(Aus der ZEIT Nr. 27 vom Donnerstag, 25. Juni 2009)
Kairo, im Juni
Das Smartphone des Großmuftis vibriert, er nimmt den Anruf an und beginnt hinter vorgehaltener Hand vernehmbar zu plaudern. Der deutsche Innenminister – Ehrengast bei diesem Dinner mit islamischen Würdenträgern – schaut kurz irritiert auf den Nil und fährt dann fort, andere Teilnehmer mit Fragen zu löchern: Wie stark sind die Muslimbrüder wirklich? Schützt der Staat die christliche Minderheit? Wie kooperiert die Regierung mit den theologischen Fakultäten?
Der Nil in Kairo, südwärts Foto: Jörg Lau
Ägyptens Mufti Ali Gomaa hat unterdessen sein Gespräch beendet und tippt nun eine SMS. Neben ihm sitzt Großscheich Tantawi von der Al-Azhar-Universität, höchste Autorität des sunnitischen Islams. Doch auch er spricht ins Handy, und so verbringt der deutsche Innenminister den Rest des Dinners neben zwei plaudernden Turbanträgern, die offenbar durchaus Interesse am Dialog haben – nur nicht mit ihm.
Wolfgang Schäuble ist 3000 Kilometer weit geflogen, um das Gespräch mit den Muslimen zu internationalisieren. Er sucht in den Herkunftsländern dieser für Deutschland noch immer neuen Religion nach Partnern für das Projekt, das ihm zur politischen Lebensaufgabe geworden ist: die Einbürgerung des Islams in Deutschland. Schäuble wirbt in Alexandria, Kairo und Damaskus auch für seine Islamkonferenz.
Vor allem aber will er verstehen: Der Aufruhr in Iran treibt ihn um, bei dem Hardliner wie Reformer die Sprache des politischen Islams benutzen. Werden diejenigen sich durchsetzen, die Islam und Demokratie für kompatibel halten? Oder wird der militärisch-theologische Komplex der Islamischen Republik Iran die Reformer niederwalzen? Und wie geht es mit dem moderaten Islamismus der türkischen AKP weiter? Wird sich daraus ein glaubensbasierter, aber pragmatischer Konservatismus entwickeln wie in der europäischen Christdemokratie?
Landschaft mit Ministerkolonne Foto: Jörg Lau
Dass Entwicklungen in weit entfernten Ländern Rückwirkungen auf die deutsche Diskussion um den Islam haben werden, ist Wolfgang Schäuble nur allzu bewusst. In Kairo und Damaskus fragt er: Was tut ihr gegen die Radikalisierung der Jugend? Wie entwickelt ihr die Theologie weiter? Wie stellt ihr euch die Rolle des Islams in einer globalisierten Welt vor?
Es kommt an diesem Wochenende ernüchternd wenig zurück. Drei Muftis in zwei Tagen, neben den beiden Ägyptern noch ein Syrer, hinterlassen beim deutschen Innenminister das Gefühl: Bei diesem Kampf sind wir allein. Auf die arabischen Gelehrten kann er nicht bauen. Verkehrte Welt: Wer dem deutschen Innenminister zuhört, wie er die Würdenträger mit seinen besorgten Nachfragen wachzurütteln versucht, erwischt sich bei der Frage: Wer ist hier eigentlich der Obermufti? Wer macht sich mehr Gedanken um die Zukunft des Islams?
Gleich nach dem Dinner mit Nil-Blick rast Schäubles Kolonne zur Universität Kairo, wo der Minister eine Rede über das »Miteinander der Religionen« hält – unmittelbar gegenüber dem Saal, in dem 18 Tage zuvor der amerikanische Präsident eine Rede an die »muslimische Welt« gerichtet hat. Schäuble bemüht sich zwar, schon aus Gründen der Fallhöhe, nicht im gleichen Genre anzutreten. Er spricht über seine Erfahrungen mit der Islamkonferenz und über seine Vision für ein gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben der Religionen in Deutschland. Doch für viele unter den etwa 300 Zuhörern ist er in diesem Moment auch ein weiterer Repräsentant des Westens, der sich um Entspannung und Abrüstung im Krieg der Kulturen bemüht. Dass so eine »bedeutende Persönlichkeit«, wie die Moderatorin mehrmals betont, hierher gekommen ist, um sich der Debatte zu stellen, wird mit Genugtuung aufgenommen. Wie die Welt sich doch verändert hat: Ein Innenminister macht Außenpolitik. Die lange geforderte »Weltinnenpolitik« beginnt mit kleinen Schritten.
Und plötzlich, in dem stuckgeschmückten Foyer der Kairoer Universität, bekommt Schäuble doch noch die Debatte, die ihm die telefonierenden Muftis schuldig blieben: Ein ägyptischer Säkularer hält es für einen Fehler, dass der Staat überhaupt mit der Religion kooperiere. Eine Feministin sorgt sich um die Rechte der Frauen, wenn die konservativen Gläubigen mitbestimmen dürfen. Und eine Teilnehmerin mit Kopftuch fragt misstrauisch: Wollen Sie einen deutschen Islam schaffen, Herr Minister?
Der Innenminister trifft den Stellvertreter seines syrischen Kollegen Foto: Jörg Lau
Nein, repliziert Schäuble. Er wolle überhaupt keinen »Islam schaffen«. Er sei bloß für die Rahmenbedingungen zuständig, unter denen die Muslime sich dann selbst entfalten müssten.
Das ist die politisch und juristisch korrekte Antwort. Aber sie ist nicht ganz aufrichtig. Denn natürlich geht es dem Minister um ebendies: die Förderung eines deutschen, eines europäischen, eines moderneverträglichen, westlichen Islams. Das ist eine Lehre der Nahostreise des Innenministers, die er so natürlich niemals aussprechen wird: In der islamischen Welt gibt es herzlich wenige brauchbare Partner für diese Entwicklung. Wenn man von zwei modernen theologischen Fakultäten der Türkei in Ankara und Istanbul absieht, muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass die Reform des Islams ein langwieriger europäischer Kraftakt sein wird. Diese Reise macht das schmerzlich klar. In der Kairoer Uni sagt Schäuble, es sei jetzt »Zeit zu handeln«, sonst würden »die anderen« weiter die Religion missbrauchen, »um die Welt zu zerstören«. Großer Beifall.
Schäubles doppelte Mission, wie er sie in Kairo entfaltet, ist folgende: Wir Europäer, sagt er, müssen uns daran gewöhnen, dass die Religion, die wir als politischen Faktor schon abgehakt hatten, wieder sichtbarer geworden ist – und dies vor allem durch die muslimische Präsenz auf unserem Kontinent. Und die Muslime müssen, wenn sie die Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften erreichen wollen, ohne Vorbehalt ihren Frieden mit Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten machen.
Omajadenmoschee in Damaskus Foto: Jörg Lau
Schäuble sagt den Satz immer wieder, mit dem er seinerzeit die Islamkonferenz eröffnet hatte: »Der Islam ist ein Teil Deutschlands.« Wenn man sich in einigen Jahren zu vergegenwärtigen versucht, was die Große Koalition eigentlich zustande gebracht hat, werden diese sechs schlichten Worte dazugehören: Sie haben eine Zeitenwende im deutschen Selbstverständnis eingeläutet. Der Minister weiß das, und er ist unverholen stolz darauf. Er genießt die Verwirrung seiner Beobachter, dass der Autor dieser Worte derselbe Schäuble sein soll, der einst gegen die doppelte Staatsangehörigkeit polemisiert und die populistische Kampagne Roland Kochs gegen den »Doppelpass« unterstützt hatte.
Aber ist es wirklich derselbe? Ist das einfach nur konsequent, wie er selbst zu glauben scheint: Wer die Integration will – so die innere Logik, die den Schäuble des Jahres 2000 mit dem von heute verbindet –, darf sich eben nicht scheuen, Einwanderern die Loyalitätsfrage vorzulegen und eine Entscheidung für dieses Land abzuverlangen. Und darum sei er eben auch heute noch gegen die doppelte Staatsangehörigkeit.
Mag sein. Aber als Unterstützer einer hässlichen Kampagne wie seinerzeit kann man sich ihn eben einfach nicht mehr vorstellen. Und das spricht dafür, dass irgendetwas Grundlegendes passiert sein muss, ein auch für ihn selbst überraschender, unabgeschlossener Lernprozess.
Als er 2005 zum zweiten Mal Innenminister wurde, waren gerade die Bomben in Londoner U-Bahnen explodiert. Die Pariser Banlieue brannte, und kurz darauf starben Menschen wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen. Während die Rechte vielerorts in Europa mit antiislamischer Rhetorik reüssierte, startete Schäuble mit der Islamkonferenz ein gesellschaftliches Experiment: Entspannungspolitik im Inneren, gegen den populistischen Strom der Zeit.
Freundlich grüßen Vater und Sohn Assad. Flughafen Damaskus Foto: Jörg Lau
Wolfgang Schäuble ist stolz darauf, dass Rechtspopulisten in Deutschland kaum Chancen haben, mit Hetze gegen Moscheebauten und Kopftücher Stimmen zu gewinnen. Dass »Pro Köln« es nicht vermochte, die Domstädter gegen die geplante Großmoschee zu agitieren, schreibt er nicht zu Unrecht auch seiner Politik gut. In seiner eigenen Partei seien die Abwehrreflexe rückläufig: Klar könne man auch dort Menschen finden, erklärt er, die erst mal eine Abwehrhaltung einnehmen – »Muslime, uuh!« –, aber in Wahrheit seien die Leute in seinen Parteiversammlungen stolz, dass die Union bei dem Thema heute führe. Luftherrschaft über den Stammtischen bedeute, für klare Luft zu sorgen, »nicht sich dem Mief anzupassen«. Die Leute wollen vielleicht ja gar nicht, sinniert der Minister, »dass wir ihnen nach dem Mund reden«. Sie wollen Führung, sagt er verschmitzt. Wer mag, darf diesen Satz wohl auch auf andere Politikbereiche beziehen.
Auf dem Rückflug von Damaskus, nach einem weiteren enttäuschenden Gespräch mit dem dortigen Großmufti, macht Wolfgang Schäuble schon Pläne für die nächsten vier Jahre. Weil wir auf die Scheichs und Muftis nicht zählen können, brauchen wir schnell eine richtige islamische theologische Fakultät in Deutschland. Er werde Druck machen, dass sich ein Bundesland der Sache annehme, sagt er. Der Innenaußenminister nun auch noch als Bildungsminister?
Deutschland hat noch kein Integrationsministerium, aber einen Integrationsminister in einem ganz wörtlichen Sinn: Er hält die widerstreitenden Pole in der Konferenz zusammen, die islamkritischen Feministinnen und die konservativen Herren von den Verbänden, die ihn gleichermaßen respektieren. Und er kann auch die skeptischen Teile der deutschen Mehrheit integrieren, vielleicht gerade weil er selber früher harte Töne angeschlagen hat. Und weil er auch das Inbild des harten Sicherheitsministers abgibt. In der Islamkonferenz, so hat es Navid Kermani als Teilnehmer formuliert, müssten »die Beteiligten gewissermaßen stellvertretend für ihre Gesellschaft lernen, wie kompliziert es sich mit den Identitäten verhält«. Das gilt ganz offensichtlich auch für ihren Erfinder.