Wer steckt hinter „Sam Bacile“?

Die bisherigen Ermittlungen der amerikanischen Kollegen haben meine Skepsis bestätigt, was die Identität des Sam Bacile angeht. Eine israelische Quelle, die unter der Bedingung von Anonymität zur Sache sprach, kommentierte heute morgen mir gegenüber die Figur Bacile mit dem Wort „Bullshit“. Es handele sich nicht um einen Israeli, sondern um ein Netzwerk „rechtsradikaler Christen“.

Der Versuch dieser Gruppe, über angebliche „jüdische Spender“ und die vermeintliche israelische Identität von „Sam Bacile“ Israel und die Juden in die Sache hineinzuziehen, zeigt eine Perfidie erschreckenden Ausmaßes. Die Logik: Man will offenbar bewußt Reaktionen von radikalen Muslimen gegen Israel und Juden provozieren, damit die Weltsicht bestätigt wird, dass „der Islam“ im Krieg mit Israel und dem Judentum ist. Daher die klare Distanzierung der israelischen Regierung.

Wegen dieser hinterhältigen Strategie der Filmemacher halte ich es für abenteuerlich, wenn manche Kommentatoren sich auf den Standpunkt stellen, es sei doch piepegal, wer hier welchen Film gemacht habe. Es komme eben nur auf die keinesfalls zu entschuldigende Reaktion der Brandschatzer und Botschaftsstürmer an, die wieder einmal beweise…. Also: Halt der Herr „Bacile“ doch Recht mit seinem Machwerk? Müssen wir ihm nicht geradezu dankbar sein? Was für eine kranke Logik ist das denn? Man fühlt sich an die Verteidiger der RAF-Terroristen erinnert, die es auch richtig fanden, dass der Terror den angeblichen „faschistischen Charakter“ der Bundesrepublik hervorkitzelte.

So richtig es ist, dass die radikalen Gruppen, die diese Sache hijacken, immer einen Vorwand für antiwestliche Aktionen finden – so fahrlässig wäre es, den konkreten Hintergrund hier zu ignorieren.

So geht es nicht: Denn der wahre Hintergrund des Machwerks „Innocence of Muslims“, wie er sich mittlerweile offenbart, kann noch fürchterliche Dinge für die ägyptischen Christen nach sich ziehen. Es scheinen nämlich radikale Kopten hinter dem Film zu stecken. Darauf weisen nicht nur die Anfangsszenen hin, die die Verfolgung von Kopten zeigen – und die Tatsache, dass der Film in ägyptisches Arabisch übersetzt wurde.

AP hat folgendes herausgefunden:

Using the cellphone number they talked to „Sam Bacile,“ The Associated Press tracked down a man named Nakoula Basseley Nakoula, 55, who lived at the address that aligned with cellphone records.

Nakoula denied that he directed the film but admitted that he was the manager for the production company. He also told the AP that he was a Coptic Christian.

The AP notes that Nakoula has a criminal record: He pleaded no contest in 2010 to federal bank fraud charges and served 21 months in federal prison.

The AP adds:

„Nakoula denied he had posed as Bacile. During a conversation outside his home, he offered his driver’s license to show his identity but kept his thumb over his middle name, Basseley. Records checks by the AP subsequently found the name ‚Basseley‘ and other connections to the Bacile persona.

„The AP located Bacile after obtaining his cell phone number from Morris Sadek, a conservative Coptic Christian in the U.S. who had promoted the anti-Muslim film in recent days on his website. Egypt’s Christian Coptic population has long decried what they describe as a history of discrimination and occasional violence from the country’s Arab majority.“

Auch der zweite mit dem Film verbundene Exil-Ägypter Morris Sadek, ist ein bekannter koptischer Islam-Hasser.

Für die Kopten in Ägypten kann das fürchterliche Folgen haben. Sie haben ohnehin schon mit Verfolgung zu kämpfen, wie hier bereits mehrfach berichtet. Nun haben die amerikanischen Glaubensbrüder ihren Feinden einen tollen Vorwand geliefert. Hoffentlich unternimmt die Regierung Mursi etwas gegen mögliche Ausschreitungen.

Es bedeutet nicht, die Mordtaten und die Gewalt in Bengasi, Kairo und Sana zu entschuldigen oder auch nur zu relativieren, wenn man die apokalyptische Zündelei der Initiatoren des Films kritisiert. Sie sind infame, verantwortungslose Verbrecher, die sich eine ehrenwerte, großzügige Auslegung der Redefreiheit in Amerika zunutze machen und sie missbrauchen, weil sie es auf Gewalt anlegen.

Sie wollen Flammen lodern, sie wollen Blut fließen sehen. Sie wollen das reinigende Feuer eines Endkampfes entfachen, in dem die Welt endlich erkennen muss, dass der Islam ausgerottet werden muss, damit wir alle in Frieden leben können. Und das Teuflische ist, dass sie auf der anderen Seite – bei den radikalen Islamisten – willige Helfer finden, die ihrerseits Interesse an einem Endkampf haben – nur dass jene glauben, selber siegreich daraus hervorgehen zu können. Den Preis dieser apokalyptischen Politik zahlen am Ende die religiösen Minderheiten. Juden sind schon keine mehr vorhanden in den entsprechenden Ländern. Also werden es die Christen sein.

 

 

Church of Negativity: Ein Tag in Bethlehem

Im Bus vom Damaskus-Tor nach Bethlehem viele junge Frauen mit Kopftüchern, offensichtlich viele Studentinnen darunter. Auf den gegenüberliegenden Sitzen zwei Freundinnen, die sich kichernd unterhalten, eine mit, eine ohne Kopftuch. Beide haben zum Büffeln Lehrbücher in „Business Administration“ auf dem Schoß.

What Business? denke ich, froh, dass es niemand hören kann.

Am israelischen Checkpoint wird ein junger Mann aus dem palästinensischen Bus herausgeholt. Vermutlich hat er keine oder nicht die richtigen Papiere dabei. Wir fahren weiter.
In Bethlehem gehe ich vom Halt der Linie 21 aus stadteinwärts. Bethlehem ist ein langgezogener Schlauch von parallelen Altstadtgassen, die alle auf „Manger Square“ zulaufen, den Ort, an dem die Geburtskirche sich  erhebt. Der erste Kilometer von der Haltestelle ist voller Shops für den täglichen Gebrauch, um den Manger Square herum dominieren die Souvenirläden. Allerdings verirren sich kaum Touristen und Pilger hierher. Es werden pausenlos Kruzifixe – und vor allem (Bethlehem!) Krippen – aus Olivenholz gedrechselt, aber sie liegen auf Vorrat in den Auslagen. Die Pilger werden in Gruppen  durch die Geburtskirche geschleust – heute sind Russen und Spanier da, alle mit lustigen Kappen kenntlich gemacht. Danach schleppt der Tourguide sie zu einem vorher ausgemachten Laden, wo er Kommission kassiert. Bethlehem gilt seit der zweiten Intifada vielen immer noch als unsicher, sie meiden den schönen Soukh.  Für die örtliche Wirtschaft ein Desaster.
Yousef spricht mich an, sein Englisch ist sehr gut. Er ist Lehrer, arbeitet aber nachmittags als Taxifahrer, um seine Familie zu ernähren. Seine Frau ist auch Lehrerin, und so reicht es mit drei Einkommen so gerade zum Durchkommen. Nach 21 Jahren im Beruf, sagt Yousef, verdient er 2.500 Schekel als Lehrer (ca. 500 €). Er und seine Frau haben sieben Söhne, obwohl er schon nach dem Dritten abgewunken habe. Aber meine Frau, sagt er, wollte eben unbedingt ein Mädchen, und so haben wir weiter probiert. Einer seiner Söhne träumt davon, in Dortmund Medizin zu studieren. Der Sohn lernt bereits Deutsch in Hebron, um sich vorzubereiten. Yousef scheint ein bisschen Angst davor zu haben, dass der Traum wahr werden könnte: Die Lebenshaltungskosten in Deutschland sollen sehr hoch sein, sagt er fragend. Jerusalem ist nur 9 Kilometer entfernt, aber Yousef darf normaler Weise nicht hin. In den letzten zehn Jahren konnte er zwei Mal Sondergenehmigungen der Israelis bekommen.
Ich gehe in die „Church of Nativity“. Ich muss lachen. Nach dem Gespräch mit Yousef habe ich gelesen: Church of Negativity.

In der Geburtskirche küssen die Spanier in Zweierreihen die Rosette, die den Ort der Geburt des Heilands markiert. Ich habe mich von der Ausgangsseite her eingeschlichen, ernte irritierte Blicke des orthodoxen Mönchs, der hier zuständig ist. Aber ich hatte ja nicht vor, mich zum Kuss der Geburtsstelle zwischen die alten Damen zu drängen, so komme ich glimpflich davon.
Am Platz gibt es eine Art offizielles Restaurant der PA, mit schöner Terrasse. Auch hier ist nichts los. Der Limonensaft mit Minze ist köstlich. Ahmed trinkt mit seinem Freund das Gleiche und spricht mich an. Er ist in einem Flüchtlingslager außerhalb der Stadt geboren, und er ist, so  stellt sich heraus: noch ein unterbeschäftigter Taxifahrer. Auch sein Englisch ist sehr gut. Die Besatzung sei „boring“, sagt er. „I hate this life. I want to get away.“ Wohin? Nach Californien, eine bessere Zukunft für sich, seine Frau und seine beiden Töchter. Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie auch unter so beschränkten Umständen aufwachsen sollen. Sein ganzes Leben lang ist das schon so, er ist Jahrgang 1978.
Seine Frau ist seit sieben Monaten bei ihrer Familie in Gaza. Jahrelang war sie nicht dort gewesen. Dann hatte er endlich das Geld zusammen für die Reise: über Jordanien nach Ägypten, dann über Rafah nach Gaza. Umgerechnet 1000 € hat es ihn gekostet, ein Vermögen. An der Grenze nach Gaza mußte er sie zurücklassen. Er vermißt die Familie. Ob er nicht auch hinkönne, frage ich: Nein, ich bin in der Fatah, sagt er. Es wäre zu gefährlich.
Mir reicht es, sagt Ahmed, ich will reisen könne wie Sie, wie die ganze Welt. Mit welchem Recht bin ich hier eingesperrt?
Dann muss ich zurück zum Bus nach Jerusalem. Am Checkpoint nach Jerusalem steigen die Palästinenser aus und zeigen den israelischen Soldaten ihre Dokumente. Ich bleibe mit den paar anderen westlichen Besuchern im Bus sitzen, zwei Amerikanerinnen und ein Franzose. Für uns bemühen die Soldaten sich in den Bus. Sie gucken die Papiere gar nicht genau an, das Ganze ist ein Zeremoniell geworden. Dann steigen die Palästinenser wieder ein.

Das Mädchen mit Kopftuch neben mir holt ein Lehrbuch aus dem Rucksack: „Klinische Psychiatrie“ auf Englisch.

 

Entschuldigung!

Wochenlang nichts. Geht eigentlich gar nicht. Ich weiß! War aber auch nicht geplant.

Ich komme zur Zeit einfach nicht zum Posten.

Ein Interview mit Tony Blair kam dazwischen (vorletzte ZEIT). Dann ein Porträt des palästinensischen Botschafters (diese ZEIT).

Währenddessen bereite ich ein umfangreiches Dossier zum Thema Christen in Nahost vor (was passiert mit der wichtigsten Minderheit in den muslimischen Ländern nach dem Umbruch), für das ich drei Reisen unternehmen werde – eine nach Ägypten, eine in den Nordirak/die Südosttürkei, eine nach Israel/Palästina. Letztere nächste Woche, wodurch ich dann wieder ausfalle.

Ab morgen bin ich mit dem Außenminister in nordischen Ländern, u.a. am Freitag zur Urteilsverkündung gegen Breivik in Oslo. Da hoffe ich, mich melden zu können.

Bitte um Verständnis und Danke für die Treue!

 

Die Herrschaft der Bärtigen – und die Außenpolitik des Westens

(Ein paar unsystematische Überlegungen zur Lage, mehr Fragen als Antworten…)

Das größte Ereignis in der Außenpolitik dieses Jahres – jedenfalls unter den vorhersehbaren – hängt wahrscheinlich an der Innenpolitik der USA: Obamas Wiederwahl ist nicht so sicher wie mancher glaubt, nicht nur wegen des Konkurrenten Mitt Romney, sondern auch wegen Faktoren wie der höchstrichterlichen Entscheidung über Obamas Gesundheitsreform. Auch das ist schon interessant.
Obama könnte darüber fallen, dass er die Amerikaner zwingen wollte, sich krankenzuversichern. Ob ihm jemand mal eine Bismarck-Biografie reichen könnte?

Zweite Möglichkeit für Obamas Scheitern: Mehr Chaos in Europa nach der griechischen Wahl,  „Grexit“ (Griechenland verläßt den Euro), Ausweitung der Krise auf Spanien und Italien und in der Folge Deutschland. Dies könnte die amerikanische Wirtschaft empfindlich treffen – und damit den Präsidenten. Chancen für Romney, auf einer No-Bailout-Plattform die Wahl zu gewinnen? So eng hängt das alles zusammen, möglicher Weise.

Aber lassen wir die Krise bis nach dem Wochenende beiseite. Zu ein paar klassischen außenpolitischen Themen:
Der Krieg in Afghanistan verliert in Amerika rapide an Rückhalt. Vielleicht beschleunigt sich der Abzug noch einmal, und damit auch die Bewertung: Alles rückt doch immer näher an ein Vietnam-Szenario, bei dem man schnell noch in den letzten Hubschrauber will.
Dieser Krieg haben wir innerlich längst abgehakt, wir haben schon zu viele andere Dinge in der Region auf der Platte. Amerika ist erschöpft und mit sich selbst beschäftigt. Europa dito. Eine Bilanz der Ära des Interventionismus steht aus.

Isolationismus ist keine Alternative – aber wer sagt denn, dass es nur diese beiden Möglichkeiten gibt? Als Dritter Weg erscheint zur Zeit Obamas Kombination aus „Politik der ausgestreckten Hand“ (gegenüber der muslimischen Welt im allgemeinen, anfangs sogar gegenüber Iran, allerdings mit sehr ernüchternden Ergebnissen) bei gleichzeitiger Eskalation von Drohnenkrieg, Cyberwar und Special Ops (→ exit Bin Laden). Allerdings erscheint diese Kombination selbstwidersprüchlich und unglaubwürdig, je härter der Schattenkrieg geführt wird. Der Präsident, der sich im Oval Office die kill list vorlegen lässt mit den schlimmsten Terroristen, die man dann mttels Drohne wegpusten wird – das ist schon eine extrem ambivalente Vorstellung. Allmacht und amerikanischer Abstieg in  einem Bild: Der Präsident kann und will keine Truppen mehr schicken, aber mit einem Federstrich ist er Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person. Bush brachte Terrorverdächtige noch nach Guantanamo, Obama kann Guantanamo nicht schließen und macht nun erst gar keine Gefangenen mehr.

Für Deutschland ist das Ende des Interventionismus eine merkwürdige Entwicklung, schwer zu verdauen: Man hat in Afghanistan einen Krieg geführt, der erst keiner sein durfte.
Dann hat man sich gerade daran gewöhnt, dass es doch einer war, und da ist es auch schon vorbei und die Sache droht zum Volldebakel zu werden. Wir wollen nur noch raus. War alles umsonst?

Außerdem will man sich nun eine Armee geben, die professioneller und einsatzfähiger sein soll, aber das mit immer weniger Mitteln. Und dies in einem Moment, in dem die Einsätze per se fragwürdig geworden sind und wir eigentlich nie wieder irgendwo mitmachen wollen, wenn’s denn nach uns geht. Dazu am Ende mehr.
Was Afghanistan angeht, könnte 2012 bereits zum Jahr der Wahrheit werden, wenn die Franzosen bei ihren Abzugsplänen bleiben.

Aber womöglich werden wir auch durch andere Konflikte so in Atem gehalten werden, dass die Sache einfach so nebenher ausläuft.

Syrien: Ein Szenario, das dieser Tage immerhin wieder möglich scheint: Dass Assad auf Machterhalt setzt und weite Teile des Landes hält, während er in anderen weniger hart durchgreift. Er könnte seine Unterdrückung unter dem Level halten, das eine Intervention irgendwann nötig machen würde. Als Paria würde er sich auf einige bittere Jahre einstellen, nach denen die Welt dann doch wieder mit ihm dealen muss. So wie früher, vor dem Arabischen Frühling. Da die Euphorie für Demokratisierung einstweilen verflogen ist, vielleicht keine undenkbare Vorstellung für die westliche Politik. Voraussetzung dafür wäre, dass er auf den Annan-Friedensplan im Ernst eingeht und nicht nur aus rein taktischen Gründen, was bisher alle Beobachter glauben. Was passiert, wenn er nicht so schlau ist und einfach weiter auf brutalste Methoden setzt, weiß niemand. Klar ist nur, dass es dann in absehbarer Zeit keine Zukunft mehr mit Assad geben kann. Vielleicht ist das jetzt auch schon so. Wahrscheinlich sogar.

Und damit kommt man zu der Kardinalfrage der kommenden Jahre für diese unsere Nachbarschaft:
Islamismus und Demokratie: Geht das zusammen? Und geht es dort, wo es drauf ankommt – in Ägypten, nicht nur im kleinen Tunesien? Was bedeutet es für die Minderheiten im Land, für die Christen des Orients? Droht ihnen nun dasselbe wie einst den Juden, nachdem die Muslimbrüder und Salafisten überall drankommen? Exil für alle, die es schaffen, die es sich leisten können, die im Westen einen Platz finden wie die irakischen Chaldäer, die wir vor Jahren aufgenommen haben?
Was bedeutet die Herrschaft der Bärtigen für die Frauen? Was bedeutet sie für die Geopolitik der Region?
Die Muslimbruderschaft scheint sich nach neuesten Berichten überraschender Weise eher mäßigend auf die Hamas auszuwirken: Heißt das, die neue politische Verantwortung verändert den Islamismus? Das muss man beobachten.
In der Region ist der führende Konflikt nun einer, in dem nicht Israel gegen die Araber steht, sondern ein despotischer Öl-Islamismus sunnitischer oder schiitischer Provenienz (Saudi-Arabien, Iran) gegen einen demokratisch gewählten sunnitischen Islamismus ohne Öl (MB und Salafis in Ägypten, unterstützt von undemokratischen Autokratien wie Katar und Saudiarabien, die Öl und Gas haben). Ein Subtetxt des Syrien-Konflikts liegt darin: der iranisch-schiitische Öl-und Gas-Islamismus, der die Bombe will, wird bedrängt von den sunnistisch-islamistischen Despoten der Arabischen Halbinsel.

Salafisten mischen überall mit und verweisen die MB auf den ungewohnten Platz der „moderaten Kräfte“. Der Kampf zweier, dreier, vieler Islamismen um die Modernetauglichkeit? Ist das das große Thema?
Wie gehen wir mit den an die Macht drängenden Islamisten um? Wollen wir Dialog? Kooperation? Wo sind die Roten Linien? Wir haben kein Konzept, wir wissen nur, dass wir es nicht so machen können wie mit Hamas nach 2006, als wir Bedingungen genannt haben und – als diese nicht erfüllt wurden –, auf Boykott setzten. Ägypten kann man nicht boykottieren wie Gaza.

Spannend wird es auch sein zu sehen, wie die türkischen Islamisten den Aufstieg der Muslimbrüder in der ganzen Region beobachten: Vielleicht bald mit Schrecken? Als Lehrmeister? Als Modell? Das wäre interessant.
Die Arabische Revolution ist auch im zweiten Jahr nach Beginn der Aufstände nicht abgeschlossen. Was in Tunesien mit der Selbstverbrennung eines Obsthändlers begann, hat unterdessen weite Teile der arabischen Welt erfasst: der Aufstand gegen die alten Autoritäten und der Versuch, neue – repräsentativere und volksnähere – an ihre Stelle zu setzen. In Tunesien scheint der Übergang am besten gelungen, obwohl auch hier radikale Islamisten den Freiheitsgewinn bedrohen, der durch die Überwindung der Militärherrschaft möglich wurde. In Bahrain wurde der Aufstand brutal niedergeschlagen, im Jemen musste der langjährige Herrscher Salih immerhin weichen und ein Nachfolger wurde gewählt. Eine Verfassungsreform steht noch aus.

Für den westlichen Beobachter stellen sich drängende Fragen vor allem mit Blick auf die beiden wichtigsten Länder: Syrien und Ägypten. Beide Länder haben auch die größten nichtmuslimischen und innermuslimischen Minderheitengruppen – damit stellt sich in ihnen die Frage nach der Möglichkeit von Dialog und Pluralismus am drängendsten. Ob der Wandel in den arabischen Ländern gelingt, wird sich nicht zuletzt am Schicksal der Minderheiten in Syrien und Ägypten erweisen.

Es scheint unerlässlich, dass auch in Syrien ein Machtwechsel stattfindet. Das Assad-Regime ist diskreditiert, weil es von Beginn auf brutale Gewalt setzte, um die legitimen Forderungen der Opposition zu unterdrücken. Trotzdem bleibt es dank des Militärs vorerst weiter an der Macht – oder wird nur unter hohem Blutzoll von dort zu vertreiben sein. Wie kann in dem konfessionell gespaltenen Land, das von einer Minderheit, den Alawiten, beherrscht wird, eine neue Ordnung gelingen, die dem religiösen Pluralismus der syrischen Gesellschaft Rechnung trägt?
Bei der christlichen Minderheit herrscht Furcht vor einem sunnitisch-theokratischen Regime als Folge eines absehbaren Zusammenbruchs der Assad-Diktatur. Was kann der Westen in dieser Lage beitragen zu einem Übergang ohne Bürgerkrieg und ohne abermalige Intervention in einem weiteren muslimischen Land? Kann die Weltgemeinschaft helfen, die verfeindeten Gruppen nach einem Ende der Diktatur in einen Friedensprozess zu bringen – ähnlich wie auf dem Balkan?

In Ägypten scheint offener als zuvor, was die neue Ordnung für die Renaissance des politischen Islams nach der Rebellion bedeuten wird. Unbestritten ist, dass das Ende des Mubarak-Regimes die Religion als öffentliche Macht, und die religiösen Parteien als ihre Verkörperung, wieder ins Recht gesetzt hat. Die zuvor unterdrückten Bewegungen des politischen Islams genießen verständlicher Weise die höchsten Glaubwürdigkeitswerte, schon weil sie nicht Teil des korrupten Systems waren. Außerdem sind sie sehr viel besser organisiert als die sakulär-liberalen Kräfte, und verfügen über ein Netzwerk von Moscheen. Muslimbrüder und – überraschender noch: Salafisten – teilen sich den Erfolg an der Wahlurne. Sie konkurrieren auch miteinander, und so darf man im islamistischen Lager in Zukunft weitere Debatten, Abspaltungen und Differenzierungen erwarten.
Der Arabische Frühling, der mit dem Protest der Jugend begann, hat tatsächlich die Farbe Grün angenommen, aber es ist das Grün des Propheten. Die spannende Zukunftsfrage ist, wie ein politischer Islam die wichtigste arabische Gesellschaft prägen wird, der nicht auf Sponsoring durch Öl-Geld beruht (also anders als im Iran oder auf der arabischen Halbinsel). Und vor allem: Wieviel Freiraum wird das Militär dieser Entwicklung gewähren? Wird sich Ägypten mehr in Richtung der Türkei oder mehr in Richtung Pakistan entwickeln?

Wird die absehbare weitere Islamisierung der Gesellschaft religiöse Minderheiten und Säkulare an den Rand drängen? Und in Reaktion darauf: Ist religionsübergreifende Zusammenarbeit die Antwort auf die Herausforderung? Oder steht nun eine Phase der Konfessionalisierung und Zersplitterung der arabischen Gesellschaften an, in der Christen (und auch Schiiten und Bahai) nur auf Minderheitenrechte als Bürger zweiter Klasse hoffen können?
Für christliche Minderheiten und ihre Paten im Westen besteht die Gefahr, in die Falle des Konfessionalismus zu tappen. Soll man sich für Minderheitenrechte einsetzen – oder für gleiche Rechte für alle ägyptischen Bürger im Namen des Universalismus?

Was wird aus dem Christentum Nordafrikas? Kann sich Ägypten (mit seiner tourismuslastigen Wirtschaft) stabilisieren, wenn politische Zerreißproben zwischen Militär und Muslimbrüdern, Muslimbrüdern und Salafisten, Säkularisten und Islamisten, Christen und Muslimen drohen? Und wenn in Syrien ein offener Bürgerkrieg ausbrechen sollte, droht dann die Libanonisierung der gesamten Region, der Zerfall in ethnisch-religiös dominierte Instabilität?

Welchen Kompromiss es in Ägypten zwischen den demokratischen Kräften und den Beharrungskräften im alten Regime geben könne, ist weiter offen. Das Militär ist vor allem an der Stabilität des Landes und der Sicherung der eigenen (auch wirtschaftlichen) Ressourcen interessiert. Wie weit darum die Zugeständnisse an die demokratischen Forderungen gehen könnten, wird auch daran hängen, ob das Militär Macht und Einfluß in den neuen Verhältnissen wahren kann.
Aber: Der demokratische Geist ist aus der Flasche, und niemand wird ihn wieder hinein stopfen können. Ob und in welchen Formen er institutionalisiert werden kann, wird wohl erst in einem langen Prozess deutlich werden.

Die Wetten stehen darauf, dass der Nahostkonflikt eingefroren sei. Niemand weiß weiter. Alle denken freilich, dass es so nicht weiter gehen kann. Niemand hat einen Plan. Die Palästinenser sind die großen Verlierer des arabischen Erwachens. Tolle Sache für Netanjahu und Lieberman, die eh nichts machen wollten.
Warum einen unlösbaren Konflikt anpacken? Obama ist gelähmt bis November, er kann nur verlieren, wenn er nun wieder mit dem Thema Siedlungen und Verhandlungen käme. Das Thema Iran ist doch viel wichtiger zur Zeit.
So offensichtlich das scheint, ich habe den Verdacht, dass diese Politik der Vermeidung bald auffliegen wird. Sie hängt an der Fiktion einer Machbarkeit der „Zweistaatenlösung“: Wenn nur erst Obama wiedergewählt ist! Wenn nur erst die palästinensische Versöhnung vorankommt! Wenn nur erst das Iranproblem gelöst ist! Wenn Ägypten einen Präsidenten hat, wenn die Lage in Syrien klarer ist, wenn die Palästinenser gewählt haben, wenn die UNO Vollversammlung über die Mitgliedschaft Palästinas befunden haben wird… Wenn, wenn, wenn.

Währenddessen sagen viele, dass die Zeit für eine Zweistaatenlösung längst vorbei ist und die Welt daran eigentlich nur noch festhält aus horror vacui. Was sonst hätte man anzubieten?
Es gibt aber unterdessen glaubhafte Stimmen, die sagen, man müsse endlich von dieser Fiktion Abschied nehmen, weil sie eigentlich nur dafür sorgt, dass alles immer so weiter gehen kann.
Wir stellen die Sache meistens so da, dass es die Wahl zwischen Ein- und Zweistaatenlösung gebe. Die Einstaatenlösung wäre dabei synonym mit dem Ende Israels als demokratischer und jüdischer Staat, weil die Demographie der arabischen Bevölkerung eine Mehrheit verleihen würde. Manche Verteidiger der Einstaatenlösung streben dieses Ziel ganz offen an, die meisten tun es etwas oberschlau heimlich, wohl wissend, was die Konsequenzen wären, wenn ihre Wünsche wahr würden. Das gilt für weite Teile der Boykott- und Sanktionsbewegung. Sie wollen Israel abschaffen, in einem demokratischen Mehrheitspalästina auflösen.

Die Zweistaatenlösung hingegen, das bedeutet – Rückzug Israels aus der Westbank, Abzug der meisten Siedler hinter die “Grüne Linie”, Austausch von Gebieten im Ausgleich für die verbleibenden Siedlungen, Entmilitarisierung des palästinensischen Staates, Teilung Jerusalems in zwei Hauptstädte für zwei Völker, Rückkehr einer symbolischen Zahl von Flüchtlingen und globale Entschädigung für den Rest; im Gegenzug dafür sofortige Anerkennung Israels durch 57 arabische und islamische Staaten wie in der arabischen Initiative festgelegt. Sie gilt in der offiziellen Politik Israels und in der gesamten internationalen Community als einzige gangbare Möglichkeit, Israel langfristig als jüdischen und demokratischen Staat zu erhalten.
Wenn es aber so ist, wie die Vertreter der Zweistaatenlösung behaupten, dass nur sie das Überleben eines demokratischen jüdischen Staates garantieren kann, dann muss man sich die Frage stellen, warum sie bloß so halbherzig verfolgt wird. In Wahrheit geht die Entwicklung “am Boden” immer mehr in die Richtung einer Einstaatenlösung. Seit dem Oslo-Prozess, der eigentlich das Ende der Siedlungstätigkeit einläuten und die palästinensische Souveränität vorbereiten sollte, ist die Population in den besetzten Gebieten um das Zweieinhalbfache gewachsen. Es wächst schon die dritte Generation heran, die als Besatzer geboren wurde. Und auf der anderen Seite die dritte Generation von Palästinensern unter der Besatzung. “Temporär” ist das nicht.
Es wird, glauben selbst ihre Anhänger, keine Zweistaatenlösung geben. Warum?
Weil es einen Bürgerkrieg in Israel heraufbeschwören würde, die Siedlungen zu räumen; weil Israel zur Zeit (vom Iran-Problem abgesehen) eine Phase der Sicherheit, Prosperität und Stabilität durchläuft; weil Israel seiner gesamten Umgebung (die derzeit eine unabsehbare Phase von Revolte und Umbruch durchmacht) so weithin überlegen ist wie noch nie zuvor (von Iran abgesehen, aber vielleicht auch in dieser Hinsicht); weil die diplomatischen Kosten der Besatzung noch nie so gering waren wie heute; weil die palästinensische Führung gespalten und geschwächt ist und das Thema “Palästina” die Araber nicht mehr vordringlich beschäftigt; weil es in Israel aus allen diesen Gründen kein politikfähiges Friedenslager mehr gibt; weil die kontinuierliche Entwicklung der israelischen Gesellschaft hin zu einer konservativeren und religiöseren politischen Identität die Institutionen bis ins Militär hinein verändert hat. Aus all diesen Gründen ist der Status Quo (keine schöne, aber) die optimale Option für das Land. Die überragende Popularität von Netanjahu ist der Ausdruck dieser Lage, sein breite parlamentarische Mehrheit, sein Kabinett der nationalen Einheit inklusive Kadima macht es ihm möglich, weiterhin nichts zu tun.
Ich habe den Eindruck, dass auch in dieser Hinsicht dieses Jahr ein Jahr der Wahrheit werden könnte.
Das Jahr, in dem die Fiktion eines verhandelten Friedens offenbar wird. Was dann? Alle zittern vor diesem Moment.

Vom unwahrscheinlichen Frieden noch schnell zum wahrscheinlichen Krieg: Krieg mit Iran?
Das hängt nun sehr von Iran selber ab. Gespräche über das Atomprogramm haben begonnen. Zur Zeit sind sie schon wieder in einer Krise. Wenn Iran sich abermals stur stellt oder nur allgemein rumquatscht wie letztes Mal, dann könnte die Diplomatie scheitern. Diesmal wäre das ernst, denn die Sanktionsmöglichkeiten sind nahezu ausgereizt. Eine Eskalation wäre dann kaum noch zu verhindern.
Für die beteiligten 5+1 heißt das umgekehrt: Sie müssen in den Verhandlungen scharf genug sein, um beim Iran eine Verhaltensänderung zu mehr Transparenz zu bewirken. Und wenn sie zu scharf sind und das ganze auf eine öffentliche Demütigung Irans rausliefe (in den Augen des Irans, und da geht das schnell), dann könnten sie eine Logik auslösen, nach der Iran sich nur zurückziehen kann: Denn dort sind im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen, und da kann sich keiner der Kandidaten leisten, sich gegenüber den „Mächten der Arroganz“ nachgiebig zu zeigen.
Israel wird das alles beobachten. Die Stimmung im Land ist widersprüchlich: Nur ein Drittel ist dafür, alleine loszuschlagen. Aber vor die Alternative gestellt, mit der iranischen Bombe zu leben oder einen Krieg zu riskieren, sind zwei Drittel zum Krieg bereit.
Diejenigen, die einen Krieg für wahrscheinlich halten, rechnen im letzten Jahresviertel damit.
Deutschland müsste dann noch einmal die Frage beantworten, was „Staatsräson“ eigentlich genau bedeutet.

 

Islamisten an der Macht – und Menschenrechte?

Eine wichtige Debatte findet auf den Seiten des New York Review Blogs statt. Einige feministische Organisationen greifen Human Rights Watch für deren letzten Report an, der eine freundlich-offene Haltung zu den demokratischen Machtwechseln in der arabischen Welt empfiehlt – auch wenn dort islamistische Kräfte ans Ruder kommen.

Ich kann hier nicht alle Argumente wiedergeben- aber beide Seiten machen gute Punkte.

Die Kritikerinnen sagen:

In your desire to “constructively engage” with the new governments, you ask states to stop supporting autocrats. But you are not a state; you are the head of an international human rights organization whose role is to report on human rights violations, an honorable and necessary task which your essay largely neglects.

You say, “It is important to nurture the rights-respecting elements of political Islam while standing firm against repression in its name,” but you fail to call for the most basic guarantee of rights—the separation of religion from the state. Salafi mobs have caned women in Tunisian cafes and Egyptian shops; attacked churches in Egypt; taken over whole villages in Tunisia and shut down Manouba University for two months in an effort to exert social pressure on veiling. And while “moderate Islamist” leaders say they will protect the rights of women (if not gays), they have done very little to bring these mobs under control. You, however, are so unconcerned with the rights of women, gays, and religious minorities that you mention them only once, as follows: “Many Islamic parties have indeed embraced disturbing positions that would subjugate the rights of women and restrict religious, personal, and political freedoms. But so have many of the autocratic regimes that the West props up.” Are we really going to set the bar that low? This is the voice of an apologist, not a senior human rights advocate.

Nor do you point to the one of the clearest threats to rights—particularly to women and religious and sexual minorities—the threat to introduce so-called “shari’a law.” It is simply not good enough to say we do not know what kind of Islamic law, if any, will result, when it is already clear that freedom of expression and freedom of religion—not to mention the choice not to veil—are under threat. And while it is true that the Muslim Brotherhood has not been in power for very long, we can get some idea of what to expect by looking at their track record. In the UK, where they were in exile for decades, unfettered by political persecution, the exigencies of government, or the demands of popular pressure, the Muslim Brotherhood systematically promoted gender apartheid and parallel legal systems enshrining the most regressive version of “shari’a law”. Yusef al-Qaradawi, a leading scholar associated with them, publicly maintains that homosexuality should be punished by death. They supported deniers of the Holocaust and the Bangladesh genocide of 1971, and shared platforms with salafi-jihadis, spreading their calls for militant jihad. But, rather than examine the record of Muslim fundamentalists in the West, you keep demanding that Western governments “engage.”

Western governments are engaged already; if support for autocrats was their Plan A, the Muslim Brotherhood has long been their Plan B. The CIA’s involvement with the Muslim Brotherhood goes back to the 1950s and was revived under the Bush administration, while support for both the Muslim Brotherhood and Jamaat e Islaami has been crucial to the “soft counter-terror” strategy of the British state. Have you heard the phrases “non-violent extremism” or “moderate Islamism?” This language is deployed to sanitize movements that may have substituted elections for bombs as a way of achieving power but still remain committed to systematic discrimination.

Dagegen halt Human Rights Watch, dass die Trennung von Religion und Staat nun wohl kaum ein Grundrecht sein kann (so sehr man sie für politisch wünschenswert halten möge): siehe viele Beispiele aus der westlichen Welt, in denen Staatskirchen existieren. Das ist aber ein Nebenschauplatz, denn es geht ja wohl eigentlich um Religionsfreiheit als Grundrecht, inklusive der negativen Religionsfreiheit (also Freiheit zu Agnostizismus, Areligiosität und zum Atheismus). Über die muss man sich nun wahrlich sorgen machen, vor allem in Ägypten, wo die Kopten unter Druck stehen.

HRW schlägt vor, dass die Wahlergebnisse zu akzeptieren seien, auch da, wo sie Islamisten an die Macht bringen – dass jedoch der Kampf für individuelle und universelle Rechte davon unbenommen fortgehen müsse:

As rights activists, we are acutely aware of the possible tension between the right to choose one’s leaders and the rights of potentially disfavored groups such as women, gays and lesbians, and religious minorities. Anyone familiar with the history of Iran or Afghanistan knows the serious risks involved. However, in the two Arab Spring nations that have had free and fair elections so far, a solid majority voted for socially conservative political parties in Egypt, and a solid plurality did so in Tunisia. The sole democratic option is to accept the results of those elections and to press the governments that emerge to respect the rights of all rather than to ostracize these governments from the outset. As Roth wrote:

Wherever Islam-inspired governments emerge, the international community should focus on encouraging, and if need be pressuring, them to respect basic rights—just as the Christian-labeled parties and governments of Europe are expected to do. Embracing political Islam need not mean rejecting human rights, as illustrated by the wide gulf between the restrictive views of some Salafists and the more progressive interpretation of Islam that leaders such as Rashid Ghannouchi, head of Tunisia’s Nahdha Party, espouse. It is important to nurture the rights-respecting elements of political Islam while standing firm against repression in its name. So long as freely elected governments respect basic rights, they merit presumptive international support, regardless of their political or religious complexion.

The signatories of the above letter disagree. In their view, Islamic political parties that come to power “remain committed to systematic discrimination.” We, too, are deeply concerned about that possibility and have been spending a great deal of time monitoring the conduct of Islamic parties, pressing them to respect all rights, and condemning any conduct that falls short. Human Rights Watch has a long history of standing up to governments founded on political Islam that discriminate against women, gays and lesbians, and religious minorities. But we would not reject the possibility that a government guided by political Islam might be convinced to avoid such discrimination.

 

Israel im „perfekten Sturm“ – ein Gespräch mit einem Oberst

Knapp eine Woche war ich in Israel und der Westbank unterwegs, um mit besatzungskritischen NGO’s, Ex-Soldaten, Offizieren und Intellektuellen über die Lage im Lande zu sprechen. Eine größere Reportage wird folgen.

Hier werde ich in loser Folge einige Notizen von meinen Gesprächen veröffentlichen. Den Anfang macht Colonel Avi Gil, den ich vorgestern treffen konnte. Dank an den IDF-Sprecher Arye Sharuz Shalicar, (der eine eigene Story verdient hätte), dies ermöglicht zu haben.

Zwanzig Grad im südlichen Israel, ein herrlicher Sonnentag Anfang Februar, als wir die Kaserne im Herzen von Beer Sheva betreten – anderthalb Autostunden südlich von Tel Aviv. Avi Gil, ein drahtig–athletischer, nicht sehr großer Mann mit einem graugesprenkeltem Bürstenhaarschnitt, leitet von der Wüstenstadt aus das Südliche Kommando der Israelischen Streitkräfte.
Der Oberst – noch keine vierzig Jahre alt – hat seit seinem Eintritt in die Armee 1990 eine steile Karriere gemacht, die sicher noch nicht am Ende ist: Fallschirmjäger, Kompanieführer in der Offizierschule, Kommandeur der Spezialkräfte während der Operation „Defensive Shield“ in der West Bank (während der Terrorwelle der Zweiten Intifada), zwischenzeitlich Verbindungsoffizier zu den Marines in den USA, schließlich ab 2009 Brigadekommandeur in der West Bank – in anderen Worten: er war damals so etwas wie der heimliche Herrscher in den besetzten Gebieten.
Die Koordination der Armee mit der Palästinensischen Autonomiebehörde war dort sein tägliches Brot. Er habe über die Jahre gelernt, den meisten auf der anderen Seite zu trauen, sagt er. „Den meisten!“, betont er. Nach dem Blutbad der Zweiten Intifada habe es ein gemeinsames Interesse an Sicherheit und Stabilität gegeben, das bis heute bestehe. Er zeigt mir in seinem Büro eine Bildcollage, die man ihm zum Abschied aus der Westbank mitgegeben hat. Da sieht man Avi Gil Tee Trinken mit palästinensischen Sicherheitskräften, Politikern, Beamten – bei allen möglichen Gelegenheiten wie Einweihungen und sonstigen Feiern: „Hätten Sie mich vor zehn Jahren gefragt, ob so etwas möglich ist, hätte ich Sie für verrückt gehalten.“
Die Lage habe sich in der Westbank sehr verbessert, sowohl was die Sicherheit angeht – Israels Hauptsorge –, als auch die Lebensumstände der palästinensischen Bevölkerung. Avi Gil, der nur wenige Jahre zuvor Spezialkräfte geleitet hatte, die Terroristen in der Westbank jagten, hatte am Ende seiner Zeit als Kommandeur der Ephraim Brigade nahezu freundschaftliche Verhältnisse zu Offizieren der PA. Am Ende konnte er Städte in den besetzten Gebieten sogar ohne schutzsichere Weste besuchen: „Mein Konzept lautet: Du darfst die Realität nicht nur durch das Visier deines Gewehrs wahrnehmen.“

Ein sonniger Tag an der Grenze zu Gaza, in der Pufferzone vor der Sperrmauer. Von dem höher gelegenen Terrain gegenüber haben palästinenische Sniper immer wieder auf einen nahen Kibbutz geschossen.

 

Trotzdem ist er der Meinung, dass es noch nicht an der Zeit ist, sich aus der Westbank zurückzuziehen. Die PA bemühe sich, und sie unterstütze den Terror nicht mehr, „aber wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem wir die Sicherheit Israels in deren Hände legen können“.
Der Oberst erwähnt hier den Mord an der Familie Fogel in der Siedlung Itamar, der sich bald jähren wird. Die gesamte Familie, inklusive eines schlafenden Babys, war im März letzten Jahres von palästinensischen Terroristen ausgelöscht worden. Im Westen hat dieser Vorfall nicht viel Aufsehen erregt wegen des Arabischen Frühlings und Fukushima. In Israel wird es immer wieder erwähnt, wenn man über die Brüchigkeit der klage spricht. Gil erinnert sich noch mit Grauen an der Anruf, der ihm um halb Eins nachts aus dem Bett holte.
Und dann jedoch benutzt er ein erstaunliches Bild: „Wir müssen uns langsam vorwärts bewegen. Wir sind wie ein Paar nach einer schlimmen Krise. Wir müssen erst einmal wieder Vertrauen aufbauen.“
Ein Paar? Von Regierungspolitikern würde man diese Sprache nicht hören. Wie so oft, sind Soldaten pragmatischer und unideologischer als die Lautsprecher der großen Politik.
Gil ist dennoch sehr vorsichtig, trotz der Wandlungen, die er in seinem eigenen (Soldaten-)Leben mitgemacht hat. Und damit ist der Oberst, wie mir scheint, nicht weit entfernt von der Einstellung des Durchschnittsisraelis: Man will den Friedensprozess gerne vorwärts gehen sehen. Aber zur Zeit überwiegt (wieder) das Gefühl, in einer absolut unberechenbaren und hoch entflammbaren Lage zu sein. Nicht nur wegen der Eskalation mit Iran. Das gilt auch für die Lage in Israels Süden, dessen Sicherheit in den Händen von Avi Gil ist.
„Unsere Nachbarschaft ist mitten in einem perfekten Sturm. Die erste Böe dieses Sturms haben wir 2006 in Gaza erlebt, als Hamas in einem Coup die Macht übernahm.“ Hamas, sagt Gil, sei in einer Identitätskrise, die sich in einem Machtkampf zwischen der politischen Führung außerhalb Gazas und dem Kern der militärischen und politischen Führung in Gaza ausdrücke. Hamas müsse sich entscheiden, ob sie auf Erfolg bei Wahlen setze wie die Muslimbrüder in Ägypten und Tunesien, oder weiter auf Dschihad. Zur Zeit sei die Führung unter Khaled Meschal außerhalb Gazas eindeutig geschwächt, auch durch den Verlust der syrischen Basis in Damaskus. Ismail Hanije, der politische Führer aus Gaza, sympathisiere mit der Idee, der neue große Repräsentant nach Außen zu werden, wobei ihm seine neuen Reisemöglichkeiten helfen. Dass Hamas sich wegen des Erfolgs des Muslimbrüder nach Ägypten orientiere, sei im Prinzip nicht schlecht für Israel, es könne auch zu einer größeren Berechenbarkeit führen.
Die militärische Führung unter Leuten wie Ahmad Jabari setze aber naturgemäß auch den Dschihad zur „Befreiung ganz Palästinas“ (worunter das heutige Israel inklusive Westbank verstanden wird). Aber man halte sich derzeit zurück, um in Ruhe die militärischen Kapazitäten wiederaufzubauen, die Israel in „Cast Lead“ vernichtet hat. Die florierende Tunnelwirtschaft mache das möglich. Unterdessen halten mit Duldung der Hamas konkurrierende Gruppen den militärischen Dschihad auf kleiner Flamme am Leben.
Ich frage den Oberst, ob Hamas denn tatsächlich die Kontrolle über alle militanten Gruppen habe: „Zu achtzig Prozent ist es direkte Kontrolle, zu zehn Prozent der Unwille zur Kontrolle und bei weiteren zehn Prozent keine Kontrolle durch Hamas.“ In jedem Fall sei Terror auf niedrigem Niveau – gerade so, dass eine israelische Gegenoperation zur Zeit unverhältnismäßig wirken würde – im Moment ideal für Hamas. Und für ihn bleibe Hamas als absolute Regierungsmacht die verantwortliche Adresse, ganz egal wer gerade die Raketen abschieße.
Der Oberst macht sich große Sorgen um den Sinai, der zum gesetzlosen Niemandsland wurde, seit Ägypten mit sich selbst beschäftigt ist. Fünf Beduinenstämme kontrollieren das gesamte Gebiet mit ungeheurer Brutalität (vor allem gegen afrikanische Migranten, die von dort nach Israel einwandern wollen.) Der Sinai sei heute ein ideales Aufmarschgebiet für Terrorgruppen, wie sich im letzten August bei den Attacken nahe Eilat gezeigt habe.
Israel werde alles tun, um den Friedensvertrag mit Ägypten am Leben zu erhalten. Aber die Herausforderung für Israel liege darin, dass „wir uns von der Situation einer Friedensgrenze hin bewegen zu einer Grenze mit einem Friedensarrangement zwischen zwei Staaten und Terroraktivitäten“. Die Lage derzeit sei paradox: „Es ist sehr viel friedlicher als vor wenigen Jahren, aber wenn nur eine Rakete einen Kindergarten trifft, dann halte ich es für undenkbar, dass wir hier einfach nur sitzen bleiben. Auch die permanente Aufrüstung in Gaza könne dazu führen, dass man handeln müsse, um eine ‚breakout capability‘ zu verhindern – eine Aufrüstung mit Waffen, die den Status Quo verändern, wie etwa Langstreckenraketen, die weite Teile Israels erreichen können. „So könnten wir uns – ohne den Willen zu einer weiteren militärischen Operation – in einer Lage vorfinden, die sie unvermeidlich macht.“ Ein amerikanischer Journalist hat ihn vor einiger Zeit gefragt, was er bevorzugen würde: Den Status Quo erhalten, militärisch eingreifen oder sich zurückziehen? Na was wohl, habe er geantwortet. „Ich habe Zwillinge, und ich hätte gerne, dass meine Jungs nach der Schule einfach ein Studium anfangen können wie junge Leute überall auf der Welt – dass sie nicht mit 18 gleich zum Militärdienst müssten. Aber danach sieht es leider nicht aus.“

 

Ägyptischer Schauspieler wegen Blasphemie verurteilt

Der Schauspieler Adel Imam, einer der bekanntesten Stars des ägyptischen Kinos, ist in absentia zu drei Monaten Haft verurteilt worden – wegen Beleidigung des Islams.
Mir ist er unvergesslich als Hauptdarsteller in der Verfilmung des Romans „Der Jakubian Bau“ von Alaa al Aswani. Da spielt er den melancholischen Playboy Zaki Pascha mit einer traurigen Grandezza. Adel Imam ist weit mehr als ein „Komiker“, wie es heute in den Meldungen heißt. Ich kann mir (noch) nicht vorstellen, dass der islamistische Anwalt mit dieser Sache durchkommt und auch die Revision gegen Imam gewinnt. Aber so viel ist klar: Die Kräfte, die auch in Ägypten zum Kulturkampf gegen alles Säkulare blasen, sehen sich durch das Wahlergebnis ermutigt.
Die Bundesregierung muss in ihrem Dialog mit den Herrschenden in Ägypten deutlich machen, dass sie den Angriff der Islamisten auf die Freiheit nicht hinnehmen wird.
Unter Mubarak hat man allzu oft zugesehen, wenn Freiheiten eingeschränkt wurden. Jetzt ist die Chance da, es anders zu halten.
Almasryalyoum schreibt:

The Arab world’s most famous comic actor, Adel Imam, has received a three-month jail sentence for insulting Islam in films and plays, a court document showed on Thursday.

Imam, who has frequently poked fun at authorities and politicians of all colors during a 40-year career, has one month to appeal the sentence and will remain out of jail until the appeal process is concluded.

The sentence Wednesday evening came weeks after Islamists swept most seats in parliamentary elections. The case was brought by Asran Mansour, a lawyer with ties to Islamist groups, and had languished in court for months, judicial sources said.

Mansour accused the actor of offending Islam and its symbols, including beards and the Jilbab, a loose-fitting garment worn by some Muslims, the Egyptian news portal Ahram Online reported.

Among films and plays targeted by the lawyer were the movie „Morgan Ahmed Morgan“ and the play „Al-Zaeem“ („The Leader“), the report said.

Hier ein Trailer für die Verfilmung des „Jakubian Baus“:

Yacoubian Building von MinoTunesien

 

Begegnung mit einem israelischen General

Letzte Woche Donnerstag hatte ich Gelegenheit, Mahmud Abbas in Berlin zu interviewen (mehr dazu morgen in der ZEIT). Am Abend desselben Tages konnte ich auf Einladung der israelischen Botschaft den Minister und ehemaligen Generalmajor Yossi Peled kennenlernen. Peled war nach Deutschland gekommen, um für die israelische Regierung am Gedenken an die Wannseekonferenz teilzunehmen. An einem Tag konnte ich so unmittelbar jeweils die palästinensische und die israelische Sicht auf den Nahostkonflikt erleben.

Peled ist auch mit 71 Jahren ein beeindruckender Mann, ein kluger, humorvoller und charismatischer Politiker, der den  Mainstream im Likud auf eine sehr sympathische und einnehmende Weise vertritt. So einen Außenminister könnte Israel brauchen (und vielleicht war Peled ja auch deshalb in Berlin).

Aber mich hat er nicht nur als Politiker beeindruckt, sondern mehr noch durch seinen Umgang mit einer Vita voller dramatischer und tragischer Wenden. Beim Essen erzählt er davon, manchmal geschützt durch eine Ironie und einen Sarkasmus, der einen zucken ließ. Peleds Eltern trugen den Namen Mendelevitch und lebten in Warschau. Was genau der Vater beruflich machte, hat Yossi, eigentlich Jefke (ein Kosename für polnisch Jozef) nie erfahren – womöglich Diamantenhandel.

Jedenfalls gelang es den Mendelevitchs, vor der deutschen Besatzung nach Antwerpen in Belgien zu fliehen. 1941, als die Mordmaschine des Nationalsozialismus näherrückte, gab man die drei Kinder, darunter den 6 Monate alten Jefke, zu einer belgischen Familie. Kurz darauf wurden die Eltern Mendelevitch nach Auschwitz deportiert. Der Vater wurde ermordet, die Mutter schaffte es irgendwie zu überleben.

Unterdessen wuchs Peled im Glauben auf, er sei katholisch. Er lernte, vor dem Schlafen zu beten, er ging sonntags in die Messe. „Ich hatte eine schöne Kindheit, viele Freunde und genug Spielzeug“, erzählte er, „bis die Juden in mein Leben kamen und alles ruinierten.“ Eines Tages rief der Mann, den er bis dahin für seinen Vater hielt, ihn herbei und eröffnete ihm ohne Vorwarnung, dass seine wahre Mutter vor ihm stehe – „eine graue, alte Frau“, und er übrigens Jude sei. Peleds Mutter, gezeichnet vom Lager, war nicht in der Lage, sich um ihn zu kümmern und brachte ihn in ein Waisenhaus für jüdische Kinder in Belgien. „Da lag ich abends im Bett und betete heimlich zu Jesus, dass er mich hier heraus holen sollte.“ 1949 wurde Peled über Frankreich nach Israel gebracht. Ein Onkel brachte ihn zu einem Kibbutz im Süden Israels, wo er aufwuchs. Der Kibbutz lag in einer umkämpften Zone und wurde im Unabhängigkeitskrieg oft von Ägypten aus angegriffen.

Yosef, wie er jetzt hieß, wurde dort von den anderen Kindern wegen seines belgischen Akzents gehänselt. Er erzählte nicht, dass sein Vater in Auschwitz ermordet worden war – weil er sich dafür schämte. Er behauptete statt dessen, der Vater sei beim Warschauer Aufstand umgekommen. Er blieb zunächst widerwillig nach seinem Grundwehrdienst in der israelischen Armee, fand dort aber schließlich eine Heimat und Kameraden und nannte sich bald  Yossi Peled (hebräisch: Stahl).

Im Sechstagekrieg 1967 war er Yitzhak Rabin sehr nahe, dem Stabschef der Armee; er heiratete eine Frau, die er in der Armee kennengelernt hatte und stieg im Offizierskorps auf. 1987, da war Rabin Verteidgungsminister, wurde General Peled gebeten, Minister Rabin auf einer Deutschlandreise zu begleiten. Er wollte nicht mitkommen. Erst als Rabin ihm darlegte, die Anwesenheit eines Überlebenden und Sohnes von Ermordeten in israelischer Uniform auf deutschem Boden sei der beste Beweis dafür, dass „wir gewonnen haben“, sagte er zu. Dennoch war es ein Schock, die deutschen Uniformen zu sehen und die Nationalhymne zu hören. „Ich habe mich gefragt, was mein Vater wohl dazu sagen würde, dass sein Sohn in Deutschland die Fahne grüßt“, sagte Peled. Als Rabin in Dachau eine Rede hielt und dabei sagte: ‚Ich möchte Ihnen sagen, dass wir gewonnen haben‘, mußte General Peled weinen.

Er wurde Kommandeur der nördlichen Region – zuständig für die Grenzen zum Libanon und zu Syrien, bevor er seine militärische Karriere aufgab und erst in die Wirtschaft, dann in die Politik ging. Benjamin Netanjahu hat ihn als Minister ohne Geschäftsbereich in sein Kabinett geholt. Er koordiniert derzeit das weltweite Gedenken an den Eichmann-Prozess.

Peled ist mit seiner Vita, für die er sich anfangs geschämt hat, zu einem Symbol in Israel geworden. Der Historiker Tom Segev erzählt davon in seinem Buch „The Seventh Million“.

In Berlin sagte Peled, für ihn sei die Konsequenz aus der Geschichte seiner Familie das „Nie wieder“. Seine Söhne sollten nicht erleben, was ihm geschehen sei. Israels erste Pflicht sei nicht Frieden, sondern das Fortbestehen in einer feindlichen Welt. „Ich habe in viel zu vielen Kriegen gestanden. Und 1973 waren wir sehr nahe daran, alles wieder zu verlieren. Die Geschichte hat den Juden nach zwei Jahrtausenden das Geschenk eines Staates gemacht. Es wird nie wieder kommen, wenn wir es verspielen.“

Peled zieht daraus eine Lehre der Härte und Verteidigungsbereitschaft. Anders als manche in seinem politischen Lager sieht er zum Friedensschluss mit den Palästinensern und zu einer Zweistaatenlösung keine Alternative. Wann die Zeit so weit sei, ließ er offen. Dass er derzeit keine günstigen Vorzeichen sieht, konnte man ahnen. Die Unsicherheit in der Region treibt ihn um, der mögliche Verlust aller Konstanten, die Israels brüchigen Frieden garantieren.

Minister Peled sagte, es würde ein besonderer Moment für ihn werden, als Vertreter der Regierung Israels an dem Gedenken der Wannseekonferenz teilzunehmen – „in der Stadt, in der diese Männer vor siebzig Jahren die Entscheidung getroffen haben, meine Familie auszurotten“.

Ich hätte gerne erfahren, wie es Minister Peled am Tag darauf ergangen ist, in dieser Villa am Wannsee.

 

 

 

Gegen den Mythos vom liberalen Tahrir-Platz

Die Hoffnungen, dass der „arabische Frühling“ zu einer liberalen Demokratie führen könnte, beruhen auf  (Selbst-)Täuschungen westlicher Beobachter, die keine Ahnung von der ägyptischen Realität haben. Davon sind Amr Bargisi und Samuel Tadros überzeugt, die in einem Essay anläßlich der massiven Gewinne der Islamisten das ägyptische Jahr Revue passieren lassen.

Beide sind Mitglieder der „Egyptian Union of Liberal Youth“, einer 2007 gegründeten NGO, die das Bewußtsein für die Philosophie des klassischen Liberalismus, den Rechtsstaat und die Menschenrechte in Ägypten schärfen will. Als Mitgliedern der liberalen Opposition, sagen Bargisi und Tadros, falle es ihnen besonders schwer, diesen Befund zu verkünden, aber die Chancen für eine liberale Ordnung im neuen Ägypten seien sehr schlecht.

When the Egyptian revolution came, we stayed home.

We are young, liberal Egyptian activists who have dedicated our lives to bettering our country. But from the moment in January the crowds took over Tahrir Square calling for President Hosni Mubarak’s ouster, we urged observers, particularly Western idealists already hailing the triumph of the new Egypt, to be cautious. We reminded them of Edmund Burke’s truism: Bringing down a tyrant is far, far easier than forming a free government.

It would be difficult to form such a government, we reasoned, in a society where the elite, with near unanimity, had just explained a series shark attacks in the Sinai as part of a Mossad-coordinated ploy to damage tourism. A free government must be based on universal rights, not least the right to freedom of conscience for all its citizens, and yet a Pew poll from December 2010 showed that 84 percent of the sampled Egyptian Muslims endorsed the death penalty as the appropriate punishment for Muslim apostates. For an entire country to change in one month, we argued throughout February, you need nothing short of magic.

Die Analyse der beiden ist sehr lesenswert, auch wenn sie mach meinem Dafürhalten die naive Euphorie der Beobachter etwas übertreiben. Dass Ägypten ohne Übergang zur liberalen Demokratie werden könnte, hat niemand ernsthaft behauptet. Auch die Möglichkeit, dass etwas ganz anderes daraus werden könnte, war stets präsent – eine offene Militärdiktatur oder ein islamistischer Totalitarismus. Aber sei’s drum. Die beiden Autoren gehen noch ein Stück weiter in ihrer Kritik. Sie halten die Unterstützung der Tahrir-Bewegung grundsätzlich für falsch. Sie glauben zeigen zu können, dass da ein Mythos aufgebaut wurde, der nun dringend zerstört werden müßte:

We must begin by deconstructing the Tahrir mythology. Namely: The Mubarak regime was pure evil; that it was brought down by “liberal” nonviolent activists; and that the Islamists had nothing to do with the revolution and emerged—suddenly—only to hijack it.

The early Tahrir Square crowd was comprised of leftists and various other groups that were in it for different reasons. Consider, for example, the fanatic soccer fans known as the Ultras. Known for engaging in fights with security forces after every Egyptian soccer game, the Ultras would not waste a chance to get back at the police in a much less controlled environment than the Stadium. At Tahrir, they had a major role in attacking the police and destroying the police stations. In the revolution’s aftermath, the Ultras led the mob in the rampage of the Israeli Embassy.

Other than the fact that a few dozen human-rights activists were present in Tahrir, there was nothing remotely liberal about the uprising. But that didn’t stop Western journalists from applying the term: Every Egyptian male without a beard was a John Stuart Mill, every female without a veil a Mary Wollstonecraft. Suddenly, Trotskyites were liberals, and hooligans nonviolent protesters.

The idea that there were no Islamists involved in the revolution is pure nonsense. The Muslim Brotherhood officially declared its decision to join the protests on Jan. 23, and its members were instrumental in the success of the revolution in the subsequent days and weeks. What’s more, over the past decade Islamist groups, particularly the Salafists, have been taking advantage of Egypt’s increasing media and Internet freedom to further influence the political discussion. Wondering where the all these Salafists came from? Go to YouTube, type in any possible Arabic term, from financial investment to marriage counseling, and see the sheer number of results that show a Salafist leader preaching, most often in a clip from the religious satellite channel. The message is always the same: A return to a purer form of Islam guarantees salvation in this life and the next.

Bargisi und Tadros hatten die Hoffnung, durch langfristige Aufklärungsarbeit die Basis für echtes liberales Denken in Ägypten zu verbreitern.

If Egypt was going to have any hope of becoming a liberal democracy, we had to face—and battle—the destructive totalitarian ideals that have taken hold of Egyptian society.

Das ist sehr ehrenwert, aber erstens war das Mubarak-Regime einfach nicht mehr zu halten – ganz egal, wie sich „der Westen“ zu ihm verhielt. Die Vorstellung eines allmählichen Wandels von innen her sind sicher sympathisch. Es gibt auch Beispiele für einen solchen Übergang zur Demokratie nach langen Phasen der Diktatur, wie etwa in Argentinien und Chile. Aber sie standen in Ägypten einfach nicht auf der Tagesordnung. Zweitens kann man nach der Beschreibung der beiden Zweifel haben, ob solch eine Liberalisierung von innen denn eine Chance gehabt hätte angesichts der angeblich nur „wenigen Dutzend“ Liberalen auf dem Tahrir.

Am Ende plädieren die beiden Autoren für eine Unterstützung des Militärs als des einigen Faktors, der das Land noch zusammenhalten und vor dem totalen Chaos bewahren könne. Sie müssen dabei allerdings zugeben, dass das für Liberale eine ziemlich „unangenehme Position“ sei:

the first priority should be defending the very existence of the Egyptian state, now solely represented by the military. This is certainly an awkward position for advocates of limited government, as we are. But if the military falls, nothing will stand between the Egyptians and absolute anarchy.

Sehr wertvoll scheint mir die Warnung vor dem Zweckoptimismus angesichts eines islamistischen Durchmarsches bei den Wahlen: Die Islamisten, einmal an der Regierung, würden schon vernünftig – oder sie würden eben entzaubert und dann nicht mehr wiedergewählt:

Western policy-makers and Egyptians who care about the country’s future should not push too hard for a total face-off between the military and the Islamists, which may develop into a civil war, nor should they seek to weaken the military to the extent that it is totally subdued by the Islamists. Finally, as the Islamists try to transform the legal and economic infrastructure of the country to their benefit, true liberals must be prepared to tackle them on every move, with detailed and convincing programs, not merely rhetorical speeches and empty polemics on talk shows. Islamism offers a coherent worldview; if liberalism cannot rise up to the same level, it will always be doomed to fail.

The gravest danger is for us to fall prey to complacency and believe that an Islamist government will either moderate or fail to deliver, and that the Egyptians will vote for someone else in the next elections. The very possibility of next elections is dependent on our capacity to avoid the total anarchy scenario. And the Islamists are not going to moderate. No matter how pragmatic the Muslim Brotherhood is, they will face a constant challenge by Salafists from the right to adhere a strict standard of religious purity. If the Islamists, now hugely popular, do fail to deliver, genuine liberals must be at the ready to offer voters a clear alternative.

 

 

Eine ägyptische Bloggerin zeigt sich nackt

Dieses Blog hat sich früh für die Freilassung von Kareem Amer eingesetzt, der als Blogger unter Mubarak vier Jahre Haft bekommen hatte. Vergebens. Kareems Haftentlassung kurz vor dem arabischen Frühling war ein Grund zur Freude, ebenso wie die Tatsache, dass einer wie er nun nicht mehr als ein Freak dastand, sondern plötzlich zusammen mit Hunderttausenden als das neue Gesicht Ägyptens, vielleicht als das Gesicht eines neuen Ägyptens dastand.

Kareem geht es heute gut, er studiert (Kommunikationswissenschaft, passender Weise). Er hat eine Freundin. Sie ist auch Bloggerin. Ihr Name ist Aliaa Magda Elmahdy.

Kareem und Aliaa        Foto: Kareem’s Facebook Page

 

Nun hat Aliaa etwas getan, was mich für sie und Kareem fürchten läßt. Sie hat auf ihrem Blog ein Nacktfoto von sich veröffentlicht. Aliaa, bekennende Atheistin, hat sich offenbar zum Ziel gesetzt, die Grenzen der Freiheit in Ägypten auszutesten. Sie bezeichnet sich auf ihrem Twitter-Account als „Secular Liberal Feminist Vegetarian Individualist Egyptian“.

Ich habe große Sympathie für junge Leute, die Prüderie und Verklemmtheit ihrer Gesellschaft nicht ertragen wollen, die mit Provokationen gegen Machismo und sexuelle Belästigung vorgehen. Allerdings kann diese Sache hier leicht nach hinten losgehen.

Kareem sagte dem Blog Cyberdissidents:

“When Alia first published the nude picture online, it was a decision and a choice that she made on her own.  Should any harm come to her, I will stand by her side.  I don’t know what I will be able to do because the specific repercussions are unclear. Some have threatened to sue us and inform the police.  If she is brought under investigation, I will stand by her and do whatever I can to solve this situation peacefully.  I am very proud of her. I am proud of her strong personality and of the daring attitude with which she expresses her opinion bravely.  I could never be as brave as her.  Alia is important to me, and I will never leave her side.”

Ich hoffe sehr, dass ihr nichts passiert. Ich hoffe auch, dass sie den ohnehin starken Islamisten mit ihrer Aktion nicht noch weitere Stimmen zutreibt und keinen guten Vorwand liefert, die säkular gesinnte Jugend als westlich dekadente Pornographen abzutun.

Die Wahl, die Ende des Monats ansteht, wird wohl kaum über solche Aktionen gewonnen werden (vielleicht aber verloren).  Liberal und säkular zu sein, bedeutet für öffentliche Nackheit einzutreten? Das wäre in Ägypten ein Konzept für ein Debakel.

Dann wieder: Verdammt, ist die mutig!

Under the title “fan a’ry” (nude art), Elmahdy posted eight pictures, two of herself and one showing a nude man holding a guitar, in addition to other photos.

In one photo, yellow rectangles cover parts of her body. “The yellow rectangles on my eyes, mouth and sex organ resemble the censoring of our knowledge, expression and sexuality,” Elmahdy said.

On her Facebook page, she said that she was “echoing screams against a society of violence, racism, sexism, sexual harassment and hypocrisy.”

Elmahdy argued on the blog that publishing the photo was an expression of freedom. “I have the right to live freely in any place… I feel happy and self satisfied when I feel that I’m really free,” she said.

In Al Masry Alyoum heißt es weiter:

Many comments referenced Egypt’s current divide between Islamists and secularists.

Following the fall of former president Hosni Mubarak in early February, Islamists have gained influence as they are suddenly free to operate openly without persecution from government authorities. Ultra-conservative Salafis have called for applying Islamic Sharia law, while some conservative preachers have called for banning women from wearing western swimsuits.

User Ali Hagras tweeted, “let’s just hope Salafi sheikhs don’t get word of this. They’re gonna throw it all on liberals and seculars.”

User Magued Ghoraba protested the decision to post the photo, “We are defending secularism from innuendos & then we get this #NudePhotoRevolutionary Stop shocking people to the point of repulsion.”