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Aussen Minister, innen rot

Aus der aktuellen Print-Ausgabe: Ein Porträt des Aussenministers und Vizekanzlers Frank-Walter Steinmeier, das ich zusammen mit dem neuen Kollegen Peter Dausend geschrieben habe. Die beiden Reden, auf die ich mich beziehe, finden sich hier und hier.

Vom Rasenplatz in Bochum zu den Lehmplätzen von Ouagadougou braucht Frank-Walter Steinmeier nur Sekunden, für den Rollenwechsel vom SPD-Vize zum Außenminister nur einen Satz. Soeben hat Kurt Becks Stellvertreter mit Fans und Spielern des VfL Bochum über Rassismus im Fußball diskutiert – und jetzt berichtet Deutschlands höchster Diplomat von Straßenkindern in Burkina Faso. »Faszinierend« sei es, wie ein Fußballprojekt diesen Vergessenen zwar nur selten eine Profikarriere beschere, aber oft einen Schulabschluss. Burkina Faso ist das ärmste Land der Welt, die SPD eine gepeinigte deutsche Partei, der Fußball politisch – und die nächste Rolle immer die schwerste.
Steinmeier hat nun gleich vier Rollen zu spielen. Seit Oktober 2007 ist der Außenminister auch stellvertretender SPD-Chef, seit November Vizekanzler – und seit Kurt Becks Wortbruch Kanzlerkandidatenkandidat. Nicht genug damit, dass Steinmeier mit vier Hüten durch die Welt reist. Er muss seine Reiseplanung immer mehr an innenpolitischen Pflichten ausrichten: Wegen Becks Krise musste vor zwei Monaten bereits der Indien-Teil seiner Asienreise amputiert werden. Und am vorletzten Sonntag killte die Parteisitzung zur Bahnreform die Station Chicago bei Steinmeiers Amerika-Trip. Seine Gesprächspartner in aller Welt werden sich im Wahljahr 2009 daran gewöhnen müssen, dass der Außenminister sonntags und montags meist Innenpolitik macht.

Als Steinmeier vor gut zweieinhalb Jahren an die Spitze des Auswärtigen Amtes bestellt wurde – der erste Sozialdemokrat seit Willy Brandt –, wiederholte sich ein Phänomen, das noch aus jedem Klaus Kinkel einen Politstar gemacht hat: Kaum im Amt, stürmen Außenminister alle Popularitäts-Hitparaden. Bei Steinmeier überraschte das dennoch. Schließlich war er bis zu seinem Amtsantritt den Deutschen weitgehend unbekannt. Für andere war der Außenministerposten oft Krönung einer öffentlichen Karriere – für den promovierten Juristen der Einstieg. Im stillen Kämmerlein eines Staatskanzleichefs in Hannover, eines Kanzleramtschefs in Berlin hatte der heute 52-Jährige mehr als ein Jahrzehnt lang all das organisiert, was ein anderer, Gerhard Schröder, im öffentlichen Scheinwerferlicht als seine Politik verkaufte. Steinmeiers rasanter Aufstieg von Schröders Schattenmann zu Merkels Beliebtheitsrivalen hat jenseits der roten Teppiche mehrere Ursachen: den Hanns-Joachim-Friedrichs-Reflex, mit dem die Deutschen grau melierten Männern, die sie aus dem Fernsehen kennen, Seriosität und Glaubwürdigkeit attestieren. Die sonore Stimme, die gelassen eine Politik erklärt, die nur schwer zu verstehen ist. Die vielen »konstruktiven Dialoge«, »fruchtbaren Gespräche« und »gemeinsamen Bemühungen«, die einen so sehr aller Parteilichkeit entheben, bis der Sozialdemokrat im Außenminister verschwindet. Doch der muss jetzt wieder sichtbar werden. Steinmeier ist nun außen Minister – und innen rot.
»Werden Sie denn nun gegen Merkel antreten?«, will Professor John Silver in Harvard wissen. Der Außenminister hat gerade eine programmatische Rede gehalten. Steinmeier scherzt, er habe die Einladung an die Elite-Eni in Mas­sa­chu­setts eigentlich angenommen, weil er sich hier vor solchen Fragen sicher wähnte. Aber nicht gefragt zu werden hätte ihm auch nicht gefallen.
Steinmeier war längst Diplomat, bevor er an die Spitze des Auswärtigen Amts wechselte…

Steinmeiers Rollenkonflikt besteht darin, dass er nach außen Entspannungspolitiker bleiben will, nach innen aber Spannungspolitiker werden muss. Das spiegelt sich in den zwei großen Reden, die er jüngst gehalten hat – eine nach Osten, eine nach Westen gerichtet. In Berlin warb er für eine »neue europäische Ostpolitik«, in Harvard stellte er seine »neue transatlantische Agenda« vor. Steinmeier sieht Deutschland als »Modernisierungspartner« für Russland. Er reagiert allergisch auf Kalte-Kriegs-Töne. Mit dem republikanischen Kandidaten John McCain hat er sich deswegen schon gelegentlich hinter verschlossenen Türen gefetzt. Steinmeier will aber auch nicht als Russland-Schmuser gesehen werden. Darum flicht er jetzt öfter Worte über »die Mängel im politischen System Russlands« in seine Statements.
In Harvard stellt er klar, dass er die Rückkehr Amerikas als politisch-moralische Führungsmacht in einer unübersichtlichen Welt wünscht. Dass Amerika den Ansehensverlust der vergangenen sieben Jahre wiedergutmacht, ist für ihn wichtig, weil wachsender Antiamerikanismus zu Hause (nicht nur in der Linkspartei) es schwer macht, Mehrheiten etwa für den Afghanistaneinsatz zu organisieren. Steinmeier zeigt sich in Amerika ganz undiplomatisch als Parteigänger Obamas. Dessen Slogan »Yes, we can« hat er als Pointe in seine Rede eingebaut. Einen Sieg Obamas, der den Irakkrieg immer für falsch hielt und den Afghanistaneinsatz verteidigt, würde Steinmeier als Bestätigung seiner eigenen Außenpolitik se­hen – ein letzter postmortaler Sieg von Rot-Grün….

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Chinas Neokonservative: die „Neo-Comms“

Hier ein Lesetip, den ich für die aktuelle Print-Ausgabe in unserer neuen Rubrik „Bücher machen Politik“ geschrieben habe. Mark Leonards Buch sollte jeder lesen, der eine kurze Einführung in die intellektuellen Debatten Chinas sucht (eine Kurzfassung hat Leonard für die  britische Zeitschrift „Prospect“ geschrieben):

Als Mark Leonard vor fünf Jahren zum ersten Mal in der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften zu Gast war, stellte er seinen Londoner Thinktank vor. 20 Experten, protzte der Mittdreißiger, beschäftigten sich dort mit Außenpolitik. Sein Pe­kin­ger Gastgeber lächelte, bevor er zum Gegenschlag ansetzte: »Unsere Akademie betreibt 50 Forschungszentren in 260 Disziplinen. Wir haben 4000 fest angestellte Forscher.«

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Mark Leonard Foto: Nate Lankford

Das hat gesessen. Und so begab sich Mark Leonard auf eine geistige Entdeckungsreise. Was als Stippvisite geplant war, um einen ersten Einblick in die chinesischen Debatten zu nehmen, wuchs sich zum mehrjährigen Versuch aus, Chinas neue politische Intelligenzija zu verstehen. »Ich war auf eine verborgene Welt von Intellektuellen, Thinktankern und Aktivisten gestoßen«, schreibt Leonard, »die große Entwürfe machten.« Sein Buch, das soeben auf Englisch erschienen ist, kommt zur rechten Zeit: China fühlt sich von der Welt missverstanden, ja gehasst. Und die Welt nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass die sonst so pragmatischen Chinesen sich unfähig zeigen, die Tibetkrise zu bewältigen. Was also treibt die Tausende in den Pekinger Thinktanks um?
Es ist ein Vorzug dieses Buchs, dass sein Autor »aus Zufall zum Amateur-Sinologen« wurde. Das ist schließlich ein Schicksal, das heute jeden interessierten Zeitungsleser ereilt. Der Westen hat China zunächst als wirtschaftliche, dann auch als strategische Herausforderung wahrgenommen. Mark Leonard aber fragt, wie Chinas Aufstieg unsere politischen Ideen verändern wird. Wir kennen die amerikanischen Debatten und können Neocons, Realpolitiker und religiöse Rechte unterscheiden. Doch wer hat schon gehört von dem Liberalen He ­Waifeng, dem Ultranationalisten Fang Ning, dem Konservativen Pan Wei oder von Wang Hui, Vordenker der Neuen Linken?
Einst, so Leonard, mussten die Pekinger Intellektuellen mit Chi­nas Schwäche und Demütigung zurechtkommen und den Modernisierungsrückstand des Landes erklären. Heute geht es darum, die Konsequenzen aus Chinas neuer Stärke zu ziehen. Die liberalen Reformer glauben, politische Liberalisierung müsse auf die ökonomischen Reformen fol­gen. Auf sie setzt der Westen – auch weil wir uns in ihrer Philosophie am ehesten wiedererkennen. Aber die Liberalen sind von zwei Seiten in die Defensive geraten: durch eine »Neue Linke« und durch jene, die Leonard in Anspielung auf die amerikanische Szene »Neo-Comms« nennt. Die Ersteren wollen die gesellschaftlichen Kosten der Liberalisierung gerechter verteilen und experimentieren mit wohlfahrtstaatlichen Ideen.
Außenpolitisch wollen sie China nach seinem »friedlichen Aufstieg« als Stütze des internationalen Systems etablieren. Sie setzen auf die
globalen Ins­ti­tu­tio­nen, um Amerika einzuhegen und eine vorteilhafte, wohlwollende Umgebung für Chinas weiteren Aufstieg zu garantieren.
Die »Neo-Comms« hingegen haben die alte Angst Chinas, die Welt durch seinen Aufstieg zu erschrecken, hinter sich gelassen. Sie wollen nicht länger ängstlich auf soft power setzen. China soll sich lieber offen zu seinem Großmachtanspruch bekennen. Statt das bestehende internationale System nur neu auszubalancieren, soll China eine eigene Einflusssphäre nach seinem Bilde schaffen: In Zentralasien und Afrika hat der Aufbau dieser alternativen Weltordnung schon begonnen. Das Versprechen des »Chinese Dream« ist die rasante Entwicklung ohne Öffnung des politischen Systems, ohne Souveränitätsverlust durch Einmischung von außen oder unkontrollierte Freiheitswünsche der Gesellschaft. Die Nationalisten, meint Leonard, seien einstweilen eine Minderheit. Noch haben die »linken Internationalisten« im Streit um Chinas Zukunft das Ohr der Mächtigen.
Das hat er allerdings geschrieben, bevor die Olympischen Spiele zu einem Debakel zu werden drohten. Gut möglich, dass nun die empfundene Ablehnung dem chinesischen Nationalismus Auftrieb geben wird. Vielleicht tritt aber auch ein anderes Problem in den Vordergrund. Wer Mark Leonards exzellente Einführung liest, wird den Verdacht nicht los, dass die chinesische Debatte um ein großes Loch kreist: Denn die Zeit, da Legitimität sich allein durch Wachstum erzeugen ließ, ist vorbei. China steht heute im grellen Licht ganz vorn auf der Weltbühne – eine merkwürdig ratlose Großmacht auf der Suche nach einer Idee.

 

Sie hassen uns nicht

Jedenfalls nicht für das, was wir sind, sondern wenn schon, dann für das, was wir tun. Will eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup herausgefunden haben, von der die WELT heute berichtet:
Die in diesem Umfang und auf diesem Feld beispiellose Untersuchung nahm ihren Anfang unmittelbar nach den Anschlägen vom 11.September und hat Überraschendes zutage gefördert. Etwa dies: Im Iran sprachen sich 85 Prozent der Befragten für die Gleichberechtigung von Mann und Frau aus, in Indonesien sogar 90 Prozent, und selbst im rigiden, patriarchalischen Wüstenstaat Saudi-Arabien waren es noch 61 Prozent.
Verehrung für technologischen Fortschritt und westliche Freiheiten
Oder dies: Muslime in zehn arabisch-islamischen Kernstaaten gaben zu Protokoll, was sie am „Westen“ am meisten verehrten: Technologischer Fortschritt steht da an erster Stelle, dicht gefolgt von der freien Meinungsäußerung, der freien Ausübung der Religion und der parlamentarischen Demokratie, die sich auf eine Verfassung stützt.
Interessant auch, dass die sieben Prozent der Befragten, die sich selbst als „politisch radikal“ einstufen, eine deutlich bessere Bildung aufzuweisen haben als die Mehrheit ihrer Glaubensbrüder. Sie verfügen über überdurchschnittliche Einkommen und über ein sehr waches politisches Bewusstsein, verfallen aber angesichts der trostlosen Lage der Bürgerrechte in ihren eigenen Gesellschaften öfter als ihre moderaten Zeitgenossen in Zynismus und eben Radikalität.
„Selbst die Sympathisanten des islamistischen Terrorismus hassen nicht unsere Freiheit, sie wollen unsere Freiheit, um sich selbst entfalten zu können“, sagt die Muslimin und Co-Autorin Dalia Mogahed über die sieben Prozent „politisch radikalisierter“ Muslime, die die Terroranschläge vom 11.September 2001 rechtfertigen.

Ihr Kollege Esposito sekundiert: „Sie hassen uns nicht für das, was wir sind, sondern für das, was wir tun.“ Antiamerikanismus speise sich nicht aus der Abscheu gegenüber westlichen Werten und Prinzipien, sondern aus dem, was die Muslime an konkreter US-Außenpolitik am eigenen Leib erführen. Konkret heißt das: Parteilichkeit im Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zugunsten Ersterer sowie die Unterstützung mehr oder weniger offen diktatorischer islamischer Regime wie Ägypten, Pakistan und Saudi-Arabien.
So sehr die Muslime offenbar westliche Werte schätzen, so wenig halten sie die westliche Leitmacht USA für einen vertrauenswürdigen Protagonisten des Werteexports. Lediglich die Hälfte aller befragten Muslime glauben, dass die Amerikaner tatsächlich demokratische Strukturen in der arabisch-islamischen Welt verankern wollen. 24 Prozent der Ägypter und Jordanier und gar nur 16 Prozent der Türken vertrauen in dieser Frage auf Washingtons Außenpolitik. 81 Prozent der befragten Radikalen und 67 Prozent der politisch Gemäßigten sehen die USA als aggressive Macht, verachten ihren „Unilateralismus“ und ihre „Arroganz“.

 

Prophet des nächsten Weltkriegs

Aus der Printausgabe von diesem Donnerstag:

Vom Trotzkisten zum Kämpfer gegen den »Islamofaschismus«: Wie der New Yorker Intellektuelle Norman Podhoretz die Bush-Regierung auf die Bombardierung Irans einschwören will – und warum er Erfolg haben könnte

Der Präsident redet vom Weltkrieg, und selbst seine Sprecher sind erschrocken. Es sei bloß eine »rhetorische Bemerkung« gewesen, ließ das Weiße Haus verlauten, dass George Bush den »Dritten Weltkrieg« an die Wand gemalt hatte, als Russlands Präsident Wladimir Putin vergangene Woche bei seinem iranischen Kollegen Machmud Ahmadineschad zu Gast war. Doch das apokalyptische Bild ist George Bush nicht in der Hitze des Augenblicks zugeflogen. Es hat eine lange Vorgeschichte, die bis ins Jahr 2001 zurückreicht. Seither nämlich arbeiten einflussreiche außenpolitische Köpfe daran, dass der Präsident der Vereinigten Staaten den Konflikt, der mit den Anschlägen des 11. September ausbrach, nicht nur als »Krieg gegen den Terrorismus«, sondern als veritablen »Weltkrieg« deklarieren solle.

Niemand hat dafür so unermüdlich getrommelt wie der 77-jährige New Yorker Intellektuelle Norman Podhoretz, einer der Gründerväter des Neokonservatismus. Seit Jahren propagiert er in Essays, Interviews und nun auch in einem Buch die Lesart, dass die USA sich längst schon in einem neuen Weltkrieg befinden. Als Erster hatte Eliot Cohen, ein neokonservativer Pentagonberater, bereits im November 2001 im Wall Street Journal den 11. September als Menetekel des »Vierten Weltkriegs« gedeutet. Warum »Vierter Weltkrieg«? Die Neokonservativen sind Bush um einen Zähler voraus, weil sie bereits den Kalten Krieg als den dritten rechnen. Der ehemalige CIA-Chef James Woolsey nahm 2002 den Ball auf und benannte den Feind in diesem Kampf: die schiitischen Islamisten Irans, die »Faschisten« der irakischen Baath-Partei und die sunnitischen Terroristen der al-Qaida. Newt Gingrich, der ehemalige Mehrheitsführer im US-Kongress, forderte Präsident Bush im vergangenen Jahr auf, den israelischen Libanonkrieg zu einer Schlacht in jenem Weltkrieg zu erklären.

Doch Norman Podhoretz wurde der einflussreichste Propagandist des Vierten Weltkriegs. Podhoretz hat Jahrzehnte im intellektuellen Dunstkreis der Macht verbracht. Als jahrzehntelanger Herausgeber der Zeitschrift Commentary gehörte er zur ersten Generation von Neokonservativen – jenen Konvertiten, die sich, enttäuscht von der Linken, nach rechts gewendet hatten. Die meisten von ihnen waren Juden, viele waren Ex-Trotzkisten. Im Kalten Krieg waren sie zu außenpolitischen Falken, innenpolitischen Deregulierern und zu eingeschworenen Feinden der Kulturrevolution der Sechziger geworden. Podhoretz mit seiner legendären Streitlust war stets ihr lautester Wortführer. Mit dem früheren US-Präsidenten Ronald und dessen Frau Nancy Reagan verband ihn eine Freundschaft; George W. Bush verlieh ihm 2004 die Presidential Medal of Freedom, die höchste Auszeichnung für einen Zivilisten. Das war, wie sich zeigen sollte, mehr als eine Anerkennung für alte Verdienste.

Im Frühling 2007 wurde Norman Podhoretz zu einem Gespräch unter sechs Augen ins New Yorker Hotel Waldorf Astoria geladen. Dort durfte er dem Präsidenten und seinem damaligen Berater Karl Rove 45 Minuten lang darlegen, warum es an der Zeit sei, Iran zu bombardieren. Der Präsident sei »sehr ernst« gewesen und habe die meiste Zeit zugehört, erzählte Podhoretz im September der Londoner Times. Nur einmal seien Bush und Rove in lautes Lachen ausgebrochen: als er, Podhoretz, die Verhandlungen über UN-Sanktionen gegen Iran als den Versuch bezeichnet habe, »der Sinnlosigkeit eine Chance« zu geben. Das Weiße Haus ließ Podhoretz gewähren, als er das inoffizielle Treffen im Waldorf publik machte, um sein soeben erschienenes neues Buch zu bewerben. Es trägt den Titel: Der Vierte Weltkrieg. Der lange Kampf gegen den Islamofaschismus.

Wurden die ersten drei Weltkriege gegen Imperialismus, Faschismus und Kommunismus geführt, so steht Amerika nun gegen den »Islamofaschismus«: Mit der iranischen Revolution ist diese Kraft auf die Bühne der Weltgeschichte getreten, als Terror der schiitischen Hisbollah in Beirut 1983 hat sie erstmals die USA getroffen, mit Saddam Hussein zeigte sie sich als Erbe Hitlers und Stalins zugleich, und durch al-Qaida erfasste sie die sunnitische Welt mit einer revolutionären Befreiungsbotschaft. Der Afghanistankrieg, der Irakkrieg, der israelische Libanonkrieg und der Streit um das iranische Atomprogramm sind in dieser Sicht nur verschiedene Fronten in einem einzigen großen Kampf. Nach Osama bin Laden bildet der iranische Präsident Machmud Ahmadineschad die Speerspitze des Islamofaschismus. »Wie Hitler«, schreibt Podhoretz, »ist er ein Revolutionär, dessen Ziel im Umsturz der internationalen Ordnung besteht.« Und darum muss, wer den Islamofaschismus besiegen will, nach dem Fall Kabuls und Bagdads gegen Teheran ziehen.

Der Begriff »Islamofaschismus« planiert die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten im Irak, zwischen säkularen Tyrannen wie Saddam Hussein und messianischen Führern wie bin Laden. Er ignoriert die Interessengegensätze zwischen den wahhabitischen Herrschern Saudi-Arabiens und ihren persisch-theokratischen Herausforderern, und er unterscheidet nicht zwischen lokalen Widerstandsgruppen und dem globalen Dschihadismus. Der angenehme Nebeneffekt für die Bushisten: Das Desaster im Irak erscheint im Licht des titanischen Menschheitsringens höchstens noch als kleiner Rückschlag.

Warum überhaupt Rückschlag? Sind die täglichen Massaker der Aufständischen im Irak, fragt Podhoretz, nicht in Wahrheit »ein Tribut an die enormen Fortschritte, die bei der Demokratisierung und Vereinigung des Landes unter einem arbeitsfähigen föderalen System gemacht wurden«? Warum denn sonst würde der »Widerstand« wohl so viel Blut vergießen, wenn er nicht überzeugt wäre, dass die US-Mission im Irak gelingt? Die Rede vom Weltkrieg gegen den Islamofaschismus dient auch dazu, die innenpolitischen Gegner ins moralische Zwielicht zu rücken. Wenn wir vor einem »neuen München« stehen, wie Podhoretz behauptet, dann werden Befürworter der Diplomatie zu Wiedergängern der »Appeasement«-Politik von 1938, die Hitler freie Bahn geschaffen hat.

Präsident Bush macht sich zwar Podhoretz’ Weltkriegs-Zählweise nicht zu eigen, indem er vom Dritten Weltkrieg spricht. Aber auch er definiert die iranischen Nuklearambitionen nun nicht mehr nur als »Gefahr für den Weltfrieden«, sondern als Element eines größeren Kampfes. Zugleich zieht er mit der Einführung der Weltkriegsmetapher die rote Linie für Iran enger: Galt bisher der Erwerb der Bombe als »unakzeptabel«, so sieht Bush nun bereits den Erwerb des nukleartechnischen Wissens durch Iran als mögliche Schwelle zum »Weltkrieg«.

Während der Präsident aber noch warnt, ein Weltkrieg müsse vermieden werden, sehnt Podhoretz die Stunde herbei, in der er endlich offen und ohne Zurückhaltung ausgefochten wird. Mögen andere sich gegen die Bezeichnung »Kriegshetzer« wehren – Podhoretz steht jenseits solcher Ehrpusseligkeit. Er lebt aus einem Gefühl der Stärke, das sich seit eh und je am Erschrecken der »feigen Liberalen« weidet. Er sieht das Entsetzen im Auge seines Gegenübers als Beweis, dass er richtig liegt. Und so legt er immer weiter nach: Sein jüngster Aufsatz »Argumente für die Bombardierung Irans« (Commentary, Juni 2007) endet mit den Worten, er »bete als Amerikaner und als Jude mit ganzem Herzen dafür«, dass Präsident Bush »es tun« werde. Vor Ahmadineschads Besuch in New York ließ Podhoretz in mehreren Interviews wissen, er sei sicher, dass Präsident Bush Iran vor dem Ende seiner Amtszeit bombardieren werde. Und im Fernsehen sagte er: »Wenn wir Iran bombardieren – und ich hoffe und bete, dass wir es tun –, wird dies eine Welle des Antiamerikanismus auslösen, gegen die der Antiamerikanismus, den wir bis jetzt ertragen haben, ein Liebesfest sein wird.« In Podhoretz’ Logik wäre auch dies wieder nur ein weiteres Zeichen dafür, dass der Sieg im Vierten Weltkrieg näherrückt. Denn mehr Antiamerikanismus kann nur bedeuten, dass Amerika mehr denn je das Richtige tut.

Podhoretz genießt den Schrecken, den die Ungeheuerlichkeiten auslösen, die er betont lässig und stoisch vorbringt. Entlarvungsgesten prallen an ihm ab: Er spielt ganz offensiv und lustvoll die jüdische Karte und inszeniert sich als letzte Hoffnung Israels gegen die »Appeaser« des »Islamofaschismus«. Gerade in jüdischen Kreisen ist Podhoretz darum umstritten: Die Mehrheit der liberalen Juden in Amerika, die loyal zu Israel stehen und gerade darum die Nahostpolitik der Bush-Regierung mit Sorge sehen, empfindet seine Position als Anmaßung. Was Podhoretz wiederum als Bestätigung verbucht: ein perfekt geschlossenes System.

Manche Einlassungen von Podhoretz deuten auf Realitätsverlust hin: In seinem Buch erklärt er, der Meinungsstreit um den Irakkrieg sei »kein Stück weniger blutig als derjenige, den unsere Truppen im Nahen Osten kämpfen«. Es handele sich dabei schließlich ebenfalls »um eine Art Bürgerkrieg«. Mancher würde ihn wegen solcher Äußerungen gern als »zunehmend einsamen Mann« abtun, der mit »ideologischer Blindheit« (so der New Yorker Publizist Ian Buruma) geschlagen ist. Podhoretz ist zwar ein typischer Upper-East-Side-Intellektueller zwischen Pomp und Hysterie, wie man sie aus Woody Allens Filmen kennt. Aber zugleich ist er ein in den Washingtoner Machtsphären gut vernetzter Mann, auf den immer noch gehört wird.

Vielleicht sind die Nachrufe auf den Neokonservatismus, die angesichts der Lage im Irak verfasst wurden, zu früh geschrieben worden. Wer schon glaubte, die revolutionäre Außenpolitik der Neocons sei ein Opfer des Irakkriegs, sollte die Präsidentschaftskampagne des früheren New Yorker Bürgermeisters Rudy Giuliani im Auge behalten. Norman Podhoretz ist seit Kurzem dessen außenpolitischer Berater.

 

Le Kraftmeier

Aus meinem Artikel über den französischen Aussenminister Nicolas Sarkozy, zu lesen in der aktuellen Print-Ausgabe (Nr. 39) der ZEIT:
(…)
Für die Deutschen, die stolz darauf sind, die EU-Troika mit Briten und Franzosen zusammengehalten und auch Russen und Chinesen hinter die ersten beiden Sanktionsrunden gebracht zu haben, bedeutet diese Initiative eine doppelte Pro­vo­ka­tion. Erstens ist sie wieder nicht abgestimmt. Zweitens, und das ist schmerzhafter, rührt sie an die Schwachstelle der deutschen Iranpolitik. Ist es nicht richtig, den diplomatischen Kurs zu verschärfen, wenn man den Krieg vermeiden will, wie es Sarkozy und Kouchner sagen? Auch unter Berliner Außenpolitikern gibt es Zweifel, ob die Geschlossenheit im Rahmen der UN es wert ist, sich weiter auf Sanktionen zu beschränken, die möglicherweise zu harmlos sind, um Iran zu einem anderen Verhalten zu bewegen. Frankreich will diesen Konsenszwang jetzt durchbrechen. Aber wie weit geht der neue proamerikanische Kurs? Ein französischer Diplomat sagt es so: Der Präsident liebt Amerika, aber er wird für George Bush nicht Selbstmord begehen wie Tony Blair.

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Der Hyperpräsident und die First Lady Foto: White House

Wie lange der Präsident sein atemberauben­des Tempo halten kann, fragen sich nicht nur die Berliner und Brüsseler Politiker, sondern auch seine zugleich erschöpften und euphorisierten Diplomaten: »Wir haben nach vier Monaten immer noch keine Ahnung, was seine normale Betriebsgeschwindigkeit ist.« Wer sagt eigentlich, dass es so etwas bei ihm gibt?

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(Ich habe die aussenpolitische Berichterstattung im Berliner Büro der ZEIT übernommen. Das wird sich auch hier auf dem Blog niederschlagen.)

 

Die neue iranische Konfrontations-Ideologie

Wer sich fragt, warum derzeit im Iran durch Verhaftungen von Oppositionellen und durch Repression gegen junge Frauen der Druck erhöht wird, findet eine Antwort bei dem Cheftheoretiker der Revolutionsgarden, Hasan Abbasi.

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„Die US-amerikanische Hauptstrategie ist die sanfte Methode des Umsturzes des Iran. Sie sagen, dass der iranische Boden nicht ihr Ziel ist, aber der iranische Bürger. Die sanfte Bedrohung will die Herzen und Köpfe erobern. Diese Strategie umfasst verschiedene Themen, wie den Hass gegen den Islam, den Hass gegen das Iranertum, sarkastische Erniedrigung der Verantwortlichen der Islamischen Republik, Hass gegen die politischen Führer des Islam gehören zu ihrer Strategie.“

Rooz online berichtet über einen Vortrag, in dem Abbasi die Konfrontation zwischen Iran und Amerika in Analogie zu den Wettrennen amerikanischer Jugendlicher beschreibt, die mit ihren Autos aufeinander zurasen, bis der ausweicht, der am meisten Angst hat. Das „Chicken-Spiel“ nennt Abbasi dies. Sein Vortrag offenbart, wie sicher das Regime sich heute fühlt:

Heute ist die Bush-Regierung schwächer denn je zuvor und kann den Iran nicht angreifen. Überhaupt ist die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes auf den Iran immens gesunken, denn es ist eine strategische Frage. Wir brauchen eine Außenpolitik, die unsere innenpolitischen Interessen berücksichtigt. Aber man hat begonnen nebensächliche Spielereien zu betreiben. Beispielsweise die Holocaustgeschichte hat Raum für andere Themen geschaffen. Sie waren dann mit dem Holocaust beschäftigt, der Druck ging dann in die Richtung und der Iran bekam neue Handlungsspielräume. Manchmal diskutiert man auch über den Dialog der Zivilisationen. Alles nebensächliche Probleme.“

Man wirft uns also „den Holocaust“ oder den „Dialog“ hin wie einem Hund ein paar alte Knochen, damit er was zu spielen hat, während hintenrum die strategischen Hauptinteressen weiterverfolgt werden?
Auch interessant dieser Satz:

„[…] Der iranische Bürger muss gegen die New Yorker Influenza geimpft werden. Der iranische Bürger muss lernen, die Modernität zu hassen.

Kompletter Text hier.

Und was, wenn Abbasi Recht hat? Gestern berichtete der Sunday Telegraph, Bush habe ein Dokument unterzeichnet, das geheime CIA-Operationen gegen Iran genehmigt:

President George W Bush has given the CIA approval to launch covert „black“ operations to achieve regime change in Iran, intelligence sources have revealed.

Details have also emerged of a covert scheme to sabotage the Iranian nuclear programme. Iran was sold defective parts on the black market.

Mr Bush has signed an official document endorsing CIA plans for a propaganda and disinformation campaign intended to destabilise, and eventually topple, the theocratic rule of the mullahs.

Der Telegraph schliesst daraus:

Authorisation of the new CIA mission, which will not be allowed to use lethal force, appears to suggest that President Bush has, for the time being, ruled out military action against Iran.

Bruce Riedel, until six months ago the senior CIA official who dealt with Iran, said: „Vice-President [Dick] Cheney helped to lead the side favouring a military strike, but I think they have concluded that a military strike has more downsides than upsides.“

 

Unerwünschte Israel-Kritik

New York streitet mit Tony Judt

Anfang dieses Monats wurde in New York ein Vortrag abgesagt, aus politischen Gründen. So etwas kommt vor. Doch über diesen Fall kommt die Stadt seit Wochen nicht mehr zur Ruhe. Unterdessen schlägt die Sache Wellen bis ans jenseitige Ufer des Atlantiks. Zu Recht, denn die europäische Diplomatie ist in den Fall verwickelt.

Der Historiker Tony Judt, Leiter des Remarque Institute an der New York University und ein exzellenter Kenner der neueren europäischen Geschichte, wollte im polnischen Konsulat einen Vortrag über Die Israel-Lobby und die amerikanische Außenpolitik halten. Kurzfristig sagte der polnische Generalkonsul den Vortrag ab. Sofort machten Gerüchte die Runde, jüdische Organisationen hätten das Konsulat bedrängt. Die Anti-Defamation League und das American Jewish Committee bestreiten zwar nicht, mit dem Konsul gesprochen zu haben, wohl aber, Druck ausgeübt zu haben. Der polnische Konsul ließ sich von der Washington Post zitieren, die Anrufe seien »sehr elegant» gewesen, »können aber interpretiert werden als Ausübung eines delikaten Drucks«.
Ein Generalkonsul, der »delikatem Druck« nachgibt – den er offenbar selbst in die »eleganten Anrufe« hineininterpretiert hat –, ist sich nicht zu schade, seine Feigheit auch noch vor der Weltöffentlichkeit herauszutrompeten. Das ist eine kulturdiplomatische Bankrotterklärung, die an die präventive Duckmäuserei im Berliner Idomeneo-Skandal erinnert. Wenn die liberale Öffentlichkeit sich weiter selbst abschafft, brauchen die Feinde der Freiheit nur noch zuzuschauen.

Mehr als hundert Intellektuelle aus Amerika und Europa setzen mit einem »offenen Brief« dagegen, der diese Woche im New York Review of Books erscheint. (Anmerkung in eigener Sache: Ich habe auch unterzeichnet, JL.) Angeführt von den Philosophen Mark Lilla und Richard Sennett, protestieren sie gegen ein »Klima der Einschüchterung, das mit fundamentalen Prinzipien der Debatte in einer Demokratie unvereinbar« sei. Tony Judt wird es freuen, dass darunter viele sind, die im Übrigen seine Einlassungen über die »jüdische Lobby« und Israel ablehnen.

Dazu gibt es in der Tat auch guten Grund. Judt plädiert für einen »binationalen Staat Israel«, in dem Palästinenser und Juden zusammenleben. Wohlwollende Kritiker nennen das angesichts der Hamas-Position zum Existenzrecht Israels eine naive­ Utopie, andere unterstellen Judt Israelfeindlichkeit. Er hat in einem Essay für den New York Review geschrieben, Israel sei »ein Anachronismus«: »Wie aber, wenn es in der heutigen Welt für einen ›jüdischen Staat‹ keinen Platz mehr gäbe?«

Wer solche Sätze schreibt, kann sich nicht beschweren, wenn jüdische Organisationen hellhörig werden. Und nicht nur sie: Auch Nichtjuden haben ihn heftig kritisiert. Der Kampf gegen Antisemitismus und gegen »Antizionismus« ist wichtitiger denn je in einer Welt, in die Nasrallahs und Ahmadineschads ihren hasserfüllten Worten Taten folgen lassen wollen.
Die jüdischen Organisationen haben dieser Sache freilich einen Bärendienst erwiesen, indem sie der Absage von Judts Vortrag applaudierten. Denn die Klage, israelkritische Töne würden in der westlichen Öffentlichkeit unterdrückt, gehört zum festen Bestandteil der rechtsradikalen und islamistischen Propaganda. Es ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Westens, sie zu entkräften. Verschwörungstheorien über die Macht der jüdischen Lobby bekämpft man nicht durch elegante Anrufe, die missliebige Vorträge verhindern. Man widerlegt sie durch Gegenvorträge und durch die Förderung eines angstfreien Debattenklimas, in dem legitime Kritik an Israel die Chance hat, sich vom Antisemitismus zu unterscheiden.

 

Untote Bush-Doktrin?


Norman Podhoretz, einer der Neocons der ersten Generation, ein intellektueller Wegbereiter der Reagan-Revolution, versucht in einem langen Essay für Commentary (Link siehe Überschrift) die sich auflösenden Bataillone der neokonservativen Außenpolitiker bei der Fahne zu halten.
Die Bush-Doktrin sei keineswegs tot, wie viele angesichts der Mißerfolge der amerikanischen Demokratisierungsbemühungen im Irak und anderswo im Mittleren Osten behaupten.
Podhoretz sieht mit Grausen, daß sich angesichts der Unregierbarkeit des Irak und des hohen Blutzolls durch die Anschläge Defätismus in den Reihen ehemaliger Kriegsbefürworter breitmacht.
Die Wiederkehr des außenpolitischen „Realismus“ im Zeichen dieser Entwicklungen ist ihm ein Gräuel.
Auch wer glaubt, daß der sogenannte Realismus nie wichklich realistisch war, und wer zugesteht, daß „Stabilität“ die meiste Zeit nur ein schöneres Wort für orientalische Despotie war, wird sich angesichts des Podhoretz’schen Traktats grausen.
Podhoretz rekonstruiert die Bush-Doktrin, die nach dem 11. September formuliert wurde, folgendermaßen: Erstens Ablehnung des Relativismus, der in der Terrorismus-Debatte vorherrschend war (was dem einen ein Terrorist, ist dem anderen ein Freiheitskämpfer). Stattdessen „moralische Klarheit“ – wahr und falsch, gut und böse.
Zweitens werden Terroristen nicht mehr als Verbrecher oder Verbrecherbanden verstanden, sondern als „irreguläre Truppen“ jener Staaten, die sie beherbergen oder unterstützen. 9/11 wurde als Kriegserklärung begriffen. Daraus folgte, so Podhoretz, die Rechtfertigung zur Invasion Afghanistans und Iraks (?). Er verweilt nicht bei der Frage, ob das im Falle des Irak plausibel ist.
Der dritte Pfeiler der Doktrin wiederum sei die Erkenntnis der Notwendig präemptiven Handelns: der 11. September habe gezeigt, daß man den Terroristen und den sie unterstützenden Regimen zuvorkommen müsse, statt sie nur zu verfolgen.
Es handele sich um ein böswilliges Mißverständnis, wenn diese Politik als „unilateral“ gebrandmarkt wird. Podhoretz zitiert einige Bush-Reden, in denen von friends and allies die Rede ist. Damit ist für ihn der Beweis erbracht: Die Bushies waren nur allzu gutwillig auf Kooperation bedacht, nur europäische Überempfindlichkeit in Kombination mit Feigheit hat einen anderen Eindruck aufkommen lassen können.
Genauso verfährt Podhoretz in seiner Bilanz des Irakkrieges. Den Kritikern der Demokratisierungspolitik, die der Bush-Regierung vorhalten, das Augenmerk viel zu sehr auf freie Wahlen gelegt zu haben – und dabei den Rechtsstaat, die Institutionen und die Zivilgesellschaft vergessen zu haben, in die freie Wahlen eingebettet werden müssen – , hält Podhoretz ein paar Bush-Zitate vor, in denen eben davon die Rede ist. Aber was soll damit bewiesen sein? Doch wohl nur, daß Bush von den Voraussetzungen erfolgreicher Demokratisierung hätte wissen können – was das Desaster des heutigen Irak nur noch schlimmer macht.
Doch: Welches Desaster überhaupt, fragt Podhoretz? Das Land ist von einem der schlimmsten Tyrannen des Nahen Ostens befreit worden. Drei Wahlen wurden abgehalten. Eine anständige Verfassung wurde geschrieben. Eine Regierung ist im Amt, und vorher „unvorstellbare Freiheiten“ werden genossen: „Nach welcher bizarren Rechnung ist das ein Desaster?“

Es ist sicher richtig, auf die Erfolge hinzuweisen. Aber darum darf man doch nicht die Kosten verschweigen: Die tausenden Toten – täglich werden es mehr – kommen in Podhoretz‘ Rechnung nicht vor, der Haß zwischen Sunnis und Schiiten interessiert ihn nicht, auch nicht die Gefahr eines langen Bürgerkrieges im Irak, wenn die Amerikaner eines Tages abziehen.
Er kann sich den Gedanken nicht erlauben – der ja auch wirklich schrecklich ist – daß der Tyrannensturz nicht der „guten Gesellschaft“ zum Vorschein verholfen hat (wie in Osteuropa 89/90), sondern einstweilen den Kräften des Hasses und der Anarchie (siehe das Interview mit Hazem Saghieh auf dieser Seite).
Und vor allem kann er sich einen Gedanken nicht gestatten: Dass die Interventionen in Afghanistan und Irak dem Iran zu einer vormals unvorstellbaren Macht verholfen haben – also jenem Regime, auf das alles zutrifft, was im Falle des Irak an Lügen, Halbwahrheiten und Ahnungslosigkeiten verbreitet wurde, um den Krieg zu rechtfertigen. Iran bastels wirklich Massenvernichtungswaffen. Iran unterstützt wirklich den internationalen Terrorismus. Und es ist heute nicht mehr abzusehen, wie man es daran hindern kann, die Synergien beider Geschäftsfelder zu nutzen.
Statt diese Bilanz zu ziehen, geht der Ex-Trozkist Podhoretz in guter alter K-Gruppen-Manier die Reihen durch und straft alle ab, die sich zweite Gedanken über den Irakkrieg gestatten.
Was den Atomstreit mit Iran betrifft, ist die Marschrichtung für Podhoretz klar. Niemand solle sich durch Bushs Unterstützung der diplomatischen Versuche der Europäer blenden lassen: „Das Ziel, heute wie damals (vor dem Irakkrieg, J.L.), besteht darin, die Untauglichkeit der Diplomatie zu erweisen, wenn man es mit Leuten vom Schlage Saddam Husseins und der der iranischen Mullahkratie zu tun hat, und zu zeigen, daß die einzige Alternative zur Hinnahme der Bedrohung, die sie darstellen, militärische Aktionen sind.“
Im Klartext: Ein Krieg mit Iran muß her, und das Ziel der Diplomatie sind gar nicht die Mullahs selber, sondern die naiven (feigen) Europäer. Dass solche verbohrten Leute – die sich mit der häßlichen Wirklichkeit nicht beschäftigen wollen, sondern lieber gleich den nächsten Zaubertrick zur Verwandlung des Nahen Ostens aufführen wollen – immer noch das Ohr des Präsidenten haben, ist ein Alptraum. Gerade auch für unsereinen, der durchaus die Einschätzung teilt, daß es sich bei der Auseinandersetzung mit dem militanten Islamismus um einen Krieg um die Zivilisation handelt, der gut und gerne noch Jahrzehnte dauern kann.

 

England revidiert seine Integrationspolitik


Die britische Integrationsministerin Ruth Kelly („Community Secretary“) hat in einer Rede die Revision der Minderheitenpolitik angekündigt. Kelly fordert eine „neue und ehrliche Debatte über Integration und Zusammenhalt“.

Die Sprache ist noch sehr politisch korrekt, obwohl die Ministerin sagt, „wir dürfen uns nicht von politischer Korrektheit zensieren lassen, und wir dürfen auch nicht auf Zehenspitzen um wichtige Themen herumgehen“.

Sie glaube, heißt es in der Rede, „wir haben uns von einem gleichmäßigen Konsens über den Wert des Multikulturalismus hin bewegt zu einer Debatte, in der wir die Frage stellen dürfen, ob dieser (der Multikulturalismus) das Leben in getrennten Welten befördert.“

Und weiter: „Haben wir – indem wir unbedingt vermeiden wollten, eine einzige britische Identität und Kultur aufzuzwingen – am Ende voneinander isolierte Gemeinschaften befördert, zwischen denen es keine Bindungen gibt? Ich glaube, daß wir Diversität nicht mehr als ein Land erfahren, sondern als eine Ansammlung lokaler Gemeinschaften.“

Das ist alles noch sehr wolkig dahingesprochen, aber dennoch tut sich was: von „nicht verhandelbaren Regeln“ ist nun die Rede, und davon, daß man das Selbstvertrauen haben müsse „Nein zu sagen zu bestimmten Vorschlägen von partikularen ethnischen Gruppen“.

Das richtet sich eindeutig an die muslimische Community. Der Ärger über deren kaltschnäuzige Reaktion auf die vereitelten Anschläge – die schlichtweg auf die verfehlte Außenpolitik Blairs zurückgeführt wurden – sitzt tief.