Lesezeichen
 

Ein Ministerpräsident mit doppelter Staatsangehörigkeit

Jetzt hat Deutschland einen Ministerpräsidenten mit zwei Pässen: David McAllister, der heute in Hannover zum Nachfolger von Christian Wulff gewählt wurde, hat einen deutschen und einen britischen Pass. Sein Vater war ein schottischer Offizier. David McAllister, mit dem ich einmal vier Wochen in den USA verbracht habe – in einer Gruppe des German Marshall Fund – ist ein fröhlicher Konservativer, wie man ihn hierzulande selten trifft. (Glückwunsch, David! Ich wusste, dass Du nicht Bürgermeister von Bad Bederkesa bleiben würdest.)

Und jetzt möchte ich eine Wette eingehen: Wenn die Union mit einem Doppelpass-Ministerpräsidenten leben kann, werden wir eines nicht so fernen Tages eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts erleben. Denn wie bitte soll MP McAllister jungen Türken erklären, dass sie sich gefälligst zu entscheiden haben, wenn er es selber nicht tut?

 

85 Quadratmeter Deutschland

Mein Bericht über den Flaggenstreit in der Berliner Sonnenallee aus der ZEIT von heute, S. 5:

Berlin-Neukölln
Youssef Bassals Gesichtsfarbe changiert schon ein wenig ins Graugrünliche. Er hat nicht viel geschlafen in den vergangenen Tagen – seit »diese komischen Deutschen« nachts vor seinem Laden in Berlin-Neukölln aufkreuzen und ihm seine Fahne herunterreißen wollen. Er lächelt müde, aber zufrieden wie einer, der einen gerechten Kampf ausficht. Bassal kämpft für die Ehre der deutschen Flagge: »Ich werde diese Fahne verteidigen – und wenn ich überhaupt nicht mehr zum Schlafen komme!« Über seinem Laden, Bassals Elektro-Shop, am oberen Ende der Sonnenallee in Berlin-Neukölln flattert das größte Schwarz-Rot-Gold der Hauptstadt – von der Traufe bis hinunter in den ersten Stock gut 17 mal 5 Meter. 85 Quadratmeter Deutschland, die zum Gegenstand eines bizarren Streits geworden sind.
An der Ecke Sonnenallee/Pannierstraße ist fast nichts so wie erwartet. Bassals Laden liegt neben dem Imbiss Al Hara, diversen Shisha-Lounges und gegenüber der Bäckerei Sultan Zwei. Das Ende der Sonnenallee ist auf dem Weg, Berlins »Arabtown« zu werden, mitten in einem Stadtteil, der wie kein anderer in Deutschland für das Scheitern der Integrationspolitik steht.
Die »komischen Deutschen« aber, die dem gebürtigen Libanesen das schwarz-rot-goldene Banner nicht gönnen, sind nicht etwa Rechtsradikale, sondern Angehörige der sogenannten »linksautonomen Szene«. Für diese Szene ist es schwer genug zu ertragen, wenn geborene Deutsche dieser Tage überall Fahnen schwenken. Doch der fröhliche Patriotismus des arabischen Migranten treibt die Autonomen zur Verzweiflung.

Im Internet kursiert denn auch bereits eine Ausschreibung: »Hiermit setzen wir 100 Punkte Kopfgeld auf die Fahne aus. Ihr müsst sie
ja nicht mitnehmen, unbrauchbar machen reicht. Aber Achtung: Angeblich will Bassal einen Nachbarschafts-Fahnenschutz organisieren, nachdem sie bereits in den letzten Tagen angezündet und abgeschnitten wurde. Deswegen geben wir noch 10 Punkte drauf. 110 Punkte für diese eine Fahne.«
Damit war die Jagd eröffnet. Und so kommt es, dass Youssef Bassal nun schon unter der dritten Fahne in zwei Wochen sitzt, die er jeweils für 500 Euro hat maßschneidern lassen. Gleich am ersten Tag, nachdem Bassal und sein Kumpel Khaled Husseini die Flagge am Dach montiert und über drei Balkone nach unten hatten flattern lassen, kam eine junge Frau in typischer schwarzer Autonomen-Kluft vorbei und stellte die beiden zur Rede, wie Bassal erzählt: »Wir sollten lieber eine Palästina-Flagge aufhängen, hat sie gesagt. Wieso Palästina? Ich bin Libanese, ich liebe die deutsche Mannschaft, und die Palästinenser spielen, soweit ich weiß, nicht bei der WM mit.«
Bassal grinst verschmitzt – und unverdrossen. Eines Abends kamen zehn schwarz Vermummte vorbei, rissen die Fahne herunter und konnten mit ihrer Beute fliehen. Die zweite Fahne, die er sofort am nächsten Tag hisste, wurde vermutlich wieder von Autonomen angezündet und dann an der Dachkante abgeschnitten.
Als die zweite Fahne hing und klar wurde, dass Youssef Bassal nicht leicht zu entmutigen sein würde, sei erneut eine junge Frau in Schwarz in den Laden gekommen, erzählt er. »Die sagte zu mir: ›Warum machst du das? Du weckst die Deutschen wieder auf!‹ Und dann hat sie irgendwas über den Geist der Nazis erzählt. Was habe ich denn bitte mit den Nazis zu tun?«
Der dritten Flagge soll es nun nicht ebenso ergehen, und darum sitzt Youssef Bassal mit seinem Kumpel Khaled Husseini seither Nacht für Nacht auf dem Trottoir der Sonnenallee und trinkt einen Tee nach dem anderen. »Wer diese Fahne beschädigt, beleidigt mich, meine Familie und Deutschland«, sagt er.
Aber 1500 Euro für drei Fahnen in zwei Wochen – das ist schon ziemlich verrückt. Wie Fußballfans halt so sind: Bassal liebt den unbeschwerten Stil der deutschen Mannschaft. Zusammen mit türkischen und deutschen Freunden macht er bei jedem Spiel der Löw-Elf aus dem Bürgersteig der Sonnenallee eine kleine Fanmeile. Die Fahne sollte ursprünglich nur ein überschwänglicher Ausdruck der Spiel- und Lebensfreude sein, die dieser Tage durch Schweinsteiger, Podolski, Klose und Özil verbreitet wird. Aber jetzt ist dank der Anfeindungen von links außen etwas mehr daraus geworden. Youssef Bassal und seine Kumpel verteidigen mit dem Schwarz-Rot-Gold ihr Bild von Deutschland und ihr Recht, sich zugehörig zu fühlen, auch wenn sie anders heißen und aussehen als der übliche Fahnenträger hierzulande: »Was deutsch ist, bestimmen wir schon selbst!«
Bassal ist Anfang der Achtziger mit 16 Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Da wütete im Libanon ein Bürgerkrieg. Seiner Mutter, seiner Schwester und ihm habe Deutschland zu einem neuen Leben verholfen, sagt er. In seiner Erzählung ist Deutschland ein großzügiges, offenes, hilfsbereites Land. Wer ihm zuhört, muss sich beschämt fühlen angesichts mancher hässlicher und kleinlicher Debatten hierzulande über Quoten für Flüchtlinge oder Intelligenztests für Einwander. »Deutschland hat uns Sicherheit, Wohlstand und Freiheit gegeben. Wir dürfen das nicht vergessen. Da ist so eine große Fahne doch nur ein kleiner Dank.«
Aber eigentlich geht es Bassal nicht um die Vergangenheit, sondern um das Neue am deutschen Team: »Die Deutschen machen es richtig. Sie geben jedem eine Chance, egal, wo er herkommt. Sie machen keinen Unterschied. Das ist die Zukunft, während andere Teams wie Frankreich wieder zurückfallen in altes Misstrauen.« Im Bild eines offenherzigen Landes liegt für den autonomen deutschen Selbsthass eine ungeheure Provokation. Darum soll die Fahne verschwinden, ebenso wie die vielen anderen Wimpel, die linke Grüppchen bereits von den Dächern der Autos in der Sonnenallee gestohlen haben – die übrigens auch meist Türken oder Arabern gehören. In einschlägigen Webforen brüsten sich Vermummte mit Spitzenleistungen beim Sammeln der verhassten Symbole: »Wir, das Kommando Kevin-Prince Boateng Berlin-Ost, sind dem bundesweiten Aufruf, Nationalflaggen und -symbole zu sammeln, gefolgt und haben schon 1657 schwarz-rot-goldene Lumpen erbeutet.« Boateng, das ist der ghanaische Spieler mit Berliner Wurzeln, der den deutschen Kapitän Michael Ballack durch ein Foul aus dem Verkehr gezogen hatte. In rechtsradikalen Fan-Kreisen wird er dafür gehasst. Für die Linksradikalen ist Boateng dagegen ein Held, weil sein Tritt die verhasste deutsche Nationalmannschaft traf: der Migrant als Projektionsfläche deutscher Identitätskämpfe, eine alte Geschichte.
Vielleicht ist der Neuköllner Fahnenstreit ein Zeichen dafür, dass sich da etwas ändert: Bassal und seine Freunde wollen für so etwas nicht mehr herhalten. Sie wollen sich weder durch die Rechten, die »Deutschland den Deutschen« grölend durch die Sonnenallee ziehen, noch durch die Linksradikalen, für die ein Migrant offenbar immer Migrant zu bleiben hat, vorschreiben lassen, wie sehr und auf welche Art sie deutsch sein dürfen.
Auch Bassals Cousin Badr Mohammed ist häufig bei der Fahne anzutreffen. An diesem Montagnachmittag sitzt er gegenüber im Sultan Zwei und sieht mit Genugtuung, wie Fernsehkameras die Fassade mit der Fahne filmen und sein Cousin Interviews gibt. Mohammed ist ein Lokalpolitiker, der 17 Jahre für die SPD In­te­gra­tions­poli­tik machte, bevor er im vergangenen Herbst zur CDU wechselte. Als Mitglied der ersten Islamkonferenz von Wolfgang Schäuble habe er gespürt, dass »in der Union integrationspolitisch mehr möglich ist als bei den Sozis«. Mohammed packt die Wut über die »linken Blockwarte«, die seinem Cousin das Leben schwer machen: »Wir wollen keine Alibi-Ausländer für irgendjemand sein. Wir wollen nicht ewig Migranten bleiben und einen Migrationshintergrund haben bis ins siebte Glied. Wir sind neue Deutsche. Punkt.«
Das Spiel gegen Argentinien wird übrigens, wenn es nach Bassal, Mohammad und Husseini geht, mit einem 1 : 0 für Schweinsteiger, Özil und Klose enden. Dann werden sie wieder feiern auf der Sonnenallee, neue und alte Deutsche zusammen, unter der größten Fahne Berlins.

 

Für ein neues Verständnis des Islamismus

Marc Lynch hat in Foreign Policy eine ausführliche Auseinandersetzung mit Tariq Ramadan und seinen Kritikern (vor allem: Paul Berman) vorgelegt. Lynch ist der beste amerikanische Kenner der internen Debatten der Muslimbruderschaft. Sein Blog ist eine hervorragende Quelle über Diskussionen in der islamistischen Bewegung.

Sein Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung des neueren Islamismus – vor allem unter Berücksichtigung der Deutungskämpfe zwischen Salafisten, Al-Kaida und moderateren Teilen der Bewegung (wie der ägyptischen Muslimbruderschaft und der palästinensischen Hamas) – scheint mir überzeugend. Lynch warnt auch eindringlich davor, allzu viele Hoffnungen auf „Ex-Muslime“ zu setzen, die vom Mainstream islamischer Gesellschaften isoliert sind, aber in unseren Öffentlichkeiten gut ankommen, weil sie dem Glauben abgeschworen haben, Israel unterstützen und die Außenpolitik des Westens verteidigen. Diesen Stimmen ihren Platz zu geben in der öffentlichen Debatte, sei kein Ersatz für den Dialog mit denen, die vielleicht keine liberalen, aber doch Demokraten sind – wie etwa Tariq Ramadan:

„In trying to understand Islamism, two approaches are possible. The first sees Islamism as essentially a single project with multiple variants, in which the similarities are more important than the differences. In this view, the Muslim Brotherhood and al Qaeda represent two points on a common spectrum, divided by tactics rather than by goals. Such an understanding makes it possible — if not unavoidable — to see Osama bin Laden lurking in the figure of Ramadan.

The second approach sees consequential distinctions in the ideology and behavior of various Islamist strands. In the years since 9/11, the United States has moved from the former camp to the latter. The United States‘ experience of cooperating with nationalist Iraqi insurgents against al Qaeda in Iraq has led many U.S. policymakers to favor a strategy that identifies differences among Islamists and uses them to accelerate al Qaeda’s marginalization. Many observers in the United States and elsewhere adopted a similar tack after watching the Muslim Brotherhood contest elections and defend democracy in countries such as Egypt, even as the Brotherhood opposed U.S. foreign policy objectives.

(…)

Those, such as Berman, who see Islamism as flat and uniform claim that Islamists of all varieties — despite differences over the use of violence or the value of democratic participation — ultimately share a commitment to achieving an Islamic state. But this is misleading. There is a vast and important gap between the Salafi vision of enforced social uniformity and the moderate Islamist vision of a democratic state, with civil institutions and the rule of law, populated by devout Muslims. The gap is so great as to render meaningless the notion that all Islamists share a common strategic objective. Ramadan stands on the correct side of this gap, and by extension, he stands on the right side of the most important battle within Islamism today: he is a defender of pragmatism and flexibility, of participation in society, and of Muslims‘ becoming full citizens within liberal societies.

Ramadan’s defense of participation places him opposite the literalists and radicals with whom Berman attempts to link him. The hard core of the Salafi jihadists view all existing Muslim societies as fundamentally, hopelessly corrupt — part of a jahiliyya, which means „age of ignorance,“ from which true Muslims must retreat and isolate themselves. Ramadan, by contrast, calls for change from within. Groups such as the Muslim Brotherhood offer clinics, charities, schools, and other services, while pursuing the dawa, or „spiritual outreach.“ Their approach would be familiar to anyone who has engaged with American evangelicals — the polite conversation, the pamphlets and other literature, the self-presentation as honest and incorruptible. There is an obvious difference between a woman who is forced to wear a veil for fear of acid being thrown in her face and one who does so to show respect for God. But there are other forms of coercion — peer pressure, societal norms, and economic need — that can be difficult to detect from the outside. These are topics for serious study.

But Berman does not even try.

 

Die außenpolitische Kehrtwende der LINKEN

Erstaunliche Wende in der Außenpolitik der Partei Die Linke! Aus einer Rede des Vorsitzenden der Linkspartei, Klaus Ernst:

„Für eine Bestandsaufnahme und für eine Diskussion, bei der man eingehend in die Sachverhalte hineinleuchten und hineingehen kann, möchte ich doch heute schon sagen:

Die Linke geht davon aus, dass das europäische und atlantische Verteidigungssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.

Die Linke beabsichtigt nicht, das Ausscheiden der Bundesrepublik aus den Vertrags- und Bündnisverpflichtungen zu betreiben. Sie ist der Auffassung, dass ein europäisches Sicherheitssystem die geeignete Form wäre, den Beitrag des wiedervereinigten Deutschlands zur Sicherheit in Europa und in der Welt leisten zu können.

Die Linke bekennt sich in Wort und Tat zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundrechte und der Grundordnung und bejaht die Landesverteidigung.“

(Wer es wirklich gesagt hat, steht hier.)

 

Warum Merkel und Sarkozy nicht miteinander können

Ein Beitrag von mir aus dem Deutschlandradio  zu den Hintergründen des neueren deutsch-französischen Zerwürfnisses.

Auszug:

Merkel hat vorerst gewonnen, mehrfach. Aber es gibt Siege, die von Niederlagen kaum zu unterscheiden sind. Der Konflikt wird weiter schwelen: Frankreich will mehr Abstimmung und sieht traditionell wenig Probleme mit Verschuldung, Deutschland will keine weitere Integration und möchte ganz Europa seine Stabilitätskultur aufzwingen. Es ist ein alter Konflikt, der in der unterschiedlichen Wirtschaftskultur der beiden Länder wurzelt: zentralistisches Agrarland versus föderalistische Exportnation. Ein alter Streit: Doch anders als ihre Vorgänger werden Merkel und Sarkozy heute von einem dritten Mitspieler beobachtet: dem Finanzmarkt, der jede Schwäche des deutsch-französischen Verhältnisses als Schwäche des Euros liest…

Hier zum Lesen. Hier zum Hören.

 

Hürriyet: Hohe Selbstmordrate unter türkischen Frauen

Damit es nicht immer wieder heißt, die deutsche Presse ergehe sich allzu gerne in Negativmeldungen über Integration und Frauenrechte, hier ein Beispiel aus der türkischen Presse von heute. Hürriyet berichtet, dass die Selbstmordrate unter türkischen Frauen und Mädchen doppelt so hoch ist wie bei Deutschen, die Zahl der Suizidversuche gar fünf mal höher :

«Selbstmord-Alarm», heißt es auf der Titelseite der HÜRRIYET. Laut Zeitung hat «die Selbstmordrate unter türkischstämmigen Frauen in Deutschland besorgniserregende Dimensionen erreicht». Während 100 deutsche Frauen von 100.000 einen Selbstmord begingen, betrage die Zahl unter türkischstämmigen Frauen 200. Die Zahl der Suizidversuche unter türkischstämmigen Mädchen sei um das fünffache höher als unter deutschen. Nach Angaben der Psychologin Meryem Schouler-Ocak seien die Hauptursachen «innerfamiliäre Gewalt, Kommunikationslosigkeit, Verbote und Zwangsehen».

Auch seien der Status als Migrantin und Armut entscheidende Faktoren, so Schouler-Ocak. Anlässlich dieser Zahlen wende sich das Forschungsministerium und die Berliner Charité ab heute mit der Kampagne «Beende Dein Schweigen, nicht Dein Leben» an die gefährdeten Frauen.

 

Türkei: Mit Öcalan reden? Israel: Mit Hamas reden?

In der Türkei kommt es wieder zu blutigen Gefechtigen zwischen der Armee und den kurdischen PKK-Milizen.
Hinter der Eskalation steht offenbar der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan. Er hatte aus seiner Haft den Gesprächsprozess aufgekündigt. Erdogan deutet dies als Desinteresse der PKK an einer Versöhnung.
Die im türkischen Parlament vertretene Kurdenpartei BDP fordert nun aber einen direkten Dialog der Regierung mit Öcalan: Es könne nur eine Lösung des festgefahrenen Problems geben. Sie rief die Regierung erneut auf, offiziell und direkt mit dem inhaftierten Öcalan zu verhandeln.
„Wenn man einen Dialog mit der PKK und Öcalan aufnimmt“, so betonte BDP-Chef Selahattin Demirtas, „dann ist die BDP der Meinung, dass die Frage der Gewalt gelöst werden kann. Daran glauben wir fest.“

Erdogan lehnt das ab. Derselbe Staatsmann ist aber der Meinung, dass Israel sich mit der Hamas an einen Tisch setzen müsse. Im Grunde haben die israelische und die türkische Regierung bei allen Unterschieden sehr ähnliche Strategien zum Umgang mit den militanten Minderheiten auf jenen Gebieten, die umstritten sind. Netanjahu glaubt, die Palästinenser in der Westbank durch ökonomische Entwicklung befrieden zu können, so dass sie keinen vollwertigen Staat mehr anstreben werden (economic peace). Der Hamas soll so durch Förderung der Fatah das Wasser abgegraben werden. Erdogan hat das türkische System für die Kurden sehr geöffnet, um den Druck aus den Autonomiebestrebungen zu nehmen. Beide Regierungen wollen keinen Friedensprozess, bei dem sich beide Seiten Aug in Auge gegenübersitzen.

Vielleicht fahren sie ja deshalb im Moment so aufeinander ab, weil sie so ähnlich ticken?

 

Wie die Türkei über die Köpfe der Araber herrscht

Mit Kulturimperialismus! Durch den Erfolg türkischer Soap-Operas, die den arabischen Markt dominieren. Ein faszinierender Artikel in der New York Times zeigt, dass die Türkei auf allen Gebieten dabei ist, als Soft Power den Nahen Osten aufzurollen:

A Hamas leader not long ago was describing to a reporter plans by his government to start a network of Shariah-compliant TV entertainment when his teenage son arrived, complaining about Western music and his sister’s taste for the Turkish soap operas. Then the son’s cellphone rang.

The ring tone was the theme song from “Noor.”

If this seems like a triumph of Western values by proxy, the Muslim context remains the crucial bridge. “Ultimately, it’s all about local culture,” said Irfan Sahin, the chief executive of Dogan TV Holding, Turkey’s largest media company, which owns Kanal D. “People respond to what’s familiar.” By which he meant that regionalism, not globalism, sells, as demonstrated by the finale of “Noor” last summer on MBC, the Saudi-owned, Dubai-based, pan-Arab network that bought rebroadcast rights from Mr. Sahin. A record 85 million Arab viewers tuned in.

That said, during the last 20 years or so Turkey has ingested so much American culture that it has experienced a sexual revolution that most of the Arab world hasn’t, which accounts for why “Noor” triumphed in the Middle East but was considered too tame for most Turks. Even Mr. Sahin wonders, by contrast, whether the racier “Ask-i Memnu,” a smash with young Turks, threatens to offend Arabs unless it is heavily edited.

“You have to understand that there are people still living even in this city who say they only learned how to kiss or learned there is kissing involved in lovemaking by watching ‘Noor,’ ” explained Sengul Ozerkan, a professor of television here who conducts surveys of such things. “So you can imagine why the impact of that show was so great in the Arab world and why ‘Ask-i Memnu’ may be too much.

“But then, Turkey always acts like a kind of intermediary between the West and the Middle East,” she added.

Or as Sina Kologlu, the television critic for Milliyet, a Turkish daily, phrased it the other day: “U.S. cultural imperialism is finished. Years ago we took reruns of ‘Dallas’ and ‘The Young and the Restless.’ Now Turkish screenwriters have learned to adapt these shows to local themes with Muslim storylines, Turkish production values have improved, and Asians and Eastern Europeans are buying Turkish series, not American or Brazilian or Mexican ones. They get the same cheating and the children out of wedlock and the incestuous affairs but with a Turkish sauce on top.”

Ali Demirhan is a Turkish construction executive whose company in Dubai plans to help stage the next Turkish Emmys there. One recent morning he was at a sunny cafe in a mall here recalling a Turkish colleague who had just closed a deal with a Qatari sheik by rustling up three Turkish soap stars the sheik wanted to meet.

Mr. Demirhan sipped Turkish coffee while Arabs shopped nearby. “In the same way American culture changed our society, we’re changing Arab society,” he said, then paused for dramatic effect. “If America wants to make peace with the Middle East today, it must first make peace with Turkey.”