu suchen und alles zu outsourcen, wird ebenfalls sehr gelobt.

Und dann kommt eine Passage, die gewisse schmutzige Wahrheiten über den Vorteil des Euros für die Deutschen ausspricht, die unsere Politiker leider nicht anzusprechen wagen:

Meanwhile, the introduction of the euro in 1999 quietly brought Germany another advantage: it fused the country to others whose competitiveness, as measured by the cost of each unit of labor, had stagnated, particularly Greece, Ireland, Italy, Portugal, and Spain, but also France. Meanwhile, since 1999, Germany’s competitiveness has increased by nearly 20 percent. Germany wins more business worldwide when it competes against other eurozone countries to sell its exports, and it even outperforms them in their home markets. About 80 percent of Germany’s trade surplus comes from its trade with the rest of the European Union.

The eurozone’s weak economic performance and the simmering sovereign debt crises in several peripheral eurozone countries have kept the value of the euro well below what the deutsche mark would be worth today if it still existed. (According to some estimates, if Germany abandoned the euro, its currency would immediately appreciate by 30 to 40 percent.) This gives Germany an enormous competitive trade advantage over countries with their own, more expensive currencies, such as the United Kingdom and the United States. The economic stimulus from the undervaluation of the euro has been so powerful that the biggest economic worry in Germany today is that the economy will overheat and trigger inflation.

Das ist die Wahrheit über die Eurokrise und die Deutschen. Der Focus auf Griechenlands Steuermoral und Rentenniveau lenkt nur ab von der Grundwahrheit, dass der Euro ein wesentlicher Faktor des deutschen Wirtschaftswunders II ist und deshalb aus schierem Eigeninteressse unbedingt gerettet werden muss.

 

Wozu der Leo gut ist

Ich muss mich bei den Unentwegten bedanken, die dieses arme verwaiste Blog durch fleißiges Klicken am Leben erhalten. Leider konnte ich in den letzten Wochen nichts posten, weil mich eine Reise durch den deutschen Salafismus in Beschlag nimmt. Wird ein Dossier, das demnächst erscheinen soll.
Und nun hält mich die Beschäftigung mit dem angeblichen Waffen-Deal mit den Saudis auch noch davon ab, diesen Text endlich abzuschließen.

Manche Kollegen haben darauf verwiesen, dass der Leopard-Panzer wohl kaum in der Lage sei, Aufstände zu bekämpfen. Darum könne das Argument nicht ziehen, Deutschland liefere den Saudis ein Instrument zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. Clemens Wergin hat das zum Beispiel auf seinem sehr lesenswerten Blog „Flatworld“ so gedeutet. Ich fürchte, das kann man so nicht sagen, wie dieses Bundeswehrvideo über den neuen, umgerüsteten Leo 2a7+ zeigt. Ich muss sagen, ich finde es dann doch ein bisschen erklärungsbedürftig, dass wir den Saudis dieses Instrument verkaufen, das speziell umgerüstet wurde für Insurgency-Situationen, in denen sich das Regime eines Tages auch gegenüber der eigenen Bevölkerung vorfinden könnte.

 

Warum die Mavi Marmara diesmal nicht nach Gaza ausläuft

Ich bin angenehm überrascht von der türkischen Entwicklung in Sachen Gaza-Flotte 2.
Vor kurzem hatte der türkische Außenminister Davutoglu zwar noch gesagt, die türkische Regierung habe keine Möglichkeit, die Hilfsorganisation IHH zu beeinflussen, die hinter der Mavi Marmara steht. Das Schiff, das im letzten Jahr von israelischen Soldaten gestürmt worden war, sollte auch dieser Tage wieder an einer Neuauflage der Antigazablockade-Aktion teilnehmen.
Nun aber hat sich ausgerechnet das Paradeschiff der Blockadebrecher zurückgezogen. Die israelische Regierung hat hinter den Kulissen massiv bei den Türken darauf gedrängt, dass man die IHH von dem Unternehmen abbringt. Die gute Nachricht: Offenbar gibt es wieder eine Verständigung der einstmals engen Alliierten Israel und Türkei.
Was könnte zum neuen türkischen Kurs beigetragen haben? Der arabische Frühling hat die Lage in der Region verändert. Gaza ist nicht mehr im gleichen Maße isoliert. Der Grenzübergang Rafah ist immerhin für Personen offen. Israel schafft auch mehr Güter in den Gazastreifen. Hamas und Fatah haben sich auf eine gemeinsame Regierung geeinigt.
Für die Türken mag auch die Eskalation in Syrien eine Rolle spielen. Man hatte sich des guten Drahtes zum Nachbarland gerühmt und muß nun feststellen, dass Assad sich um keine guten Ratschläge schert. Für die Türkei ist das unmittelbar bedrohlich, siehe das Flüchtlingsproblem an der Südostgrenze. Da kann man nicht noch eine Krise mit Israel brauchen.
Außerdem droht schon die nächste große Nahostkrise im September, wenn die Palästinenser sich von der Uno-Generalversammlung anerkennen lassen wollen. Auch die Türkei wird dazu Stellung beziehen müssen. Die Türkei will in der Region im Aufruhr als ein Faktor der Stabilität wahrgenommen werden. Erneute Sticheleien mit Israel sind da derzeit nicht erwünscht.
Es geht jetzt um mehr: Die palästinensischen Ambitionen auf Staatlichkeit könnten, wenn sie im September frustriert werden, zu einer neuen Intifada führen. Unter Bedingungen des arabischen Frühlings könnte niemand sie mehr kontrollieren, auch die Türken nicht. Dass sie wieder auf die Israelis hören, spricht dafür, dass auch sie diese Entwicklung fürchten. Und das ist auch gut so.

 

Der Iran vor der Mullah-Herrschaft

Da der Blogwart derzeit viel unterwegs ist (Recherche über Salafismus), hier nur eine kurzes Lebenszeichen.
Eine Erinnerung an den anderen Iran durch die Zeitmaschine iranischer TV-Werbung der Jahre 1969-78:

 

Die Öko-Islamisierung Deutschlands schreitet voran

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat recht! Hatte er doch auf dem Parteitag der Christsozialen gesagt (allerdings vor der „Energiewende“):

„Diejenigen, die gestern gegen Kernernergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, agitieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen ein Minarett im Garten haben.“

Es kommt allerdings noch schlimmer! Der Öko-Islam kommt über das Land. In Deutschlands modernster Moschee in Norderstedt sind Minarette mit integrierter Windkraft geplant, wie die Kollegen von Sabah Avrupa berichten.

Windkraft-Minarette! Das nenne ich Integration! (Nein, das ist kein Witz.)

„Modernste Moschee in Deutschland

Die modernste Moschee Deutschlands mit einer ausgefallenen Architektur und einem Selbstversorger- Energiesystem wird in der Stadt Norderstedt in Norddeutschland gebaut. Auf einer Nutzfläche 1.400 Quadratmeter soll das Bauwerk vom türkischem Architekten Selcuk Ünyilmaz mit zwei Minaretten von 22 Meter Höhe errichtet werden. Im Minarett werden Windenergieanlagen untergebracht, so dass die Moschee selbst mindestens 30 Prozent ihres Energiebedarfs umweltfreundlich produzieren kann. „Für die Grundsteinlegung der modernsten Moschee Deutschlands sind alle Vorbereitungen getroffen“, sagt der Architekt Ünyilmaz.“

 

Israel vor einer dritten Intifada?

Das syrische Regime, das vor wenigen Tagen erst wieder auf die eigenen Leute geschossen hat – viele Dutzende sollen erst am letzten Freitag wieder bei Demonstrationen umgekommen sein –, hat einen Hoffnungsschimmer am Horizont gesehen:

Eine neue Intifada wäre die Lösung! Und also lässt die gleiche Regierung, die sogar Minderjährige zu Tode foltert, nur weil sie zu Hause Freiheit fordern, Hunderte von Palästinensern ungehindert auf die israelische Grenze zu spazieren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Umso besser vielleicht, wenn möglichst viele von ihnen getötet werden? Dann kann endlich der Nahostkonflikt wieder den arabischen Frühling überlagern, der selbst vor Damaskus nicht halt gemacht hat.

Die Palästinenser, die bei den Naksa-Märsche gestorben sind, sie sind Assads Kanonenfutter. Niemals wäre es möglich, ohne das gnädige Auge des Diktators in Hundertschaften an der Grenze aufzutauchen.

Leider ist es zwar bei der jetzigen israelischen Regierung nicht auszuschließen, dass auch sie ein Interesse an einer Eskalation hat, weil dies den wachsenden Druck von ihr nehmen würde, wieder in Verhandlungen einzutreten.

Aber: Wer auf eine Grenze zu marschiert und sich weigert, nach mehrfacher Aufforderung stehen zu bleiben, der riskiert halt sein Leben. Das ist keine neue Erkenntnis und keine Besonderheit dieser Grenze.

Die israelischen Grenztruppen haben nach ersten Berichten alle nichttödlichen Mittel erschöpft, bevor sie scharfe Munition zu verwenden begannen. Sie haben mehrfach das Feuer eingestellt, um eine Versorgung der Verwundeten zu gewährleisten. Die Demonstranten haben diese Feuerpausen nicht beachtet und damit den Tod der Verwundeten in Kauf genommen.

Wenn die Palästinenser sich zu friedlichen Protesten gegen die Besatzung entschließen, ist das begrüßenswert. Wenn der Eindruck entsteht, es gehe hier doch darum, auf Teufel komm raus zu provozieren und Märtyrer zu produzieren, wird daraus nichts Gutes entstehen – zumal wenn das Ganze vom syrischen Regime ausgenutzt wird, das Hunderte seiner eigenen Leute umbringt:

“I would note that these protests were carried live on Syrian television” an Israeli official said. “They do not carry the protests against their own regime live. They made a decision to try to exploit this for their own purposes.”

Allerdings macht gerade diese Situation es um so dringlicher für Israel, zu einem Akteur im Friedensprozess zu werden, statt sich in der Defensive einzuigeln. Wer eine politische Alternative zu dieser dritten Intifada anbietet, nimmt seinen Gegnern ein Instrument aus der Hand. Wer das versäumt, arbeitet ihnen zu.

 

Die Einsamkeit der Soldaten

Gestern sah ich einen aufwühlenden Film mit Tobey Maguire, Jake Gyllenhal und Natalie Portman in den Hauptrollen – „BROTHERS“. Der Film ist ein Remake eines dänischen Films, der auch sehr gut sein soll (den kenne ich aber nicht). Er handelt von zwei ungleichen Brüdern, einem Soldaten und einem Ex-Kriminellen, und der Frau, die beide lieben.
Der eine Bruder geht zum zweiten Mal nach Afghanistan, während der andere gerade nach einer Haftstrafe (wegen Raubüberfalls) entlassen wird. Der Soldat stirbt bei einem Hubschrauberabsturz (oder so scheint es jedenfalls zunächst). Sein Bruder kümmert sich um die hinterbliebene Ehefrau (Portman), zu der eine tiefe Bindung entsteht.
Zusammen lernen die beiden, ohne den Bruder/Ehemann zu leben.
Doch dann stellt sich heraus, dass dieser gar nicht tot ist, sondern von den Aufständischen gerettet und gefangen gehalten wurde. Die Taliban wollen ihn und seinen Kameraden zwingen, auf einem Video die amerikanische Kampagne zu denunzieren. Lange verweigert er sich, trotz fürchterlicher Folter. Sein Kamerad bricht zusammen und macht die Video-Aussage.
Schließlich zwingen die Taliban Tobey Maguire mit vorgehaltener Waffe, seinen für sie wertlos gewordenen Mitgefangenen zu töten.
Er tut es in einem Anfall wahnsinniger Wut und Verzweiflung.
Schließlich wird das Lager der Aufständischen von den Amerikanern überrannt. Der Soldat wird befreit und nach Hause zurückgebracht.
Und hier beginnt für mich der bewegende Teil dieses Films, der mich fort von Afghanistan und zurück in meine eigene Kindheit transportiert hat.
Tobey Maguire ist großartig in der Rolle des Heimkehrers, der nicht wieder zu Hause ankommt. Niemandem kann er erzählen, was er getan hat um zu überleben, auch nicht der eigenen Frau. Vielleicht gerade ihr nicht, weil das Unglück nicht in die Familie getragen werden soll. Seine Kinder nehmen ihm übel, dass er abwesend war, als sie Geburtstag feierten. Er versteht ihre Witze nicht mehr, ihre kleinen Sorgen und Freuden. Er ist allein, eingesperrt in seinen Erfahrungen. Er will wieder ins Feld, zu den Kameraden, die ihn verstehen.
Ich war als Kind von solchen Männern umgeben, den ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die an Leib und Seele verstümmelt waren. Der eine ohne Arm, der nächste ohne Bein, mein Onkel ohne Zehen. Ich konnte nicht mit ihnen reden, ich wollte ihre Geschichten nicht hören. Sie haben das als Anmaßung eines Nachgeborenen erlebt, als moralische Überhebung. Dabei war es zunächst einmal nur panikhafte Angst vor dem Grauen, das manchmal aufblitzte, wenn sie etwas erzählten. Mein Onkel Viktor (welche abgrundtiefe Ironie in diesem Namen) war nach vielen Jahren sibirischer Gefangenheit in das Eifeldorf zurückgekehrt, in dem er sein ganzes Leben verbracht hatte. Seine erste Reise war gleich nach Stalingrad gegangen.
Die Erfrierungen an den Füßen waren noch die geringste Wunde, die er mitgebracht hatte.
Einmal erzählte er von seiner Arbeit im Begräbniskommando des Lagers. Tage dauerte es, in dem Permafrostboden Gräber auszuheben. Auch die Leichen waren gefroren, wenn man sie aufeinander stapelte, erzählte er, „machte es ein Geräusch wie Holz“. Einer seiner Freunde erzählte, wie er nach den ersten tödlichen Schüssen auf feindliche Soldaten heulen musste – und wie dann später jegliche Empfindung beim alltäglichen Töten abstarb und es etwas völlig Normales wurde.
Ich antwortete auf solche Erzählungen mit Abscheu und zur Schau getragenen moralischen Grundsätzen, ich wurde Pazifist aus Horror vor den Abgründen, von denen die Männer erzählten. Es war eine Form der Abwehr. „Du hältst dich wohl für was Besseres“, tobte der Onkel, als ich ihm eröffnete, ich würde nicht zur Bundeswehr gehen. „Wir hatten damals keine Wahl.“ Er hatte durchaus Recht, es lag eine gewisse Überheblichkeit in meinem Pazifismus, der mich nichts kostete. Aber er war auch neidisch auf mein Aufwachsen in historischer Unschuld, auf meine „Gnade der späten Geburt“.
Keiner wollte bei uns zu Hause die schrecklichen Geschichten hören. Ich kann das einerseits immer noch verstehen aus der Ungeheuerlichkeit der deutschen Schuld heraus. Aber heute tun mir die stummen, wütenden, verwundeten Männer leid, die damals an den deutschen Küchentischen saßen – und doch nie wirklich heimgekehrt sind.
Viktor war kalt und brutal geworden über seinen Erfahrungen. Alle hatten Angst vor ihm. Er sympathisierte mit den Neonazis, las die „National-Zeitung“. Zeitweilig habe ich ihn gehasst. Nicht alle Veteranen waren so wie er. Manche haben andere Konsequenzen gezogen. Ihm war das nicht gegeben. Sein Weg blieb bis zum Ende das Ressentiment. Er hat eine Spur des Unglücks in seiner Familie hinterlassen. Vielleicht können die Enkel sich eines Tages davon freimachen.
Tobey Maguire findet am Ende des Films die Kraft, von seinen Erlebnissen zu erzählen. Ob er wieder ins Leben zurück findet, bleibt offen. Ein Anfang immerhin ist gemacht.
Mein Onkel Viktor und Hunderttausende andere deutsche Besiegte haben das nach dem Krieg nicht geschafft. Lange konnte ich mir das offenbar nicht erlauben, und damit war ich wahrscheinlich nichts Besonderes: Doch heute erfasst mich Trauer bei dem Gedanken an Viktor, den Verlierer.

 

Wofür Zweisprachigkeit gut ist

Interessanter Artikel in der Nytimes über den Vorteil der Zweisprachigkeit für die allgemeine kognitive Fitness: Die amerikanische Psychologin Ellen Bialystok beschreibt, wie Zweisprachigkeit die Fähigkeit erhöht, Relevantes von Unwichtigem zu unterscheiden:

There’s a system in your brain, the executive control system. It’s a general manager. Its job is to keep you focused on what is relevant, while ignoring distractions. It’s what makes it possible for you to hold two different things in your mind at one time and switch between them.

If you have two languages and you use them regularly, the way the brain’s networks work is that every time you speak, both languages pop up and the executive control system has to sort through everything and attend to what’s relevant in the moment. Therefore the bilinguals use that system more, and it’s that regular use that makes that system more efficient.

Ich fürchte manchmal, dass unsere Fixierung auf das Deutsche als Integrationsvoraussetzung solche Potentiale einer Einwanderungsgesellschaft zu sehr in den Schatten drängt. Es ist ja manchmal ein Ton in der Debatte, der das Türkischlernen zuhause geradezu als Integrationshindernis erscheinen lässt.

Das ist nach den Erkenntnissen von Frau Bialystok ganz falsch. Die mangelnden Türkischkenntnisse sind ein Problem, weil sie dann auch nur durch mangelnde Deutschkenntnisse aufgefangen werden. Deutsche Kindergärten und Schulen sollten den Ehrgeiz haben, den Kindern, die zuhause Türkisch mitbekommen, exzellentes Türkisch beizubringen – ganz wie beim Englischen oder Französischen oder Spanischen. Das Türkische sollte jedenfalls in unserer Debatte nicht wie ein Hemmnis behandelt werden, sondern als eine mögliche Gabe:

Q. Bilingualism used to be considered a negative thing — at least in the United States. Is it still?

A. Until about the 1960s, the conventional wisdom was that bilingualism was a disadvantage. Some of this was xenophobia. Thanks to science, we now know that the opposite is true.

Q. Many immigrants choose not to teach their children their native language. Is this a good thing?

A. I’m asked about this all the time. People e-mail me and say, “I’m getting married to someone from another culture, what should we do with the children?” I always say, “You’re sitting on a potential gift.”

There are two major reasons people should pass their heritage language onto children. First, it connects children to their ancestors. The second is my research: Bilingualism is good for you. It makes brains stronger. It is brain exercise.

Q. Are you bilingual?

A. Well, I have fully bilingual grandchildren because my daughter married a Frenchman. When my daughter announced her engagement to her French boyfriend, we were a little surprised. It’s always astonishing when your child announces she’s getting married. She said, “But Mom, it’ll be fine, our children will be bilingual!”

 

Was wir Ratko Mladic verdanken

Nachdem Ratko Mladić mit den serbischen Truppen im Juli 1995 Srebrenica eingenommen hatte, verkündete der General, nun werde man Rache „an den Türken“ nehmen – wie die bosnischen Muslime von den Serben (mit Bezug auf die osmanische Herrschaft) genannt wurden.

Und so geschah es dann bekanntlich, unter den Augen der niederländischen Truppen, als beim schlimmsten Massaker der Nachkriegszeit in Europa bis zu 8.000 Jungen und Männer ermordet wurden.

Srebrenica eröffnete als Schandmoment der jüngeren Geschichte einen Reigen von humanitären Interventionen, ja man kann sagen, es wurde das Grunddatum des neueren Interventionismus. Die Vordenkerin des jüngsten Krieges, Obamas Beraterin Samantha Power, war seinerzeit als junge Kriegsreporterin auf dem Balkan. Nie wieder Srebrenica wurde zu ihrem Lebensmotto.

Benghazi darf kein zweites Srebrenica werden – das war der tipping point für den Krieg gegen Gadhafi. Insofern ist es zwar ein historischer Zufall, dass Mladic ausgerechnet jetzt gefasst wurde (und es wird wohl mehr mit den serbischen EU-Aspirationen zu tun haben) – aber eben doch ein sehr passender.

Die deutsche Öffentlichkeit in ihrer verständlichen Kriegsmüdigkeit weiß nichts von solchen Zusammenhängen – und will auch nichts davon wissen. Sie möchte glauben, das Zeitalter des Interventionismus sei vorbei. Es ist gut, dass wir jetzt einen Verteidigungsminister haben, der kühl dagegen hält. Interventionen von Koalitionen der Willigen unter Mandat der UN werden die Zukunft für unsere Streitkräfte sein, ob es uns gefällt oder nicht. Intellektuell und strategisch ist Deutschland darauf nicht vorbereitet. Das Schlüsselwort unseres Außenministers lautet „Abzugsperspektive“, als wäre mit dem notwendigen Abzug aus Afghanistan das Ende der Interventionen erreicht.

Mladićs Verhaftung hat noch einmal in Erinnerung gerufen, dass es ein Massenmord an Muslimen war, der die Welt vor 16 Jahren empört, beschämt und aufgeschreckt hat. Srebrenica wurde darum auch zu einem weiteren Rekrutierungsmittel der Dschihadisten, in deren Weltsicht ein globaler Krieg gegen den Islam geführt wird (von Tschetschenien bis Kaschmir). Was in deren Propaganda ausgeblendet wird, ist die schlichte Tatsache, dass der Westen nach dem Versagen von 1995 mehrfach gehandelt hat und das Leben eigener Soldaten für Muslime im Kosovo, in Afghanistan, in Bagdad, Basra, Mossul und Benghazi aufs Spiel gesetzt hat.

Das sollte man vielleicht mal öfter erwähnen, wenn von der vermeintlichen Islamophobie des Westens die Rede ist.

Mladićs Rache an den „Türken“ Bosniens wurde somit zum Anlass eines neuen Verständnisses von Menschen- und Völkerrecht, gipfelnd in der noch jungen Norm der „responsibility to protect“, die erstmals im libyschen Fall angewendet wird. Weder rechtlich noch strategisch ist dies zuende gedacht. Wie könnte es auch sein?

Mladić und seine mordenden Truppen haben uns seinerzeit endgültig aus den Träumen von einem Ende der Geschichte herausgerissen. Mich erfasst eine große Genugtuung bei dem Gedanken, ihn demnächst vor Gericht zu sehen.

Welch ein Frühling für Schurken! Wer ist der nächste?