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Überzeugungsarbeit statt Demonstrationen

Zuerst der Disclaimer: Falk Lüke hat hier mal gearbeitet. Wäre es möglich, Ironie auf sympathische Weise in einem Text auszudrücken, würde ich schreiben: Und ich finde seine Meinung trotzdem interessant. Geht aber nicht, daher lasse ich das und schreibe einfach, dass er, – wie ich glaube – einen Punkt hat, wenn er fordert, Internetaktivisten sollten innehalten im Schimpfen auf Politik und Politiker. Denn es habe sich etwas geändert:

Politik hört derzeit zu. Politik will zuhören.

Das heißt nicht, dass sich sofort auch etwas an der Politik zum Thema Internet ändert. Aber es heißt, dass die Chance dafür besteht. Und damit könnte er Recht haben.

Natürlich kann man über fluekes Haltung auch wieder schimpfen. Schließlich arbeitet er inzwischen selbst viel mit Politikern und der Verband, der ihn bezahlt, macht Politik. Außerdem impliziert sein Blogeintrag auch die Forderung, nun eher leise Überzeugungsarbeit einzusetzen statt lauter Demonstrationen.

Dafür könnte man ihm Naivität vorwerfen, da sich Politik nie ändern werde und nur durch Machtdemonstrationen überzeugt werden könne, nie durch Argumente und… Aber halt, genau solche Meinungen braucht es ja nun nicht mehr, denn:

…im neuen Bundestag sitzen viele auch jüngere Menschen, die längst nicht mehr so Internet-inkompetent sind wie ihre Amtsvorgänger. (…) Klar, natürlich gibt es noch viele Entscheidungsträger, deren Affinität zu den neueren Medienformen, freundlich formuliert, distanziert ist. Aber auch das wird sich erledigen – entweder werden die Borg sie schon kriegen, oder sie werden sich nicht dauerhaft halten können.

Hoffen wir das Beste.

 

Warten auf den heiligen Apfel

Heute scheint sich alles um Apple und sein neues Gerät zu drehen. Ehrlich gesagt, ich weiß noch längst nicht, was ich davon halten soll. Hier aber sind zumindest ein paar Links dazu:

Techcrunch glaubt, der Tablet-PC sei nicht nur ein iPhone mit größerem Bildschirm, sondern könnte tatsächlich eine Revolution auslösen. Sei es doch endlich ein Gerät, was die Beschränkungen von Papier überwinden könne. Text, Bild, Video – alles könne dort vereint werden und zu völlig neuen Erzählformen führen. Das gibt es im Netz ja eigentlich jetzt schon, aber auf dem Tablet soll alles noch viel schicker und leichter sein. Ein „lebendes Buch“ gar und nicht nur eine Website mit Touchscreen.

Große Verlage immerhin setzen viele alle Hoffnungen auf das Gerät, schreibt unter anderem die Los Angeles Times. Die Kollegen von der New York Times hätten deswegen gar eine geheime Abordnung zu Apple nach Cupertino gesandt, um mehr über die Möglichkeiten zu erfahren und gemeinsam mit Apple eine große Version ihrer iPhone-Seite zu bauen.

Noch aber ist nicht einmal klar, was das Ding eigentlich kann. Allerdings hat Jason Calacanis, ein umtriebiger Internetfirmengründer, auf seinem Twitteraccount gerade diverse Einzelheiten veröffentlicht. Er habe von Apple so ein Tablet zum Testen bekommen, schreibt er und gibt sich begeistert. Zitat: „best gadget ever made and NOT overhyped“. Wenn es stimmt, was er sagt, hat das Gerät beispielsweise Solarzellen zum Aufladen an Bord, läuft mit einer Variante des iPhone-Betriebssystems, kann im Gegensatz zum iPhone auch verschiedene Programme gleichzeitig betreiben (alles andere wäre auch echt ein Witz), besitzt einen Fingerabdrucksensor, einen HDTV-Tuner und eine Kamera, die gleichzeitig filmt, was vor und was hinter dem Bildschirm passiert. Kosten soll es je nach Ausstattung 599 bis 799 Dollar.

Klingt immerhin plausibel und es sähe Apple ähnlich, kurz vor dem „Keynote“ genannten Event solche Einzelheiten „zu leaken“, also so zu tun, als wären sie ganz zufällig und ohne Absicht an die Öffentlichkeit gelangt.

Wer selbst zuschauen will, die große Enthüllung beginnt heute um 18 19 Uhr. Engadget beispielsweise ist live dabei. Hier entlang.

 

Showdown am Google Corral

Digital Life Design oder kurz DLD heißt die wohl wichtigste Konferenz in Deutschland zum Thema Internet. Veranstaltet wird sie von Burda, einem klassischen Medienhaus, das große Teile seines Geldes mit Zeitschriften verdient. Kein Wunder also, dass es beim DLD in vielen Vorträgen und Debatten darum geht, wie Medien im Netz und in dem von Google geschaffenen Geschäftsmodell überleben können.

Ganz kurz – und auch aus Eigeninteresse – zu den beim DLD dazu vorgeschlagenen Lösungen. Erstens: Qualität, Qualität, Qualität plus investigative Recherche. Denn es habe keinen Sinn zu wiederholen, was andere schon wüssten (Jeff Jarvis). Und zweitens: Die vorhandene Technologie nicht ignorieren, sondern nutzen. Denn wer seine Arbeit nur durch die Technologie seiner Ära definiere, werde seine Ära nicht überleben (Tom Glocer, Thomson Reuters).

Ok, soweit ist das nicht revolutionär. Doch ist das noch nicht alles. Noch mal zum Verdeutlichen, beim DLD ging es durchaus auch um Google-Bashing und die immer wieder zitierten „Lousy Pennies„, die sich im Netz mit journalistischem Inhalt nur verdienen ließen.

Und was macht Google? Man beweist Sinn für Marketing. Verloste der Suchmaschinenkonzern doch unter den Teilnehmern der Konferenz zweihundert seiner neuen und in Europa noch nicht erhältlichen Nexus-Mobiltelefone. Die natürlich begeistert empfangen wurden und für Aufmerksamkeit im Netz sorgten.

Das war Googles Idee und nicht Burdas. Und auch wenn auf Twitter sofort gelästert wurde, Apple habe so etwas nie tun müssen, um mit dem iPhone eine Ikone zu schaffen – es war schlau. Zeigt es doch, dass man bei Google bereit ist zu kooperieren (Arroganz mag ich dieser Geste nicht unterstellen). Und dass sich eine Kooperation lohnen könnte, ist der Konzern doch offensichtlich gut für Überraschungen und Innovationen.

Vielleicht wäre es also doch eine interessante Idee, – neben der Investition in Qualität natürlich – irgendwie mit Google zu arbeiten, als gegen Google. Warum? Ganz einfach: „If you can’t beat them, join them“ (Shawn Colo, Gründer des Investors Demand Media).

P.S. Ich habe keinen Medienmanager gesehen, der sein Nexus nicht abholte oder gar zurückgab.

 

Die Zahnpasta soll wieder in die Tube

Wie erklärt man ein neues Gesetz, das selbst die, die es vehement fordern, nicht wirklich umreißen können? Vielleicht, indem man das Problem erklärt, das es lösen soll? Ha, schon das ist keine leichte Übung. Also:

Verlage verkaufen weniger Abos ihrer Tageszeitungen und Zeitschriften, weil die Dinge, die darin stehen, auch kostenlos im Internet zu finden sind. Na und, könnten nicht involvierte Beobachter einwenden, müssen sich die Verlage eben etwas anders zum Geldverdienen suchen. Und wenn sie das nicht schaffen, dann müssen sie halt sterben. Küfer und Seifensieder gibt es ja auch nicht mehr und niemand vermisst sie.

Das sehen die Verlage und viele, die für sie arbeiten, naturgemäß anders. Sie wollen von der Politik ein „Leistungsschutzrecht“, damit sie all die Dinge weiterverkaufen können, die von ihnen und nur von ihnen geleistet, daher produziert werden. Wie kompliziert es aber sein kann, diese Verlagsleistung an dem Gesamtwerk „Zeitung“ zu kennzeichnen, zeigte sich unter anderem bei einer Veranstaltung der Böll-Stiftung am Mittwochabend.

Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs beim Springer-Verlag, war dort angetreten, zu erklären, was das geforderte Gesetz können soll: „Es hat einen anderen Schutzgegenstand als das Urheberrecht“, sagte er. „Es schützt die organisatorische und finanzielle Vor- und Nachleistung des Werkmittlers.“ Es meine also ausdrücklich nicht die kreative Schöpfung von Buchstaben und Wörtern.

Was in der Theorie noch irgendwie logisch klingt, wird in der Praxis wirr. Denn, so Keese, weder am Text (der durch Urheberrechte geschützt ist), noch am Layout (das durch Marken- und ebenfalls Urheberrechte Schutz genießt), wolle man die Leistung der Verlage festmachen. Die Antwort, woran man es dann knüpfen wolle, blieb er schuldig und erzählte irgendwas von Ascii-Code und PDF-Dokumenten-Headern.

Etwas klarer war da schon das Wie: Man wolle von gewerblichen Nutzern, also allen Firmen und Organisationen, Lizenzen kassieren dafür, dass sie Inhalte aus Zeitungen nutzen. Festgemacht werden soll das an der „Vervielfältigungshandlung“. Früher habe jede Bank Zeitungsabos gehabt, so Keeses Beispiel, die hätten sie nun nicht mehr, weil sie die Texte nun im Netz lesen könnten. Wenn also künftig ein Bankmitarbeiter einen Zeitungstext ausdrucke, um dessen Informationen für seine Arbeit zu nutzen, solle er das nur dürfen, wenn seine Bank vorher eine entsprechende Lese- und Drucklizenz bei dem Verlag gekauft hat. Ein Abo also.

Dass die das kaum tun wird, wenn Hunderte andere Zeitungen ihre Inhalte weiter kostenlos ins Netz stellen, ist auch Keese klar. Daher möchte er ein Quasimonopol der Verlage errichten, ähnlich der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), die für alle Autoren deren Rechte wahrnimmt und Geld für die Nutzung von Urheberrechten eintreibt. Eine VG Verlag, sozusagen. Über Höhe der Vergütungen und alle anderen Modalitäten müsse noch verhandelt werden, im Zweifel vor Gericht, das dauere zwar, aber sei letztlich kein Problem.

So. Der Irrsinn an der Idee ist, dass sie versucht, ein Geschäftsmodell zu retten, das offensichtlich stirbt. Das Internet hat mit der problemlosen digitalen Vervielfältigung die bisherige Abo-Idee beseitigt und die Idee der teuren, weil durch den begrenzten Platz in einer Zeitung exklusiven Werbung gleich mit. Und zwar vor allem für jene, die sich nicht allzusehr von ihren Konkurrenten abheben und bei denen sich der Unterschied auf die Art der Präsentation der sonst gleichen Nachrichten beschränkt.

Das geschah vor allem, weil die Verlage jahrelang keinen Plan hatten, was sie im Internet wie wollen und nun feststellen, dass sich das Netz eigene Wege und eigene Wirtschaftsformen gesucht hat. Google war schlauer und schneller.

Sicher kann man versuchen, die alte Idee der Mischung Abonnement/Werbung zu retten, um redaktionelle Inhalte zu finanzieren. „Mehr desselben“, nannte der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik den Versuch, mit altem Denken neue Probleme zu lösen. Kann man machen, nutzt aber nicht viel. Wie der Hase im Märchen, der so lange immer wieder gegen die beiden Igel antritt, bis er tot ist.

Ich glaube ja, nicht die Art der Finanzierung hat sich durch das Netz erledigt, sondern die Art der Präsentation. Tot ist vor allem das General-interest-Angebot, wie es im Mediendeutsch heißt, also die Zeitung, die Politik, Wirtschaft, Sport und noch mehr auf ein Mal präsentieren will und sich dabei aus den gleichen Quellen bedient wie die Konkurrenz. Haben wir uns doch alle längst daran gewöhnt, solch strenge Verlagsauswahl zu ignorieren und uns unsere eigenen Medien zusammenzustellen, sei es über RSS-Feeds, Twittertimelines oder den Facebookfreundeskreis.

Spezialisierte Medien hingegen könnten durchaus eine Chance haben, ihre Inhalte für Geld im Netz anzubieten. Es braucht nur simple Abrechnungslösungen, die es bislang noch nicht gibt. Das aber hieße für große Verlage nicht, immer mehr Redaktionen zusammenzuschmeißen und zu einem Brei zu verquirlen, der dann nur noch aus verschiedenen Abflüssen eines einzigen Tanks quillt.

Es hieße, Redaktionen aufzuspalten in kleine, autonome und flexible Einheiten, die sich thematisch spezialisieren und in ihrem Bereich eigenständig und letztlich führend und damit interessant werden können. Und deren Arbeit einzeln anzubieten. Als Abo oder Text für Text.

Statt sich jedoch darauf zu konzentrieren, wieder exklusive Inhalte zu schaffen – also wieder eine echte Verlagsleistung zu erbringen –, geht es im Moment darum, die längst nicht mehr exklusiven Dinge, die Nachrichten, einzusperren. Im Moment wirkt das wie das Bemühen, Zahnpasta wieder in die Tube zurückzustopfen.

Der neben Keese sitzend Till Jaeger, ein Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, sagte: „Vielleicht muss man den Wandel einfach akzeptieren.“ Darum aber geht es gerade auf keinen Fall, die Zahnpasta soll wieder in die Tube. Wie gesagt, kann man versuchen.

Mehr Einschätzungen zu dem Abend gibt es beispielsweise hier und hier und natürlich bei Twitter.

Update: Ich habe den Text mit etwas Abstand noch einmal gelesen und finde inzwischen, hier muss ein kleiner emotionaler Disclaimer hin. Ich habe mich geärgert an diesem Abend. Mehrere Stunden lang war davon die Rede, wie man eine Verlagsleistung von der kreativen Leistung der Autoren abgrenzen und gesondert vergüten kann. Nun finde ich, dass es eine Verlagsleistung gibt, die vor allen anderen Lob und Vergütung verdient: die nämlich, die Qualität von Texten zu heben und zu sichern.

Ich weiß nicht genau, wie man das in der Realität monetär beziffern will. Aber ich weiß, dass in diesen drei oder vier Stunden nicht ein einziges Mal von Qualität die Rede war. Und ich habe in dieser gesamten Debatte das Gefühl, dass einige Verlage alles mögliche zu tun bereit sind – inklusive ihre Leser zu verklagen –, aber als letztes darauf kommen, die Qualität ihrer Produkte zu heben (von einigen rühmlichen Ausnahmen natürlich wie immer abgesehen). Das finde ich, ja, ärgerlich.

Noch ein Disclaimer: Christoph Keese war mal mein Chef und ich schätze ihn durchaus. Die Haltung aber, die er als Verlagsvertreter einnimmt, finde ich zweifelhaft.

 

Aus fünf Dollar wurden fünf Millionen

Es scheint, als beweise die digitale Welt im Angesicht der Katastrophe in Haiti gerade ihren Kritikern, dass gleich zwei Grundannahmen über sie falsch sind. Die Vorurteile nämlich, dass erstens in Netzwerken wie Facebook oder Twitter eh nur gequatscht aber nichts getan wird – bekannt unter dem Kunstwort Slacktivismus. Und dass zweitens die vielen kleinen Nischenlösungen keine große Wirkung entfalten könnten.

Small is the new big, schrieb Seth Godin 2005 erst in einem Blog und dann in einem Buch. Belege für diese These gibt es inzwischen einige, einen weiteren liefert gerade das Erdbeben in der Karibik.

In Netzwerken wurde schon kurz nach den ersten Meldungen darüber massiv zu Spenden aufgerufen, nichts Großes, lediglich kleine Beträge sollten es sein, fünf oder zehn Dollar meist. Inzwischen meldete das Rote Kreuz, dass man durch diese Kampagne mehr als fünf Millionen Dollar eingenommen habefast genauso viel also wie das, was die gesamte Europäische Union an Hilfsgeldern zur Verfügung stellt.

Offensichtlich finden sich auch im Netz viele Menschen, die etwas tun wollen – wenn die Hürden dazu nur niedrig genug sind. Klassische Spendenkampagnen, für die per Hand Überweisungsträger ausgefüllt und zur Bank getragen werden müssen, erreichen hierzulande nur noch Über-60-Jährige. Wohl vor allem, weil das Verfahren aufwändig ist.

Für die Internet-Spende dagegen genügt – wenn die Hilfsorganisation es eingerichtet hat – eine SMS mit einem bestimmten Stichwort an eine bestimmte Nummer. Abgebucht wird von der Mobiltelefonrechnung.

Ähnliche Kampagnen von Stars wie Wyclef Jean brachten bereits mehrere hunderttausend Dollar. Er wirbt unter anderem mit dem Satz: „Every1 has $5 every1 got a phn! – Jeder hat ein Mobiltelefon und jeder hat fünf Dollar übrig.“ In Deutschland sammelt beispielsweise Johnny Häusler vom Blog Spreeblick.

Nebenbei: Suchten nicht Zeitungsverlage nach simplen Möglichkeiten, damit Online für Abos und Texte bezahlt werden kann?

 

Du sollst huldigen nur mir

Nach all dem Für und Wider zu Googles Chinameldung hier nun die einzig wahre Reaktion auf das Spektakel. Satire. Zitat:

„Du sollst keine andere Suchmaschine neben mir haben, nicht Bing noch Yahoo noch Ask. Du sollst huldigen nur mir, und nur Google nach der Antwort fragen.“

 

Privatsphäre 2.0 oder die Zuckerberg-Variante

Im ursprünglichen Wortsinn meint Privatheit jenen Zustand, in dem wir uns befinden, solange wir uns nicht öffentlich betätigen. Einen bewusst gewählten Rückzugsort von der Gesellschaft somit. Demnach schließen sich die Begriffe Privatsphäre und soziales Netzwerk per Definitionem aus. Immerhin werden durch solche Angebote Informationen öffentlich – meint, von Suchmaschinen auffindbar und damit Menschen zugänglich, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren.

Eigentlich erstaunlich also, dass es jedes Mal Aufregung gibt, wenn beispielsweise Facebook die Instrumente ändert, mit denen die Nutzer bestimmen können, was Freunde sehen und was der Rest der Welt. Oder wenn Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wie gerade in einer Diskussionsrunde sagt, würde er Facebook heute gründen, wären viel mehr Informationen per Voreinstellung öffentlich als sie es nun schon sind.

Vielleicht ändert sich unsere Einstellung zum Thema Privatsphäre ja langsamer, als Menschen wie Zuckerberg – der von dieser unserer Privatsphäre lebt –, uns glauben machen. Vielleicht wollen wir sie gar nicht so gern hergeben, auch wenn wir es täglich tun? Oder der Bauch, der sagt, ist doch lustig, raus mit der Info über die Party, ist schneller als der Kopf, der noch überlegt, was das wirklich bedeutet? Oder die soziale Norm, alles zu posten, ist so neu, dass wir noch üben müssen, mit ihr umzugehen und gerade erst lernen, wie weit wir gehen müssen/können?

Keine Ahnung.

Doch eines ist sicher: Zuckerbergs Behauptung, Facebook reagiere nur und tue nichts weiter, als sich ändernde soziale Normen widerzuspiegeln, ist eine Lüge gefährliche Untertreibung.

Gäbe es das Werkzeug nicht, würden auch keine Regeln für den Umgang damit entstehen. Mit bloßer Hand, ohne einen Hammer, um eine alte psychologische Metapher zu zitieren, würde niemand auf die Idee kommen, einen metallenen Nagel in eine Wand treiben zu wollen. Ja, der Hammer wurde erfunden, um genau diese Aufgabe zu erfüllen, also ein Bedürfnis zu befriedigen. Doch es ist eine direkte Beziehung der Weiterentwicklung (größere Hämmer, dickere Nägel) und den eigenen Anteil daran zu negieren, ist nicht ehrlich.

Facebook und andere Netzwerke wie YouTube erziehen ihre hunderten Millionen Nutzer dazu, immer mehr preiszugeben. Sie belohnen solches Verhalten mit einer verlockenden Währung: Aufmerksamkeit. Sie wurden erfunden, weil es das Bedürfnis dazu gab. Doch sie werden auch größer, weil sie dieses Bedürfnis befeuern und schüren.

Dass sich Facebook dieses Mechanismus‘ und seiner Gefahren bewusst ist, zeigt ein anonymes Interview mit einem Angestellten des Netzwerks bei rumpus.net. Der darin erzählt, in welchem Umfang Daten der Nutzer gesammelt werden: „We track everything.“

Auch die Tatsache, dass Facebook vor einiger Zeit die Position eines Chief Privacy Officer geschaffen hat, zeigt, dass das Unternehmen weiß, was es tut. Inzwischen geradezu ein Standard im sogennnten Web 2.0, wie der Anonymus sagt: „Offensichtlich braucht es jemanden, der einen Schritt zurücktritt und sicherstellt, dass irgendein Datenschutz existiert, oder zumindest soviel davon, wie wir installieren können.“

Daher wäre wohl eher mehr Verantwortungsbewusstsein angebracht, nicht noch mehr Zuckerbergsche Versuche, sich dieser Verantwortung zu entziehen.

 

Döpfner will Öffentlich-Rechtliche abschaffen

Mathias Döpfner hat also was gegen die iPhone-App von tagesschau.de und spannt dafür seine Zeitungen und die Bundesregierung ein. Verstehen kann ich das schon, Konkurrenz ist Mist, noch dazu gute. Verlogen ist die Debatte trotzdem.

Denn was heißt es, wenn der Chef des Springer-Konzerns – der sich allein um den Shareholder Value sorgt und nicht um fundierte Informationen für eine kritische Öffentlichkeit – warnt, eine Tagesschau-App gefährde das neue Geschäftsmodell der Medien? Es heißt in der Konsequenz, dass Mathias Döpfner öffentlich-rechtliche Angebote abschaffen will. Nicht nur im Netz, auch im Radio und im Fernsehen. Es heißt, dass er wünscht, dass der Markt allein das Thema Information regeln solle und damit, zynisch gesagt, die Informationsfreiheit beschneidet.

Das kann man fordern. Aber dann sollte man es bitte auch mit diesen Worten tun. Und nicht mit der Keule „tausende Arbeitsplätze“ kommen, die dadurch in der Verlagsbranche verloren gingen. Um die geht es bei dem Thema nicht.

Europa hat sich als Erfahrung aus der Vergangenheit für einen Sonderweg entschieden und im 20. Jahrhundert durch Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Medien geschaffen. Sie gelten bis heute als der einzige Weg, Informationen so unabhängig wie möglich von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen zu verbreiten.

Gut möglich jedoch, dass es bald einen weiteren Weg geben wird – dank des Internets und seiner technischen Vorraussetzungen. In Zukunft könnten auch verteilte Netzangebote diese weitgehende Unabhängigkeit garantieren. Wikipedia ist ein Beispiel dafür. Viele Menschen, die an einer Sache arbeiten, können im Mittel ein ziemlich neutrales Ergebnis produzieren. Das ist, wie die Debatten um Wikipedia zeigen, nicht leicht, aber möglich.

In der Zukunft wäre es damit vorstellbar, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu beerdigen. Die Idee, sich irgendwo neutral informieren zu können, würde aber ganz bestimmt nicht sterben. Sie würde sich nur ein neues Werkzeug suchen. Wahrscheinlich ein kooperatives, das auf der Möglichkeit basiert, dass jeder mitmachen kann.

Ob Mathias Döpfner diese Konsequenz seiner Forderung gefällt? Ich bezweifle es. Könnte ein solches Werkzeug doch noch viel mächtiger werden, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk es jemals war. An Döpfners Stelle würde ich nicht zu sehr darauf dringen, ARD und ZDF klein zu machen. Andere Begehrlichkeiten könnten dadurch erst groß werden.

 

Fünfzehn Jahre

Zugegeben, ich habe es später gesehen, als alle anderen, finde den Text von Kathrin Passig wider den Kulturpessimismus im Allgemeinen und die Internetzweiflerei im Besonderen aber so interessant, dass ich ihn natürlich trotzdem weiterverbreiten möchte.

Zitat gefällig? „Wer darauf besteht, zeitlebens an der in jungen Jahren gebildeten Vorstellung von der Welt festzuhalten, entwickelt das geistige Äquivalent zu einer Drüberkämmer-Frisur: Was für einen selbst noch fast genau wie früher aussieht, sind für die Umstehenden drei über die Glatze gelegte Haare.“

Und noch eins, weil’s so schön ist: „Es scheint derzeit etwa zehn bis fünfzehn Jahre zu dauern, bis eine Neuerung die vorhersehbare Kritik hinter sich gebracht hat. Die seit 1992 existierende SMS wird mittlerweile nur noch von extrem schlechtgelaunten Leserbriefschreibern für den Untergang der Sprache verantwortlich gemacht.“

Wir haben da also, was das Internet und seine Ausformungen angeht, noch ein paar Jahre Gemecker vor uns.

 

Kauf ’nen Journalisten

In Zeiten des Internet ist guter Journalismus für Verlage nicht mehr finanzierbar? Ok, dann finanzieren die Leser ihn sich eben selbst. „Community funded reporting“ heißt die Idee, die auf der Seite spot.us seit einiger Zeit ausprobiert wird.

Wer zum Beispiel wissen will, warum seine örtliche Verwaltung so viel Geld für Schnickschnack ausgibt und ob sie es damit möglicherweise verschwendet, der kann sich dort Mitfinanziers suchen. Kommen genug zusammen, kümmern sich Journalisten um das Thema, recherchieren es und schreiben es auf. Das Ergebnis steht unter Creative Commons-Lizenz, darf also von jedem verbreitet werden.

Spenden kann jeder, jede Summe. Kauft hinterher ein Verlag die Geschichte exklusiv, gibt es die Spenden zurück.

So kamen immerhin mehr als 7500 Dollar zusammen, um aufzuschreiben, warum die Kosten an der San Francisco-Oakland Bay Bridge so explodieren und wer wirklich an dem monströsen Projekt verdient. Insgesamt 158 Menschen waren bereit, zu bezahlen, um diesen Text lesen zu können.

Sicher kein Modell, um großen Zeitungen das Überleben zu sichern aber ein Beweis dafür, dass das Internet nicht nur alte Geschäftskreisläufe obsolet macht, sondern auch völlig neue und interessante schafft. Letztlich ist das nichts anderes als die Spende, die wir täglich geben, damit andere uns eine Zeitung füllen und nach Hause liefern. Nur dass Leser nun mehr Einfluss haben.