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Iranischer Publizist: Gott, beschütze uns vor solchen Siegen!

Der Hamas-Chef Khaled Meschal war in Teheran, um dem „Führer der Muslime“ – dem Revolutionsführer Khamenei Rapport zu erstatten über den großartigen Sieg des „Widerstandes“ im Gaza-Krieg.

(Man beachte die neue deutsche (!) Internetpräsenz des Revolutionsführers.)

Dies ist naturgemäß die offizielle Lesart des Konflikts im Iran, und jeder Bürger ist gehalten, sie zu wiederholen.

Allerdings sind die Iraner nicht sämtlich dumm und verblendet und wissen in ihrer Mehrzahl sogar noch aus eigener Hand, was Krieg bedeutet, und welche Pyrrhussiege die Islamisten schon errungen haben (wie etwa gegen Saddam im  iranisch-irakischen Krieg).

Der regierungskritische Journalist Ahmad Zeidabadi schreibt denn auch auf Rooz Online einen sarkastischen Kommentar zu dem hohlen Triumphalismus der Hamas und der iranischen Führung:

 

If an ordinary Palestinian citizen asks the leaders of Hamas whether victory consists in the ‎destruction of infrastructure in Gaza, the homelessness of tens of thousands of ordinary citizens, ‎and the death of more than 1300 individuals, many of which women and children, and returning ‎Gaza to the pre-industrial stage, would they have an answer?‎

There are much more effective and less costly paths open to Palestinians to defend their rights ‎and interests. Speaking of them in our country is equated with defending Israel. Undoubtedly, ‎the Palestinians can mobilize a massive non-violent campaign against the occupation of their ‎territories, building of a security fence and expansion of Israeli settlements to pressure radical ‎elements in Tel Aviv and return their borders to 1967 boundaries.‎

Zeidabadi schreibt mit Schrecken über die Aussicht, das Teile des Regimes sich einen „iranischen Sieg“ gegen die amerikanische Übermacht nach dem Muster der Hamas vorstellen. Und er endet mit dem flehentlichen Wunsch: Gott, beschütze uns vor solchen Siegen!

 

Obviously, how the Palestinians including members of Hamas would like to determine their fate ‎is an issue that concerns them alone, but my worry is that when Iranian officials boast about ‎‎“Iran’s victory“ in a possible war against the United States and its allies, they mean the kind of ‎victory that Hamas claims to have registered in the 22-day Gaza war, meaning the vast death toll ‎for civilians, destruction of infrastructure and rising homelessness over the rubble left over from ‎a cruel bombardment campaign. ‎

God! Please save our country such victories!‎

 

Jüdischer Siedlungsbau 2008 um zwei Drittel gesteigert

Eine Tatsache, die von selbst ernannten Freunden Israels leider immer peinlich beschwiegen wird: Der Siedlungsbau in der Westbank geht im Schatten eines stagnierenden Friedensprozesses und der letzten beiden Kriege im Libanon und in Gaza mit Riesenschritten weiter.

Und dies ist einer der wesentlichen Gründe für die tiefe Frustration der PA unter Machmud Abbas. Mit einer dezimierten Hamas könnte man wohl leben, wenn nicht auch zugleich die Perspektive für einen funktionsfähigen Palästinenserstaat in der Westbank zerstört wurde.

In der letzten Woche veröffentlichte die israelische  Organisation „Peace Now“ Zahlen, nach denen im Jahr 2008 der Siedlungsbau um 69 Prozent gesteigert wurde.

Wie soll ein palästinensischer Präsident, der sich auf Verhandlungen mit Israel eingelassen hat, dies seinen Leuten erklären? Es kommt einer totalen Demütigung gleich. Hier der Bericht der Jerusalem Post

Und hier eine Karte von B’Tselem, einer  Menschenrechtsorganisation aus Israel, die sich um das Schicksal der Menschen in den besetzten Gebieten kümmert.  

Weitere deprimierende Karten auf deren Website.

Man sieht die Gegend um Qalqiliya. Rechts in Grau sind die israelischen Gebiete. Rot ist der Verlauf der Trennmauer auf palästinensischem Territorium zu sehen. Blau sind die israelischen Siedlungen im Herzen des PA-Territoriums zu erkennen.

 

Machmud Abbas: Die wahren Gründe für den Gaza-Krieg

In einem Interview mit der saudischen Zeitung Asharq Alawsat äußert der Präsident der Palästinensichen Selbstverwaltung sich voller Wut über die israelische Politik. Dies ist die Analyse der Lage, die Abbas dem amerikanischen Gesandten George Mitchell am Donnerstag vorgetragen haben soll:

Die Israelis suchten nach immer neuen Gründen, um die Verpflichtungen des Oslo-Abkommens nicht zu erfülllen und das Endziel eines palästinensischen Staates zu verhindern. Der Großteil der Siedlungs-Aktivität habe nach dem Oslo-Abkommen stattgefunden.

Erst habe man Arafat zu unterminieren versucht, dann Abbas und schließlich das Gaza-Problem geschaffen, um die palästinensische Einheit zu verhindern. Der Ursprung des heutigen Krieges liege in Ariel Sharons einseitigem Rückzug aus Gaza, der ein Vakuum geschaffen habe. Israel habe nichts gegen den Waffenschmuggel unternommen, der Hamas zugute gekommen sei. Den Polizeitruppen der PA habe man allerdings eine adäquate Ausrüstung mit Sicherheitsbedenken verweigert.

Und schließlich kam es zum „verrückten Krieg“ der letzten Wochen:

Then came the mad war, which was never aimed at weakening Hamas. Rather, its aim was to strengthen Hamas at the expense of the bodies of children, women, and other innocent people and at the expense of the destruction, so that we, as Palestinians, may remain divided, and the Israelis would say: „We have no partner for the negotiations, and the Palestinian people are busy with themselves and not interested in a state.“

Dazu ist zu sagen: Es ist wahr, dass man Abbas nicht geholfen hat, seine Position zu behaupten. Der Rückzug aus Gaza ohne klare Übergabe  war ein Fehler. Und die Siedlungsaktivitäten sind ein Schlag ins Gesicht für alle, die von einem „Friedensprozeß“ reden.  

Und selbst wenn Abbas nicht Recht haben sollte, die böse Absicht zu unterstellen, Israel wolle die Palästinenser auf Dauer spalten – das Resultat des Krieges könnte dennoch so sein.

Willkommen in der Hölle, Mr. Mitchell.

 

Türken haben keine Lobby

Und wenn, dann die falsche, meint Necla Kelek in der FAZ, wo sie die Debatte über den Integrationsreport kommentiert:
„Liest und hört man die Kommentare der türkischstämmigen Politiker, scheint tatsächlich das Integrationsproblem mit den Türken wenig, mit der deutschen Politik aber viel zu tun zu haben. „Es geht vor allem um eine soziale Frage und nicht um eine kulturelle“, so der Grünen-Chef Cem Özdemir. „Es ist falsch, Integration nach ethnischen Kriterien zu beurteilen“, erklärt Hakki Keskin von der PDS, und sein Parteigenosse Ali al Dailami möchte gleich alle Türken einbürgern. Emine Demirbüken-Wegner aus dem Bundesvorstand der CDU sagte Tage zuvor zum Problem der Gewalt unter Jugendlichen Ähnliches: „Ethnisierung des Problems hilft uns nicht weiter.“ Und die Kölner SPD-Abgeordnete Lale Akgün erklärt, dass die schlechten Ergebnisse an der Bildungspolitik und an mangelnden Perspektiven für die Migranten lägen.

Keiner der türkischstämmigen Politiker stellt sich hin und sagt: Ja, es gibt spezifische Probleme, die nicht relativiert werden dürfen. Warum reden sie nicht über arrangierte Ehen, Ferienbräute, Ehrenmorde, Gewalt in Familien, Diskriminierung der Frau? Warum redet ein Sozialpädagoge wie Cem Özdemir in der „Tageszeitung“ am liebsten nur von der türkischen Mittelschicht, warum klangen manche seiner Äußerungen in der Vergangenheit so, als sei er Pressesprecher in Ankara? Warum fordert der Türken-Lobbyist und SPD-Genosse Kenan Kolat gebetsmühlenartig mehr Geld für Türken, warum möchte Lale Akgün am liebsten die Islamkonferenz und den Integrationsgipfel abschaffen, und warum hält die Berliner SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill es für unangemessen, dass türkische Eltern ihren Kindern bei den Schularbeiten helfen, nach dem Motto: „Das können migrantische Eltern nicht leisten“? Die Antwort ist einfach und bitter. Diese türkischstämmigen Politiker arbeiten seit Jahrzehnten daran, sich und ihre Klientel als Opfer zu stilisieren und selbst als Opferanwälte aufzutreten.“

Mehr hier.

 

Das ist das Abu Ghraib des Vatikans

So nennt der amerikanische Konservative Christopher Buckley den Skandal um die Pius-Brüder und den Antisemitismus von Bischof Williamson. Die Analogie bezieht sich auf den moralischen Bankrott der Amtszeit Benedikts (so wie Bush mit Abu Ghraib in seinem moralischen Anspruch finished war), und darin ist sie korrekt.

Man lese den Text von Buckley, um sich zu überzeugen, dass es noch anständige Konservative mit den richtigen moralischen Reflexen gibt.

Mir ist immer noch schlecht, wenn ich an den Kurs des deutschen Papstes denke. 

Er hat kein Problem damit, das Abendmahl zwischen Protestanten und Katholiken zu verwerfen, aber die Heimholung der Pius-Brüder in die Abendmahlsgemeinschaft ist ihm so wichtig, dass alle kirchenpolitischen und kirchendiplomatischen Bedenken über Bord geworfen werden. 

Welch ein Rückschritt gegenüber dem polnischen Papst, der das Verhältnis zum Judentum normalisiert hatte! 

Ich bin in der  katholischen Kirche aufgewachsen, die mit dem jungen polnischen Papst (58) einen neuen Vitalitäts-Schub bekam. Ich war 13, als er geweiht wurde, und begeisterter Messdiener. Das menschenfreundliche, offene Wesen dieses Mannes hat uns selbst noch in unserer Dorfgemeinde im Rheinland bewegt. Ich habe diesen Papst von ganz nahe gesehen, als Pilger auf dem Petersplatz  in Rom, noch vor dem Attentat, nachdem dann das „Papamobil“ angeschafft wurde. Zu Zeiten der Solidarnosc sammelten wir Hilfsgüter und schickten sie nach Polen.

Dieser Mann war unmißverständlich konservativ in seiner Theologie, er war ein glühender Antikommunist, und doch war er ein einnehmender, großzügiger Mensch mit einem klaren politisch-moralischen Kompass. Das hatte sicher damit zu tun, dass er ein Mann des Widerstands gegen den Totalitarismus war (erst gegen den der Nazis im besetzten Polen, dann der Kommunisten). Er war ein Zeuge des Jahrhunderts, ein wahrer Fels.

Obwohl ich nun lange schon nicht mehr der katholischen Kirche angehöre, sondern der evangelischen „Religionsgemeinschaft“ (die wir in den Augen von Prof. Ratzinger bloss sein dürfen), schmerzt mich die Verengung der kirchlichen Lehre unter dem Amtsverständnis des deutschen Papstes. 

Leichtfertig wird die moralische Autorität der Kirche verpulvert für die kleinsten Dinge (jedenfalls dann, wenn man die Einheit der Kirche mit den Pius-Brüdern nicht so erstrebenswert findet). 1982 hatte ein Lefebvre-Anhänger versucht, Johannes Paul II zu ermorden, um die Kirche vor den Folgen des Vaticanums II zu „retten“. Und die Einheit mit diesen Leuten ist nun wichtiger als der Dialog mit den Juden? Oder mit den deutschen Protestanten?

Nun wird die Öffnung der Kirche zur Welt und zu den anderen Religionsgemeinschaften, die mit dem Vaticanum erreicht worden war, vom Papst selbst in Frage gestellt. Der deutsche Papst ist zu ängstlich, zu kleinlich, zu engherzig  um zu verstehen, dass der Schub aus dem Vaticanum II massgeblich zum Appeal des Westens in der modernen Welt beigetragen hat: Kennedy, Wohlfahrtsstaat, die Beatles, die Mondfahrt, und dazu eine Kirche, die ihren fanatischen Kampf gegen Aufklärung, Demokratie und Menschenrechte (jawohl!) aufgegeben hatte, und sich nun sogar ganz auf deren Seite schlug und zu entdecken begann, wie ihr eigenes Erbe die Entwicklung dieser westlichen Werte sogar befördert hatte. Eine Kirche, die nicht mehr Angst hatte und Angst predigte, sondern Versöhnung, Respekt und Menschenrecht und Liebe. 

Der deutsche Papst aber kann in dieser Wende offenbar nur Dekadenz und Verfall sehen, und das macht ihn anfällig für die Extremisten in den eigenen Reihen.

Es tut mir leid um die Kirche, der ich vieles verdanke.

 

Begeisterung über den Holocaustleugner-Bischof in der Nazi-Szene

Der Papst hat gestern verspätete Schadensbegrenzung versucht, indem er sich deutlich an die Seite des jüdischen Volkes stellte. Too little, too late.

Denn in den Nazi-Zirkeln des Internet wird Bischof Williamson seit Tagen gefeiert. Man sieht dessen Wiederaufnahme in den katholischen Mainstream als Sieg der eigenen Sache. 

Man schäumt gegen die „Systempresse“, die vom Zentralrat der Juden gesteuert sei und daran arbeite, Deutschland den „Muselmanen“ zu überantworten. (Tja, das ist so die Logik.) Interessant die fließenden Übergänge zur PI-und Moscheeverhinderer-Szene, mag man sich dort noch so sehr pro-israelisch gebärden.

Im Ton ist da erstaunliche Ähnlichkeit zu finden.

Kostprobe:

„Und die Katholische Bischofskonferenz, die nach den Klerikalbolschewiken von den Protestanten wohl der armseligste Haufen deutscher Pfaffen ist, der je existiert hat und unser Vaterland widerstandslos an den Islam ausliefern möchte sollte ebenfalls die SCHNAUZE halten. Ein “holocaustleugnender” Erzkatholik ist mir zehnmal lieber als ein sch…liberaler, katholischer Pfaffe der sich über die “nette” Moschee freut und den “Dialog” mit den landnehmenden Muselmanen sucht, die sich hinter vorgehaltener Hand kaputtlachen über die Dummheit der deutschen Massenmenschen.“

 

Türken, investiert in eure Kinder!

Der Satz des Tages vom neuen türkischen Botschafter Ali Ahmet Acet, der heute in der Tageszeitung Türkiye (Europaausgabe) an die hier lebenden Türken appelliert, Bildung endlich ernst zu nehmen:

Investieren Sie in die Bildung ihrer Kinder, statt ihr Geld in der Türkei anzulegen, so Acet. 

Er ist offenbar weiter als manche Verbandsfunktionäre hier zu Lande, die sich seit Tagen vor allem mit der Abwehr der Studie des Berlin- Instituts beschäftigen.

 

Warum die Linken den Rechten jetzt Antiamerikanismus vorwerfen

Mein Kommentar zum innenpolitischen Guantánamo-Streit aus der ZEIT (Nr. 6, 2009) von morgen:

Der Wandel, den Barack Obama versprochen hat, kommt nicht nur nach Washington, sondern auch nach Berlin. 

Kaum eine Woche ist der neue Präsident im Amt, und schon steht die deutsche Innenpolitik kopf: Jürgen Trittin von den Grünen wirft Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) »blanken Antiamerikanismus« vor. Und seine Kollegin Renate Künast sekundiert, indem sie die »Undankbarkeit« von CDU und CSU gegenüber den Amerikanern anprangert: »Ich erinnere nur an den Marshallplan, die Carepakete, die Berliner Luftbrücke. Wie kann man da heute sagen, die USA sollen das Problem selber lösen?« 

Das »Problem« ist die Unterbringung der etwa 60 Gefangenen in Guantánamo, die als unschuldig oder ungefährlich gelten und nach Schließung des Lagers dennoch nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, weil ihnen Verfolgung und Folter drohen. Führende Unionspolitiker hatten gefordert, die Amerikaner sollten die Gefangenen gefälligst selber unterbringen.

Muss, wer Carepakete genommen hat, auch entlassene Gefangene nehmen? Ist Guantánamo ein rein amerikanisches Problem, das uns nichts angeht? Weder noch. Wie Deutschland sich am Ende verhalten wird, ist denn auch ziemlich klar: Es kann weder eine prinzipielle Absage noch eine pauschale Zusage geben. Man wird auf eine eventuelle Anfrage der Amerikaner mit dem Angebot einer europäischen Lösung antworten: Nennt uns 20 oder 30 Gefangene, wir werden jeden Einzelfall prüfen und die Unbedenklichen dann auf die willigen Länder verteilen. Und das leuchtet auch ein: Nachdem wir jahrelang Bush für die Demontage des Rechtsstaates kritisiert haben, werden wir seinem Nachfolger bei dessen Wiederherstellung zur Hand gehen. Klare Sache.

Wirklich? Die Debatte der letzten Woche nährt Zweifel. Es hat sich ein bitterer Streit entzündet, der mit einem erstaunlichen Rollenwechsel einhergeht. Rot-Grün stimmt nun das alte transatlantische Tremolo von Deutschlands historischer Bringschuld gegenüber der amerikanischen Schutzmacht an. Carepakete! Luftbrücke! War man nicht unter Bush noch stolz, endlich erwachsen geworden zu sein? Und nun doch zurück in die Zukunft des Kalten Krieges? 

Die Union wird im Gegenzug – gemeinsam mit dem schwarz-gelben Schatten-Außenminister Westerwelle – derart patzig gegenüber den Amerikanern, dass fast ein Hauch von Schröders Goslarer Nein in der Luft liegt. Räumt euren Mist selber auf! Verkehrte Welt: Hat die Union Steinmeier nicht seinerzeit im Untersuchungsausschuss für seine Hartleibigkeit im Fall Murat Kurnaz kritisiert? Jetzt unterstellt Schäuble dem SPD-Kollegen, er untertreibe die Gefahr, die von den Entlassenen ausgehen könnte, weil er sich bei Obama lieb Kind machen wolle.

Dass die deutschen Parteien mit einem nervösen Rollenspiel auf die Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik reagieren, ist ein Krisensymptom. Durch den neuen Präsidenten ist ungeahnte Verunsicherung ins einst so festgezurrte transatlantische Verhältnis gekommen. Obama erzeugt ganz offenbar erheblichen Stress auch auf unserer Seite des Atlantiks. Paradoxerweise besonders dann, wenn er alte Lieblings-Forderungen der Europäer erfüllt.

Man sollte die Debatte darum nicht als bloßes Wahlkampfgetöse abtun. Sicher wollen die einen gerne im Kielwasser von Obamas change segeln, und die anderen möchten sich als knallharte Sicherheitspolitiker profilieren. Aber insgeheim ahnen beide Seiten schon, dass Obamas Weg auch von Deutschland eine Neuausrichtung jenseits von Rechts und Links verlangt. 

Die Guantánamo-Debatte ist bloß der Anfang eines Gesprächs über die neue Lastenverteilung im Westen. Das Lager zu schließen ist nämlich die Voraussetzung für eine neue Politik gegenüber dem Nahen Osten, die wir lange gefordert haben. Gerade diese wird Deutschland noch vor härtere Fragen stellen. Der neue diplomatische Ansatz gegenüber Iran: Was darf er die deutsche Industrie kosten? Denn ohne schärfere Wirtschaftssanktionen wird Obamas Bereitschaft, mit den Mullahs zu sprechen, nichts bringen. Und falls Obama uns anbietet, über eine neue Strategie in Afghanistan zu reden – was könnte von uns zusätzlich kommen? Geld? Truppen? Andere Mandate? Sollte Amerika wie angekündigt eine ausgeglichenere Politik gegenüber Israel und den Palästinensern verfolgen, würden wir unseren israelischen Freunden bittere Wahrheiten über den Siedlungsbau und die Checkpoints sagen?

Wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen, wird zeigen, ob Deutschland wirklich ein freies, erwachsenes Verhältnis zu Amerika gefunden hat. Bush hat es uns sehr einfach gemacht. Er hat nicht nur in Amerika das »kindische« Wesen befördert, das Obama überwinden will. Zu Obama Nein zu sagen wird eine schwierigere Sache. Und Ja zu sagen auch.

 

Obama, der konservative Revolutionär

George Bush war eigentlich ein Radikaler mit reaktionärem Temperament, und der neue Präsident ist – wie seine ersten Schritte zeigen, ein im Kern Konservativer mit radikalem Temperament.

So sieht’s der Guardian und beklagt es.

Ich habe das hier schon vor Monaten geschrieben (einen Tag vor der Wahl!) – und finde es weiterhin einen Grund zur Freude.

Zitat:

„George Bush was not a conservative, but rather a curious hybrid of reactionary and progressive. He was a reactionary by temperament and conviction whose methods were borrowed from the most radical progressives. He besmirched the conservatismthat he had forsaken and led it from the corridors of power into the political wilderness.

Because progressive commentators depict Bush as an arch-conservative instead of the curious amalgam of reactionary and radical revolutionary that he actually was, they remain blind to Obama’s conservatism. His senior appointments, the tenor of his inaugural address and his agenda during his first days in office bear the imprimatur of conservatism. …

Such conservative themes were sounded in Obama’s inaugural address, in which he brushed aside debates about the optimal size of government and whether „the market is a force for good or ill“. Instead, he substituted a simple criterion for judging government action: „whether it works.“ Such an emphasis on utility and efficiency is almost textbook conservatism. It is the negation of ideology in politics.

The Obama presidency is not a revolution, but instead a restoration. The „values upon which our success depends“, Obama reassures America, „these things are old. These things are true. They have been the quiet force of progress throughout history“. He asks for a „return to these truths“. Nothing new is needed, neither fresh ideas about the human condition’s betterment nor utopias; merely a return to and vindication of the past.

The return to core tried-and-true values as the only reliable basis for political action, the consignment of ideology – whether concerning the virtues of unregulated markets or government’s scope – to irrelevance in developing policy, the celebration of responsibilities and duties instead of rights, and commitment to America’s unchallenged global leadership. It is hard to imagine an inaugural address more steeped in the classical conservative tradition than the one delivered by Obama last week.“