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Studieren, digital

An der Okuma School of Public Management der Waseda University in Tokio ist das Studium vollständig virtuell. „Wenn ich meine Vorlesung halte, sitze ich allein vor einer Kamera und zeichne sie auf“, sagt Koichiro Agata, Dekan der Fakultät. „Die Studenten können sich die Aufnahmen dann beliebig oft ansehen.“

Nicht nur Vorlesungen, auch Seminare und Hausarbeiten gibt es nur noch im Netz. Organisiert ist das ganze in einer Art Forumssoftware. Jeder Student muss sich einloggen, kann dann dort die Vorlesungen abrufen, Kommentare verfassen, vom Professor gestellte Aufgaben lösen und Hausarbeiten einreichen. Die Noten bestimmen sich auch danach, wie aktiv sich die Studenten in dem Forum zeigen.

Agata findet das gut: „Die Studenten können die Inhalte viel besser verstehen, da sie die Ausstrahlung beliebig oft ansehen können.“

Doch habe das natürlich auch Nachteile: „Sie können auch ganz faul sein, ich habe darüber keine direkte Kontrolle.“ Und die Lehrenden müssten einiges zur Motivation tun und „Anlass geben“, dass die Studenten auch ins Forum kommen und sich dort an den Debatten beteiligen.

Vor allem aber führt es zu einem Verhalten, das Studenten in Deutschland dank der Bachelorreform gerade abtrainiert wird: „Sie müssen vollkommen selbständig arbeiten, was sie davon haben, hängt stark von ihnen ab“, sagt Agata und findet das prima. Denn er sieht sich nicht als Lehrer, sondern eher als Hinweisgeber: „Meine Vorlesung ist nur ein Anlass zur weiteren Selbstausbildung.“ Die Universität, findet er, sollte dabei helfen, sich selbst zu bilden. Das Netz stärke dabei die Unabhängigkeit und die Interessen der Studenten, statt sie mit verschulten Systemen zu beschneiden.

 

Warum ein Leistungsschutzrecht statt simpler Bezahlsysteme?

Ein schönes Beispiel, worum es bei der Debatte ums Bezahlen für journalistische Inhalte eigentlich gehen sollte, liefert hier Simon Columbus.

Kleines Exzerpt: Es gibt Texte, die er gern kaufen würde, wenn man ihn denn ließe. Doch will er dafür weder
– zum Kiosk laufen müssen,
– irgendein ePaper für einen ganzen Monat abonnieren,
– eine Software installieren müssen.

Dafür hätte er lieber, dass die bezahlten Inhalte
– Teil der Linkökonomie sind, also durchsuchbar und verlinkbar wären,
– unbeschränkt genutzt werden dürfen, wenn man denn schon bezahlt
– es am besten eine „Ein-Klick-Lösung“ für all das gäbe.

Zum Schluss wundert er sich dann noch, warum deutsche Verleger so viel Mühe auf Leistungsschutzrechte und ähnliche Konstrukte verwenden und so wenig auf praktikable Bezahlsysteme. Zitat: „I can’t but wonder why publishing companies like Springer are lobbying for related right instead of just letting me pay for their content.“ Berechtigte Frage.

 

Platz drei für Deutschland

Deutschland ist Fußballweltmeister! Und Vizeweltmeister! Glauben Sie nicht? Stimmt aber. Bei der Weltmeisterschaft im Computerspielen, den World Cyber Games in Chengdu in China, gewann Joshua Begehr die Gold- und Daniel Schellhase die Silbermedaille. Gespielt haben sie das Game Fifa09.

Und Deutschland konnte bei diesem weltweit wichtigsten eSport-Ereignis sogar in der Gesamtwertung den dritten Platz belegen. Die meisten Medaillen gingen an Südkorea, den zweiten Platz gewann Schweden.

Das erstaunlichste aber waren nicht die sportlichen Leistungen, sondern die Zahl der Zuschauer. Denn auch wenn viele Menschen an Computern spielen, als Sport, der Ränge füllt, sind Cybergames nicht unbedingt bekannt. Dieses Mal aber kamen zu der viertägigen Veranstaltung 82.000 Menschen – und 600 Journalisten, die darüber berichteten.

 

Der Mob regiert!

„User Generated Content“ wird ja gern verstanden als Möglichkeit, Geld zu sparen und Stellen zu streichen. Irgendwer füllt den Platz dann schon mit irgendwas, das Netz ist groß.

Dabei ist UGC eigentlich die Chance, großartige Ideen zu finden und so Bestehendes noch viel besser zu machen oder ganz Neues zu entdecken. Zumindest, wenn man es versteht wie Twitter und die Menschen einen Dienst nutzen lässt, wie sie es wollen. „Retweets“, Zitierung mittels @-Zeichen und die neuen Listen sind bei dem Mikrobloggingnetzwerk so entstanden, obwohl man darauf eigentlich gar nicht scharf war. Wired und die New York Times haben das vor kurzem aufgeschrieben.

Wired zitiert beispielsweise Twittergründer Biz Stone mit den Worten: „Twitter teaching us what it wants to be“. Was man auch übersetzen könnte als: wir lernen von unseren Nutzern.

 

Blinkenlights

Zoomer ist tot und nun auch die Netzeitung. Je wichtiger das Internet in Deutschland wird, so scheint es, desto deutlicher zeigt sich, dass es nicht in der Lage ist, Journalismus zu finanzieren. Doch ist das so?

Ist das Scheitern der beiden Projekte nicht viel mehr Beleg dafür, wie schwer sich klassische Verlage mit der neuen Technik tun? Wie ungern sie darüber nachdenken, sie zu nutzen, statt sie zu verteufeln oder bestenfalls zu ignorieren?

„Es macht keinen Sinn, das 137. News-Portal zu sein, das dieselbe Nachricht leicht modifiziert ebenfalls veröffentlicht“, heißt es in einer auf den Mainzer Medientagen präsentierten Studie . Die Manpower wäre in eigene, selbst recherchierte Geschichten besser investiert.

Demnach dürfte es eigentlich keine solchen „Nachrichtenportale“ geben, die Leben und Journalismus nur mit Blinkenlights simulieren. Haufenweise Reportagen müssten im Netz sprießen, kritische Analysen, fundierte Hintergründe. Ist aber nicht so. Die paar Großen, die sich so etwas leisten, bejammern ständig die Kosten. Es brauche endlich erfolgreiche Finanzierungsmodelle für alle Mediengattungen, schreibt jemand bei Carta.

Dabei gibt es die längst, sie heißen „solider Journalismus“, „Haltung zeigen“, „Leserliebe“.

Warum soll das im Netz anders sein? Auch dort braucht es Profil und Haltung und das Wissen, für wen man das eigentlich schreiben will. Nur dass die Technik noch viel mehr Chancen bietet, das zu zeigen. Hätte nie gedacht, dass ich dem Mann hier mal Recht geben würde, aber was er sagt, stimmt: Mit seichten Inhalten überhöhte Renditeerwartungen erfüllen zu wollen, ist Quatsch. „Das Internet ist kein Grund zu sagen: Wir brauchen keinen Qualitätsjournalismus mehr.“

 

Die neue Dimension

Und hier noch das Wordle des gesamten Koalitionsvertrages.

"Stärken müssen", der Koalitionsvertrag

Die Dimensionen sind interessant. „Zukunft“ ist noch vergleichsweise groß, „Daten“ schon sehr viel kleiner, und „Internet“ kaum noch zu erkennen. Doch, es ist drauf, rechts oben. Aber von einem Umdenken kann nicht die Rede sein, wenn das Wort in dem Text so selten vorkommt.

 

Wir sind digitale Messis

Was jetzt folgt, mag zynisch klingen, aber versprochen, es ist so nicht gemeint: „Alles hat auch sein Gutes“, pflegte meine Großmutter zu sagen. Ich glaube, es stimmt sogar in Fällen wie dem Sidekick-Datenverlust. Den Betroffenen wird es schwer fallen, dem Verschwinden ihrer Emails und Telefonnummern etwas Positives abzugewinnen. Für uns alle aber kann es eine wichtige Erinnerung sein.

Die wahre Leistung unseres Gehirns ist nicht, dass es sich Dinge merken kann, es ist seine Fähigkeit zu vergessen. Ohne diese würden wir wahnsinnig werden und irgendwann unter der schieren Menge an gespeicherten Informationen zusammenbrechen. Im Alltag haben wir das begriffen und jene, die alles sammeln und nichts wegwerfen können, gelten als krank.

Doch wenn es um unsere Computer geht, ignorieren wir dieses Wissen. Wir müllen uns zu in der Informationsgesellschaft. Weil Speicherplatz billig ist und weil Suchmaschinen den Eindruck erwecken, wir hätten einen Weg gefunden, der Flut zu begegnen. Ich glaube, der Eindruck trügt.

Google, die anerkannt effektivste Suche derzeit, erfasst nur einen Bruchteil des Internet. Außerdem gaukelt die Ergebnisseite Übersichtlichkeit lediglich vor. Wer hat je die Millionen Treffer angeschaut, die eine alltägliche Abfrage hervorbringt? Zwar versucht der Algorithmus, eine Schwarm-Relevanz zu berücksichtigen, doch befriedigend ist das nicht, fehlt doch beispielsweise die Idee, dass Informationen auch veralten.

Viktor Mayer-Schönberger fordert für das Internet schon lange ein Vergessen und hat jetzt auch ein Buch darüber geschrieben. Ich fände es einen Segen. Und ja, auch wenn es mich selbst betrifft.

Wie schreibt Nik Cubrilovic von Techchrunch: „Die Kontaktliste seines Handys zu verlieren, sollte kein Problem sein – wir sollten eigentlich wissen, wer unsere Freunde sind.“ Recht hat er, und so ein Absturz kann uns daran erinnern. Die, die uns danach nicht mehr einfallen, waren vielleicht schon lange keine Freunde mehr. Oder sind es nie gewesen.

Ein Crash ist ärgerlich, ja. Aber er kann erleichtern, uns von digitalem Müll befreien und uns erinnern, dass wir öfter mal Daten wegwerfen sollten, statt immer neue Backups anzulegen, die wir uns sowieso nie wieder anschauen. Oder, um noch einmal Techchrunch zu zitieren: „Lasst die Daten einen natürlichen Tod sterben. Was wichtig ist, wird überleben.“

 

Spott an

Für Politiker ist es heikel, dieses Internet, da hat der Kollege Knüwer von nebenan völlig Recht. Doch scheint es den ein oder anderen unter ihnen zu geben, der langsam auch die Chancen begreift (oder der eine gute Werbeagentur hat, die das für ihn tut). Denn, sie existieren inzwischen tatsächlich, die nicht ganz so einschläfernden, nicht völlig peinlichen Wahlwerbespots:

Der hier zum Beispiel, ein Versuch der SPD in Naturfilmen viralem Marketing. Weder Parteilogos noch –köpfe tauchen darin auf, dafür ein „schwarz-gelber Pfeilgiftfrosch“, der sich gern in der Nähe von Atomkraftwerken aufhalte, zu vierjährigen Lähmungen und heftigem Ungleichgewicht führen könne und dessen einziger Feind der „rote Steinfrosch“ sei.

Clever ist die Idee der SPD, zu zeigen, was allein mit ein paar Zeilen Text an Aussage möglich ist. Gleichzeitig gefährlich, zeigt der Spot doch auch, wie leicht sich politische Haltungen umdrehen lassen, allein durch andere Betonung und umgekehrte Reihenfolge.

Die Grünen versuchen das jetzt auch und haben dafür den Humoristen Loriot geplündert und seinen Spot „Macht nix“ umgeschrieben. Das ist lustig. Allerdings nicht ganz so lustig wie die Sachen, die beim vergangenen Bundestagswahlkampf 2005 unter dem Motto „die Natur schlägt zurück“ liefen. Damals durften Filmemacher, Videoregisseure oder Werbefilmer im Auftrag der Partei Spots entwerfen und die ließen dann einen Hasen mit einem Baseballschläger Umweltsünder niedermachen oder eine Blume einen rumsauenden Autofahrer verdreschen.

So eine Plattform hat auch die FDP. Auf „liberal viral“ bei myVideo kann jeder Spots im Namen der Partei einstellen. Das wirkt dann aber schnell mal unfreiwillig komisch. Wie bei Guido Westerwelle, der mit einer Nadel bewaffnet die Wortblasen der anderen Parteikader zersticht. Lustig ist das nur, weil der FDP-Chef gerne mal Beinamen wie „Dampfplauderer“ oder „Politclown“ bekommt.

Da sind seine Nachwuchskräfte besser, fallen die JuLis doch durch etwas auf, was im politischen Betrieb selten ist: Selbstironie.

 

Sozialer Druck in sozialen Netzwerken

Warum ist man Mitglied bei einem der vielen sozialen Netzwerke? Um sich mit seinen Freunden zu treffen? Ja, aber nicht nur. Eine aktuelle Studie aus Österreich zeige, dass der soziale Druck dabei inzwischen eine nicht unerhebliche Rolle spiele. Das berichtet futurezone vom ORF. Genutzt würden die Portale „vor allem zur Selbstdarstellung“, zitiert die Seite direkt im Anschluss den Leiter der von einer Mobilfunkfirma in Auftrag gegebenen Studie, Gereon Friederes.

Verwunderlich ist der Befund nicht, belegt er doch nur, wie verbreitet diese Netzwerke inzwischen sind und wie wichtig sie für immer mehr Menschen werden. Dass der soziale Druck steigt, etwas zu nutzen, was alle nutzen, scheint nur zu verständlich. Ob das zu etwas Sinnvollem führt, ist eine andere Frage, bewirkt dieser Druck doch gern, dass man Dinge tut, die man eigentlich nicht will oder ohne ihn nicht tun würde.

Es hätte sich daher gelohnt zu untersuchen, was diejenigen in den Netzwerken dann machen. Und ob sie darin eine Bereicherung oder eine Last sehen. Doch scheint die Studie ihren Gegenstand nicht allzu tief untersucht zu haben.

Was die zweite Aussage über Selbstdarsteller angeht, gibt sie die Realität wohl nur stark vereinfacht wieder. Selbstdarstellung ist ein wichtiger Aspekt, auch dazu gibt es Studien. Allerdings kann, was so aussieht, auch etwas anderes sein. So hatte das Hans-Bredow-Institut bei einer Untersuchung des Nutzungsverhaltens unter Jugendlichen im vergangenen Jahr festgestellt, dass Aufwachsen heute bedeutet, mit Identitäten „spielen“ zu können. Was wie Selbstdarstellung wirkt, ist damit oft wohl der Versuch, dieses gesellschaftliche Spiel zu erlernen oder es mitzuspielen.

Oder noch anders: In unserer Gesellschaft ist es wichtig, mit verschiedenen Identitäten umgehen zu können – Arbeit, Sport, Freundeskreise – überall bewegen wir uns ein wenig anders und stellen uns im möglichst besten Licht dar. Das Internet macht das nur sichtbar. Genau wie die Tatsache, dass Mobilfunkfirmen vielleicht nicht die besten Sponsoren sind für die laut Eigenwerbung „erste umfassende Studie“ zu sozialen Netzwerken in Österreich.